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Die IT-Auffassung von Julia Kristeva

In document Roberta V . Rada (Pldal 20-23)

2.1 Die „radikale“ Sicht: Intertextualität als texttheoretische Größe

2.1.1 Die IT-Auffassung von Julia Kristeva

Dieses Konzept entstammt der literaturwissenschaftlichen Diskussion der 60/70er Jahre des 20. Jahrhunderts und markiert ursprünglich eine vor allem in Frankreich und in den USA vertretene Position des Poststrukturalismus. Als wichtigste Vertrete-rin gilt Julia Kristeva, eine bulgarische aber seit 1965 in Paris lebende Literaturwis-senschaftlerin, Semiotikerin und Psychoanalytikerin. Die IT-Auffassung des radika-len Lagers ist im Rahmen eines Versuchs entwickelt worden, ein neues Verständnis von Literatur, Kultur, Gesellschaft und Subjekt zu entwickeln. Der Begriff IT ver-weist in diesem Kontext auf ein Konzept mit sehr komplexen Voraussetzungen, wie Philosophie (von Hegel), marxistisch-revolutionäre Haltung, Strukturalismus (Saus-surescher Prägung), Psychoanalyse (Freud und Lacan).6

6 Vertreter dieses radikalen Lagers sind neben Kristeva auch Roland Barthes, Michael Focault, Jac-ques Derrida, ausführlicher dazu vgl. Orosz (1997).

Kristeva entwickelt ihren Ansatz zur IT-Konzeption unter Rückgriff auf die Theorie der Dialogizität des russischen Literaturwissenschaftlers und Philosophen Michail Bachtin. Bachtin postulierte eine offene und polyphone Textauffassung und überprüfte sie an dialogischen Beziehungen in der literaturwissenschaftlichen Gat-tung Roman, dessen Held eine Kritik an der Ideologie und Politik des gesellschaft-lichen Systems übt. Er hatte den Begriff „Dialogizität” gewählt, um eine bestimmte Eigenschaft der Romane von Gogol und Dostojewski zu benennen. In dem Roman erklingen viele, teilweise einander widersprechende Stimmen, nämlich die des Au-tors und die der Romanfiguren gleichberechtigt nebeneinander. „Zudem sind beide Stimmen dialogisch aufeinander bezogen (…), sie führen ein Gespräch miteinander“

(Bachtin 1979, zit. n. Opiłowski 2006: 14-15, Fußn. 5.). Dialogische Texte stärken die kritische Kompetenz des Lesers, erziehen ihn zur Mündigkeit. Die Uneinheitlich-keit und Vielfalt sozialer Stimmen, die offene Auseinandersetzung mit divergieren-den Standpunkten, die versprachlicht werdivergieren-den, werdivergieren-den auch Polyphonie genannt. Dies äußert sich in dem Dialog zwischen ganzen Äußerungen, in der Vielfalt einzelner Stimmen, zwischen sozialen Redeweisen und Stilen. In Bachtins Theorie dominiert ein auf Beziehungen innerhalb des Textes gerichteter Blick, weswegen eine derartige IT-Auffassung eher intratextuell als intertextuell zu interpretieren ist. Der Bezug der einzelnen Stimmen im Text auf vorgängige oder nachfolgende Texte im ursprüngli-chen Sinne des Dialogs von Texten d.h. zwisursprüngli-chen Texten bleibt sekundär.7 Dies le-gen zumindest die literaturwissenschaftlichen Arbeiten von Bachtin nahe.8 Bachtin spricht von diachronem Dialog der Texte, weil jede Äußerung (Text) ein Glied in einer sehr komplex organisierten Kette anderer Äußerungen sei. Jeden Text müsse man als Antwort, als Zurückweisung, Bestätigung, Ergänzung oder Stütze auf ei-nen vorangegangeei-nen Text auffassen, ohne solche Antwortreaktioei-nen, „dialogische Obertöne” (Krause 2000: 59) könnten weder Stil noch Sinn eines Textes erschlossen werden.

Der Gedanke über die Dialogizität, die Polyphonie, die Vielfalt der Stimmen faszinierte Kristeva. Das, was Bachtin Dialogizität genannt hat, taufte Kristeva in Intertextualität um, veränderte aber gleichzeitig auch deren Bedeutung (Tegtmeyer 1997: 52). Während Bachtin mit dem Wort Intertextualität Eigenschaften von be-stimmten ausgezeichneten Texten der Weltliteratur benennen wollte, meint Kristeva mit demselben Wort eine Eigenschaft aller Texte. Die von ihr entwickelte radikale Form der IT präsentiert sich in der „Ent-Grenzung” oder Auflösung (Linke/Nuss-baumer 1997: 111). Dies äußert sich in der Abwendung von der strukturalistischen Konzeption des in sich ruhenden, heiligen, autonomen, unveränderlichen und abge-schlossenen Werkes als Sinngröße, d. h. die Wendung gegen die Vorstellung vom

7 Zur kritischen Diskussion des literaturwissenschaftlichen Konzepts von Bachtin vgl. Broich/Pfister (1985) und Lachmann (1982).

8 Krause bemerkt jedoch mit Recht, das der Bezug auf vorgängige oder nachfolgende Texte in den außerhalb der Sowjetunion bzw. Russlands wenig bekannten linguistischen Werken von Bachtin sehr wohl akzentuiert ist (Krause 2000: 59 ff.).

(literarischen) Text als einer in sich geschlossenen Ganzheit, als einem autonomen, einmaligen Text und seinem Autor verpflichteten Werk. Dem bisherigen statischen Verständnis des literarischen Textes gegenüber wird bei Kristeva ein dynamisches Verständnis von Textualität entwickelt. Das besagt, dass Texte Prozesse, Erfahrun-gen sind, die vom Produzenten gedacht und vom Rezipienten nachgedacht werden.

Dieses Textverständnis lehnt an Prozessabläufe beim Kommunizieren mit ästhetisch geprägten Texten an. Offensichtlich haben wir es hier mit einem offenen und radikal ästhetischen Textbegriff zu tun, der von Tegtmeyer auch als globalisierter Textbe-griff (1997: 53) bezeichnet wird. Texte werden von Kristeva als Mosaike von Zitaten bestimmt, jeder Text gilt als Absorption und Transformation eines anderen Textes, wodurch alle Texte miteinander in Beziehung stehen. Daher gilt ein jeder Text als ein Intertext, und Intertextualität als allgemeines Textmerkmal. Eine solche Textauf-fassung führt zur Auflösung des Einzeltextes in einer allgemeinen Intertextualität.

Unter Text werden zudem alle Formen kultureller Zeichensysteme und Codes sogar die Kultur selbst verstanden. Die Entgrenzung geht dann so weit, dass sogar der Un-terschied zwischen Sprache und Gesellschaft aufgehoben wird, und auch die Gesell-schaft (ähnlich wie sprachliche Äußerungen) als Text gelesen werden kann.

Der Einzeltext löst sich insofern auf, dass jeder Text auf der Folie bereits exis-tenter anderer Texte geschrieben und gelesen wird, daher ist jeder Text zwangsläu-fig ein polyphoner Intertext im „Gewirr der Stimmen” anderer Texte. Der Textsinn wird auch zur instabilen, prozeduralen Größe, die sich im Schreiben immer wieder neu konstituiert. Schreiben und Lesen erscheinen in diesem Konzept als dynamische Prozesse, die aber etwas Flüchtiges, Unabgeschlossenes und immer wieder etwas Neues erzeugen. Dadurch wird ein sehr wichtiges Merkmal des traditionellen Textes, die Abgeschlossenheit völlig entgrenzt. Der Einzeltext wird nicht mehr durch das Gewebe i.S.v. einer auf das Textinterne bezogenen Struktur determiniert, sondern durch die Vorstellung der Vernetztheit mit anderen Einzeltexten, Textfragmenten, Textsträngen ersetzt. Das Ergebnis ist ein extrem offenes IT-Konzept. M.a.W. alles ist ein Text und alles steht miteinander in Beziehung. Der Text ist letztendlich ein In-tertext. Was uns als Text erscheint, ist ein Fragment, ein Fetzen aus dem unendlichen Strom des Sprechens oder des Diskurses, bzw. ein semantischer Schnittpunkt vieler Textströme, vieler Stimmen.

Eine solche Text- und Intertextualitätsauffassung zerstört das Bild über das Werk, das einem Autor eigen ist, bzw. den Autor als Eigentümer und kreativer, originärer Schöpfer des Werkes, er verliert seine überragende Stellung im intertextuellen Kom-munikationsprozess. Dieses Konzept stellt gleichzeitig auch die Abwendung von der Konzeption des individuellen Autors als Träger einer bestimmten Intention dar. Der Autor wird lediglich von unzähligen vorhandenen Texten inspiriert und angeregt.

Seine Aufgabe besteht nur noch darin, diese „Vortexte” zu bündeln und zu vertexten.

Er gilt nicht mehr als Träger von Intentionen, die er in seinem Text für den Rezipien-ten realisieren möchte. Der Rezipient ist beeinflusst von den VortexRezipien-ten, die er beim Leseprozess mit dem vorliegenden Textinhalt in Beziehung setzt, und dadurch einen

neuen Sinn konstituiert. Als Leser konstituiert man sich lesend seinen eigenen Text im Lichte anderer Texte, ohne an Vorgaben des Autors kaum gebunden zu sein. So-gar intendierte Relationen zwischen Texten sind auf diese Weise nicht belegbar, sie lassen sich analytisch kaum greifen. In der von der französischen poststrukturalis-tischen Schule entwickelten IT-Auffassung bleibt die IT also unbegrenzt, universell und bezogen auf den Gesamtbestand soziokulturellen Wissens, an dem jeder Text Anteil hat, auf ihn verweist und sich letztlich in ihm „auflöse” (ebd.).

Heinemann fasst das Wesen der radikalen Auffassung von Kristeva wie folgt zu-sammen:

Als offene, fließende, potentiell nicht abschließbare strukturelle und semantische Einheit wird der polyvalente Text so zu einem ’transsemiotischen Universum’, zu einem Konglomerat von Wissenssystemen und kulturellem Code, einem Element aus dem unendlichen Strom des Diskurses. Und aus dieser Sicht gerät dann die In-tertextualität zu einer allgemeinen und genuinen Eigenschaft von Texten; letztend-lich kann sie sogar als Synonym von Textualität verstanden werden. (Heinemann 1997: 23)

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