• Nem Talált Eredményt

EU-Korrespondent*innenschaft

In document Publish or Perish? (Pldal 112-118)

6. Fallbeispiel: Das transnationale Zusammenspiel zwischen der Europäischen Kommission

6.2 Ausblick: Die Kommunikationsakteur*innen

6.2.3 EU-Korrespondent*innenschaft

Auslandskorrespondent*innen sind ein Beispiel für eine typische Kommunikationsinfrastruktur transnationaler Öffentlichkeiten. Die Literatur dazu ist speziell auf den EU-Raum bezogen und fand vor allem zu Beginn der 2000er Jahre ihren Ausgangspunkt (u. a. Baisnée 2002a; Baisnée 2002b). Aktuell hat das Forschungsinteresse an der Thematik stark nachgelassen, was unter anderem an einer immer geringer werdenden Anzahl an Korrespondent*innen in Brüssel liegen könnte. Was die österreichische EU-Korrespondent*innenschaft in Brüssel betrifft, so fehlen bislang überhaupt umfassende Studien.

Die generelle Anzahl der in Brüssel stationierten EU-Korrespondent*innen ist bis zum Jahr 2005 auf über 1000 Journalist*innen angestiegen. Im Vergleich dazu ist sie bis 2010 wieder auf an die 900 Journalist*innen zurückgegangen (Phillips 2010). Wessler und Brüggemann führen den Rückgang auf die ökonomische Krise der Medien, unter anderem bedingt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, sowie auf die Zunahme des PR-Materials der Institutionen zurück. Infolgedessen werden oft nur noch sogenannte

„Fallschirmjournalist*innen“ zu ausgewählten Ereignissen nach Brüssel entsandt. Wessler und Brüggemann deuten diesen Trend auch als Re-Provinzialisierung von Journalismus, was ebenso in den USA zu erkennen ist (Wessler & Brüggemann 2012, 82).

Bis 2014 erhöhte sich die Zahl der in Brüssel stationierten Korrespondent*innen wieder auf 1342 (siehe Tabelle 6.2_1). Während der Juncker-Präsidentschaft zwischen 2014 und 2019 fand eine weitere deutliche Abnahme der Anzahl der Korrespondent*innen statt: Diese reduzierten sich in allen Ländergruppen (EU-Länder, Europa ohne EU-Länder, Länder außerhalb Europas) um mindestens ein Drittel. Vor allem die Korrespondent*innen europäischer Medien von außerhalb der EU reduzierten sich überdurchschnittlich (Rückgang um 43,48 Prozent), was möglicherweise auch auf einen Bedeutungsverlust der EU-Erweiterungsagenden unter Juncker hinweist. Die Reduktion der Korrespondent*innen österreichischer Medien von 22 im Jahr 2014 auf 16 im Jahr 2019 liegt wiederum im Trend, wenn auch mit einem etwas niedrigeren Rückgang (27,27 Prozent). Auch die Brüssel-Korrespondent*innen der großen EU-Gründungsländer reduzierten sich diesem Trend entsprechend: Die Brüssel-Korrespondent*innen von Deutschland verringerten sich von 170 auf 103, die von Frankreich von 125 auf 91 sowie die von Italien von 113 auf 72. Die Türkei

gehört hingegen zu einem der wenigen Länder, deren Zahl an Korrespondent*innen sich erhöht hat (Zunahme von 40,00 Prozent) (European Commission 2020a).

Tabelle 6.2_1: In der Europäischen Kommission akkreditierte Korrespondent*innen (vgl. European Commission 2020a)

2014 2015 2016 2017 2018 2019

Österreich 22 17 18 19 16 16

EU-Länder 1145 906 875 847 809 764

Europa ohne EU-Länder 46 33 31 27 27 26

Länder außerhalb Europas 151 125 119 118 102 98

Gesamt 1342 1064 1025 992 938 888

Anmerkung: Türkei und Russland wurden den Ländern außerhalb Europas zugezählt.

Die deutliche Abnahme der EU-Korrespondent*innen in den letzten Jahren lenkt wiederum den Blick auf Hamilton und Jenner, die von einer Neudefinition von Korrespondent*innentätigkeiten sprechen und dabei – nach dem Motto „foreign news made local“ (Hamilton & Jenner 2004, 306) – auch den wissenschaftlichen Blick auf die lokale Berichterstattung mit grenzüberschreitenden Bezügen einfordern (Hamilton & Jenner 2004, 306). Für die EU-Institutionen in Brüssel nehmen EU-Korrespondent*innen aber eine wichtige Funktion ein: „correspondents represent a rare transnationally minded community of journalists who are acutely aware of the changing contexts of journalism and could possibly contribute to the ‘Europeanization’ of journalism” (Heikkilä & Kunelius 2008, 391). Lecheler und Hinrichsen betonen vor allem die spezielle Position von Korrespondent*innen, die zwischen der nationalen und der EU-Sphäre angesiedelt ist: „wedged between complex European issues and national public spheres” (Lecheler & Hinrichsen 2010, 74). Sie sprechen daher auch von einem eigenen Typ von Politik-Journalist*innen, der sich von traditionellen Auslandskorrespondent*innen unterscheide, weil die Politikprozesse, über die EU-Korrespondent*innen Berichterstattung leisten, die eigenen Herkunftsländer auch konkret betreffen (Lecheler & Hinrichsen 2010, 74).

Deirdre, der eine Befragung von EU-Korrespondent*innen ausgewählter europäischer Länder zusammenfasst, beschreibt zwei widersprechende Komponenten im Brüsseler Arbeitsalltag:

Die Korrespondent*innentätigkeit wird als ein herausfordernder und oft prestigeträchtiger Job in einer interessanten beruflichen Umgebung beschrieben. Zugleich werden jedoch auch komplizierte, technische und oft langweilige Inhalte kritisiert, die der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln sind. Aufgrund der Komplexität und inhaltlichen Vielfältigkeit der Materien, mit

denen Korrespondent*innen zu tun haben, stellt Deirdre vorrangig Generalist*innen unter den Brüsseler Korrespondent*innen und weniger Spezialist*innen fest (Deirdre 2007, 197).

Trenz ortet Routine-Ereignisse als wesentliche Tätigkeiten im Alltag der EU-Korrespondent*innen, welche deren journalistische Arbeit strukturieren (Trenz 2006, 207).

Dazu gehört das tägliche Midday Briefing mit der Möglichkeit, „On-the-record“-Zitate zu erhalten, direkt im Hauptgebäude der Europäischen Kommission oder via Video Stream. Im Anschluss daran folgen meist technische Briefings, bei denen sich die Korrespondent*innen weniger formell mit den Sprecher*innen austauschen können und mitunter „Off-the-record“-Hintergrundinformationen erhalten (Lloyd & Marconi 2014, 23–24).

Zu den Charakteristika der EU-Korrespondent*innen und deren Art der Aufgabenerfüllung sind in der Literatur unterschiedliche Befunde zu finden: Über das Ausmaß an nationale Grenzen überschreitender Vernetzungen des Brüsseler Pressecorps untereinander herrscht Uneinigkeit. Was deren EU-Freundlichkeit bzw. EU-Kritik oder EU-Skepsis betrifft, ist unter anderem auch von einer historischen Entwicklung von einem traditionell eher missionarisch-pädagogischen Ansatz mit einer klar pro-europäischen Agenda zu einer kritischeren Haltung gegenüber den EU-Institutionen und ihren Akteur*innen die Rede (Meyer 2003, 239; AIM Research Consortium 2007; Wessler & Brüggemann 2012, 82). Auf eine zunehmend den Institutionen kritisch gegenüberstehende und investigativ arbeitende Gruppe an EU-Korrespondent*innen ist auch die Aufdeckung des Korruptionsfalls der französischen Kommissarin Édith Cresson zurückzuführen. Investigative Recherchen speziell der EU-Korrespondent*innen führten daraufhin zum Rücktritt der Santer-Kommission im Jahr 1999.

Auf der anderen Seite ortet Meyer Korrespondent*innen, die sich ausschließlich von nationalen Quellen leiten lassen – aus Bequemlichkeit oder Rücksichtnahme auf nationale Befindlichkeiten – und die EU-Institutionen für unpopuläre Maßnahmen verantwortlich machen (Meyer 2003, 242–243).

Hummel fasst auf Grundlage der Arbeiten von Baisnée (2000) und Siapera (2000) drei wesentliche Ausprägungen des journalistischen Berufsrollenverständnisses der Korrespondent*innen zusammen. Sie zeigen unterschiedliche Zugänge zur EU-Korrespondent*innentätigkeit auf, wobei hinzugefügt werden muss, dass diese Typologisierung nach den EU-Erweiterungsrunden von 2005 und 2007, der Finanz- und

Wirtschaftskrise bzw. nach dem Brexit möglicherweise eine Aktualisierung bzw.

Differenzierung braucht (vgl. Hummel 2006, 297–298):

 institutionelle Berichterstattung: Chronist*innen aktueller Ereignisse auf EU-Ebene mit einem profunden Sachwissen, die regelmäßig Pressekonferenzen als Teil des journalistischen Rituals besuchen. Sie stehen anderen Korrespondent*innen gegenüber in keinem Konkurrenzverhältnis, da sie nur allgemein zugängliches Material aufarbeiten. Im Laufe der Zeit bilden sie freundschaftlich-symbiotische Verhältnisse zu EU-Beamt*innen und Politiker*innen aus und fühlen sich zunehmend als sogenannte „Assoziierte“ des EU-Apparats.

 analytisch-investigative Berichterstattung: Diese Korrespondent*innengruppe ist jünger als ihre institutionellen Kolleg*innen. Sie versuchen vorrangig, an Insider-Informationen heranzukommen, und verhalten sich im Korrespondent*innenvergleich wettbewerbsorientierter. Aufgrund der Komplexität der EU-Themen nehmen sie jedoch auch keine klare Rolle als Einzelkämpfer*innen ein.

 Berichterstattung mit nationalem Hintergrund: Korrespondent*innen, die dieser Gruppe zuzuordnen sind, gehen vergleichsweise nur für kurze Zeit nach Brüssel. Sie sind daher auch weniger informiert über EU-Themen und weniger gut sozial integriert in der sogenannten „EU-Bubble“.

Weitere Differenzierungen der Korrespondent*innen werden unter anderem den Herkunftsländern und den dortigen vorherrschenden Haltungen der EU gegenüber zugeschrieben (Lloyd & Marconi 2014, 38). Einerseits werden Verschiedenheiten zwischen kleinen und größeren EU-Ländern, zwischen sogenannten „nordischen“ und „mediterranen“

Journalismus-Kulturen und andererseits auch zwischen Journalist*innen aus unterschiedlichen Medienunternehmen festgestellt. Diese Eigenschaften zeigen auch Auswirkungen auf den jeweiligen Status und die Privilegien der Korrespondent*innen (Deirdre 2007, 197–199), wobei vor allem Journalist*innen aus kleineren EU-Ländern gegenüber den EU-Institutionen Nachteile zugesprochen werden (Lecheler 2008, 443). Auch die abweichende Rolle der britischen Korrespondent*innen in Brüssel wird häufig hervorgestrichen, die dazu beitragen, während der Pressebriefings eine Konkurrenz-Atmosphäre zu schaffen (Lloyd &

Marconi 2014, 26). Den Korrespondent*innen aus neueren EU-Mitgliedsländern wird wiederum eine Neudefinition des Brüsseler Pressecorps attestiert (Lecheler & Hinrichsen

2010, 74). Cornias Analyse der italienischen EU-Korrespondent*innen in Brüssel zeigte Adaptionen ihrer Arbeitskultur an die Spezifitäten der EU, die Entwicklung einer eurozentristischen Nachrichtenperspektive, die Aneignung neuer Rechercheroutinen und Tendenzen zu weniger stark meinungsbetonter und mehr faktenbetonter Berichterstattung.

Die Analysen ergeben jedoch keine völlige Veränderung eingelernter Arbeitsroutinen (Cornia 2010, 366). Inwiefern unterschiedliche Renationalisierungstendenzen auch Auswirkungen auf die Berichterstattung der Korrespondent*innen unterschiedlicher Ländergruppen bzw. in der Folge auch auf Korrespondent*innen-Kooperationen und das Brüsseler Pressecorps als Ganzes zeigen, bleibt in der Literatur bislang noch offen.

Zugleich werden auch Befunde gemacht, welche die EU-Korrespondent*innen weitgehend einen: Im Bereich des EU-Journalismus tätig zu sein, heißt zugleich, mit einer steigenden Informationsflut und mit vielen unterschiedlichen Akteur*innen konfrontiert zu sein, was zu einer großen Unübersichtlichkeit führt. Die Korrespondent*innen stoßen darüber hinaus häufig auf Schwierigkeiten, ihre Heimatredaktionen vom Nachrichtenwert europäischer Themen zu überzeugen und dorthin ihre Berichte zu „verkaufen“ (Hahn, Rosenwerth &

Schröder 2006, 286–287). Deirdre nennt folgende Faktoren, welche die Arbeit der EU-Korrespondent*innen beeinflussen: das Engagement und Interesse an EU-Themen in den nationalen Herkunftsredaktionen, welche die Medien-Agenda bestimmen, sowie Beziehungen der Korrespondent*innen zur Herkunftsredaktion und ihre Einschätzung des Medienpublikums. Eine bestimmende Rolle wird auch persönlichen Merkmalen und Erfahrungen der Korrespondent*innen, ihrer Ressourcenausstattung sowie Kooperationen mit Korrespondent*innen anderer Länder und internationalen Netzwerken, die über die eigene Sichtweise hinausgehen, attestiert. Weiters mache es einen Unterschied, ob Korrespondent*innen in der Lage sind, neben der Berücksichtigung der formellen EU-Kommunikation auch an informelle Hintergrundinformationen heranzukommen (Deirdre 2007, 197–199).

Neuere Forschungen wie jene von Lloyd und Marconi stellen eine zunehmend skeptischere, mitunter auch aggressive Haltung der Korrespondent*innen gegenüber der PR der EU-Institutionen fest. Sie konstatieren speziell rund um die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 einen wachsenden Kampf zwischen Korrespondent*innen und der PR der Europäischen Kommission, vor allem auch bedingt durch die Art der Kommunikation der Europäischen

Kommission, die während dieser Zeit vorherrschte: „a relationship which is combative, and which can lead to mutual disappointment” (Lloyd & Marconi 2014, 29). Die Beschwerden der Korrespondent*innen richteten sich vor allem auf die defensive Haltung der PR der Europäischen Kommission, deren Krisenkommunikation mitunter nicht über die neuesten Informationen verfügte, was Auswirkungen auf die Vertrauensbeziehung zu den Pressesprecher*innen zeigte. Zugleich fühlten sich die Korrespondent*innen als Opfer unterschiedlicher PR-Stränge während dieser Zeit – von Seiten nationaler Politiker*innen, der führenden EU-Politiker*innen, der PR der EU-Institutionen sowie anderen Kommunikator*innen in Brüssel –, was ihre Arbeit verkomplizierte (Lloyd & Marconi 2014, 29–

31). Insgesamt stellen Lloyd und Marconi fest, dass die Krise Journalist*innen in Brüssel dazu gezwungen hat, neue Fähigkeiten und ein weiteres Verständnis von EU-Politik zu erarbeiten:

„grasping the complexity of the EU story without getting lost in technicalities“ (Lloyd &

Marconi 2014, 43).

III EMPIRISCHER TEIL

7. ANMERKUNGEN ZUR ANALYSE POLITISCHER KOMMUNIKATION IN

In document Publish or Perish? (Pldal 112-118)