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III. Abbildungsverzeichnis

4.1 Interethnischen Verhältnis: Status quo und Einflussfaktoren

4.1.1 Staatstradition, Territorialverständnis und Ideologie

Ein gewichtiger, da für das schlechte Verhältnis zwischen der rumänischen und ungarischen Volksgruppe entscheidender Faktor kann im Bereich der Staatstradition verortet werden. Im Fokus steht hierbei die Definition Rumäniens als „einheitlicher Nationalstaat“.330 Die Idee der nationalen Einheit ist fester Bestandteil des politischen wie öffentlichen Bewusstseins Rumäniens, der Begriff „Föderalisierung“ bis heute ein Tabu.331 Nach Meinung des Historikers Lucian Boia wäre ein föderaler Staatsaufbau in den zwei Gründungsphasen Rumäniens im 19. und 20. Jahrhundert nicht nur eine gangbare Lösung gewesen, sondern hätte auch der Vielfalt des „großrumänischen“ Staats entsprochen332. Die Furcht vor eben jener Heterogenität, gesehen als Hürde zur Verschmelzung der Landesteile, stand dem entgegen. So entschied man sich stattdessen für ein am französischen Vorbild orientiertes, zentralistisches Verwaltungssystem, das „die spezifische Physiognomie der historisch gewachsenen Regionen [missachtete] und das Land in den französischen Departementes vergleichbare Verwaltungsbezirke, judete“333, unterteilte.

Die konstitutionelle Staatsauffassung Rumäniens beruht auf dem „Einheitsstaat der Rumänen“ (womit eine Eingrenzung auf den ethnisch-rumänischen Teil der Bevölkerung einhergeht; Anm. d. Autors334). Entsprechend wird jegliches Aufbrechen dieser Einheit mittels Föderalisierung oder Regionalisierung als Tabu gesehen. Anfängliche Pläne der Minderheit nach der Wende, in der Staatsdefinition als gleichberechtigte Nation aufgenommen zu werden, wurden fallengelassen.335 Als bedeutender Punkt erweist sich ferner die Sprache:

Als Volk, das über die Reiche der Habsburger, Osmanen und Romanovs verstreut war, bildet seit dem 19. Jahrhundert Sprache einen fundamentalen Identifikationspunkt für Rumänen.

Damit treffen Forderungen der ungarischen Minderheit nach muttersprachlichem Unterricht daher – etwa im Kontext der Vorfälle von Tirgu Mures – auf tief wurzelndes, historisches Misstrauen.336

Aber auch darüber hinaus lassen sich viele Reibungspunkte finden, wobei sich diese in der Region Siebenbürgens auch geografisch überlappen.337 Fast alle Städte und Ortschaften der Region besitzen nicht nur zwei bis drei Namen338, sondern sind auch für beide Ethnien von

330 Vgl. Interview 1-1.2.

331 S. Boia (2006), S. 16.

332 die rum. Bevölkerung bestand zu ca. einem Drittel aus Minderheiten, vgl. Kapitel 3.1, Tab. 7 u. 3.6.

333 S. Boia (2006), S. 16.

334 Vgl. hierzu eingehender Kapitel Recht.

335 Vgl. Interview 7-1.2.V1.

336 Vgl. Roe (2002), S. 74.

337 Vgl. Andreescu (2007), S. 65.

338 I.d.R. sind dies neben den rumänischen auch ungarische und deutsche (Anm. d. Autors).

politischer wie kultureller Bedeutung.339 Demnach macht die schon faktische Verschränkung der gemeinsam geteilten Identitätsorte eine Trennung unmöglich. Gleichzeitig konzentriert sich ein großer Teil der Legenden im Prozess der Nationalstaatsbildung beider Staaten auf Siebenbürgen.340 Hier wäre die historische Bedeutung und Gewichtung der Region für beide Völker zu nennen, aus denen sich die konkurrierenden Identitäten entwickelten341:

„The Romanian nation stays in sharp contrast to the Hungarian nation because it has had many small discreet and relative stable territorial units through time, but rarely has it had a single state that encompasses them all – a state that could be used as the basis for a modern Romanian nation-state.“342

Doch auch für Rumänien besitzt Siebenbürgen einen hohen Stellenwert: Nicht nur ist es reich an Diversität und natürlichen Ressourcen, verfügt neben bedeutenden Bildungseinrichtungen auch über eine moderne Wirtschaft und zieht ausländische Direktinvestitionen an, sondern es führt auch höhere ökonomische Transferzahlungen an den Zentralstaat ab als die ärmeren Landesteile. Darüber hinaus stellt der Landesteil durch seine geografische Lage mit Grenzen an Serbien, Ungarn und Ukraine „Bukarests Lebensader nach Europa“ dar.343

In diesem Kontext kann auch der Drang zur Zentralisierung verstanden werden, da der rumänische Staat 1859 erst aus verschiedenen Teilen „zusammengeschweißt“ werden musste.344 Tatsächlich scheinen im Nation Building Rumäniens – im Gegensatz zum restlichen Europa – nicht Revolutionen, sondern Momente der Vereinigung als wichtigster Topos auf. Bei der Einbindung Siebenbürgens in das rumänische Königreich 1918 wurde ein zentralistisches, französisch-jakobinisches Modell dem vorangegangenen siebenbürgischen Föderalismus bzw. der verfassungsmäßigen Anerkennung der Ethnien vorgezogen.345 So gilt Rumänien für Fumurescu als Beispiel für das mühevolle Bestreben eines modernen Nationalstaats, einen historischen Vorlauf als Rechtfertigung der Etablierung seines Territoriums zu finden.346

Nicht zuletzt ist auch der Bereich der Symbole zu nennen, schließlich fügen sich die staatlich-konstitutionelle Identitätsdefinition der rumänischen Mehrheitsgesellschaft als Nationalstaat sowie die nationalen Symbole wie Hymne und Nationalfeiertag, die auf die Konflikte verweisen, in den Komplex ein.347 Der Nationalfeiertag etwa wurde nach der

339 Vgl. Fumurescu (2005), S. 5 ff.

340 Vgl. Csergö u. Goldgeier (2006), S. 292.

341 Vgl. Lupea (2012), S. 1.

342 Vgl. White, George W. (2000), Nationalism and Territory-Constructing Group Identity in Southeastern Europe, Rowman & Littlefield, S. 13, zitiert nach Fumurescu, 2005, S. 5.

343 S. Saunders (2008), S. 21.

344 S. Boia, Lucian (1998): Amenintarea federalista [Die föderalistische Bedrohung], in: Curentul, Dezember 1998, S. 21, zitiert nach Boia (2003), S. 17.

345 Vgl. Interview 2-2.5.V3.

346 Vgl. Fumurescu (2005), S. 5 ff.

347 Vgl. Lupea (2012), S. 3 f.

Revolution auf den 1. Dezember, also die Eingliederung Siebenbürgens in Rumänien 1918, gelegt – ein Datum, dass von den Ultra-Nationalisten stark befürwortet wurde.348 Die Forderung nach einer autonomen Region steht 2018 zudem in starkem Kontrast zum symbolisch äußerst aufgeladenen Kontext der 100-Jahr-Feier Rumäniens349, weswegen eine zusätzliche Verschlechterung der Beziehung befürchtet wird. Neben dem als zu offensiv empfundenen Agieren der ungarischen Regierung werden als Gründe hierfür das fehlende Verständnis der Rumänen für die Forderungen der Minderheit und deren kritische Position gegenüber der Staatsgründung gesehen:

„But somehow it seems that RMDSZ and the Hungarian community have been pushed into the corner, because the Romanians will […] be celebrating – for one whole year or even more – something which for the Hungarians means the beginning of their minority situation.“350

Dies erschwert auch jegliche Autonomiedebatten in diesem Jahr: Auf die bei der Angliederung Siebenbürgens gemachten, großzügigen Zugeständnisse einer Autonomie folgte stattdessen eine Politik der Rumänisierung, ähnlich der vorherigen Magyarisierung.

Auf die Aussage des UDMR-Präsidenten, Hunor Kelemen, man habe 2018 nichts zu feiern, folgten nationalistische Proteste.351 Zumindest rhetorisch stehen der Befürchtung positive Zeichen gegenüber: Wie schon einige ihrer Vorgänger gratulierte die rumänischen Premierministerin Viorica Dancila (Sozialistische Demokratische Partei/PSD) 2018 der ungarischen Minderheit zum ungarischen Nationalfeiertag, betonte zur rumänischen 100-Jahr-Feier die gemeinsamen kulturellen Bande und rief zu gegenseitigem Respekt und Verständnis auf.352

Problematisch erscheint schließlich auch die rumänische Hymne, wie sie 1994 in Gesetz Nr. 74353 festgelegt wurde: Indem sie auf von der Minderheit nicht geteilte oder zumindest stark kontestierte, historische Topoi (z. B. Kontinuitätstheorie, Matthias Corvinus und Territoralanspruch354) sowie die Verbindung zwischen Nation und (rumänisch-orthodoxer) Kirche verweist, lässt sie nach Meinung des Autors ein inklusives Element vermissen:

„Erwache Rumäne!

Erwache Rumäne, aus deinem Todesschlaf,

In welchen dich barbarische Tyrannen versunken haben!

Jetzt oder nie, webe dir ein anderes Schicksal,

348 Vgl. Fumurescu (2005), S. 18. Als das ungarische Pendant dazu, wenn auch mit wenig negativer Wirkung auf die eigenen Minderheiten, kann der „Tag der Nationalen Einheit“ gelten, der jeweils am 4. Juni stattfindet und an dem sich „alle Landsleute in der Region an die größte Tragödie Ungarns im 20. Jahrhundert“ (s. Klimó, 2013, S. 11) erinnern sollen.

349 Rumänien feiert hier die Vereinigung der alten Landesteile des Regats (Wallachei, Moldau) mit Siebenbürgen, der Bukowina und Bessarabien im Zuge des Endes des Ersten Weltkriegs 1918.

350 S. Interview 7-6.

351 Vgl. Verseck (2017b).

352 Vgl. szeretlekmagyarorszag.hu (2018).

353 Vgl. Rumänisches Präsidentenamt (2015).

354 Nach eigener Interpretation.

Vor welchem sich auch deine grausamen Feinde verneigen werden!

Jetzt oder nie, senden wir Beweise in die Welt, Dass in diesen Adern noch Römerblut fließt,

Dass wir in unseren Herzen stets mit Stolz einen Namen tragen, Den Sieger seiner Kämpfe, den Namen von Trajan!

Schaut, erhabene Schatten, Michael, Stefan, Corvin, Die Rumänische Nation, eure Urenkel,

Mit bewaffneten Armen, euer Feuer in den Adern, ‚Leben in Freiheit, oder Tod!‘, rufen alle.

Priester, geht voraus, mit den Kreuzen, denn das Heer ist christlich, Die Devise heißt Freiheit und der Zweck ist hochheilig,

Lieber glorreich in der Schlacht sterben,

Als wieder Sklaven auf unserem alten Boden zu sein!“355