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III. Abbildungsverzeichnis

3.9 Wende bis heute

Die provisorische rumänische Regierung begann unmittelbar nach der Wende – ohne dass es dafür von innen oder außen Anlass gab – wegen der „Bedrohung der nationalen Sicherheit durch chauvinistische Bestrebungen“270 mit der Schaffung des Rumänischen Nachrichtendienstes (SRI). Zu seinen Haupttaufgaben gehörte das Monitoring von Aktivitäten der Minderheiten, die „eine Gefahr für die nationale Sicherheit“ darstellen könnten. Schließlich könnte eine etwaige Artikulation der Minderheitenforderungen gegenüber dem Ausland „das Bild Rumäniens nach außen hin beeinträchtigen und gleichzeitig zu destabilisierenden, verfassungsfeindlichen Taten aufwiegeln“271. Die ehemaligen Kommunisten gaben sich nach der Wende einen sozialistischen bzw.

sozialdemokratischen Kurs und näherten sich zeitweilig nach den ersten Parlamentswahlen den nationalistischen und ultrarechten Bewegungen an. Indes kümmerte sich die Regierung nicht um die Lösung der während der kommunistischen Zeit unterdrückten ethnischen Spannungen zwischen Ungarn und Rumänen. Diese brachen sich am Revolutionstag im März 1990 in Tirgu Mures in blutigen Zusammenstößen272 Bahn. Ein von der EU geforderter ungarisch-rumänischer Grundlagenvertrag kam 1996273 nur sehr zäh zustande. Forderungen nach Autonomierechten wurden und werden als Bedrohung der nationalen Integrität

266 Vgl. Roe (2002), S. 68.

267 Vgl. Mihok (2002).

268 Ausgelöst durch den sich gegen die staatliche Repression wehrenden, ungarisch-reformierten Pfarrer László Tökés.

269 Vgl. Roth (2007), S. 145 ff.

270 S. SRI Bericht (1994), S. 4-12, zitiert nach Mihok (2002).

271 S. ebd.

272 S. auch Kapitel 4.2.

273 S. auch Kapitel 9.3.2.

Rumäniens empfunden274. Der Regierungswechsel 1996 zum bürgerlich-liberalen Lager führte zu etwas mehr Transparenz und 1999 zur Einrichtung eines Minderheitenministeriums. Versuche einer behutsamen Regionalisierung275 blieben jedoch erfolglos bzw. ungenutzt.276

Der Minderheitenschutz in Rumänien hat sich indes seit der Wende verbessert277, wenn auch das ungarisch-rumänische Verhältnis in Rumänien bis heute immrt wieder angespannt ist.278 Die ungarische Minderheit wirkt mittlerweile konstruktiv am politischen Leben mit (s.

Tab. 8)279 und betreibt den Ausbau ihrer Kultur sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Von radikalen Rumänen wird dies jedoch häufig als Ausdruck für einen ungarischen Nationalismus – „fallweise auch aus dem Gefühl eigener Unterlegenheit heraus“280 – empfunden. Auch als Ende der 90er-Jahre vereinzelt rumänische Vorschläge für eine vollständige Autonomie des tendenziell gesellschaftlich und wirtschaftlich besser entwickelten Siebenbürgens aufkamen, wurden ihre Vertreter als Landesverräter gebrandmarkt. Ein Regionalgefühl entsteht allerdings nur sehr langsam, was im zentralistischen und über Generationen verfolgten französischen Zentralstaatsmodell begründet ist.281

1992 7,46 Opposition k.A. Nicolae Vacaroiu

1996 6,84 Koalition PNTCD, PNL, PD,

(Kooperationsabkommen) PDSR, UDMR, PNL Adrian Nastase 2004

6,17

Koalition PNL, PD, PUR/PC,

UDMR Calin

Popescu-Tariceanu I

ab 04/2007 Koalition PNL, UDMR Calin

Popescu-Tariceanu II 2008

6,17 Opposition PDL, PSD Emil Boc I

2009–2012 Koalition PNL, UDMR, UNPR Emil Boc II

2012

5,14

Koalition PNL, UDMR, UNPR Mihai Ungureanu 04/2012–

12/2012 Opposition PSD, PNL, PC, UNPR Victor Ponta I

12/2012–

03/2014 Opposition PSD, PNL, PC, UNPR Victor Ponta II

03/2014–

12/2014 Koalition PSD, PC, UDMR,

UNPR Victor Ponta III

12/2014–

11/2015 Opposition PSD, UNPR, ALDE Victor Ponta IV

11/2015– Tab. 8: Ergebnisse bei Parlamentswahlen (Abgeordnetenhaus) sowie Regierungs-beteiligungen bzw. -einfluss der UDMR zwischen 1990 und 2018; fett = reguläre Wahlen282 3.10 Zusammenfassende Bewertung

Basierend auf dem oben aufgeführten historischen Überblick nach Roth kann der Kern der heutigen interethnischen Probleme in Siebenbürgen auf die spezielle Ausgangslage der Region zurückgeführt werden: Spätestens seit dem 13. Jahrhundert fand sich dort – ausgelöst durch Kriege, Migration und Ansiedlungspolitik – ein Völkergemisch aus unterschiedlichsten Ethnien und Religionen wieder, das bis zum Ersten Weltkrieg u. a.

Ungarn, Rumänen, Deutsche, aber auch Slowaken, Ukrainer, Kroaten, Juden, Armenier und Roma umfasste. Vermutlich beginnend mit den Mongoleneinfällen im 13. Jahrhundert sowie während der Zeit der Kriege mit dem Osmanischen Reich kippte das Bevölkerungsverhältnis von der ungarischen langsam zugunsten der rumänischen Volksgruppe. Ein ethnisches (geschweige denn nationales) Bewusstsein ist dabei im ausgehenden Mittelalter – und für die Rumänen bis in die frühe Neuzeit – kaum erkennbar. Unterscheidungen zwischen den Ethnien beruhten bis dahin lediglich auf Faktoren wie Konfession, Stand, sozialer Lage und Rechte.

Welche wesentlichen Konfliktlinien lassen sich nun im Verhältnis der beiden Ethnien identifizieren? Zunächst kann hier die fehlende Anerkennung der rumänischen Volksgruppe genannt werden. Diese trat zwar bis ins 17. Jahrhundert politisch kaum in Erscheinung,

282 Zusammenfassung der Daten aus Allgemeine Deutsche Zeitung (2014); Alionescu (2004), S. 65;

Autengruber (2012), S. 74 ff.; derStandard.at (2012); Flesken (2018), Freedom House (2018);

Illyés (2017), S. 53; Inter-Parliamentary Union (2018); Nemzetpolitikai Kutatóintézet (2017), S. 3;

Kiss et al. (2018), S. 110; Siebenbürgische Zeitung (2014); Salat, Levente (2009): Perspective ale UDMR dupa alegerile parlamentare din 2008, in: Teodorescu, Gheorghe (Hrsg.), Alegeri 2008:

Continuitate și schimbare, Bd. 2, Iasi: Polirom, S. 121, zitiert nach Tatar (2011), S. 92; Toró (2016), S. 98 sowie weitere eigene Recherchen des Autors. Zur Beschreibung der rumänischen Parteien s.

Kapitel 7.1.

protestierte aber immer wieder gegen ihre Leibeigenschaft. Erste Forderungen zu Beginn des 18. Jahrhunderts gegenüber Wien, die Lage zu verbessern, blieben erfolglos. Während die unierte Kirche als Katalysator ihrer Identitätsfindung wirkte, entwickelte sich unter rumänischen Eliten auf beiden Seiten der Karpaten langsam ein Bewusstsein ethnischer Zusammengehörigkeit, welches seit 1890 aufgrund der zunehmenden Restriktionen seitens Ungarns und der Unterstützung Bukarests in der Idee einer Verneigung aller Rumänen kulminierte. Auffällig ist hierbei, dass sich dennoch bis 1918 eine gewisse Loyalität der siebenbürgischen Rumänen gegenüber Region und Staat feststellen lässt. Der Versuch einer Annäherung der beiden Seiten wurde durch den Ersten Weltkrieg beendet.

Als bestimmendes Metathema der Erosion des interethnischen Verhältnisses kann das Aufkommen des Nationalismus gelten. Dieser speiste sich aus einem Gemisch aus wechselseitig beeinflussenden, externen wie internen Entwicklungen und wurde zu einem bestimmenden Element in der Beziehung. Wichtige externe Ereignisse hierfür waren u. a. im 19. Jahrhundert die Nationalbewegungen in Rumänien, Deutschland und Ungarn. So griff etwa die ungarische Nationalbewegung auch auf Siebenbürgen über: Während die Rumänen mehr Rechte einforderten, sah sie die Assimilierung der Ethnien durch ihre Integration in die ungarische Nation vor. Die ungarische Revolution von 1848/49 verstärkte den Widerstand der Ethnien, trug damit zur Frontenbildung bei und wurde schließlich zum Nationalitätenkampf. Ihr Scheitern wiederum erhöhte den Eigenständigkeitsdrang der Ungarn gegenüber der habsburgischen Vorherrschaft.

Die Folgen hieraus zeigen sich im Ausgleich 1867: Dieser fixiert die ungarische Reichshälfte als „einheitliche, unteilbare Nation“, hob u. a. die Sonderrechte der Ethnien in Siebenbürgen auf und machte das Ungarische zur Staatssprache. Die Belange der Rumänen z. B. bzgl.

Sprache, Bildung und Wahlbeteiligung blieben außen vor, ihre Partei wurde verboten.

Freiräume für die Nationalitäten fanden sich hier nur noch in der Möglichkeit der Nutzung der Muttersprache in lokaler und regionaler Verwaltung sowie im Unterricht (außer an Hochschulen). Der liberalere Geist des Nationalitätengesetzes von 1868 wandelte sich im Laufe der Zeit zu starken Restriktionen in Form einer Magyarisierungspolitik, die zur Assimilierung der Ethnien den Ungarischunterricht obligatorisch machte und die etablierte Dreisprachigkeit in Verwaltung zurückdrängte. Auf die immer stärkere Unterstützung der siebenbürgischen Rumänen durch Bukarest und ihre Forderung nach mehr Rechten reagierte der ungarische Staat mit Restriktionen und Strafmaßnahmen gegen diese. Auf die Lockerung der rumänischen Positionen reagierte das offizielle Ungarn mit einer Verhärtung seiner Politik. Mit der zunehmenden politischen, wirtschaftlichen wie demographischen Präsenz der Ethnien, insbesondere aber der Rumänen, wurde das Handeln der Ungarn dabei immer wieder von zwei Polen definiert: Dies waren auf der einen Seite die Angst um die eigene Existenz (Minderheit), die zu mehr Assimilierungsmaßnahmen und Nationalismus führte, auf der anderen Seite Ideen der Integration der Ethnien bis hin zu einem Wandel

Siebenbürgens zu einer Schweiz des Ostens. Unter den Szeklern waren die eigene Identität – durch die historisch frühe Etablierung des eigenen Status – und damit auch die Befürchtungen besonders stark ausgeprägt.

Der Friedensvertrag von Trianon 1920 stellte die Situation auf den Kopf: Aus den vormals

„herrschenden“ Ungarn in Siebenbürgen wurden „Beherrschte“, die sich dann selbst mit Repressalien durch Rumänien konfrontiert sahen. So wurden nicht nur die im Vertrag fixierten Minderheitenschutzverträge nicht eingehalten. Auf den Anschluss Siebenbürgens, folgten weitgehende Enteignungen der Volksgruppe und ihrer Kirchen sowie (damit einhergehend) große Einschnitte in ihre Bildung und Kultur. Trotz fast einem Drittel an Minderheiten wurde Rumänien mit der Verfassung 1923 zum einheitlichen, unteilbaren Nationalstaat erklärt. Die Ideologie des nun von Bukarest aus gesteuerten Zentralstaats fokussierte sich auf die Legitimierung des Besitzes von Siebenbürgen, entlang der Argumentationslinie der Kontinuitätstheorie. Dieser Doktrin folgten auch die Ansiedlung von Rumänen aus dem Altreich in bis dahin mehrheitlich ungarisch besiedelte Gebiete sowie eine Sonderstellung der rumänisch-orthodoxen Kirche, die quasi zur Staatskirche aufstieg.

Zwar artikulierten die Ungarn ihre Bedürfnisse durch eine eigene Partei im Parlament, lehnten den neuen Staat jedoch im Grunde ab, sowohl aufgrund der Überforderung durch die totale Umkehr der Verhältnisse als auch wegen dessen Repressalien.

Im Kommunismus verschärfte sich die Situation nochmals. Bescheidene kulturelle Freiräume, wie die (auf sowjetischen Druck eingerichtete) autonome ungarische Region und die eigenständige ungarischsprachige Universität in Cluj-Napoca wurden bald abgeschafft.

Die folgende Phase des Nationalkommunismus war geprägt von einer heftigen ideologischen Verbrämung der Geschichte und zahlreichen Assimilierungsmaßnahmen. Zu diesen gehörten u. a. Restriktionen in Bildung und Kultur, eine Ansiedlung von Rumänen in Siebenbürgen, ein Verbot ungarischer Ortsnamenstafeln, die Konfiszierung von Kulturgütern und schließlich die sog. Systematisierung. Während damit das Verständnis für und das Wissen um die historisch gewachsene Sonderstellung der Region verloren gingen, wurde die Kontinuitätstheorie endgültig in der Gesellschaft ideologisch verankert. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gelang weder Ungarn noch Rumänen eine positive Weichenstellung in Rumänien.

4 Aktueller Stand der Diskussion um Minderheitenschutz und Autonomie

„Es ist unverkennbar, dass sich diese Sorgen vor allem auf Siebenbürgen beziehen, obwohl es jeder Logik widerspricht, zu befürchten, 20 Prozent Ungarn könnten diese Provinz gegen den Willen von 75 Prozent Rumänen ‚beschlagnahmen‘.“283

Lucian Boia, rum. Historiker In neu entstandenen Ländern284 werden Staatsgrenzen oft als labil wahrgenommen. Die Stärkung von Minderheitenrechten wird daher kritisiert und Territorialautonomie zu einem sensiblen Thema, das mithin als erster Schritt zur staatlichen Auflösung gesehen wird.

Angesichts von Negativbeispielen wie dem Zerfall föderaler Staaten wie der Sowjetunion, der Tschechoslowakei oder Jugoslawiens ist diese Wahrnehmung in Mittelosteuropa besonders virulent. Dabei gibt es Akteure, die mit dem Verweis auf historische Entwicklungen, Ängste vor dem Zerfall der staatlichen Einheit schüren. Oft geschieht dies auf Kosten einer Minderheit, sofern man sie als illoyal und dem Anschluss an einen Kin-State willig darstellen kann. Nicht zuletzt drängt die mögliche Besetzung des Themas durch nationalistische Parteien auch moderatere Mehrheitsparteien dazu, in der Frage einen harten Kurs beizubehalten.285 Staatlicherseits werden in Autonomieforderungen tatsächlich oft versteckte Abspaltungsagenden vermutet, die automatisch Fragen der Sicherheit und politischen Stabilität aufwerfen.286

Auch die Diskussionen um die ungarischen Minderheiten in Mittelosteuropa zeigen diese Tendenz: In den Trägerstaaten wird die Minderheit eher als abnormer Störfaktor des eigenen

„nation buildings“ angesehen denn als ein integraler Bestandteil des Staates.287 Rumänien bildet hiervon keine Ausnahme: Zwar entspannte sich das Verhältnis Ende der 90er-Jahre288, doch ist der öffentliche Diskurs um Minderheiten und ihren Schutz durch Autonomie, Selbstbestimmung, Dezentralisierung, ungarischsprachige Bildung und den Gebrauch der Muttersprache bei Behörden bis heute stark politisch aufgeladen.289 Dabei lässt sich die gesellschaftliche wie politische Debatte zum Thema Autonomie nicht isoliert vom übergreifenden Thema des Minderheitenschutzes betrachten. Sie ist durchsetzt von ideologisch-historischen Konflikten und Ängsten, die die Voraussetzung für eine ergebnisoffene Diskussion erschweren.

Um die Aussichten für eine Autonomielösung bewerten zu können, werden daher im Folgenden wichtige Aspekte der Diskussion beleuchtet: Hierzu zählen neben dem ideologischen Unterbau des interethnischen Konflikts die wesentlichsten Einflussfaktoren,

283 S. Boia (2006), S. 16.

284 Wie den Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg (Anm. d. Autors).

285 Vgl. Bochsler u. Szöcsik (2013) S. 429.

286 Vgl. Vizi (2013), S. 30.

287 Vgl. Smith (2013), S. 46.

288 Vgl. Küpper (2007).

289 Vgl. SAR (2009), S. 2 ff.

der Mechanismus des Autonomiediskurses sowie die Debatte um die Dezentralisierung bzw.

Regionalisierung.

4.1 Interethnischen Verhältnis: Status quo und Einflussfaktoren

Mit der Wende änderte sich die Art, wie über die Nationalitätenfrage diskutiert wurde. Galt vor der Wende noch Diktator Ceausescu als die unausgesprochene Hauptursache aller Probleme, richteten sich danach die ungarischen Forderungen an die Rumänen insgesamt.

Diese nunmehr offene Artikulation und Adressierung der Problematik verschlechterte das interethnische Verhältnis. Hierbei nährt die Debatte das Problem: Während für die rumänische Mehrheit als Bedingung einer Verbesserung des interethnischen Verhältnisses die Aufgabe der Autonomieforderungen gilt, sieht die Minderheit dies in der Erfüllung eben dieser Forderung.290 Ebenso bleibt die Toleranz ethnischer Rumänen hinsichtlich ethnischer Vielfalt mehrheitlich gering, so etwa beim Gebrauch der Muttersprache im öffentlichen Raum.291 In puncto Loyalität wird der Minderheit mehr als der Mehrheitsgesellschaft abverlangt:

„Through the Romanian media, political representatives and state institutions, the majority asks the minority to display a civic loyalty beyond the legal obligations, and expresses its intolerance towards what it considers to be the Hungarians lack of loyalty toward the Romanian state, through its national symbols.“292

Nach Vlad wird in der postkommunistischen Gesellschaft Rumäniens ethnische Identität politisiert, was wiederum ein Loyalitätsproblem der Minderheiten aufwirft:

„Die Loyalität der Minderheiten gegenüber einem Staat, dessen Staatsbürgerschaft sie besitzen, der aber nicht großzügig mit ihnen umgeht, sondern sie als zweitklassige Bürger behandelt, kann nicht durch gesetzliche Vorschriften garantiert werden, sondern nur durch positive soziale Praxis.“293

Nach Einschätzung eines Beobachters ist die Missgunst gegenüber der ungarischen Minderheit tief verankert. Verschiedenste Einrichtungen versuchten, Selbstbestimmung als Bedrohung zu darzustellen.294 Darüber hinaus scheint die generelle Unkenntnis über die Probleme der Minderheit sehr verbreitet. Minderheitenfragen treffen nur auf ein marginales Interesse bzw. werden entsprechende Probleme nicht als solche gesehen295:

„When we talk about the unitary nation state […] the existence of millions of people who belong to non-Romanian communities in Romania – they don't see it as an issue.“296

290 Vgl. Mungiu-Pippidi u. Poiana (2010), S. 24.

291 Vgl. Mungiu-Pippidi u. Poiana (2010), S. 9 f.

292 S. Lupea (2012), S. 4.

293 S. Vlad (2008), S. 57.

294 Vgl. Interviews 5-1.1.; 5-2.4.

295 Vgl. Interviews 3-1.1.; 8-1.1.; 11-1.1.

296 S. Interview 6-3.4.V.

Beide Seiten, Mehrheit wie Minderheit, sehen sich im Recht und bringen kein gegenseitiges Verständnis auf: „We have a saying in Romania called the ‚dialogue of the deafs‘ meaning:

the two sides speak to each other but they don't listen to each other.“297

Anzumerken ist, dass der Kontakt der beiden Ethnien auch Einfluss auf deren gegenseitige Bewertung hat. So war etwa, laut einer Studie von 1993, die ungarische Minderheit in solchen Regionen, wo kaum ethnische Ungarn leben, in der rumänischen Bevölkerung sehr unbeliebt (Anteil der Befragten mit negativer Einstellung der Minderheite gegenüber:

Maramures 33 %, Oltenien 38 %, Bukarest 47 %, Muntenien 48 %, Moldau 50 %, Dobrudscha 51 %), während die Werte in Gebieten, wo ethnische Ungarn in grösserer Zahl leben, erheblich niedriger sind (Banat 8 %, Siebenbürgen 29 %).298 Dies geht einher mit einer Beobachtung Roths, nach der der Zuspruch für nationalistische Bewegungen für ein ungarnfreies, rumänisches Siebenbürgen, phänomenologisch in Regionen ohne ethnische Minderheiten sowie bei nach Siebenbürgen zugezogenen Rumänen besonders hoch ist.299 Ferner möchte in Umfragen eine Mehrzahl der Rumänen nicht neben Ungarn wohnen, kann aber nicht begründen wieso.300 Generell scheint die Einstellung von Rumänen mit rein medial vermitteltem Bild zur ungarischen Minderheit eher negativ zu sein. Auch hier fällt Siebenbürgen aus der Reihe: So erweisen sich rumänische Medienberichte über die Minderheit im Rest des Landes als negativer als in Siebenbürgen. Gleichzeitig sticht dort, wo die beiden Ethnien nebeneinander leben bzw. Sprachkenntnisse vorhanden sind, ein wesentlich ausgewogeneres Meinungsbild über die jeweils andere Volksgruppe hervor.301

Auch hier wird ein Spezifikum der rumänischen Bevölkerung Siebenbürgens erkannt, die die eigenständige Geschichte Siebenbürgens als wichtig erachtet und der Vereinigung mit dem Regat eher skeptisch gegenübersteht. Es scheint ein wachsender siebenbürgisch-rumänischer Regionalismus erkennbar – ähnlich der Haltung norditalienischer Regionen gegenüber Süditalien – der sich in einer Verweigerung gegenüber der Zentralregierung ausdrückt und ein verbindendes Element zwischen den beiden, dort lebenden Bevölkerungsgruppen darstellen könnte.302 Ein Zivilisationsbruch zum Süden des Landes wird insbesondere unter der Bevölkerung Cluj-Napocas wahrgenommen303, aber auch in Timisoara (ung. Temesvár), Brasov (ung. Brassó) und anderen Städten der Region, deren Rechte es gegenüber einem als eher zurückgeblieben angesehenen Rest des Landes zu verteidigen gilt.304 Nach Lovatt formen die Bewohner Siebenbürgens eine

297 Vgl. Interview 1-1.1.

298 Vgl. Umfrage aus Evenimentul zilei vom 08.12.1993, zitiert nach Mungiu-Pippidi (1995), S. 182.

299 Vgl. S. 148 f.

300 Vgl. Interview 4-1.2.

301 Vgl. Interview 1-1.3.

302 Vgl. Interview 2-1.4.

303 Vgl. Brubaker et al. (2007), S. 348.

304 Vgl. Saunders (2008), S. 21.

ethnienübergreifende In-Gruppe305 mit eigener siebenbürgischer Mentalität, die mehr Gemeinsamkeiten untereinander aufweist als mit den außerhalb der Region lebenden Verwandten.306 Dies könnte Tendenzen bei den Wahlergebnisse zwischen 2000 bis 2004 (oder bei der Präsidentschaftswahl 2014, vgl. Abb. 6; Anm. d. Autors) erklären, die die Wählerschaft der „Sozialdemokraten“ mehrheitlich im Altreich verorten, die der bürgerlich-liberalen Parteien eher in den „jüngeren“ Landesteilen.307 Für Roth ist dies ein Indiz einer charakteristischen, politisch-kulturell-religiösen quer durch Rumänien verlaufenden Trennlinie.308

Abb. 6: Mehrheiten nach Bezirken im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2014;

dunkelgrau = Victor Ponta (PSD), hellgrau = Klaus Johannis (PNL), weiß = Kelemen Hunor (UDMR)309

Zugleich erscheinen in der öffentlichen Wahrnehmung die Konflikte zwischen den lokalen Eliten der Minderheit und der Mehrheit stärker als Kooperation zwischen diesen.310 Einem Lokalpolitiker zufolge seien nicht die lokalen Rumänen das Problem. Diese hätten zwar Angst vor einer Sezession, seien aber nicht grundsätzlich gegen die Ungarn und weder für noch gegen eine Autonomie. Das Problem wird vielmehr bei der Politik und den Institutionen verortet.311

305 Als In-Gruppe kann eine Gruppe von Menschen bezeichnet werden, die sich einander aufgrund verschiedener Faktoren wie Geschlecht, Ethnie, Religion oder Geographie zugehörig fühlt, vgl.

University of Texas (2018).

306 Vgl. Lovatt (1999).

307 S. a. Abb. 5.

308 Vgl. S. 151.

309 Vgl. abnaorg.eu (2014); digi24.ro (2014); stirileprotv.ro (2014).

310 Vgl. SAR (2009), S. 2 ff.

311 Vgl. Schmidt (2017).

Exemplarisch sollen hier drei Fälle erwähnt werden, die in jüngerer Zeit, neben rechtlichen und außenpolitischen Auswirkungen312, auch zu großem Medienecho und einer massiven Verschlechterung des Verhältnisses führten.

 Beim ersten Fall handelt es sich um den sog. Flaggenstreit. 2008 bestimmte der Bezirksrat von Covasna die Szeklerflagge zur Bezirksflagge, welche zur inoffiziellen Flagge des sogenannten Szeklerlandes wurde.313 Als in Sfantu Gheorghe ein neuer Präfekt ins Amt eingeführt wurde, wurde die Fahne aus dem Saal der Behörde entfernt.

Obwohl in Rumänien ähnliche Fälle der Verwendung historischer Symbole existieren, begründete die Regierung Ponta dies mit dem fehlenden administrativen Status der Region Szeklerland. Rumänische Medien verbreiteten derweil eine anti-ungarische Stimmung, ohne die letztgerichtliche Klärung abzuwarten.314 2016 erklärte schließlich ein Gericht das Aufhängen der Flagge an öffentlichen Gebäuden für gesetzeswidrig.315 2018 setzte Premier Mihai Tudose in der Auseinandersetzung einen Tiefpunkt mit der Aussage, dass diejenigen, die die Flagge hissten, neben dieser hängen würden.316

 2012 begannen zudem Kontroversen um die Einrichtung einer medizinischen Fakultät in ungarischer Sprache an der Universität von Tirgu Mures (MUM). Diese sind im 2011 verabschiedeten neuen Unterrichtsgesetz zwar vorgesehen, wurden aber vom mehrheitlich von Rumänen besetzten Senat der Universität abgelehnt.317 Die eigentlich rein administrative Umsetzung des Gesetzes wurde damit zum Anlass einer eskalierenden, ethnopolitischen Kontroverse, die letztlich Justiz, Landes- und Außenpolitik sowie Brüssel involvierte.318

 Das dritte Beispiel betrifft einen Vorfall von 2013 um das Tragen nationaler Symbole an der Körösi-Csoma-Schule im (mehrheitlich ungarisch bewohnten, Anm. d. Autors) Bezirk Covasna. Bei diesem wurden die rumänischen Schulkinder, die während des ungarischen Nationaltags Kopfbänder in den rumänischen Nationalfarben anzogen, vom Klassenlehrer gebeten, diese abzunehmen. Dies führte zu Protesten in verschiedenen Städten, der Verbrennung der ungarischen Flagge sowie Facebook-Gruppen, die zu Gewalt gegen die ungarische Minderheit aufriefen. Nachdem eine rumänische Schülerin Todesdrohung erhalten hatte, ermittelten die Behörden, rügten den Schuldirektor und suspendierten den

 Das dritte Beispiel betrifft einen Vorfall von 2013 um das Tragen nationaler Symbole an der Körösi-Csoma-Schule im (mehrheitlich ungarisch bewohnten, Anm. d. Autors) Bezirk Covasna. Bei diesem wurden die rumänischen Schulkinder, die während des ungarischen Nationaltags Kopfbänder in den rumänischen Nationalfarben anzogen, vom Klassenlehrer gebeten, diese abzunehmen. Dies führte zu Protesten in verschiedenen Städten, der Verbrennung der ungarischen Flagge sowie Facebook-Gruppen, die zu Gewalt gegen die ungarische Minderheit aufriefen. Nachdem eine rumänische Schülerin Todesdrohung erhalten hatte, ermittelten die Behörden, rügten den Schuldirektor und suspendierten den