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III. Abbildungsverzeichnis

3.6 Siebenbürgen als Teil Rumäniens

Die nach dem Zerfall der Donaumonarchie zusammengekommene, große rumänische Nationalversammlung in Karlsburg verkündete am 1. Dezember 1918 eine Anschlusserklärung an das Königreich Rumänien. Den „mitwohnenden“ Völkern wurden dabei weitgehende Minderheitenrechte zugesagt. Während sich die Sachsen für den Anschluss aussprachen, hofften die siebenbürgischen Ungarn auf die kommende Friedenskonferenz zum Ende des Ersten Weltkriegs. Basierend auf dem von den Alliierten propagierten Selbstbestimmungsrecht der Völker sollte dort ein Verbleib bei Ungarn durchgesetzt werden. Nach ungarischem Selbstverständnis gehörte Transsilvanien zu den historischen Kernländern. Die Umkehr der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der Herrschaftssituation zugunsten der vormals „niedriger gestellten“ Rumänen stand außerhalb des ungarischen Vorstellungsvermögens, führte zu Ratlosigkeit, Ohnmacht und stand einer Neuorientierung im Wege. Der Großteil der ungarischen Eliten Siebenbürgens wechselte nach „Rumpfungarn“, hegte aber immer noch Besitzansprüche auf ihre, durch die rumänische Bodenreform konfiszierten Güter. Die daraus resultierenden, dauerhaften Rechtsstreitigkeiten vor dem Völkerbund belasteten das zwischenstaatliche Verhältnis zusätzlich.246

Entgegen den Vorstellungen des Siebenbürgischen Regierungsrats (der provisorischen Übergangsregierung, Anm. d. Autors) über eine zeitweilige Sonderstellung Siebenbürgens konnten sich die Politiker des „Altreichs“ mit einer am französischem Vorbild orientierten

242 S. Roth (2007), 118.

243 Hierfür maßgebliche Ereignisse waren im selben Jahr die Abspaltung der Tschechoslowakei und der Südslawen sowie die Bildung der deutsch-österreichischen Nationalversammlung, vgl. ebd.

244 Vgl. a. a. O., S. 118 ff.

245 Vgl. a. a. O., S. 121.

246 Vgl. a. a. O., S. 123 ff.

Zentralstaatskonzeption durchsetzen. Dabei hatte Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg Territorium wie Bevölkerungszahl fast verdoppelt: Während die Landesteile jenseits der Karpaten einem agrarisch geprägten Nationalstaat entsprachen, waren die neuen Landesteile Vielvölkerregionen247 mit einer großen Stadtbevölkerung und relativ fortgeschrittener Industrialisierung. Die Bevölkerung Großrumäniens umfasste nach dem Ersten Weltkrieg zu fast einem Drittel Minderheiten. Dessen ungeachtet verweigerten sich die Politiker des Altreichs schon während der Friedensverhandlungen 1919 der Gewährung von Regelungen zum Minderheitenschutz. Letztere konnten nur durch ein Ultimatum der Alliierten und nach dem Rücktritt des rumänischen Premierministers unterzeichnet werden.

Wenn in diesen auch die Sicherung der Individualrechte im Vordergrund lag, so wies der Minderheitenschutzvertrag mit Rumänien – als einziger der Pariser Vorortverträge überhaupt – Schutzgarantien für Ethnien auf, nämlich zugunsten der Szekler sowie der Siebenbürger Sachsen. Im Friedensvertrag von Trianon 1920 fand schließlich die völkerrechtlich verbindliche Abtretung Siebenbürgens an Rumänien statt.248 Die territorialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Vertrags für Ungarn (bzw. die Ungarn im Karpatenbecken) waren immens: Inklusive der Abtretung Siebenbürgens (das flächenmäßig größer war als Rest-Ungarn249) verlor Ungarn ca. 71 % seines Staatsgebiets und 62 % seiner Bevölkerung, darunter knapp die Hälfte ethnische Ungarn.250 Der Vertrag stellte eine der größten Zäsuren der Geschichte des Landes dar und kam einem gesellschaftlichen Trauma gleich, das auch dessen weitere Politik prägte:

„The regime's orientation was determined almost exclusively by the psychological shock of Trianon and by the overriding desire to undo that treaty, whose terms were unacceptable to all Hungarians regardless of social background or ideological orientation. As a matter of fact, the shock of Trianon was so pervasive and so keenly felt that the syndrome it produced can only be compared to a malignant national disease.“251

Indes verlief die Umstellung der siebenbürgischen Ethnien auf die Umgangsformen der Bukarester Politik, so Roth, äußerst schwierig:

„[Diese] orientierte sich nicht an Programmen sondern an Führungspersonen, Klientel- bzw. Vetternwirtschaft waren weit verbreitet, die Korruption und das

‚Bakschisch‘-(Schmiergeld-)Wesen nahm auch im politischen Leben eine zentrale Rolle ein.“ 252

Ein weiterer Streitpunkt ergab sich aus der Agrarreform: Der Grundbesitz war bis dato unter den Ethnien ungleich verteilt, wobei die Rumänen den verhältnismäßig geringsten Teil ausmachten. Begünstigt wurden nun insofern die rumänischen Kleinbauern, zulasten des

247 Vgl. die ethnische Bevölkerungsverteilung, Tab. 7.

248 Vgl. Roth (2007), S. 125 f.

249 Vgl. Vardy (1983), S. 21.

250 Vgl. Butler (2007), S. 1119.

251 S. Vardy (1983), S. 21.

252 S. Roth (2007), S. 127.

ungarischen Adels, der kulturellen Institutionen, der Nationenuniversität als auch der katholischen und reformierten Kirchen. Letztere betrieben jedoch nicht nur große Teile des Minderheitenschulwesens, sondern auch Sozial- und Kultureinrichtungen. Als zwischen 1921 und 1924 85 % ihres Besitzes enteignet wurden, förderte dies wesentlich die Ablehnung des neuen Staates.253

Entgegen den Karlsburger Beschlüssen von 1918 bezüglich der Minderheitenrechte und des Minderheitenschutzvertrags von 1920 wurde in der neuen rumänischen Verfassung von 1923 ein „einheitlicher und unteilbarer rumänischer Nationalstaat“ festgeschrieben. Zudem kannte diese nur Individual-, jedoch keine Kollektivrechte und fixierte eine Sonderstellung der orthodoxen Kirche. Aus wirtschaftlicher Sicht war die neue Ordnung für die Bewohner Siebenbürgens eine Enttäuschung: Der Region wurde nunmehr keine zentrale Bedeutung mehr beigemessen und es herrschte eine „Tendenz der Nivellierung nach unten auf die Ebene des sozial und wirtschaftlich weniger entwickelten Regats“254. Die Außenpolitik zielte auf die Wahrung und Legitimierung des vergrößerten Staatsterritoriums gegenüber Forderungen der Minderheiten ab. Zu diesem Zweck ging es mit der Tschechoslowakei und Jugoslawien das von Frankreich geförderte und gegen das revisionistische Ungarn gerichtete Vertragswerk der „Kleinen Entente“ ein. Roth stellt hierzu fest:

„Der Drang, die Legitimität des Besitzes Transsilvaniens – über das Argument der demographischen Verhältnisse hinaus – nachzuweisen, entwickelte sich zu einer Neurose der rumänischen Innen- und Außenpolitik: Behörden und Redaktionen, Wissenschaftler und ganze Institute waren damit beschäftigt, das ‚historische Recht‘ der Rumänen auf diese Länder zu belegen und dem Volk wie auch dem Ausland gegenüber propagandistisch zu präsentieren.“255

Von Ungarn wurde dies mit der Infragestellung der Kontinuitätstheorie erwidert, begleitet vom Vorwurf der Verletzung der Minderheitenschutzrechte. Die „Siebenbürgische Frage“

wurde zu einem virulenten Problem der Zwischenkriegszeit.256

Zwischen den Minderheiten fand derweil kaum politische Kooperation statt. Zwar war die rumänische Politik tendenziell antiungarisch und nicht antideutsch, dennoch fürchteten die Sachsen negative Auswirkungen. Durch eine pragmatische Politik erwirkten sie günstige Regelungen für ihre Volksgruppe. Die Ungarn traten ab 1922 mit einer eigenen „Ungarischen Partei“ zu den Parlamentswahlen an. Ziele waren kurzfristig ihre Gleichbehandlung und die Abwendung jeglicher Diskriminierung, langfristig hingegen Autonomieregelungen für die ungarische Volksgruppe. Starke Eingriffe der rumänischen Behörden in das hochentwickelte

253 Vgl. Roth (2007), 125 ff.

254 Vgl. a. a. O., S. 128; der Begriff „Regat“ bezeichnet das „Altreich“ Rumäniens, südlich und östlich der Karpaten, vgl. Sundhaussen u. Clewing (2012), S. 767.

255 Vgl. Roth (2007), S. 129.

256 Vgl. a. a. O., S. 129 f.

Bildungswesen der Ungarn und Schikanen im kulturellen Bereich führten bei der Minderheit jedoch bald zu einer Defensivhaltung gegenüber dem Staat. Zwar gelang die Verabschiedung eines Minderheitenstatuts. Von der Regierung geschaffene

„Minderheitenämter“ sollten jedoch zugleich der positiven Außenwirkung dienen, tatsächlich aber der Abwehr von Anliegen der Minderheiten. Begleitet wurde dies durch eine staatlich gelenkte Siedlungspolitik, die den rumänischen Bevölkerungsanteil in den mehrheitlich ungarischen Regionen der neu erworbenen Territorien sehr erfolgreich zu erhöhen vermochte.257

Desolate Zustände in Politik (Korruption, Moral), Finanzen und soziale Probleme (Armut, Arbeitslosigkeit) des Staates führten im Altreich – im Gegensatz zu Siebenbürgen – zu einer politischen Radikalisierung, deren sichtbarstes Zeichen die „Eiserne Garde“ war, einer von nationalen, antisemitischen Tendenzen und volkstümlicher Ideologie geprägten Gruppierung.

Unter der Königsdiktatur Carols II. kam es zu einer Annäherung Rumäniens an Hitler-Deutschland und der Übergabe Bessarabiens sowie der Bukowina an die Sowjetunion. Der Abtretung Nordsiebenbürgens und des Szeklerlands an Ungarn 1940 (erzwungen durch die Achsenmächte) folgte eine Militärdiktatur unter Marschall Ion Antonescu, die eine noch engere Anbindung an Deutschland und die Beteiligung am Überfall auf die Sowjetunion nach sich zog. Unter den siebenbürgischen Ungarn führten die innenpolitischen Verhältnisse zunächst zu einer Steigerung der Revisionsforderungen. Mehrheitlich fanden sich diese jedoch allmählich mit der Situation ab und nahmen eine konstruktivere Haltung gegenüber dem Staat ein. Durch die Gebietsabtretungen fühlten sich die Rumänen wiederum in ihrer Ablehnung und ihren Vorwürfen den Ungarn gegenüber bestätigt.258