• Nem Talált Eredményt

11. Das ‘Deutsche Programm’ im Ungarischen Hörfunk (MR – Magyar Rádió)

11.2. Deutsche Sendungen im Regionalstudio in Fünfkirchen/Pécs

11.2.3. Die Konsolidierung in den 70er, 80er Jahren

Nach 1968 wandte sich die Partei in ihrer Nationalitätenpolitik von der Automatismusthese ab. In der Gesellschaft wurden die Stimmen immer pluralistischer und die Medien versuchten, diese beaufsichtigte Vielfalt wiederzugeben. Durch die technischen Errungenschaften und durch einen gewissen bescheidenen Wohlstand erhielt die Massenkommunikation viel mehr Aufmerksamkeit: sowohl die Partei, als auch Organe der Regierung erkannten ihre Wichtigkeit.348

Das Politbüro bewertete im Juni 1965 die Situation der Medien und der Öffentlichkeit seit Ende der 50er Jahre und führte Neuerungen in der Medien- und Öffentlichkeitspolitik durch.349 Die Partei entschied sich in der Informationspolitik für eine Öffnung und befand, dass die Gesellschaft im weiteren Sinne besser und gründlicher informiert werden sollte. Nach der Niederschlagung der 56er Revolution                                                                                                                

348 „Die Mittel der Massenkommunikation wirken heute nicht nur stark bei der Formung des Bewusstseins, der Vermittlung der Informationen, sondern auch bei der Entwicklung der Menschen und der Sprache einer Gemeinschaft. Die Bedürfnisse des modernen Hörfunks und Fernsehens werden von den jetzigen Nationalitätenprogrammen oder von den Sendungen, die über sie produziert werden, nicht mehr befriedigt. Die Einführung eines landesweiten ungarndeutschen Hörfunkprogramms und ein entsprechend regelmäßig ausgestrahlten TV-Programms werden in letzter Zeit immer stärker von der deutschsprachigen Bevölkerung verlangt.” Miklós Klotz: Zur Situation der deutschen Nationalitätenbildung zwischen 1973–1977. Ungarisches Staatsarchiv - MOL, XXVIII-M-4, 1059.

Schachtel., Dokumente der Patriotischen Volksfront (Hazafias Népfront) „A tömegkommunikációs eszközök hatása ma nemcsak a tudatformálásban, információközvetítésben óriási, hanem az emberek, egy-egy közösség nyelvi fejlődésében is. A korszerű rádiózás és televíziózás igényeit a jelenlegi nemzetiségi vagy a nemzetiségekről szóló műsorok már nem elégítik ki. Egy országosan is hallgatható német nemzetiségi rádióadás és megfelelő időközökben sugárzott állandó, anyanyelvű TV-műsor bevezetését az utóbbi időben egyre erőteljesebben igényli a németajkú lakosság.”  

349 Cseh et al. (2004)  

und den darauffolgenden Jahren der Abrechnung folgte eine Periode der Aussöhnung.

Die innenpolitische Lage beruhigte sich, doch das Informationsmonopol der staatlichen Medien bestand weiter, die Parteileitung behielt sich das Recht vor, über Inhalt und Form der Informationen zu entscheiden, diese zu kommentieren und in einen Kontext zu setzen. Doch die Gesellschaft war nicht mehr mit der geschaffenen Öffentlichkeit der Partei zufriedenzustellen.350 Durch die Auflockerung der Strukturen verbreiteten sich inoffizielle Informationen, die strenge Aufsicht über Informationen war immer weniger möglich. Nicht nur in der Gesellschaft kam es zu Änderungen, ebenso änderte sich die Wirtschaftspolitik der Partei: die Einführung des neuen Wirtschaftsmechanismus (Új Gazdasági Mechanizmus) 1968 verlangte ebenso ein Umdenken in der Öffentlichkeits- und Medienpolitik. Durch die bessere Versorgung des Publikums mit Informationen versprach sich die Parteileitung eine vollständige Einbindung der Bürger in die Gesellschaft. Die aufgelockerte Informationspolitik entsprach aber den Ansprüchen der Bevölkerung nur teilweise. Es entstand eine sogenannte „halbe” oder „begrenzte” Öffentlichkeit351, die durch die Bestimmung von Tabus festlegte, welche Themen nicht diskutiert werden durften. Die Voraussetzung für die Teilnahme am öffentlichen Diskurs war die Akzeptanz der aufgestellten Regeln. Die Medien beteiligten sich Ende der 60er Jahre an der Weiterleitung von Meldungen an die Parteileitung und übernahmen damit teilweise eine Vermittlerrolle.

Die Parteikontrolle sah wiederum ein, dass bei der Informierung der Öffentlichkeit Zugeständnisse und eine Öffnung gemacht werden müssten. Dazu gehörten Sendungen, die der Unterhaltung und Information dienten.352 Die Auswahl der Wochen- und Monatszeitschriften wuchs, die Sendezeiten des Hörfunks und des Fernsehens wurden erweitert.

Durch die neue Nationalitätenpolitik der Partei kam es auch zu wesentlichen Veränderungen im Leben der Ungarndeutschen. Neue Kulturgruppen wurden gegründet, die Zahl der Schulklassen erweitert, in denen Deutsch unterrichtet wurde.

Die Minderheitenthematik wurde auch von den ungarischen Programmen aufgegriffen, die Vorstellung der Kulturgruppen, Aufzeichnung und Ausstrahlung von                                                                                                                

350 Takács (2008)  

351 Angelusz (1992)  

352 Zahlreiche Magazin- und Serviceprogramme starteten in den 60ern, wie ’Chronik am Morgen’

(Reggeli krónika) 1965, ’Csúcsforgalom’ (Hauptverkehr) 1967, ’Szombat délelőtt’ (Samstagvormittag) 1973. A Magyar Rádió története,

http://mek.oszk.hu/02100/02185/html/504.htmlhttp://mek.oszk.hu/02100/02185/html/504.html (Stand:

09.12.2014)  

Volksmusikfestivals gehörten nun zu den Aufgaben der Sendungen, genauso wie die Zusammenarbeit mit den Kollegen der ungarischsprachigen Redaktionen. Zur Öffnung, Dezentralisierung, zum Ausbau der „sozialistischen Demokratie”353 gehörte auch der Ausbau der Regionalstudios. Die örtlichen Strukturen gewannen wirtschaftlich und gesellschaftlich an Bedeutung, die Kommunikation und Propaganda sollten vor Ort erfolgen. Man plante die weitere Dezentralisation der Kultur und die bessere Versorgung der zentralen Programme in Budapest mit Themen und Informationen vom Lande. Dazu waren bessere Konditionen bei der Ausstattung der Regionalstudios nötig. Der Ungarische Rundfunk strahlte in seinen Regionalstudios in Pécs, Miskolc, Győr, Szolnok und Nyíregyháza täglich eine Stunde in ungarischer Sprache aus, und das Studio in Pécs produzierte täglich zweimal Sendungen mit dreißig Minuten in Deutsch und Serbokroatisch. In der Minderheitenpolitik eröffneten sich neue Möglichkeiten, neue Themen und Inhalte kamen auf die Tagesordnung. Die Arbeit der Redakteure spiegelte die Vielschichtigkeit der Veränderungen in der Gesellschaft wider.

Die Programmpolitik des Rundfunks blieb dennoch weitgehend den vorgegebenen Themen der Partei angepasst. Die Abkehr von der Automatismusthese in der Nationalitätenpolitik brachte auch für die Minderheitenprogramme schrittweise inhaltliche Veränderungen mit sich.354

Die Zahl der Redakteure blieb bis 1970 gleich, erst in diesem Jahr wurde eine dritte Planstelle der Redaktion zur Verfügung gestellt. In die Redaktion des Pécser Rundfunks kamen neue Mitarbeiter, 1967 Wilhelm Graf, 1968 Peter Leipold und 1970 Lorenz Kerner. Sie bekamen immer mehr Freiheit bei der Gestaltung ihrer Programme und wandten sich den Angelegenheiten und Interessen der Ungarndeutschen zu. Die Kontrolle war weniger spürbar. „Jeden Montagmorgen war eine sogenannte Redaktionskonferenz, (…) wo ausführlich die Programme der vergangenen Woche ein bisschen bewertet werden mussten. Früher gab es noch den                                                                                                                

353 Vorschlag über die Entwicklung der Regionalstudios von MRT (Előterjesztés az MRT vidéki studióinak fejlesztéséről) vom 18.09.1971. Archiv des Ungarischen Rundfunks. Ohne Signatur.

Ungarischer Rundfunk und Fernsehen (Magyar Rádió és Televízió) gegründet am 18.08.1957 und beinhaltete beide Institutionen, wurde im Oktober 1974, aufgespalten in MR (Ungarischer Hörfunk) und MTV (Ungarisches Fernsehen)  

354 „Denn im Zeitraum von 1968 bis Anfang der 1980er Jahre konzentrierte die ungarische Nationalitätenpolitik alle ihre Anstrengungen darauf, die schulischen und übrigen, den Minderheiten gewidmeten Kultureinrichtungen zahlenmäßig auszuweiten, ohne jedoch vorher eine lokal orientierte Bedarfseinschätzung sowie eine Überprüfung der personellen und anderer infrastrukturellen Voraussetzungen vorzunehmen.” Seewann ( 2012:392)  

Vorbericht, aber das war noch in den Anfangsjahren, so nach 1956 bis Mitte der sechziger Jahre konnte es gewesen sein. (…) Es hat sich herausgestellt, dass niemand diese Berichte gelesen hat, keinen hat es interessiert. Wir haben dann einen sogenannten Führungsplan in ungarischer Sprache geschrieben, damit die Buchhalterin weiß, an wen bestimmte Honorare überwiesen werden mussten.”355 Die Redakteure wurden teilweise sich selbst überlassen, bekamen aber ebenso wenig wie die vorherige Generation Anweisung darüber, wie das Programm gestaltet werden sollte. Wie auch am Anfang, wurde alles von den Redakteuren selbst bestimmt.356 Die Aufgaben gaben sich die Redakteure selbst, für das Hörfunkstudio und auch das deutsche Programm änderte sich die Struktur der Aufsicht nicht. Obwohl die Redakteure von Anfang an in einem gewissen Rahmen selbst über Inhalte, Schwerpunkte, Beiträge, Musikstücke entscheiden durften, Vorgaben der Rundfunk- und Studioleitung mussten eingehalten werden. Die enge Führung lockerte sich und es lag an den Redakteuren, für sich selbst einen Arbeitsrahmen zu schaffen. 1981, zum 25. Jährigen Jubiläum, formulierte Lorenz Kerner die Aufgaben des Hörfunks folgenderweise: erstens Information und Orientierung, zweitens Pflege, Bewahrung und Förderung der Muttersprache und des kulturellen Erbes und drittens Unterhaltung. „(Es) muss unbedingt betont werden, daß die deutschsprachigen Rundfunksendungen integrierter Teil des breiten Informationsstromes des Ungarischen Rundfunks und Fernsehens sowie der Presse sind.”357

Die Popularität der Redaktion in der Region wuchs unter den deutschsprachigen Zuhörern. Nicht zuletzt wegen der wachsenden Vielfalt der Themen. Die Redaktion wurde zu einem Treffpunkt. Die Redakteure wurden zu persönlichen Bekannten der Zuhörer und zu Familienfesten eingeladen, beschenkt, zu Rate gezogen. Quantitativ sprach die Zahl der Briefe und Postkarten, die an die Redaktion verschickt wurden, am allerdeutlichsten. Die Redaktion erhielt an die elf- bis zwölftausend Briefe pro Jahr, 1974 waren es über fünfzehntausend.358 Im                                                                                                                

355 Gespräch mit Lorenz Kerner, s. Anhang  

356 „Direkt gesagt, was wir machen sollen (...) für die Nationalitätenprogramme gab es keine Aufgaben. Keine formulierte Aufgabe. Es hieß, unsere Aufgabe ist dasselbe, das Leben und die Arbeit in Ungarn darzustellen. (...) Ich glaube, wir haben uns eher selbst mit unseren Fragen auch die Aufgaben gestellt, wo wir auch immer waren, haben wir die Leute gefragt, worüber sie gerne hören und so hat es sich herauskristallisiert.” Ebd.  

357 „25 Jahre ungarndeutsche Rundfunkprogramme” von Lorenz Kerner, ’Deutscher Kalender’ 1981, S. 67.  

358 „Diese Sendung gehört uns...”, von Lorenz Kerner, ’Deutscher Kalender’ 1976, S. 247  

‘Deutschen Kalender’ 1981 berichtete der damalige Redaktionsleiter, Lorenz Kerner, über fünfzehn- bis achtzehntausend Hörerzuschriften pro Jahr. Bis zu dieser Zeit etablierte sich das Programm in Südtransdanubien und bildete einen integrierten Teil der Radiolandschaft. Das deutsche Rundfunkprogramm zu hören, war mit keinem großen finanziellen oder politischen Opfer verbunden. Das Radiohören bewahrte die Anonymität der Mitglieder der Gruppe. Der Verbreitung und der Popularität des Programms stand deswegen nichts im Wege. Die Minderheitenredaktionen hatten nicht nur journalistische Aufgaben zu versehen. Sie waren Anlaufstelle von Interessenten, die Journalisten waren Aktivisten – nicht nur durch ihre Einbeziehung in die Arbeit des Verbandes. Anfang der 80er Jahre beteiligte sich die Redaktion an Kulturaustauschprogrammen, die deutschen Musikkapellen und Tanzgruppen aus Ungarn nach Österreich oder in die BRD zu reisen ermöglichten, die Mitarbeiter der Redaktion waren Mitgestalter von Ausstellungen, Lesungen und Schwabenbällen. Sie waren durch ihre Bekanntheit, Aktivitäten und die Informationen, die in die Redaktion flossen, an der Gründung von Kulturgruppen und an Deutschklubs und dem ersten Nationalitätenverein in Pécs maßgeblich beteiligt.

Ab dem 1. Juli 1978 wurden die Nationalitätensendungen landesweit im Dritten Programm ausgestrahlt. Am Samstag begannen sie um eine halbe, am Sonntag um eine Stunde früher.359 Doch die landesweite Sendung konnte sich nicht richtig etablieren. Dieses Programm startete landesweit erst zweiundzwanzig Jahre nach dem Regionalprogramm, eine ganze Generation später, und konnte nicht mehr die gleiche Stellung im Tagesablauf der Radiohörer einnehmen. Ende der 70er Jahre verfügte die Hörerschaft bereits über ein weit größeres Angebot auf Ungarisch. Das deutsche Programm kam einfach zu spät. Bis dahin blieb Ungarisch die Kommunikationssprache im überwiegenden Teil der Gruppe. Die Redaktion konzentrierte sich durch ihre geographische Lage und ihre finanzielle und technische Situation in ihren Themen mehr auf den Süden. Das beweist die Erhebung von Knipf und Erb über die ungarndeutschen Medien 1996. „Unter den Massenmedien bilden die Rundfunksendungen bei den Ungarndeutschen die Schlusslichter, sie liegen nämlich auf einer Popularitätsliste ganz hinten. (…) Diese negative Einstellung dem Rundfunk gegenüber ist typisch für Gebiet A. (Budapest und Umgebung) Hauptursache dafür könnte die deutliche Unterrepräsentiertheit der ungarndeutschen                                                                                                                

359 Lévai (1980:523)  

Radiosendungen in der Umgebung von Budapest sein. (…) Diese traurige Bilanz ist auch der Tatsache zu verdanken, dass man die Sendung aus Pécs/Fünfkirchen am Anfang nur bis zur Plattensee-Gegend empfangen konnte und ihre Existenz sich nicht im Bewusstsein der heute ältesten, mundartfesteren Generation in der nördlichen Gegend, wo sie jetzt schon landesweit ausgestrahlt wird, festsetzte.”360 Die landesweite Sendung bedeutete trotz ihrer geringen Wirkung einen weiteren Schritt im Ausbau eines vollständigen Medienangebotes. Durch sie fand die Redaktion auch einen landesweiten Anschluss und konnte durch ihre Programme die verschiedenen kulturellen, literarischen Aktionen in ganz Ungarn bekannt machen. Obwohl die landesweite deutschsprachige Sendung sich nicht zu einem wichtigen Kommunikationsmittel der deutschen Bevölkerung entwickelte, konnten die Errungenschaften des Regionalprogrammes nicht abgestritten werden. „Die bloße Tatsache, dass der Rundfunk in der gesprochenen Sprache, in der von jedem verstehbaren Sprache die Leute angesprochen hat, so gesungen hat, (…) er ist die führende Institution, das sogenannte Leitmedium, weil er täglich die Leute erreicht.”361 Im Gegensatz zu den regional gut etablierten serbokroatischen und deutschen Programmen waren die Landessendungen von den Interessenvertretungen der Minderheiten verlangt, aber nicht richtig mitaufgebaut und unterstützt worden.

Kerner schrieb schon 1980 an den Intendanten des Ungarischen Hörfunks, dass die Landessendungen nur formell produziert würden, ohne richtige Rückmeldung. Er beklagte die schlechten Sendezeiten und dass die Programme auf UKW ausgestrahlt wurden. Grund zur Beschwerde gab die Tatsache, dass zu der damaligen Zeit nur wenige über moderne Geräte mit UKW-Empfang verfügten.362

Als Aufgabe des Rundfunks beschrieb Lorenz Kerner, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, ihre Ängste abzubauen. Während seiner Laufbahn gab es noch in den 70er Jahren solche Chöre, die bei einer Radioaufnahme um Kontrolle ihrer Liedertexte baten, denn sie wollten keine politischen Fehler begehen. Trotz der Auflockerung des Arbeitsklimas innerhalb des Regionalstudios war es den

                                                                                                               

360 Knipf-Erb (1996:32)  

361 Gespräch mit Lorenz Kerner, S. Anhang  

362 Brief von Lorenz Kerner an József Bocz, dem Intendanten von MR- Ungarischer Rundfunk, vom 22. November 1980. Archiv des Ungarischen Hörfunks. Ohne Signatur.

Die meisten Radiogeräte konnten nur Kurzwelle und Mittelwelle empfangen. Geräte die auch Ultrakurzwelle empfangen konnten, waren noch selten.  

Journalisten immer noch bewusst, unter welchen Umständen sie arbeiten mussten.363 Die Ausbildung in der Journalistenschule und ebenso die praktische Arbeit in den Redaktionen der vergangenen Jahrzehnte haben ihr Ziel im Leben der Redaktion erreicht, die neuen Generationen der Journalisten verinnerlichten den Ablauf der redaktionellen Arbeit des Studios. „Bei uns ist das Ungarndeutschtum zu Wort gekommen, wir waren das Sprachrohr der Ungarndeutschen und ich glaube, es ist immer sicherlich von den Möglichkeiten oder von den gebotenen oder erlaubten Möglichkeiten, von den erlaubten Grenzen abhängig, was man machen kann.

Natürlich sind wir nicht hingegangen und haben gegen uns gearbeitet, dann hätten wir ja diese großartige Möglichkeit zusperren lassen.”364

Neben der immer offener geäußerten Stimmung wurde die Redaktion auch zu einer Anlaufstelle junger Akademiker. Der deutsche Lehrstuhl der Pädagogischen Hochschule – an der auch der ehemalige Hörfunkjournalist Béla Szende tätig war – ermutigte die Studierenden, an der Arbeit des Programms teilzunehmen. Martha Stangl, spätere Fernsehredakteurin, Elisabeth Knipf, heute Professorin der Germanistik, Josef Reil, später Fernsehredakteur, Árpád Hetényi, Rundfunkredakteur in Budapest, sie alle waren in ihren Hochschuljahren in die Arbeit der Redaktion eingebunden. Die Kontrolle wurde zwar immer schwächer, bestand aber auch noch in den 80er Jahren. Es war schwer, das Vertrauen der deutschsprachigen Bevölkerung zu gewinnen. „Unsere Leute, muss ich schon sagen, waren sehr-sehr schwer oder gar nicht bis Mitte der 80er Jahre dafür zu gewinnen, kritische Sachen zu machen, die Leute haben Angst gehabt, warum sollen gerade wir sie kritisieren?”365

Die Einstellung der ungarndeutschen Minderheit, die Rückmeldungen aus der Hörerschaft, der Bewegungsraum der Redaktion beeinflussten den Inhalt der Sendungen. Ihr beliebtester Teil war die Musik, besonders die Wunschsendung, in der man Lieder- und Musikwünsche erfüllte. Diese Sendungen trugen dazu bei, dass sich die Angst, öffentlich deutsch zu sprechen, mit der Zeit verminderte. Am Anfang war

                                                                                                               

363 „Die ersten fünf Minuten musste man das Gerät gar nicht einschalten, das wäre lächerlich gewesen.

Man musste das sogenannte Tagesgebet, das für den Tag vorgeschriebene Tagesgebet, das jedem Journalist aus dem Aus- und Inland vorgeschrieben wurde: unsere Deutsche Demokratische DDR, unsere politische Leitung, unser Staatspräsident usw. und dann konnte man erst Fragen stellen.”

Gespräch mit Lorenz Kerner S. Anhang, über seine Zeit als Korrespondent in Ost-Berlin für den Ungarischen Rundfunk.  

364 Ebd.  

365 Ebd.  

die ländliche Bevölkerung sehr zurückhaltend, viele waren nicht einmal nach langem Bitten bereit, vor dem Mikrofon etwas zu sagen.366

Das Radio erwies sich als ein einfaches Medium bei seiner Nutzung. Die Mundarten der verschiedenen Dörfer wurden ja durch Ungarisch als Kommunikationssprache abgelöst. Dialekte konnten nur fonetisch geschrieben werden, deswegen funktionierten sie nicht als Schriftsprache. Aber im Hörfunk, wo gesprochen wurde, gewann die Sprache der Ungarndeutschen an Bedeutung, besaß einen hohen Grad der Identifizierung. Deren Beiträge in der Mundart, oder der Dialektgebrauch der Redakteure halfen die eigene Kultur und Sprache anzuerkennen und sie gleichzeitig – als eine Sprache, die man im Radio hören konnte – aufzuwerten.

Die Arbeit in der Redaktion erfuhr nicht nur quantitative Änderungen – die Sendezeit wurde Anfang der 70er Jahre erhöht –, sondern mit der dritten Planstelle und der Einstellung Lorenz Kerners konnte auch eine qualitativ bessere Arbeit geleistet werden. Doch die Arbeitsbelastung, das breite Spektrum der Tätigkeiten (Reporter, Moderator, Musikredakteur, Redakteur, Sekretärin) änderten sich nicht zufriedenstellend. Der Studioleiter Dr. József Borsos behauptete 1973 in seinem Bericht über die Nationalitätensendungen, dass die Umstände der Arbeit teilweise denen der ungarischen Redaktion entsprachen.367 Schwierigkeiten bereitete es nach Borsos, für die Redakteure entsprechende Interviewpartner zu finden oder die Aufgaben eines Musikredakteurs zu versehen. Die Aufgaben der Mitarbeiter der Minderheitenredaktionen waren vielfältig: neben der allgemeinen redaktionellen Arbeit – Zusammenstellung von Sendungen, Verfertigung von Beiträgen – mussten auch die Übersetzungen, die Zusammenstellung und Aufnahme der Musik, Erledigung der Korrespondenz übernommen.368 Die Belastung war erheblich größer                                                                                                                

366 Diplomarbeit von Lorenz Kerner  

367 Der finanzielle Rahmen für freie Mitarbeiter, die zur Verfügung gestellte Menge der Tonträgerbänder usw. Bericht über die Nationalitätensendungen des Pécser Studios des Ungarischen Rundfunks, von Dr. József Borsos, Studioleiter des Pécser Studios des MR, Pécs, vom 1.Februar 1973, aus der privaten Sammlung von Stipan Filakovity, Redakteur des serbokroatischen Programms von 1957–1980.  

368 Beschreibung der Verpflichtungen am Arbeitsplatz beim Pécser Studio des Ungarischen Hörfunks von Dr. József Borsos, Pécs, vom 1. Juni 1972, aus der privaten Sammlung von Stipan Filakovity, Redakteur des serbokroatischen Programms von 1957–1980. S. Anhang Nr. 11. Demnach war ein Redakteur in der ungarischen Sendung verpflichtet zehn Sendungen zusammenzustellen und acht Beiträge monatlich zu verfassen, dafür der Leiter des serbokroatischen oder des deutschen Programms die Zusammenstellung von zwölf Sendungen und die Verfertigung von 8 Beiträgen. Nebenbei stand den ungarischen Redakteuren zusätzlich ein Musikredakteur und Assistenz zur Verfügung.  

und konnte mit der Arbeit der Journalisten anderer ungarischer Redaktionen nicht verglichen werden.

Die Veränderung in der Nationalitätenpolitik bedeutete teilweise auch eine Umgestaltung der Arbeit der Redaktion. Die Zielsetzung des Programms in den 70er Jahren:

- Information der Nationalitätenbevölkerung über die wichtigen politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Ereignisse der Region.

- Die Vorstellung des Lebens der Nationalitäten.

- Mobilisierung, um die Ziele der Partei, des Staates und der Regierung zu verwirklichen.

- Unterstützung der Nationalitätenangehörigen bei der Entwicklung ihrer Kultur - Pflege und Bewahrung der Sprache.

- Unterhaltung mit eigener Musik.369

Die Verbesserungen der Arbeitsverhältnisse und der Ausbau der technischen Ausrüstung im Regionalstudio ermöglichten eine Annäherung an Budapest und eine verbesserte Kommunikation mit anderen Landesteilen. Die deutsche Redaktion wurde in die Arbeit des Verbandes eingebunden, arbeitete mit den Kollegen aus der ‘Neuen Zeitung’, später auch mit dem deutschen Programm des Regionalstudios des

‘Ungarischen Fernsehens’ zusammen. Nach der Auffassung von Lorenz Kerner war

„die Aufgabe der ungarndeutschen Journalisten auch eine Vertreterrolle, da die Volksgruppe über keine Interessenvertretung verfügte. Der Demokratische Verband war eher eine Dachorganisation zur Organisation von Kulturprogrammen, aber keine richtige Vertretung, die sich äußern konnte, wenn es Probleme gab.”370

Vom Ausbau der Regionalstudios profitierten auch die Nationalitätenredaktionen. Sie zogen in ein neues Redaktionszimmer, bekamen eine dritte Planstelle und auch einen PKW zur gemeinsamen Nutzung. Im Studio waren

Vom Ausbau der Regionalstudios profitierten auch die Nationalitätenredaktionen. Sie zogen in ein neues Redaktionszimmer, bekamen eine dritte Planstelle und auch einen PKW zur gemeinsamen Nutzung. Im Studio waren