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III. Abbildungsverzeichnis

5.5 Bewertung durch weitere Beobachter

5.5.3 Sozioökonomische Aspekte

Sozioökonomische Aspekte bilden ein weiteres Feld den Minderheitenschutz betreffend, nicht zuletzt stehen auch finanzielle Restriktionen dem Selbstbestimmungsstreben der ungarischen Minderheit entgegen.782 Neben der Restitutionsproblematik ist dabei die Mittelverteilung ein zentraler Punkt in der Diskussion. Dies umso mehr, als eine wichtige Erschwernis in ihrer sozioökonomischen Situation gesehen wird. Dabei ist die soziale Integration der Minderheit zum einen stark von ihrer Lage im ländlichen Raum begrenzt, geprägt von schlechter Infrastruktur und geringer Wirtschaftskraft, zum anderen von der im Vergleich zur Mehrheit schlechteren Bildung insbesondere hinsichtlich universitärer Abschlüsse.783

Laut einem NGO-Bericht von 2010 richten sich die finanziellen Zuwendungen des Staates an die mehrheitlich ungarisch bewohnten Bezirke nach der Teilnahme der UDMR in Koalitionsregierungen. Seit deren Ausscheiden aus der Regierung sei auch die Unterstützung für kulturelle und soziale Einrichtungen (bis hin zur Einstellung der Aktivitäten) sowie für wirtschaftliche Investitionen gesunken. Kritisiert wird ferner eine unbefriedigende Infrastrukturpolitik im Szeklerland im Gegensatz zu Regionen im Osten oder Süden mit starker wirtschaftlicher Entwicklung. Dies wird mit der politisch motivierten Förderung bzw.

Nichtförderung erwünschter bzw. unerwünschter Lokalpolitik fest gemacht. Auch das generelle Staatsmonopol auf die Exploration von Naturressourcen wird kritisch gesehen.

Eine ethnische Diskriminierung der Minderheit wird darüber hinaus durch die zentrale Verwaltung regionaler Naturressourcen der Szeklerregion wie etwa Salz, Holz und Mineralwasser vermutet. Dies betrifft etwa die Übergehung lokaler Investoren bei der

779 S. Schmidt (2017).

780 Vgl. Interview 9-2.2.

781 Vgl. Interview 9-6.

782 Vgl. SAR (2009), S. 4.

783 Vgl. Interviews 6-1.2.; 6-1.2.V3.

Vergabe von Lizenzen und Aufträgen oder aber ihre Behinderungen durch zweideutige Regulierungen und Gesetze.784

Ferner scheint auch die Förderung durch EU-Kohesionsfonds in der Region nur bedingt effektiv. Dies wird zum einen mit der Kürze der Förderungsperiode an sich festgemacht, zum anderen aber auch an der Unzulänglichkeit der regionalen wie lokalen Verwaltungen begründet, Entwicklungsstrategien zu entwerfen, um entsprechende Fördergelder anzuwerben und zu verwalten.785 Kritiker sehen darin eine nicht neutrale Entwicklungspolitik der Regierungen, die die Verteilung von Fördergeldern nicht nach wirtschaftlichen, sondern ethnischen Kriterien lenken würde:

„They are creating regions, which are much larger and more diverse than it would be reasonable for creating one region which is poor enough to get as much cohesion founds as possible, that's the logic of doing this. Instead of that, they are trying to mixing, as much as possible, the ethnic composition of these regions.“ 786

Entgegen der zentralen Allokation von Finanzmitteln aus Bukarest wird von den Befürwortern einer Regionalisierung nach ethnischen Kriterien als Argument insbesondere eine bessere Verwaltung von Geldern auf Lokalebene angeführt. So hatte Harghita 1999 vor der Dezentralisierungsreform noch eines der höchsten Bruttosozialprodukte. Mittlerweile ist dies nicht mehr der Fall: Die mehrheitlich ungarischen Regionen Covasna, Harghita and Mures rangieren hier unter dem Durchschnitt der Makroregion.787 Mit dem Entwicklungsregionen-Gesetz von 1998, seien die drei „ungarischen“ Regionen auch stark hinter die „rumänischen“

Regionen Brasov, Sibiu und Alba zurückgefallen.788 Dabei zeigt sich, dass ein hoher Anteil an Minderheiten mit einem niedrigem Bruttosozialprodukt korreliert.789

Die Unterentwicklung der Region wird ferner auf eine Diskriminierung bei Investitionen (durch die Bukarester Zentralverwaltung) zurückgeführt, denn auf lokale ökonomische Defizite. Auch würden Steuereinnahmen der eigentlich starken Region in ärmere Landesteile abgeführt und kämen nicht der Region zugute.790 Diese Ansicht wird vom ungarischen Bezirksvorsitzenden von Covasna, Sándor Tamás, geteilt. 90 % des lokalen Steueraufkommens würden nach Bukarest abgeführt:

„14 Unternehmen repräsentieren 25 Prozent der Wirtschaftsleistung hier.

[Zurückgeführt werden vom Staat lediglich] 78 Prozent, und das zu einem großen Teil in Form von Dingen wie der neuen Gendarmeriekaserne.“791

Dem wird entgegengehalten, dass die ungarischen Lokalbehörden nichtungarische

784 Vgl. Cunnold-Benkö et al. (2010).

785 Vgl. SAR (2009), S. 6.

786 S. Interview 6-1.2.V2.

787 Vgl. Mungiu-Pippidi u. Poiana (2010), S. 31 ff.

788 Vgl. Interview 2-5.2.

789 Mit Ausnahme des Banats, vgl. Interview 6-1.2.V2.

790 Vgl. SAR (2009), S. 2 ff.

791 S. Kálnoky (2013).

Investoren fernhalten würden. Tatsächlich befänden sich die Bezirke Harghita und Covasna nach offiziellen Statistiken bei den meisten Entwicklungsindikatoren unter dem Durchschnitt und erhalten die meisten Transferleitungen aus Bukarest. Die schlechte Infrastruktur der Region benachteiligt indes beide Seiten. Schlussendlich wird darin nicht ein Problem ethnischer Diskriminierung erkannt, sondern eines der Subventionierung der drei Bezirke. In Wirklichkeit stelle es ein Unikum in Europa dar, dass eine arme Region finanzielle Autonomie fordere.792

Eine politisch motivierte Einschränkung der Wirtschaft wird auch im Bereich des Markenrechts gesehen. 2016 versuchte die Tourismusvereinigung Pro Turismo Terrae Siculorum, eine Allianz 14 verschiedener Organisationen aus Tourismus und Regionalentwicklung aus den Bezirken Harghita, Covasna und Mures, zur Förderung des Fremdenverkehrs das Szeklerland als touristische Marke zu etablieren. Die offizielle Registrierung wurde jedoch verweigert, da die Verwendung der Regionalbezeichnung

„Szeklerland“ verfassungswidrig sei. Eine solche administrative regionale Einheit existiere nach geltendem Recht nicht, da Rumänien formalrechtlich nur aus Gemeinden, Städten und Bezirken bestehe. Auch die Änderung der Initiatoren auf „Szeklerland Tourismus Destination“ wurde abgelehnt. Die Entscheidung erscheint unverständlich, da bereits mehrere ähnliche Organisationen existieren, die sich gleichermaßen auf lediglich historische Regionalnamen berufen, so etwa die Tourismusvereinigungen Bukowina, Oltenien oder Tara Motilor. Im Falle der Bukovina wurde deren Etablierung 2001 sogar durch die Wirtschaftskammer von Suceava und das Tourismusministerium gefördert.793 Das Gericht begründete die Entscheidung damit, dass im Gegensatz zu den anderen Fällen das Szeklerland entlang ethnischer Linien definiert würde und daher illegal sei.794 Eine ähnliche Ungleichbehandlung wird in Strafen für die Nutzung der Aufschrift „nach Szekler Art“ auf Nahrungsmitteln in der Region Covasna gesehen, während Produkte mit der „nach rumänischer Art“ oder „italienischer Art“ nicht beanstandet werden.795

5.8 Zusammenfassende Bewertung

Rumänien verfügt momentan über keinen einheitlichen, klar verständlichen Rechtsrahmen in Form eines Statusgesetzes, das den Minderheitenschutz umfassend regelt. Einen neuralgischen Punkt stellt daher die Verfassung dar, deren Geist in wesentlichen Teilen von der Angst eines Auseinanderfallens des Staates geprägt scheint und daher auf die Einheitlichkeit von Territorium und rumänischem Volk abstellt. Jedes potentielle Aufbrechen dieses Prinzips in der Zukunft wird untersagt. Einher geht damit auch ein

792 Vgl. SAR (2009), S. 2 ff.

793 Vgl. Mikó Imre Minority Rights Legal Services Assistance (2015c); Horváth (2016); Kovács (2016).

794 Vgl. US Außenministerium (2016), S. 16.

795 Vgl. Mikó Imre Minority Rights Legal Services Assistance (2016b).

individualrechtliches Rechtskonzept. Durch den Beitritt zur EU unterliegt Rumänien gleichzeitig auch allen europäischen Rahmenwerken wie dem RSNM und ECRI.

Generell kommen Angehörige von Minderheiten, wie alle rumänischen Bürger, in den Genuss von Grundrechten wie etwa der Meinungs- und Religionsfreiheit. Zwar fixiert die Verfassung Schutzrechte für Angehörige von Minderheiten, wie etwa zur Erhaltung von deren Identität und Kultur oder den Sprachgebrauch bei Behörden und in der Bildung, weist aber gleichzeitig kein klares Bekenntnis zu einem inklusiven Umgang mit nationalen Minderheiten auf. Durch eine unklare, ethnopolitische Definition Rumäniens als einheitlichen Nationalstaat des rumänischen Volkes werden diese vielmehr symbolisch ausgeschlossen.

Auffallend sind ferner inhaltliche Spannungsfelder: So kennt die Verfassung zwar nationale Minderheiten, liefert aber keine Begriffsdefinition. Auch wird eine positive Diskriminierung von Angehörigen von Minderheiten (Kollektivrechte) ausgeschlossen, dennoch aber einige gruppenspezifische Rechte gewährt.

Weitere den Minderheitenschutz betreffende Bestimmungen finden sich nur schwer überschaubar in einer hohen Anzahl von Gesetzen, wobei die formalrechtlichen Standards die westeuropäischer Staaten teilweise sogar übertreffen. Wichtige Regelungen finden sich dabei u. a. im Gerichtsverfassungsgesetz, der Straf- und Zivilprozessordnung, im Gesetz über die lokale öffentliche Verwaltung sowie im Unterrichtsgesetz. Von diesen minderheitenfreundlichen und insbesondere die Verwendung der Muttersprache betreffenden Regelungen sticht insbesondere das sehr weitgehende Unterrichtsgesetz von 2011 hervor. Der Staat versucht außerdem mittels verschiedener rechtlicher und institutioneller Regelungen für die Gewährleistung der Gleichbehandlung (Nicht-Diskriminierung) seiner Bürger zu sorgen. Nicht zuletzt erfreut sich die ungarische Minderheit einer soliden Teilhabe am politischen Leben und eines lebendigen und breiten Medien- und Kulturangebots. Im Bereich der Religionsfreiheit scheinen durch die Nähe der rumänisch-orthodoxen Kirche zu Gesellschaft und Politik sowie ihre Bedeutung für den Nationalstaat Zweifel auf. Auch der Sprachgebrauch vor Gericht und bei Behörden zeigt sich problematisch. Gleiches gilt für den Bereich der Restitution: Das nichtminderheitenspezifische Recht betrifft die ungarische Gemeinschaft durch kulturelle Bedeutung ihrer Religionsgemeinschaften indirekt. Bei den allgemeinen, massiven Störungen in der Bearbeitung von Fällen steht auch der Vorwurf einer bewussten ethnischen Diskriminierung durch Behörden und Gerichte im Raum.

Nach den Kriterien der europäischen Institutionen wird Rumänien durch die Gutachtergremien zum RSNM (2012) und ECRI (2014) eine insgesamt sehr positive Entwicklung attestiert, wenngleich sich das Bild im Detail etwas schlechter darstellt. Positiv bewertet werden die staatliche Förderung der Minderheiten und des interkulturellen Dialogs, der gute Zugang zu Medien und insbesondere die Bildungsreform von 2011. Negativ

erscheinen hingegen die geringe Effektivität der Institutionen und Gesetze zur Antidiskriminierung. Kritisiert werden ferner das Fehlen eines Minderheitengesetzes, Defizite beim Sprachgebrauch auf Lokalebene sowie die Gefahr der Marginalisierung von Minderheitenrechten durch die geplante Regionalreform.

Im starken Kontrast dazu steht die Einschätzung weiterer Beobachter wie NGOs, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Medien. Zwar werden auch hier übergreifend die großen Fortschritte und der breite formale Minderheitenschutz in Rumänien gewürdigt. Dennoch werden wesentlich größere Defizite festgestellt, u. a. im Bereich Sprachgebrauch bei Behörden oder öffentlicher Beschilderung, bei der Nutzung kultureller Symbole der Gemeinschaft, unterschwelliger Diskriminierung im Alltag, durch die Einordnung der Autonomieforderung als Sicherheitsrisiko oder wegen des Stillstands bei der Restitution bzw.

erfolgten Wiederverstaatlichungen. Als Ursache wird eine völlig unzureichende Umsetzung existierender Minderheitengesetze ausgemacht, d. h. eine große Diskrepanz zwischen formaler Gestaltung und tatsächlicher Praxis. Diese zeigt sich demnach in verschiedenen Dimensionen, nämlich in deren schlichter Missachtung, einer Tendenz zur Umgehung oder minderheitenunfreundlichen Interpretation durch Behörden, einer mangelhaften bzw.

fehlenden Kodifizierung in Ausfuhrgesetzen, einer fehlenden Sanktionierung bei Nichteinhaltung, einem fehlenden Rahmengesetz sowie mangelhafter Rechtsstaatlichkeit und -sicherheit durch eine tendenziell ethnische Rechtsprechung der Judikative. Kritisiert wird nicht zuletzt eine als diskriminierend empfundene Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik, etwa bei Förderung mehrheitlich ungarischer Regionen oder der Eintragung von Marken mit Regionalbezug zum Szeklerland.

Insgesamt kann der formale Minderheitenschutz in Rumänien als sehr umfassend bewertet werden. Dies wird übergreifend von europäischen wie anderen Beobachtern bestätigt.

Obwohl das rumänische Recht auch gruppenspezifische Rechte kennt, stehen das wiederholte, formelhafte Beharren auf dem monokulturellen Einheitsstaat, die formale Ablehnung von Kollektivrechten sowie der Ausschluss positiver Diskriminierung im Kontrast zur Lebensrealität Rumäniens. Unter den minderheitenfreundlichen und insbesondere die Verwendung der Muttersprache betreffenden Regelungen sticht die Reform des Unterrichtsgesetzes von 2011 besonders hervor. Dieses wirkt wie frischer Wind gegenüber der dogmatischen Vorstellung Rumäniens als monokulturellem Nationalstaat und zeigt, dass trotz der schwierigen Ausgangslage auch im rechtlichen Bereich Bewegung möglich ist.

Löst man sich jedoch vom Bild der formalen Gestaltung und blickt in die Praxis, ändert sich das Bild der Situation. Schließlich zeigen sich massive Mängel in der Umsetzung und Sanktionierung der Normen – ein Umstand, der interessanterweise in der Bewertung der Situation durch die europäischen Gremien kaum aufscheint. Vor dem Hintergrund des

wiederholten Verweises rumänischer Eliten auf die existierende Normierung steht der Vorwurf eines juristischen Greenwashing im Raum.796

Die Momentaufnahme des Minderheitenschutzes in Rumänien offenbart insofern ein Paradoxon aus Gewährung und gleichzeitiger Einschränkung von Minderheitenrechten.

Dieses lässt sich eventuell darauf zurückführen, dass sich auch das Rechtssystem des Landes in einem Transformationsprozess befindet: Viele Bestimmungen, insbesondere in der Verfassung, atmen noch den Geist einheitsstaatlicher Vorstellungen. Dies scheint jedoch vor allem durch den Einfluss der Westintegration, der Minderheitenparteien sowie der Zivilgesellschaft in manchen Teilen aufzubrechen. Tatsächlich lassen sich durch die gewährten gruppenspezifischen (aber nicht so definierten) Rechte durchaus Anknüpfungspunkte zu Rechten einer Autonomielösung finden. Von einem tatsächlich inklusiven und großzügigen Umgang mit seinen Minderheiten ist das Land in der rechtlichen Praxis jedoch noch weit entfernt. Aktuell wichtiger als die formale Fassung des Minderheitenschutzes erscheint, wie Selejan-Gutan schreibt (Punkt 5.2.1), eine Änderung der Einstellung bei Behörden, Politik, Gerichten und letztlich auch der Mehrheitsgesellschaft, nicht nur für den Minderheitenschutz, sondern auch für eine mögliche Autonomielösung.

796 Vgl. a. Kapitel 6.3.1.2.2.

6 Rahmensystem Europäisierung – Die Europäische Integration als Chance?

„Mental, sozial, aber auch in den Strukturen existiert die Teilung Europas nach wie vor.“797 László Tökés, Politiker der ungarischen Minderheit Wie im Theoriekapitel schon angemerkt wurde, stellt die Integration Rumäniens in die EU – sprich die Europäisierung des Landes – eine strukturelle Rahmenbedingung für die Frage nach einer ungarischen autonomen Region in Rumänien dar. Unter Europäisierung kann nach Schimmelfennig der „Prozess der Institutionalisierung von Regeln der EU unterhalb und außerhalb der europäischen Ebene“798 verstanden werden. Eine breitere Definiton liefert Radaelli. Danach beschreibt die Europäisierung:

„processes of (a) construction (b) diffusion and (c) institutionalization of formal and informal rules, procedures, policy paradigms, styles, ‘ways of doing things’ and shared beliefs and norms which are first defined and consolidated in the making of EU decisions and then incorporated in the logic of domestic discourse, identities, political structures and public policies.“799

Der von Radaelli bestimmte Rahmen wird insofern von der EU vorgegeben, die sich wiederum in Fragen des Minderheitenschutzes stark auf Regelungen des Europarats stützt.800 Wie noch gezeigt werden soll, treten (aktuell) jedoch weder der Europäische Rat noch die EU-Kommission aktiv als politische Akteure im Minderheitenschutz oder bei Autonomiedebatten in Erscheinung. So setzte der Europarat etwa mit dem EMRK und ECRM einen Rahmen für Minderheitenrechte in den Mitgliedsstaaten. Geprüft wird dessen Umsetzung aber nur passiv durch entsprechende Gutachterkommissionen oder Institutionen wie den EGMR. Ähnliches gilt für die EU801, deren oberstes Exekutivorgan, die EU-Kommission, welche sich bei der Kontrolle der Umsetzung und Einhaltung der Regelungen vornehmlich auf die Berichte der Gutachtergremien stützt.

Doch auch von den rechtlichen Aspekten der Europäisierung abgesehen, hat sich für nationale Akteure auf der europäischen Ebene ein neues Feld des Lobbyings um eine Verbesserung des Minderheitenschutzes und eine Territorialautonomie in Rumänien ergeben. Zum einen ist dies den europäischen Streitschlichtungsmechanismen geschuldet, wie das Beispiel der Anrufung der Venedig-Kommission durch Rumänien im Streit um das ungarische Statusgesetz zeigt.802 Zum anderen versuchen etwa die ungarischen

797 S. Zitat aus Mayer (2014).

798 S. Schimmelfennig (2004), S. 253.

799 S. Radaelli (2000), S. 4.

800 Zur Übersicht der minderheitenschutzrelevanten Regelungen auf europäischer Ebene s. Kapitel 5.1.

801 Durch die zwei gesetzgebenden Gremien der EU, dem Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament, wurden und werden auch eigene minderheitenschutzrelevante Regelungen getroffen.

802 Vgl. Kapitel 9.3.4.

Minderheitenparteien und NGOs vermehrt über europäische Institutionen positiv auf die Situation der Minderheit einzuwirken und neue Möglichkeiten der Einflussnahme zu nutzen.

Doch gleich ob bei der Fragestellung um eine Territorial- oder Kulturautonomie, Hochschulbildung in ungarischer Sprache oder Ungarisch als Amtssprache, auch nach der Integration Rumäniens in die europäischen Institutionen trennen Mehrheit und Minderheit immer noch große Gräben. Tatsächlich haben die Forderungen nach Autonomie seit dem Beitritt zugenommen.803 Dieser Umstand wirft eine Reihe von Fragen auf: Welcher Natur ist der Einfluss der Europäisierung, welche und wie starke Auswirkungen für den Minderheitenschutz in Rumänien folgen daraus und stellt die Europäisierung tatsächlich einen Hebel dar, Minderheitenschutz zu verbessern?804 Und nicht zuletzt: Hat die Europäisierung Folgen für das Thema Autonomie?

Wie folgende kritische Aufbereitung in groben Zügen zeigt, wirkt die Europäisierung tatsächlich auf verschiedensten Feldern auf die Minderheitenthematik ein bzw. bietet Minderheiten mehr oder weniger starke Anknüpfungspunkte für (Autonomie-)Forderungen.

Diese sind zum einen rechtlicher, zum anderen (regional-)politischer Natur – und haben jeweils klare Grenzen. Die Betrachtung geht zunächst auf den Status quo der Europäisierung in Rumänien ein, um im zweiten Teil ihre Bedingungen sowie sich aus ihr ergebende Perspektiven für eine Autonomie zu evaluieren.