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Modellierung komplexer Akteur*innenkonstellationen

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6. Fallbeispiel: Das transnationale Zusammenspiel zwischen der Europäischen Kommission

6.1 Politische Kommunikation aus akteur*innenzentrierter Perspektive

6.1.1 Modellierung komplexer Akteur*innenkonstellationen

Zu Beginn des theoretischen Teils der vorliegenden Arbeit wurden Probleme bei der Vermittlung von EU-Kommunikation aus unterschiedlichen Perspektiven aufgelistet, die in der Literatur häufig als Ursachen für Mängel und Begrenzungen der EU-Kommunikation genannt werden. Die Inhalte dabei fokussierten sich hauptsächlich auf organisatorische und strukturelle Barrieren. Intra-institutionelle wie akteur*innenzentrierte Faktoren bleiben in der Literatur zum Großteil unbeachtet. Ein Verständnis der Funktionslogik demokratischer Systeme erfordert jedoch auch einen Blick auf das Handeln seiner Kommunikationsakteur*innen. Dafür braucht es eine Verbindung der Politik- und Kommunikationswissenschaft mit der Soziologie, um eine präzisierte Vorstellung von Handlungen im Kontext politischer Kommunikation zu erhalten (Sarcinelli 2011, 12).

Laut Donges und Jarren müssen Handlungssysteme als soziale Strukturen, die durch Interaktionen zwischen den unterschiedlichen Akteur*innen in diesen Handlungssystemen geschaffen werden, aufgefasst werden. In ihrem Zentrum stehen die in diesen Systemen agierenden Akteur*innen mit ihren Zielen, Strategien und Ressourcen: „Sie sind einerseits flexibel, da sie permanent von den Akteuren durch ihr Handeln produziert und reproduziert werden. Handlungssysteme weisen andererseits eine Stabilität auf, weil die Akteure ein Interesse am Fortbestand der Interaktion haben und daher norm- und regelgeleitet interagieren.“ (Donges & Jarren 2017, 12) Donges und Jarren – wie im vorangegangenen Kapitel veranschaulicht (siehe Kapitel 5.2.4) – sprechen von einer „Produktionsgemeinschaft“

zwischen Politiker*innen, PR-Akteur*innen und Journalist*innen und bezeichnen damit ein Handlungssystem mit spezifischen Regeln, welches durch seine Akteur*innen und deren Interaktionen konstituiert wird. Die Akteur*innen sind einerseits mit der Organisation verbunden (Mikro- und Mesoebene), und andererseits – aus der Perspektive der

Makroebene – stellen sie zugleich auch eine funktionale Verbindung zwischen dem politischen und dem journalistischen System her (Donges & Jarren 2017, 200). Wenn nun die

„Produktionsgemeinschaft“ zwischen Politiker*innen, PR-Akteur*innen und Journalist*innen auf der transnationalen Ebene der EU zusammengedacht und analysiert wird, gilt es diesbezüglich auch folgende kritische Bemerkungen in Hinblick auf die Differenzierung der einzelnen Funktionsbereiche zu erwähnen, die bei der Umsetzung des empirischen Teils der vorliegenden Arbeit zu berücksichtigen sind:

Journalismus wird vor allem durch das Aufkommen der Kommunikationsgesellschaft zwar zunehmend in unterschiedliche Kategorien untergliedert, zugleich gibt es in der Literatur aber auch vermehrt Stimmen, die auf ein Zusammenwachsen der Medien hinweisen und aufgrund von Kommerzialisierung, technischer und redaktioneller Konvergenz, Konkurrenzdruck sowie aufgrund von Finanzierungskrisen der Mediensysteme auch zunehmend ein immer homogeneres Bild von Journalist*innen zeichnen (Lauerer, Dingerkus & Steindl 2019, 101;

Lauerer & Keel 2019, 107; Seethaler 2019, 214). Noch stärker tritt die Vereinheitlichung bei der Darstellung der EU-Institutionen zutage: Die Beschreibung eines zwar komplexen, aber stabilen Institutionengefüges, wie sie in der Literatur der EU Studies zumeist vorkommt (Schmidt & Schünemann 2013, 69), verdeckt mitunter die Existenz von labilen und facettenreichen Faktoren im Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteur*innen im Handlungssystem der EU. Altides kritisiert, dass EU-Institutionen generell als homogene Institutionen konzipiert werden, welche unterschiedliche intra-institutionelle Funktionen, Ziele und die komplexe Natur ihrer Mitglieder in konkreten Situationen außer Acht lassen. Dies trifft auch auf die EU-Kommunikation zu: „communicating EU-Institutions are regarded to be unitary actors, whose communication efforts are determined by their unitary institutional objectives, social resources and character” (Altides 2009, 55). Geht es nach Altides, so sollte die Darstellung von einheitlichen institutionellen Präferenzen, die sich in Kommunikationshandlungen zeigen, jedoch hinterfragt werden (Altides 2009, 55–58).

Speziell zur Europäischen Kommission – einem spezifischen Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit – unterstellt Altides der wissenschaftlichen Literatur eine Identifikation mit einer homogenen politischen Akteurin. Verstärkt wird diese Darstellung durch die vertraglich geregelten Aufgaben der Europäischen Kommission als Motor der europäischen Integration und durch Mehrheitsentscheidungen auf Kommissar*innen-Ebene, die es der

Europäischen Kommission ermöglichen, mit einer Stimme nach außen zu sprechen. Indem Altides unter anderem auf Peterson (1999) und Wonka (2006) zurückgreift, betont sie Fragmentierungen entlang verschiedener politischer Zugehörigkeiten, nationaler und kultureller Hintergründe und sektoraler Verantwortlichkeiten auch innerhalb der Europäischen Kommission. Darüber hinaus identifiziert sie eine schwierige Abgrenzung zwischen der Expertinnen-Rolle und der politischen Rolle der Europäischen Kommission sowie intra-institutionelle separate Gruppierungen zwischen den Kommissar*innen (Kollegium der Kommissar*innen, Kabinette der Kommissar*innen, Generalsekretariat des*r Kommissionspräsident*in) auf politischer Ebene und Differenzierungen der Beamt*innenschaft (unterschiedliche Generaldirektionen mit verschiedenen technischen und bürokratischen Aufgaben) auf administrativer Ebene. Auch innerhalb der Kommunikation der Europäischen Kommission werden unterschiedliche Ansiedlungsorte und Funktionen identifiziert: Neben der Generaldirektion Kommunikation, welche für die Koordination der institutionellen Kommunikation auf horizontaler Ebene und die Vertretungen in den EU-Mitgliedsländern zuständig ist, beinhaltet auch jede andere Generaldirektion eine Kommunikationsabteilung. Zusätzlich gibt es noch die Pressesprecher*innen im Spokesperson‘s Service (Altides 2009, 59–61). Sie sind zum Zeitpunkt der Untersuchung dem Generalsekretariat des Kommissionspräsidenten zugeordnet mit jeweils unterschiedlich starken Netzwerken zu anderen Kommunikationsakteur*innen der Europäischen Kommission (siehe Kapitel 10.3).

Die Komplexität und Inhomogenität sowohl der Europäischen Kommission als auch des Journalismus zeigt sich jedoch nicht nur auf Organisationsebene, welche die unterschiedlichen Ausrichtungen der einzelnen Akteur*innen beeinflusst. Sie verdeutlicht sich vor allem auch durch die Tatsache, dass ihre individuellen Akteur*innen unterschiedliche Interessenslagen zeigen und ihre Arbeit mitunter different definieren: „A corporate actor will always be composed of actors and groups of actors with different tasks, roles and duties, different interests, perceptions and influence potentials“ (Altides 2009, 55). Individuelle Akteur*innen besitzen häufig verschiedenartige Handlungsspielräume. Institutionen und Organisationen ist es nicht möglich, für jedes ihrer Mitglieder eine klare Strategie zu schaffen (Mayntz & Scharpf 1995, 50). Neben der Existenz unterschiedlicher Charaktere innerhalb einer Institution spielen die Akteur*innen mit ihren mitunter konfligierenden Interessen und Anschauungen eine

wesentliche Rolle bei der Entwicklung und Implementierung von Kommunikationsinhalten.

Donges und Jarren gehen mit ihrer Definition der Handlungstheorie in der politischen Kommunikation in diese Richtung: Sie verstehen darunter Ansätze, welche die „Intentionalität menschlichen Handelns zum Ausgangspunkt für Erklärungen sozialer Sachverhalte und Prozesse nehmen. Im Mittelpunkt handlungstheoretischer Ansätze stehen Akteure sowie die Bedingungen, Formen und Folgen ihres Handelns“ (Donges & Jarren 2017, 27). Altides plädiert für einen akteur*innenzentrierten Ansatz bei der Analyse von EU-Kommunikation, der die*den Akteur*in in den Mittelpunkt der Untersuchung stellt (Altides 2009, 55). Dafür sind zunächst unterschiedliche Akteur*innenbegriffe näher zu definieren, die als „Leitideen“

speziell für die Konzeption der empirischen Befragungen der vorliegenden Arbeit dienen:

Schrape differenziert zuallererst zwischen individuellen und überindividuellen Akteur*innen (Schrape 2017, 387). Donges und Jarren detaillieren diese Unterscheidung, indem sie zusätzlich zwischen individuellen, kollektiven und korporativen Akteur*innen Differenzlinien ziehen (vgl. Donges & Jarren 2017, 28; Scharpf 2000, 102):

a) Individuelle Akteur*innen: einzelne Personen, die eine bestimmte – zumeist herausgehobene – Rolle einnehmen. In politischen und sozialen Organisationen handeln sie sowohl individuell als auch für eine Gruppe. Nicht immer muss dafür eine klare Beauftragung die Voraussetzung sein. (Beispiel: Kommunikationsakteur*innen der Europäischen Kommission und Journalist*innen, die über EU-Themen Berichterstattung leisten)

b) Kollektive Akteur*innen: Zusammenschlüsse von einzelnen Individuen mit einem geringen formalen Organisationsgrad. Sie verfolgen ein gemeinsames Ziel, koordinieren sich kommunikativ und unterscheiden sich von korporativen Akteur*innen, indem sie selbst ihre Ziele, Orientierungen und Ressourcen abstimmen. (Beispiel: Brüssel-Korrespondent*innen, die sich bei Interaktionen mit der Europäischen Kommission entweder in Länder- oder Interessensgruppen zusammenschließen)

c) Korporative Akteur*innen: Zusammenschlüsse von einzelnen Individuen mit einem hohen formalen Organisationsgrad. Sie sind von Präferenzen der Akteur*innen weitgehend unabhängig, da Entscheidungen meist hierarchisch getroffen werden.

(Beispiel: Europäische Kommission, Medienbetriebe)

Nach Donges und Jarren zeigen sowohl individuelle, als auch kollektive und korporative Akteur*innen bei der Formulierung und Verfolgung ihrer Ziele Interessen, die durch gewisse Orientierungen wie beispielsweise Werthaltungen, soziale Orientierungen und kognitive Muster geprägt werden (Donges & Jarren 2017, 28). Scharpf differenziert diesbezüglich noch zusätzlich zwischen aggregierten und komplexen Akteur*innen in politischen und sozialen Institutionen, die ebenfalls im Zusammenspiel zwischen der Europäischen Kommission und dem Journalismus – speziell auch im informellen Akteur*innenhandeln – sichtbar werden (vgl.

Scharpf 2000, 97–101):

• Aggregierte Akteur*innen handeln angesichts ähnlicher Präferenzen gleichgerichtet. Sie können nach Scharpf zwar keine strategischen Entscheidungen treffen, aber „auf vorhersehbare Weise auf Spielzüge anderer [...] Akteure reagieren“ (Scharpf 2000, 100).

• Komplexe Akteur*innen bezeichnen jene Konstellationen an individuellen Akteur*innen, die durch gemeinsame Interaktionen ein gemeinsames Ziel anstreben.

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