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III. Abbildungsverzeichnis

5.5 Bewertung durch weitere Beobachter

5.5.2 Mangelhafte Implementierung

Als ein Hauptkritikpunkt wird eine fehlende bzw. mangelhafte Implementierung der Minderheitengesetze ausgemacht, d. h. ein Bruch zwischen der rechtlichen Theorie, dem geschrieben Recht in Gesetzen und Normen, und deren Umsetzung bzw. Respektierung in der Praxis.737 Genannt wird z. B. die stark verbreitete Nichteinhaltung bzw. Weigerung der Umsetzung des Gesetzes zur öffentlichen Verwaltung738 sowie Fälle im Bereich des Sprachgebrauchs bei Behörden und der öffentlichen Beschilderung.739 In Tirgu Mures etwa, einer Stadt mit beinahe 50 % Minderheitenanteil, werden eine äußerst unzureichende zweisprachige Beschilderung sowie kaum vorhandene sprachkundige Angestellte in Behörden bemängelt.740 In Cluj-Napoca hingegen musste die Aufstellung einer dreisprachigen Ortstafel erst durch mehrere Prozesse eingeklagt werden741, die sich über 16 Jahren zogen.742

„It's one thing that you adopt legislation, that you ratify international treaties – but if you do not implement, it is just simply worthless. And Romania is a major player

735 Vgl. UDMR (2016a), S. 58 f.

736 Vgl. Nemzetpolitikai Kutatóintézet (2015b), S. 58 ff.; Mikó Imre Minority Rights Legal Services Assistance (2015e); FUEN (2015).

737 Vgl. Interviews 1-2.2.; 4-2.1.; 9-1.1.; 9-2.1.

738 Vgl. Interview 7-2.1.

739 Vgl. Mikó Imre Minority Rights Legal Services Assistance (2015d).

740 Vgl. Interview 5-2.1.

741 Vgl. Interview 7-2.1.

742 Vgl. Vajdaság Ma (2017).

when it comes to non-implementation. That‘s one of the rout causes of mainly every problem …“743

Die Defizite in der Implementierung zeigen sich dabei in verschiedenen Ausprägungen.

Darunter fallen eine schlechte Kodifizierung, eine mangelhafte Umsetzung durch staatliche Institutionen, ethnische Rechtsprechung, Defizite in der Rechtsstaatlichkeit bzw. -sicherheit, fehlende Sanktionierung und informellen Lösungen.

Beanstandet wird zunächst eine schlechte Kodifizierung, sprich eine oftmals fehlende oder nur verspätete Ausarbeitung in Normen, die die Umsetzung in der Praxis definieren – etwa die Übersetzung von behördlichen Formularen in der Minderheitensprache, die Schaffung von Schulklassen oder die Bestellung von Behördenmitarbeitern mit entsprechenden Sprachkenntnissen744:

„It is rather characteristic of the Romanian legal system that they offer laws which grant quite extensive rights and it can even be considered generous. […] But then the law maker stops and they no longer elaborate the actual application […] so the lower level legal acts, which stipulate the concrete norms that need to be adopted.“745

Dieser Umstand wiederum erlaube eine minderheitenunfreundliche Interpretation der Gesetze durch die Gerichte und damit auch entsprechende Urteile.746 Zudem widersprechen sich teilweise Gesetze offenkundig, sodass Gerichte, Lokalbehörden oder Zentralregierung bestimmte Rechte einfach verweigern können, wie etwa im Falle der MUM.747 Ferner kommt es auch bei der Übertragung internationaler Rahmengesetze in Landesrecht oft zu unklaren Definitionen, etwa bei zweisprachigen Beschilderungen, wo es der Interpretation obliegt, ob nur Ortstafeln oder aber alle Zeichen gemeint sind. Trotz des eigentlich guten Gesetzesrahmens tendierten die Gerichte bei der Interpretation dann zur Restriktion, so etwa beim Flaggenstreit.748 Nicht zuletzt führen die Unklarheiten dazu, dass selbst, wenn Ungarn die Mehrheit stellen oder einen sehr hohen Anteil haben, die Lokalbehörden oft nicht wissen, was das Gesetz verlangt.749

Des Weiteren wird kritisiert, dass die staatlichen Institutionen auf verschiedensten Ebenen entweder nicht im Geist der Gesetze handeln oder aber versuchen diese zu umgehen.750 Exemplarisch wird auch hier der Fall der MUM genannt751 oder die fehlende oder aber

743 S. Interview 5-2.1.

744 Vgl. Interview 7-2.2.

745 S. Interview 7-2.2.

746 Vgl. Interview 1-2.4.

747 Vgl. Interview 6-2.1., s. o.

748 Vgl. Interview 9-2.2.

749 Vgl. Interview 6-2.1.

750 Vgl. Interview 8-2.2.

751 Vgl. Interview 9-2.2.

mangelhafte Umsetzung der zweisprachigen Beschilderung in Tirgu Mures.752 So wird beispielsweise die Vorgabe „bilingual“ nicht als Vorgabe interpretiert, in einer Übersetzung Kontext und Historie einer Ortsbezeichnung zu reflektieren. Beispielsweise wurde die Straße der ungarischen historischen Persönlichkeit György Dózsa damit zur „Strada Gheorghe Doja“, d. h. nur das Wort Straße ist ungarisch.753 Die rigide Interpretation des Gesetzes bezüglich der Verwendung ethnischer Symbole durch die Behörden führte etwa zur politisierten Debatte des Flaggenstreits.754 Stattdessen müssten sich NGOs und Bürger unverhältnismäßig für die Einhaltung bereits existierender Rechte einsetzen.755 Schließlich wird auch eine fehlende Motivation bei den Lokalbehörden konstatiert, nicht zuletzt, da die Bereitstellung einer weiteren Sprache zusätzliche Arbeit und nichtkompensierte Extrakosten bedeute.756 Als weiteres Beispiel wird die Inhaftierung des Journalisten Gábor Landman 2013 in Tirgu Mures angeführt, die auf dessen Insistieren auf eine behördliche Auskunft auf Ungarisch erfolgte.757 Zu Irritationen führte, in derselben Stadt, die Auflösung einer Autonomiedemonstration wegen Verstoßes gegen eine Laustärkeregelung.758 Darüber hinaus finden sich Beispiele unterschwelliger Diskriminierung gegenüber der Minderheit. So verhängte die Verbraucherschutzbehörde Covasna – trotz fehlender Zuständigkeit – Strafen gegenüber einem ungarischen Jugend-Camp der unierten Kirche u. a. wegen des Fehlens einer rumänischen Übersetzung der Camp-Regeln, obwohl keine rein rumänischsprachigen Kinder teilnahmen. Unglücklich erscheint auch die Festlegung eines regionalen Sportwettkampfs auf den 15. März (der für die ungarische Minderheit als Nationalfeiertag gilt), wodurch zwei Drittel der Schüler in Covasna rein technisch von der Veranstaltung ausgeschlossen wurden.759 Schließlich wird auch dem Büro des Präfekten des Bezirks Harghita, statt einer entsprechend seines Amtes neutralen Haltung, ein systematisches Vorgehen gegen die Volksgruppe vorgeworfen. Demnach müssten die Mitarbeiter des Büros Angriffspunkte für Klagen gegen die Minderheit ausfindig machen.760 Insofern wirft in mehrheitlich ungarisch besiedelten Bezirken die Unbefangenheit der Präfekten, die nicht durch lokale Wahlen, sondern durch die Zentralregierung direkt bestimmt werden, Fragen auf.

Eine bedeutende Schwachstelle wird in einer fehlenden, proaktiven Sanktionierung behördlicher Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorgaben durch den Zentralstaat gesehen,

752 Vgl. Interviews 4-2.1.; 10-2.2.

753 Vgl. Interview 8-2.2.

754 Vgl. Interview 1-2.4.V.

755 Vgl. Interview 10-2.2.

756 Vgl. Interview 6-2.1.; auf die Problematik der nicht gedeckten Zusatzkosten verweist auch der Shadow Report der UDMR, vgl. UDMR (2016a), S. 42.

757 Vgl. Interviews 5-2.1.; 5-2.1.V.

758 Vgl. Interviews 5-2.1.; 5-2.1.V.

759 Vgl. Mikó Imre Minority Rights Legal Services Assistance (2016b); der 15. März gilt als Feiertag der ungarischen Revolution von 1848.

760 Vgl. Schmidt (2017).

was sich wiederum schwächend auf die Demokratie auswirke.761 Auch existieren hierfür keine Institutionen. So müsste im Falle des Flaggenstreits etwa der Präfekt die Behörden zur Einhaltung des Gesetzes anhalten. Mit der Interpretationsmöglichkeit werde aber oft gespielt, sodass etwa im Falle des Flaggengebrauchs eine Gültigkeit des Gesetzes nur für Rumänen angenommen würde.762 Dies beschränkt aber das Recht auf die Nutzung ethnischer Symbole (Wahrung der Identität; Anm. d. Autors) und erweckt den Eindruck einer Ungleichbehandlung durch die Zentralbehörden, die die Nutzung solcher Symbole in Moldau und Bukowina nicht monieren.763 Gleiches gilt für eine fehlende Sanktionierung der Einhaltung der Sprachenrechte in den Behörden, die de facto selbst entscheiden, wie sie das Gesetz umsetzen und verstehen.764

Darüber hinaus wird das Fehlen eines Rahmengesetzes als methodisches Problem angemerkt. Die große Anzahl der Gesetze und ihre Verteilung über verschiedenste Bereiche führe demnach zu Verwirrung bei Behörden und einer nachteiligen Interpretation in Gerichtsprozessen. Ein Minderheitengesetz würde hier Ordnung und Überblick schaffen,765 als einheitlicher, umfassender und verfassungsgestützter Rahmen den Minderheitenschutz verbessern sowie den ständigen Kampf um die Einhaltung existierender Rechte vermeiden.766 Ohne einen solchen blieben die Gesetze durch ihre Revidierbarkeit dem politischen Spiel ausgeliefert.767

Des Weiteren werden Defizite bei der Rechtstaatlichkeit kritisiert, sodass bei gleicher Sach- und Beweislage unterschiedliche Urteile getroffen werden768:

„Because Romania is unfortunately a country where – I see this in restitution and other law suits – where judges would draw sentences very differently from each other. One would paint the sky blue, the other judge one county further would say the sky is green. Both sentences are rightful, in use and respected by the Romanian state.“769

So kann nach Einschätzung einer ungarisch-siebenbürgischen Lokalpublikation in Rumänien

„alles gesetzlich begründet werden, genauso auch Gegenteiliges, einfach durch Berufung auf andere Gesetze“770. Generell fehle es in Rumänien an Rechtssicherheit, da jede Entscheidung – wie etwa im Falle des Mikó Kollégiums – revidiert werden könne.771 Darüber

761 Vgl. Interviews 10-2.2.; 10-2.4.

762 Vgl. Interview 9-2.2.

763 Vgl. Interview 7-2.4.; ähnlich der Verweigerung der Gründung der Tourismusorganisation

„Szeklerland“ bzw. der Markenbezeichnung „nach Szekler Art“, vgl. Kapitel 5.5.3.

764 Vgl. Interview 6-2.1.

765 Vgl. Interviews 1-2.1.; 1-2.4.

766 Vgl. Interviews 6-2.1.; 10-2.1.

767 Vgl. Interview 10-2.1.

768 Vgl. Interviews 3-2.5.; 6-2.4.

769 S. Interview 3-2.5.

770 Vgl. Szöke (2016).

771 Vgl. Interview 6-2.4.; vgl. Kapitel 5.3.6.3.

hinaus scheint eine ethnische Rechtsprechung mit einer Häufung von minderheitenunfreundlichen, limitierenden Gerichtsurteilen erkennbar, etwa in Sfantu Gheorghe und Tirgu Mures. Dies wird als neues, problematisches Phänomen gesehen, da juristische Entscheidungen politisch nicht debattiert werden können.772 Dahinter wird System vermutet:

„There is also a very clear to use, let`s say, the weakness of the rule of law, as a nationalizing policy tool against the minorities. It is easier to use it against minorities and it's intentionally used in some cases.“773

Demnach würden Kritikern zufolge Gesetze eigens dazu verwendet, um Rechte einzuschränken. So könne unter Umgehung von Parlament und Regierung durch eine nicht unabhängige Justiz gegen die Minderheit vorgegangen werden, z. B. unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung. Nachdem die Entscheidungen durch unabhängige Gerichten getroffen würden, sei die Vorzeigbarkeit nach außen hin für die Politik gewahrt. Als Beispiel hierfür werden die gegen die ungarische Gemeinschaft gerichteten Klagen der NGO

„Bürgerverein für Würde in Europa“ (ADEC) gewertet. Die 2014 vom rumänischen Journalisten Dan Tanasa in Bukarest gegründete Organisation klagt in aktuell ca. 50 Fällen nicht für die Hinzufügung der rumänischen Bezeichnung bzw. Zweisprachigkeit, sondern auf die Entfernung ungarischer Fahnen und Aufschriften, d. h. Symbole der Minderheit.774 Während sich die ADEC offiziell für von sozialer Inklusion bedrohte Personen und Gemeinschaften einsetzt775, richtet sich Tanasa gegen einen „Prozess der ethnischen Säuberung gegen die rumänische Bevölkerung in Covasna und Harghita“776. So klagt die ADEC beispielsweise in Miercurea Ciuc gegen die Verwendung der seit 1989 verwendeten Stadtfahne. In einem anderen Fall ordnete ein Gericht die Entfernung der ungarischen Aufschrift Községháza (deutsch Gemeindehaus) am Haus der Gemeindeverwaltung von Cozmeni (ung. Csikkozmás) an. Diese befand sich seit dem Bau des Hauses 1943 am Gebäude, die vorgeschriebenen zweisprachigen Hinweistafeln sind vorhanden. Eine rumänische Aufschrift fehlte zwar, wurde aber von den 96 % ungarischer Bevölkerung nicht beanstandet. Auch in Miercurea Ciuc (ung. Csikszereda), der Hauptstadt des Bezirks Harghita mit 79 % ungarischer Bevölkerung, wies ein Gericht die Entfernung der ungarischen Aufschrift Városháza (Rathaus) an.777 Dieses würde nicht dem rumänischen „Primarie“ und damit den administrativen Normen entsprechen.778

772 Vgl. Interviews 4-2.4.; 9-2.2.

773 S. Interview 6-2.4.V.

774 Vgl. Schmidt (2017).

775 Vgl. ADEC (2018),

776 S. Tanasa (2018),

777 Vgl. Schmidt (2017).

778 Laut dem Vizebürgermeister gehe aus allen verfügbaren Übersetzungen des Wortes das Gegenteil hervor; als Denkmal dürfe das Gebäude eigentlich nicht verändert werden. vgl. szekelyhon.ro (2016).

„Per Gesetz ist nur die Verwendung der Staats- und der Europafahne sowie ausländischer Staatsflaggen geregelt. Doch die rumänischen Gerichte kehren den alten Rechtsgrundsatz, wonach erlaubt ist, was nicht verboten ist, einfach um und urteilen gegenüber den Szeklern, dass alles verboten sei, was nicht ein Gesetz erlaubt.“779

Eine Randerscheinung der problematischen Implementierung stellen schließlich informelle Lösungen dar. Statt im Falle einer Nicht-Umsetzung von Minderheitenschutz-Regelungen durch Behörden den regulären Rechtsweg zu beschreiten und die Rechte einzufordern, werde demnach oft eine Lösung „am Amtsweg vorbei“ gewählt, etwa durch die Nutzung persönlicher Kontakte.780 Hierdurch würde wiederum die Beweisführung bei der Nicht-Umsetzung von Gesetzen durch Behörden erschwert.781