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Akteur*innen und Systeme

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6. Fallbeispiel: Das transnationale Zusammenspiel zwischen der Europäischen Kommission

6.1 Politische Kommunikation aus akteur*innenzentrierter Perspektive

6.1.2 Akteur*innen und Systeme

Das Verhältnis zwischen Akteur*innen und Strukturen in sozialen Systemen unterliegt einer breiten wissenschaftlichen Debatte. Während Lünenborg eine Modellierung von Kommunikation ohne Akteur*innen als problematisch bezeichnet (Lünenborg 2004, 442), fordert Bucher eine Einbettung von Kommunikation in den Handlungszusammenhang (Bucher 2004, 270). Für Birkelund besteht ein gutes analytisches Modell wiederum aus der Berücksichtigung aller Variablen (Birkelund 2010, 157).

Nach Donges und Jarren können politische Systeme wie die Europäische Kommission sowie auch Mediensysteme wie der österreichische Printjournalismus als Ergebnisse von Handlungen vor allem ressourcenstarker und deutungsmächtiger Akteur*innen verstanden werden. Diese versuchen, Regeln festzulegen – im Fall der vorliegenden Arbeit sind darunter Regelungen zur Entwicklung und Implementierung von EU-Kommunikation gemeint. Welche Akteur*innen sich mit welchen Regeln durchsetzen, ist laut Donges und Jarren eine offene Frage, die nur empirisch zu beantworten ist. Akteur*innen handeln zum Teil eigenständig und zum Teil in Abhängigkeit von anderen wie ihren Konkurrent*innen, was beispielsweise bei Journalist*innen im Spannungsfeld mit den Kolleg*innen der Konkurrenzmedien der Fall ist.

Auch wenn sie nicht immer intendiert sind, entwickeln Akteur*innen durch Interaktionen

(miteinander verbundene Handlungen) Strukturen und Systeme. Diese geben wiederum anderen Akteur*innen Handlungsmöglichkeiten oder begrenzen deren Handlungsspielräume (Donges & Jarren 2017, 14).

Ob und inwieweit sich gesellschaftliche Phänomene – unter anderem die politische Kommunikation – durch das Handeln von individuellen Akteur*innen bzw. durch ihre Interaktionen zueinander erklären lassen, ist ein immer wiederkehrendes Thema in der sozialwissenschaftlichen Literatur (Schrape 2017, 387). Neben mehr oder weniger klar abgegrenzten und in Kontrast zueinander stehenden System- und Handlungstheorien finden sich auch Ansätze, die mitunter Aspekte aus beiden theoretischen Konstrukten zusammendenken. In sehr unterschiedlichem Ausmaß mit verschiedenen Schwerpunkten und Gewichtungen verwenden akteur*innenzentrierte Erklärungsansätze einerseits Elemente aus der Systemtheorie, aber stellen andererseits das Handeln von interessen- und normengeleiteten Akteur*innen in den Mittelpunkt ihrer Argumente (Donges & Jarren 2017, 33).

In Abgrenzung zur reinen Systemtheorie, die sich auf überindividuelle Handlungseinheiten bezieht (u. a. Luhmann 1993), wurde von Mayntz und Scharpf mit dem Konzept des

„Akteurzentrierten Institutionalismus“ ein Zugang zur Beobachtung und Erklärung gesellschaftlicher Teilbereiche entwickelt (Mayntz & Scharpf 1995, 39). Gesellschaftliche Entwicklungen wie beispielsweise Phänomene der politischen Kommunikation auf EU-Ebene werden nach dem Modell des „Akteurzentrierten Institutionalismus“ als Ergebnis von Interaktionen zwischen individuellen Akteur*innen betrachtet, die in ihrem Akteur*innenhandeln jeweils eigene Interessen verfolgen. Institutionen dienen dabei als Rahmen zur Regelung ihrer Interaktionen. Diese geben sowohl formale als auch non-formale (sozial entwickelte) Regeln, Normen und Erwartungen vor und nehmen somit Einfluss auf das Akteur*innenhandeln, ihre Interaktionen und die jeweiligen Akteur*innenkonstellationen (Mayntz & Scharpf 1995, 49). Mayntz betont mit diesem Konzept die Intention, die Natur der Interaktionen als „Black Box“ überwinden zu wollen (Mayntz 2003, 2) und vor allem eine

„Abkehr vom empiriefernen Bau theoretischer Modelle zugunsten eines intensiven Interesses am verstehenden Nachvollzug sozialer [...] Entwicklungen und Ereignisse“ (Mayntz 2009, 83) sowie eine bessere Identifikation von Kausalzusammenhängen „auf der Basis einer möglichst

breiten Erfassung der an der ‚Bewirkung einer Wirkung‘ beteiligten situativen Gegebenheiten und Handlungen“ von Akteur*innen zu erreichen (Mayntz 2009, 85).

Bei der methodischen Umsetzung des Konzepts des „Akteurzentrierten Institutionalismus“

grenzt sich Mayntz dabei von rein quantitativen Verfahren ab: „Causal reconstruction does not look for statistical relationships among variables, but seeks to explain a given social phenomenon – a given event, structure, or development – by identifying the processes through which it is generated. Causal reconstruction may lead to a (more or less complex) historical narrative, but in its theoretically more ambitious version, causal reconstruction aims at generalizations – generalizations involving processes, not correlations.“ (Mayntz 2003, 2) Scharpe bezeichnet das Konzept des „Akteurzentrierten Institutionalismus“ als sogenannte

„Prozesssoziologie“ (Scharpe 2017, 5). Folgende Eigenschaften weisen darauf hin (vgl. Scharpe 2017, 4):

 Soziale Phänomene sind stets von Multikausalität geprägt, weshalb Mayntz betont, dass sich „kaum universelle, deterministische Zusammenhänge“ (Mayntz 2009, 87) feststellen lassen.

 Die Prozessualität sozialer Phänomene braucht nach Mayntz das Eruieren, inwieweit

„Ursache und Wirkung jeweils miteinander verbunden sind“ (Mayntz 2002, 24).

 Die Eigenschaft der Historizität sozialer Phänomene betont den Einfluss der Abhängigkeiten zur Vergangenheit.

 Strukturelle Komplexitäten, in die individuelle Akteur*innen eingebunden sind und von denen ihr Handeln beeinflusst wird, machen eine multidimensionale Analyse notwendig, die einen mehrere Stufen umfassenden Aufbau sozialer Systeme berücksichtigt.

Eine Verbindung von Akteur*innen und Systemen strebt auch Schimank an: „Funktionale Teilsysteme bilden aus akteurtheoretischer Perspektive den Rahmen, der Handlungsorientierungen konditioniert. Innerhalb dieses Rahmens treffen Akteure aber Handlungsentscheidungen auf Basis ihrer Interessen“ (Schimank 1988, 623; zit. n.: Donges &

Jarren 2017, 33). Nach Schimank wird das Handeln einzelner Akteur*innen durch deren Zugehörigkeit zu einem gesellschaftlichen Teilsystem, zu institutionellen Ordnungen sowie zu bestimmten Akteur*innenkonstellationen geprägt. Daraus entstehen nach Schimank das

„Wollen“, das „Sollen“ und das „Können“ eines*r Akteur*in (Donges & Jarren 2017, 33–34).

Donges zufolge wirken diese drei Strukturebenen zusammen und lösen wiederum Prozesse der gesellschaftlichen Strukturierung und Differenzierung aus (Donges 2008, 331).

Diesem Zugang folgt auch der empirische Teil der vorliegenden Arbeit: Für eine akteur*innenzentrierte Perspektive auf die EU-Kommunikation erscheint es relevant, die Akteur*innen detaillierter zu fassen, die bei der Entwicklung und Implementierung politischer Kommunikation auf EU-Ebene in soziale Dynamiken und institutionelle Prozesse involviert sind – ohne jedoch gänzlich das System aus den Augen zu verlieren, in dem sie handeln. Fragen nach ihren Interessen, die vom jeweiligen gesellschaftlichen Teilsystem mitgeprägt werden, nach den Normen der institutionellen Ordnungen, in die sie eingebunden sind, bzw. nach ihren Handlungsspielräumen und Begrenzungen – möglicherweise auch nach Konflikten – zeigen sich demnach als wesentlich: Welche Interessen verfolgen die unterschiedlichen Kommunikationsakteur*innen, wenn es darum geht, Kommunikationsinhalte zur Europäischen Kommission nach außen zu transportieren? Welchen Normen und Erwartungen sind sie dabei verpflichtet? Welche (sich überschneidenden bzw. differenten) Interessen der Akteur*innen in unterschiedlichen Konstellationen ermöglichen oder behindern Handlungsspielräume?

Nach dem Vorbild von Altides wird in der empirischen Umsetzung der Zielsetzungen dieser Arbeit daher speziell auf die Interessen der Kommunikationsakteur*innen („intentions“), welche durch gesellschaftliche Teilsysteme und Normen ihrer Institutionen/Organisationen geprägt werden, sowie ihre Handlungsspielräume („capabilities“) eingegangen (Altides 2009, 62) (siehe Kapitel 6.1.3).

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