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III. Abbildungsverzeichnis

2.2 Warum Minderheitenrechte? – Rechtsformen des Minderheitenschutzes

2.2.3 Autonomie

Grundsätzlich können zwei rechtliche Ausgangspunkte voneinander abgegrenzt werden, auf denen sich Autonomieforderungen begründen lassen könnten: Auf der einen Seite das Recht auf Teilhabe, in einem weitestgehenden Verständnis über die Repräsentanz hinaus als Selbstverwaltung oder Autonomie, auf der anderen Seite das beschränkte Verständnis des Rechts auf Selbstbestimmung.42 Auch angesichts zunehmender Regionalisierung und Föderalisierung43 haben sich Autonomiekonzepte weltweit als ein mögliches Instrument zur Lösung ethnischer Spannungen etabliert.44 Deren „wertvollste Eigenschaft [ist] die Chance, Konfliktlösungen zu erlauben, ohne bestehende Staaten aufbrechen zu müssen“45 und gleichzeitig die „ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Eigenständigkeit“46 einer Minderheit zu gewähren. Aufgrund seiner mannigfaltigen Ausgestaltungsmöglichkeiten und seines Umfangs konnte für den Begriff jedoch bislang weder von Wissenschaft noch Rechtspraxis eine einheitliche, klar beschriebene und breit akzeptierte Definition gegeben werden.47

41 Vgl. Gruber (2015), S. 75 f.; für eingehendere Details hierzu s. Hummer (2011) u. Kaiser (2005).

42 Vgl. Vizi (2014), S. 27.

43 Vgl. Lapidoth (1997), S. 23.

44 Vgl. Meinert (2003), S. 3.

45 S. Benedikter (2012), S. 31.

46 S. Benedikter (2012), S. 22.

47 Vgl. Ghai u. Woodman (2013), S. 5; Weller u. Wolff (2005a), S. 11; Benedikter (2008), S. 8;

Lapidoth (1997), S. 28; Potier (2001), S. 4.

Nach Lapidoth haben sich vier wesentliche Kategorien von Autonomiebestimmungen etabliert, nämlich Autonomie als Recht zur freien Ermessensentscheidung in bestimmten Themen, Autonomie als Synonym für Unabhängigkeit oder aber Dezentralisierung sowie schließlich Autonomie als Befugniskatalog im ausschließlich legislativen, administrativen und judikativen Bereich. Letztere Bestimmung meint die „politische Autonomie“ in Abgrenzung zur bloßen Verwaltungsautonomie48: Im Minderheitenrecht läuft der Begriffsinhalt von Autonomie „auf ‚begrenzte Selbstregierung‘ hinaus, die von Selbstverwaltung (ohne echte Gesetzgebungskompetenz) bis hin zur völligen politischen Eigenständigkeit ohne staatliche Unabhängigkeit reicht“49. Letztere Bestimmung soll nun näher beleuchtet werden.

Benedikter führt das Wesen des Begriffs anhand der Autonomiedefinitionen sieben anerkannter Wissenschaftler des Feldes auf: Nordquist beschreibt sie als „ein Gebiet mit einem höheren Grad an Selbstregierung als jede andere vergleichbare Gebietseinheit eines Staats“50. Lapidoth definiert Autonomie als „ein Instrument zur Machtstreuung, um bei Aufrechterhaltung der Einheit eines Staats die Vielfalt innerhalb der Bevölkerung zu erhalten“51. Für Hannum ist Autonomie „ein Begriff, der das relative Ausmaß an Unabhängigkeit einer spezifischen Einheit innerhalb eines souveränen Staates beschreibt“52. Ghai sieht sie als „ein Instrument, das ethnischen oder anderen Gruppen, die eine eigene Identität beanspruchen, die direkte Kontrolle über bestimmte Angelegenheiten verschafft, während das umfassendere Staatswesen die Befugnisse allgemeinen Interesses wahrnimmt“53. Heintze betrachtet den Begriff aus der Perspektive des internationalen Rechts.

In diesem bedeute „Autonomie, dass ein Teil oder eine territoriale Einheit eines Staats befugt ist, sich in bestimmten Bereichen selbst zu regieren, indem es Gesetze und Regelungen in Kraft setzt, ohne jedoch einen eigenen Staat zu gründen“54. Für Legaré und Suksi schließlich setzt Territorialautonomie „die Gewährung exklusiver legislativer Befugnisse an ein entscheidungsbefugtes Organ einer territorial definierten Einheit voraus“55.

Nach Weller und Wolff ergibt sich dennoch eine alle Definitionen übergreifende Gemeinsamkeit, nämlich die Übertragung bestimmter Kompetenzen von einer Zentralregierung an eine autonome Einheit. In der praktischen Umsetzung enthielten diese Autonomieregelungen einen Mix exekutiver, legislativer und judikativer Kompetenzen unterschiedlichen Ausmaßes, der es der ethnischen Gruppe ermögliche, die eigenen Ziele unabhängig zu verfolgen.56 Wesentlich ist dabei aber auch, dass nicht nur die restlichen

48 Vgl. Lapidoth (1997), S. 33.

49 S. Benedikter (2012), S. 20.

50 S. Nordquist (1998), S. 63 f., zitiert nach Benedikter (2012), S. 20.

51 S. Lapidoth (1997), S. 51, zitiert nach Benedikter (2012), S. 20.

52 S. Hannum (1996), S. 8, zitiert nach Benedikter (2012), S. 20.

53 S. Ghai (2000a), S. 484, zitiert nach Benedikter (2012), S. 20 ff.

54 S. Heintze (1998), S. 7, zitiert nach Benedikter (2012), S. 22.

55 S. Legaré u. Suksi (2008), S. 144, zitiert nach Benedikter (2012), S. 22.

56 Vgl. Weller u. Wolff (2005a), S. 12.

Kompetenzen beim Trägerstaat57 verbleiben, sondern die jeweilige autonome Region i. d. R.

im internationalen Recht nicht über den Status einer eigenen Rechtspersönlichkeit verfügt.58 Entgegen der weitverbreiteten Annahme und trotz mannigfaltiger gegenteiliger Beispiele fördert Autonomie keine Sezession. Stattdessen versöhnt sie die Minderheit mit dem Staat und schwächt den Anreiz der Abspaltung, indem sie das ethnische Bewusstsein abmildert und moderate Strömungen stärkt. Die Verweigerung hingegen fördert Unzufriedenheit, Abspaltungsstimmung und die radikale Stimmen.59

2.2.3.1 Formen von Autonomie: Territorial- und Kulturautonomie

Es lassen sich zwei grundlegende Autonomieformen unterscheiden, nämlich territoriale und nicht-territoriale Autonomie (Kulturautonomie). Während sich territoriale Autonomie vor allem bei kompakten ethnischen Gruppen mit exklusivem bewohntem Territorium anbietet, kommt nicht-territoriale Autonomie eher bei verstreut lebenden ethnischen Gruppen zur Anwendung.60

In einer Kulturautonomie gewährt der Staat den Angehörigen einer ethnischen Minderheit, unabhängig von ihrem Siedlungsort, die Möglichkeit, ihre Rechte über eigene Institutionen, i. d. R. im Bereich der Religion, Sprache, Kultur und Bildung, nach eigenem Ermessen, aber innerhalb der Gesetze des Staates, zu schützen und umzusetzen. Die Entscheidung über die Angehörigkeit zur Minderheit obliegt dem Individuum selbst.61 Territorialautonomie hingegen meint „die rechtskräftig beschlossene und rechtlich formell verankerte Übertragung eines Mindestmaßes an legislativen und exekutiven Befugnissen an eine Region (bzw.

Gebietseinheit), die von demokratisch gewählten Institutionen ausgeübt werden“62. Wesentlich sind hierbei also nicht nur die Verwaltungsbefugnisse, sondern auch eine demokratisch gewählte, politische Vertretung der Region.63

Beide Autonomietypen haben Vor- und Nachteile. Einerseits schließt Territorialautonomie alle Bewohner einer autonomen Region ein, d. h. mitunter auch solche, die nicht der ethnischen Minderheit angehören und die sie eventuell als solche ablehnen. Andererseits können sich – insbesondere durch politische Intervention der Zentralregierung – die ethno-demografischen Mehrheitsverhältnisse einer Territorialautonomie durch Abwanderung zuungunsten der Minderheit ändern. Während der Vorteil der Kulturautonomie also in der Unabhängigkeit von einem bestimmten Territorium liegt, spiegelt sich ihre Beschränktheit im weiten Umfang der Befugnisse der Territorialautonomie wider, welche eben nicht nur

57 Der Staat, in dessen Rechtsordnung und Territorium sich die jeweilige Autonomie integriert ist.

58 Vgl. Benedikter (2012), S. 22.

59 Vgl. Ghai (2000b), S. 522.

60 Vgl. Weller u. Wolff (2005a), S. 13.

61 Lapidoth (1997), S. 37 f.; abgrenzbar wäre noch das Konzept der Personalautonomie, welches jedoch aufgrund seiner Ähnlichkeit zur Kulturautonomie oft mit dieser gleichgesetzt wird; mehr hierzu vgl. Blumenwitz (1995), S. 149 ff., zitiert nach Schnellbach (2011) S. 53.

62 S. Benedikter (2012), S. 24.

63 Vgl. Benedikter (2012), S. 24.

kulturelle, sondern auch soziale und ökonomische Kompetenzen umfasst.64 Territorialautonomie kann also neue „interne Minderheiten“ schaffen, Mitglieder der eigenen kulturellen Gemeinschaft ausschließen und wird darüber hinaus wegen der Bevorzugung (Ungleichbehandlung) eines (ethnischen) Teils der Bevölkerung kritisiert. Solchermaßen

„können einige der Bedenken bestehen bleiben, die eine [Territorialautonomie eigentlich;

Anm. d. Autors] lösen soll“65.

2.2.3.2 Theoretische Abgrenzung und Unschärfe des Autonomiebegriffs

Schließlich kann Autonomie auch von anderen Formen territorialer Gewaltenteilung unterschieden werden. Neben den Regelungsformen wie Reservaten, abhängigen Gebieten, freien Assoziationen und der regionalen Demokratie sind dies die (Verwaltungs-)Dezentralisierung und die Föderation (Föderalismus).66 Hinsichtlich des Kontexts dieser Arbeit erscheint es sinnvoll, zumindest letztere zwei Formen kurz abzugrenzen. Dezentralisierung meint demnach „die Übertragung von beschränkten Befugnissen vom Zentrum an die Peripherie, wobei die Kontrolle und politische Verantwortung jedoch größtenteils beim Zentrum verbleibt“67. Im Gegensatz zu Autonomien sind hier dezentrale Kompetenzen ohne Einverständnis der betroffenen Region durch die Zentralgewalt änder- bzw. revidierbar. Die Regierung behält also letzten Endes Kontrolle über die dezentralen Behörden.68 Föderation hingegen beschreibt eine Struktur, die einen Staat in Regionen aufteilt, auf Basis einer Verfassung, die i. d. R. unterschiedliche Kompetenzen an Region und Staat funktional verteilt sind, wobei die Regionen an der Gesetzgebungsfunktion des Zentralstaats beteiligt sind. Staatsaufbauten mit Autonomie(n) unterscheiden sich dagegen nicht nur durch die fehlende Gleichrangigkeit der betreffenden Region bzw. Bundesstaaten69, sondern auch durch die fehlende Teilhabe an den Angelegenheiten der Zentralgewalt sowie ihre dezidiert auf ethnischen Kriterien beruhende Etablierung.70

Es ist schwierig, den Autonomiebegriff im Rahmen des vorliegenden Forschungsfokus eindeutig zu fassen, da seine Verwendung – wie noch gezeigt wird – auch in der politischen Diskussion i. d. R. nicht konkret definiert wird, weder von den politischen Eliten noch den sonstigen Akteuren in Öffentlichkeit und Medien. Selbst wenn angenommen werden kann, dass in den meisten Fällen eine Territorialautonomie gemeint ist, so wird auch in diesen Fällen regelmäßig deren konkrete Ausgestaltung nicht dargelegt. Theoretisch schwingt der

64 Vgl. Lapidoth (1997), S. 39 f.

65 Vgl. Deets u. Stroschein (2005), S. 295.

66 Für eine ausführliche Abgrenzung und Übersicht siehe z. B. Benedikter (2012), S. 24 ff. bzw.

Lapidoth (1997), S. 50 ff.

67 S. Benedikter (2012), S. 23.

68 Vgl. Benedikter (2012), S. 24.

69 Vgl. Benedikter (2012), S. 26.

70 Vgl. Lapidoth (1997), S. 50 f.

Begriff der Kulturautonomie mit, nicht zuletzt weil er gerade von den politischen Vertretern der ungarischen Minderheit – auch Aufgrund der verstreuten Siedlungsstruktur71 – mitbedacht werden muss. Nach Meinung eines Experten ist der Begriff de facto ein

„Buzzword“ in der politischen Diskussion geworden.72 In vorliegender Arbeit wird trotz dieser Unschärfe auf den Begriff der Territorialautonomie bzw. der autonomen Region abgestellt.