• Nem Talált Eredményt

III. Abbildungsverzeichnis

4.3 Dezentralisierung, Regionalisierung und Autonomiefrage

4.3.2 Politische Standpunkte und Rolle der EU

Der Entwurf neuer Regionen am Reißbrett birgt oftmals Probleme in sich, wenn dabei ökonomische und kulturelle Verflechtungen oder aber historisch bedingte Spannungen außer Acht gelassen werden. Dies zeigte sich auch bei der Osterweiterung der EU: Denn während bei den „alten“ EU-15-Mitgliedstaaten die EU schon „konsolidierte“ Regionen quasi nur bestätigte, wirkte sie auf deren Einrichtung in den „neuen“ Staaten Mittelosteuropas stärker ein, oft jedoch ohne auf regionale Eigentümlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Zu den Negativbeispielen wie der Slowakei, Tschechien und Ungarn gehört auch Rumänien, das eher eine willkürliche Einteilung der Regionen verfolgte, die regionale und ethnische Identitäten kaum berücksichtigte.444 Nach diesem Muster erfolgte der Zuschnitt in Rumänien 1998 durch die Zusammenlegung bestehender Bezirke ohne Rücksicht auf die kulturellen und sozialen Gegebenheiten der historisch gewachsenen Regionen und Minderheiten. Noch 2013 favorisierte die Regierungskoalition der Sozial-Liberalen Union (USL)445 die Überführung der NUTS-Regionen, benannt nach ihrer jeweiligen geografischen Lage, in reguläre Verwaltungsbezirke mit rechtlicher Persönlichkeit.446 Dies würde aber wiederum Art.

16 des RSNM widersprechen, worauf Kritiker hinweisen.447 Der Artikel soll

„vor Maßnahmen schützen, die das Bevölkerungsverhältnis in von Angehörigen nationaler Minderheiten bewohnten Gebieten verändern und darauf gerichtet sind, die Rechte und Freiheiten einzuschränken, die sich aus diesem Rahmenübereinkommen ergeben. Solche Maßnahmen könnten zum Beispiel […]

eine Änderung der Grenzen von Verwaltungsbezirken sein mit dem Ziel, die Inanspruchnahme dieser Rechte und Freiheiten einzuschränken (‚gerrymandering‘ – Manipulation von Wahlbezirksgrenzen)“448.

Nach Kritik der Europäischen Kommission an der unklaren Kompetenzverteilung und dem institutionellen Rahmen versuchte man sich bislang erfolglos an mehreren Reformen.449

443 Vgl. Ertugal u. Dobre (2011), S. 1208.

444 Vgl. Kalina (2009), S. 260.

445 SDP, NLP und Konservative (CP).

446 Vgl. Constantin (2013b), S. 356; Bakk (2009), S. 32.

447 Vgl. Ungarischer Nationalrat Siebenbürgens (2016), S.19.

448 Vgl. Europarat (1995).

449 Vgl. Salgeanu (2015).

Abb. 7: Die NUTS-8-Entwicklungsregionen450

Abb. 8: Die NUTS-Entwicklungsregionen nach Plänen der UDMR451 mit dem Szeklerland als eigene Region, basierend auf den Bezirken Mures (1), Harghita (2) und Covasna (3)

Erwartungsgemäß widersprachen die ungarischen Minderheitenparteien den Plänen. Die

450 Eigene Darstellung, basierend auf Eurostat (2011), S. 114 f.

451 Eigene Darstellung, basierend auf Csutak (2007), S. 44.

UDMR sah darin eine Form des Gerrymandering.452 Sie brachte einen Gegenvorschlag mit 15 kleineren Regionen und anderem Regionalzuschnitt ins Parlament ein (s. Abb. 8)453, von denen das Szeklerland eine darstellte. Als Argumente für den Vorschlag wurden ein höheres Potential zur Ausschöpfung von EU-Fördergeldern sowie ein bessere Übereinstimmung mit den historisch-soziologischen Grenzen angeführt. Nicht zuletzt würde so auch der Identität der Minderheit besser Rechnung getragen. Betreffend der Umsetzung der für die Dezentralisierung/Regionalisierung nötigen Verfassungsreform forderte die UDMR zudem den Verzicht auf die Definition Rumäniens als Nationalstaat. Während dies die Autonomiethematik wieder in den Vordergrund rückte und die Szekler-Ungarn einte, schürte das Vorgehen bei der Mehrheitsbevölkerung die Befürchtung, dass die Regionalisierung eine Gefahr für den Einheitsstaat darstellen könnte. So entwickelte sich aus einem eher technischen Diskurs eine emotional-symbolische Debatte mit nationalistischen Tönen auf beiden Seiten.454

Tatsächlich sehen allen bisherigen Vorschläge der Mehrheitsparteien eine de facto Marginalisierung der mehrheitlich ungarischen Bezirke in größeren Regionen ohne traditionelle Grenzziehungen vor.455 Bei ihrer Ausarbeitung erfolgte – trotz der demographischen Größe Minderheit – bislang weder eine Konsultation mit dieser456, noch flossen ihre Bedürfnisse hinsichtlich Grenzziehung, Kompetenzen und ethnischer Situation ein.457 Bei einer Umsetzung der Pläne würde etwa der Anteil der ungarischen Bevölkerung in den Bezirken Harghita und Covasna von aktuell ca. 84 bzw. 74 % auf ca. 30 % fallen.458 Auch wenn noch keines der Projekte beschlossen wurde, wird kritisch angemerkt, dass der Staat seine eigenen Gesetze nicht respektiere, etwa das Gesetz zur Lokalverwaltung von 2001, das für neue Grenzzuschnitte einen Referenden vorsieht459:

„The territorial delimitation of communes, towns and counties shall be determined by law. Any change in their territorial limits may be made only by law and only after consultation of the citizens in the respective territorial-administrative units by referendum, organized according to law.“460

452 Gerrymandering meint ursprünglich den „Zuschnitt von Wahlkreisen, der einer Partei einen unfairen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten verschafft“, s. Encyclopaedia Britannica (2017).

453 Tatsächlich hatte die Partei schon 2007 konkrete Pläne zur Neugestaltung der Regionen vorgelegt, vgl. Csutak (2007), S. 44.

454 Vgl. Constantin (2013b), S. 356.

455 Vgl. Interviews 1-2.5.; 7-2.5.

456 Vgl. Interview 10-2.5.V.

457 Vgl. Interview 8-2.5.

458 Vgl. UDMR (2016a), S. 58.

459 Vgl. Interview 5-2.1.

460 S. Legislationline (2017); Originaltext unter Rumänisches Parlament (2001); eine Änderung ohne Referendum würde zudem gegen Art. 5 Europäische Charta der Selbstverwaltung sowie Art. 15 Nr. 1a des ungarisch-rumänischen Grundlagenvertrags von 1996 verstoßen, vgl. Ungarischer Nationalrat Siebenbürgens (2016), S. 55.

Als Hauptargumente der Pläne der Mehrheitsparteien werden hingegen sozioökonomische Indikatoren wie Bevölkerung, Infrastruktur und finanzielle Ressourcen herangezogen.461 Doch auch dies wird kritisiert: So würden die Kohäsionsregionen keine Kohäsion untereinander aufweisen, sondern einfach nur beieinander liegen462: „They have all kinds of arguments creating such a region but they simply completely ignore the culture, the distinctiveness, the cultural indicators.”463 Nach einer Ansicht folgen die Vorhaben vielmehr einer politischen Kultur der Selbstbereicherung:

„In my opinion, the predominant political culture of the Romanian politics is to have resources for the political elite from on a centralized state. Good politicians are those, who preserve this centralized source of political life.“464

Andere Kritiker identifizieren ein ausgeprägtes Sträuben der rumänischen Eliten gegen eine starke Dezentralisierung, die historisch gewachsene, regionale Gemeinschaften respektiert.465 Regionen mit ungarischer Mehrheit würden gezielt vermieden, da diese in Richtung einer Autonomie bzw. Außerstaatlichen deuten würden:

„Romania was created of several historical regions, but these historical regions also showed the history of Romania which is not always pointing towards a unitary state and a strong nation. So it reminds the Romanians of all the past.“466

In der Angst der Behördenvertreter wird auch der Grund für die Nichtanerkennung der Region Szeklerland gesehen.467 Generell werden die Regionalisierungspläne daher von der Minderheit als große Gefahr beurteilt, da sie sie ihrer, mit den lokalen Mehrheiten verbundenen Rechte berauben würde.468 Sie erscheint als ein Werkzeug der weiteren Fragmentierung469 bzw. als ein neuer Weg der Zentralisierung durch Bukarest.470 Zugleich herrscht bei den ungarischen Eliten zwar Einigkeit zur Schaffung einer Region Szeklerland, jedoch nicht zu deren konkreten Eckdaten: Solle diese etwa die drei jetzigen Bezirke umfassen, das historische Szeklerland oder nur zwei Hauptregionen? Wären Rumänen inkludiert oder nicht?471

Die Rolle der Europäisierung muss bezüglich des Minderheitenschutzes und insbesondere im Dezentralisierungs- bzw. Regionalisierungsprozess differenziert betrachtet werden. So ist der Schutz von Minderheiten, nach Bochsler und Szöcsik, zwar auf der einen Seite ein Teil der EU-Beitrittskriterien. Zu diesen, im Kapitel Recht genannten Normen gehört auch die

461 Vgl. Interview 1-2.5.

462 Vgl. Interview 4-2.5.

463 Vgl. Interview 1-2.5.

464 S. Interview 2-2.5.V1.

465 Vgl. Interview 2-2.5.

466 S. Interview 4-2.5.

467 Vgl. Interview 2-2.5.V2; Ausnahmen bilden demnach die walachischen Gebiete Oltenien und Muntenien, vgl. ebd.

468 Vgl. Interviews 1-2.5.; 2-2.5.V2; 3-2.5.; 5-1.2.V; 8-2.5.V.

469 Vgl. Interviews 8-2.5.; 8-2.5.V.

470 Vgl. Interview 2-2.5.

471 Vgl. Interviews 1-2.5.; 9-2.5.

Empfehlung 1201 des Europarats. Auch unterstützt die EU im Geiste ihrer Strategie der einvernehmlichen Konfliktlösung die Aufnahme von Minderheitenparteien in die jeweiligen Regierungen. Eine direkte, auf Minderheiten bezogene Vorgabe von Regionalisierungsprojekten verlangen die europäischen Institutionen jedoch nicht. Genauso wenig unterstützten sie die jeweiligen Minderheitenparteien in ihrem Streben nach Autonomielösungen.472 Einzig die Gutachterkommission des RSNM meldete Bedenken bezüglich der erwähnten Ideen zur Regionalrefom an: Wenn hierdurch erforderliche Quoten nicht mehr erfüllt würden, könnte dies in einigen Regionen zu einer Einschränkung der Rechte von Minderheitenangehörigen führen. Das Gremium mahnte daher zu einer gebührenden Berücksichtigung dieser Problematik in der Konzeption der Reform sowie zur Vermeidung jeglicher negativer Effekte für die Minderheit.473 Die EU wirkte somit für den Dezentralisierungsprozess zwar aus wirtschaftlich-administrativer Intention wie ein Katalysator. Auf die politischen Implikationen die Minderheit betreffend wies nur der Europarat mahnend hin. Die für die Dezentralisierung maßgebliche Arena liegt demnach nach wie vor in der rumänischen Innenpolitik.