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Die textstilistische Theorie von Sandig (2006)

In document Roberta V . Rada (Pldal 104-110)

Hinsichtlich der gestellten Aufgaben kann die textstilistische Auffassung von Bar-bara Sandig (2006) eine entsprechende theoretische Basis bilden. Aus Platzgründen kann hier darauf nicht eingegangen werden, wie sich diese Stiltheorie in die Ten-denzen der linguistischen Stilforschung einordnet (vgl. dazu Sandig 1995 und Fix 2008b) und welche Vorläufer und Wurzeln die textstilistische Theorie in der Germa-nistik bzw. in der Hungarologie hat (vgl. Szabó 1982, Szathmári 1983, 2008). An die-ser Stelle können lediglich die wichtigsten Aussagen diedie-ser stilistischen Auffassung mit besonderer Berücksichtigung der Aspekte skizziert werden, die hinsichtlich der Aufgabenstellung eine Relevanz besitzen.

Die Durchsetzung der pragmatischen Sichtweise in der linguistischen Stilistik in den 70er Jahren ist mit dem Namen von Barbara Sandig bzw. mit ihrer „Stilistik der deutschen Sprache” (1986) untrennbar verbunden. In ihrer „Textstilistik des Deut-schen” entwickelte Sandig – ausgehend von ihrer bisherigen pragmatisch orientier-ten stilistischen Auffassung (Sandig 1978 und 1986) und vor dem Hintergrund der neuesten Forschungsergebnisse zum Text (Text als Übergangsphänomen zwischen Schriftlichem und Mündlichem, Multimodalität der modernen Texte usw.) und Stil (Gesprächsstilistik, Erforschung sozialer Stile im Zusammenhang mit der Heraus-bildung von neuen sozialen Subgruppierungen) – einen neuen stärker textbezogenen theoretischen und methodologischen Ansatz, der einen Paradigmenwechsel in der linguistischen Stilistik signalisiert.

Ihren stiltheoretischen Überlegungen legt die Verfasserin einen weiten Stilbegriff zugrunde. Jeder Äußerung – ob mündlich oder schriftlich – wird Stil zugesprochen, und zwar in Relation zum Textmuster und zu den Umständen ihrer Verwendung mit ihrer gesamten materiellen Gestalt. Der Stil gilt als Textphänomen, Stile werden als variierende Textgestaltungen bestimmt. Zu ihrer Beschreibung ist auch die Erfas-sung der Hintergründe und Umstände solcher Sprachverwendungen (also auch das

Textmuster, die Aspekte der Situation usw.) vonnöten. In diesem Sinne versteht San-dig ihre Stilistik als holistisch.

Das Ziel dieser neuen Stilistik ist im Sinne der ganzheitlichen Betrachtung de-skriptiver Art: „Textbezogene Stilphänomene sollen so einfach, so umfassend, aber auch dem jeweiligen Tun der Beteiligten so angemessen wie möglich beschrieben werden.” (Sandig 2006: 4). Zur holistischen Stilbeschreibung ist eine Integration und Kombination mehrerer theoretischer Ansätze geeignet. Neben der pragmatisch ver-standenen Text(muster)linguistik weist die Textstilistik Züge der ethnomethodologi-schen Konversationsanalyse bzw. des kognitiven Paradigmas auf, was sich in folgen-den Herangehensweisen äußert:

- vom funktionalen zum formalen Aspekt des Stils: über die Funktionstypen des Stils zur Stilstruktur,

- von den einzelnen stilrelevanten textexternen und -internen Relationen, über Stilphänomene der mittleren Ebene, wie stilistische Handlungstypen, bis hin zur Ganzheit des Textes,

- vom Text(exemplar) ohne intertextuellen Bezug zum Text(exemplar) als Repräsentanten/Realisierung eines Textmusters.

Die Erörterung der textbezogenen Stilphänomene erfolgt systematisch entlang fol-gender Dimensionen:

- gleichzeitig aus der Produzenten- und Rezipientenperspektive, d.h. aus der Perspektive des Stilherstellens bzw. des Stilverstehens,

- im Spiegel der Stilkompetenz, des Stilwissens,

- vor dem Hintergrund des Stils als prototypischen Konzeptes, - eingebettet in einen historischen und kulturellen Rahmen.

Die generelle Funktion des Stils sieht Sandig in der Anpassung von Kommunikati-onstypen an die jeweilige Situation und in den Kontext. Mit dem Stil, als einer Art Textgestaltung, können daher alle möglichen Aspekte der Kommunikation, so die Art der Handlungsdurchführung, das Thema, die an der Handlung Beteiligten, ihre Beziehung, Kanal, Medium, Textträger, Einstellungen und Wertungen usw. relevant gemacht werden. Diese Aspekte bilden die Grundlage für die Typisierung des stilis-tischen Sinns, der die Produzentenperspektive meint.

Abb. 1: Typen stilistischen Sinnes (Sandig 2006: 18)

Die Rezipientenperspektive der stilistischen Funktion wird durch die stilistische Wirkung zum Ausdruck gebracht, und zwar um die Wirkung des stilistischen Sinnes (nicht des Themas oder des Inhaltes!) auf den Textrezipienten jeweils unter kom-munikativen Voraussetzungen. Stilwirkungen müssen nicht unbedingt der Stilabsicht des Textproduzenten entsprechen, sie sind ja von der stilistischen Kompetenz, den Überzeugungen und Dispositionen der Rezipienten abhängig. Dabei versucht San-dig trotz der Variabilität und Subjektivität stilistischer Wirkungen, überindividuelle, kollektive Typen von stilistischen Wirkungen zu erfassen und zu illustrieren. Wissen über Typen des stilistischen Sinns und Stilwirkungen bilden eine wichtige Vorausset-zung für das Stilverstehen.

Die Herstellung der stilistischen Funktion i.S.v. der Interpretation des stilistischen Sinnes erfolgt durch den Rezipienten aufgrund der Äußerungsstruktur, d.h. der Stil-gestalt/Stilstruktur in bestimmten Verwendungskontexten. Strukturell gesehen gilt der Stil als ein Bündel kookkurierender Merkmale. Stilelemente können unterschied-licher Art sein (sprachlich, paraverbal, nonverbal). Die Stilgestalt bilden Elemente der Ebenen des Sprachsystems (Lexik, Syntax, Lautung, Stilfiguren), aber auch die anderer Zeichensysteme, wie Farben, Grafie, Bilder usw.

Darüber hinaus werden die Merkmale der Stilstruktur um globale, textbezogene Merkmale ergänzt, zu denen einerseits allgemeine stilistische

Handlungsmuster/-ty-pen bzw. stilistische Verfahren gezählt werden können. Beide lassen sich im Rahmen von Textmerkmalen beschreiben. Die stilistischen Handlungsmuster fasst Sandig als stilistisch relevante Teilhandlungstypen auf, die sich innerhalb größerer Textpassa-gen äußern und als umfassendes Ganzes interpretiert werden. Der allgemeine sti-listische Handlungstyp DURCHFÜHREN beispielsweise begleitet die eigentliche Handlung mit ihrer Textfunktion (z.B. FRAGEN), reichert sie mit stilistischem Sinn an (z.B. höflich FRAGEN), und macht als solcher die Handlung komplexer, lässt sie erfolgreicher werden. Das DURCHFÜHREN einer Handlung mit stilrelevanten Eigenschaften meint einerseits GESTALTEN (lautlich-rhythmische Eigenschaften, Wortwahl, Syntax, aber auch das Nutzen von Sprechakttypen, von Farbe, Bild, Text-träger usw.) andererseits aber auch RELATIONIEREN, d.h. wie die Handlung in Re-lation zu ihrer erwartbaren Durchführung gestaltet ist, etwa konventionell oder be-sonders. Im Konzept des DURCHFÜHRENS ist also die gesamte Textgestaltung in ihren kommunikativen Verwendungs-Relationen eingeschlossen (ebd. 150), d.h. wie verhält sich das Thema zur Handlung, wie verhält sich die Gestaltung in Relation zum Textmuster, welche materiell relevanten Eigenschaften wurden bei der Hand-lungsdurchführung gewählt usw.

Es ist klar, dass Texte sehr verschiedenartig gestaltet werden können, je nachdem wie die Gestaltung des Themas, der Handlung aussieht, ob es einen Ausdruck von Einstellungen, oder Selbstdarstellung usw., gibt. All das hat zur Folge, dass jeder Text UNIKALISIERT ist. DURCHFÜHREN meint also in diesem Sinne die sprach-liche Formulierung, Gestaltung einer Handlung in Relation zu ihrer erwartbaren Durchführung: konventionell oder eben besonders. Der Stil kann also in bestimm-ten Fällen das neutrale Nebenbei, in anderen dagegen das Besondere sein, er kann mehr oder weniger deutlich markiert sein. Diese beiden Fälle kann Sandig durch das Prototypenkonzept miteinander vereinbaren. Ist der Stil markiert, gilt er als prototy-pisch, ist er weniger deutlich, gilt er als weniger prototypisch.

Textstilistische Handlungsmuster gelten als Muster für die Stilproduktion und -rezeption in dem Sinne, dass ein jeder stilistische Handlungstyp, z.B. BEWERTEN, EMOTIONALISIEREN, HERVORHEBEN, PERSPEKTIVIEREN mit einem be-stimmten Inventar von sehr variablen Stilmerkmalen (Elementen und Verfahren) als Ressource für die Realisierung verknüpft ist.

Sandig (2006: 148) illustriert am Beispiel eines Gedichtes von Erich Fried das

Wenn sie uns vorsterben wollten wie leicht

wäre das Leben

Es wird gezeigt, welche Elemente gewählt worden sind, um zu EMOTIONALISIE-REN, z.B. Herausstellung, Intensitätspartikel wie, Bewertungskontrast leicht vs.

Sterben, Wunschsatz, Exklamativsatz wenn-dann, Parallelismus wie leicht…, kom-plexer Satz wie in Spontansprache usw. Jedes Element ist jedoch auch für das Aus-drücken anderer Muster einsetzbar, z.B. Intensitätspartikel für das INTENSIVIE-REN, Herausstellung für LEBENDIG MACHEN usw. Stilistische Handlungsmuster seien daher nach Sandig Typen von sprachlichen Teilhandlungen, mittels derer im Text Hinweise eingebracht würden, die rezipierend als ganzheitliche Gestalt interpre-tiert würden (ebd.).

Falls man beim DURCHFÜHREN eine Handlung in Form einer individuellen Leistung, stilistisch durchführt, in dem man z.B. Muster variiert, mischt und durch-bricht, geht es um das stilistische Handlungsmuster INDIVIDUALISIEREN. Als Gegenpart geht es im Falle einer konventionsgebundenen Leistung, d.h. der Durch-führung einer Handlung nach Vorgaben von Mustern um den stilistischen Hand-lungstyp TYPISIEREN.

Eine relevante Gruppe der allgemeinen stilistischen Handlungsmuster bilden all-gemeine stilistische Verfahren. Unter dem Terminus stilistisches Verfahren versteht Sandig (2006: 152) „formale Merkmale, die im Text verschiedenste Funktionen er-halten können, mit denen also nicht bereits im Rahmen der Stilkompetenz eine be-grenzte Brandbreite von Funktionen oder gar eine einzige Funktion verbunden ist”.

Es geht also um stilstrukturbildende Verfahren, die von vornherein nicht mit einer bestimmten Funktion verbunden sind, z.B. ABWEICHEN, VERDICHTEN. Stilisti-sche Verfahren können auf verschiedenen Ebenen beschrieben werden, z.B. die For-men des ABWEICHENS auf der grafischen, morphologischen, lexikalischen Ebene usw. (vgl. dazu ausführlich Kap. 8.2), und legen je nach dem textuellen Rahmen ei-nen anderen stilistischen Sinn nahe. Kenntnisse über Typen von Stilelementen, über stilistische Handlungsmuster und Verfahren ermöglichen sowohl Stilherstellen als auch Stilverstehen.

Zu den stilistischen Handlungsmustern gehören auch sog. typisierte Stile und Sti-lebenen. Typisierte Stile sind solche, über die wir als Mitglieder einer Sprachgemein-schaft im Rahmen unserer stilistischen Kompetenz mehr oder weniger aktiv verfü-gen. Es sind komplexe Ressourcen oder Repertoires, mit deren Hilfe wir gesellschaft-lich relevante Aufgaben erfüllen können. Strukturell und von der Bedeutung her sind sie ganzheitlich organisiert, z.B. Bibelstil, Jargons usw. Man kann sie im Kontext deutlich machen oder auch nur anklingen lassen. Die Funktion des Bibelstils ist bei-spielsweise die sakralsprachliche Markierung, das diesen typisierten Stil prägende

Merkmalbündel besteht aus Merkmalen wie siehe, aber an zweiter Stelle (Als aber der Sabbat vorüber war, …), monotone Anreicherung mit und, Biblizismen usw. Die Stilebenen (auch Stilschicht/Stilsphäre) dagegen fasst Sandig als globale Ressourcen zum Ausdruck von globalen Einstellungen auf, z.B. die überneutrale Stilebene (vgl.

auch gewählt-gehobene, bildungssprachliche Stilschichten) dient zum Ausdruck von Feierlichkeit und Pathos, während die unterneutrale Stilebene (vgl. umgangssprach-lich, salopp, derb) eine Einstellung ausdrückt, die als „lässig”, „alltäglich”, „wenig wichtig” (ebd. 300 ff.) bezeichnet werden kann.

Die Gesamtheit solcher Merkmale der Stilstruktur wird als bedeutsame Gestalt interpretiert. Sie ist lediglich eine Grundlage der Stilinterpretation. Es ist auch wich-tig, in welchem kommunikativen Gesamtrahmen, in welchen textexternen (d.h. auf die Handelnden und auf die Handlungsumstände bzw. auf das soziokulturelle Um-feld bezogenen) und textinternen (d.h. auf die Handlung bezogenen) Relationen eine konkrete Stilgestalt dem Textrezipienten „angeboten” wird. Die Relation Situation/

Geäußertes besitzt z.B. stilistische Relevanz, weil in einer gewissen Situation, in ei-nem Gerichtssaal etwa, ein bestimmter Stil, nämlich institutionalisierter Stil, zu er-warten ist. Logischerweise korrelieren diese Relationen mit den Typen stilistischen Sinns. Wissen über die Zusammenhänge zwischen Stilstrukturaspekten und Relati-onstypen ist für das Erkennen des Stils wichtig.

Die bisherige Sichtweise wird auch erweitert, indem auf den Gesamttext bezo-gene Typen von Textmerkmalen (ähnlich wie die Kriterien der Textualität bei Beau-grande/Dressler 1981) beschrieben werden. Sandig entwirft ein Modell der prototy-pischen Textmerkmale, zu denen Unikalität, Situationalität, Textfunktion, Kohäsion, Kohärenz, Thema und Materialität gezählt werden (s. unten, Kap. 7.3).

Konventionelle Merkmalszusammenhänge repräsentieren in ihrer Komplexität Textmuster. Bei der stilrelevanten Erörterung von Textmustern werden vor allem drei Aspekte betont. Erstens ist es die Relation der Textmusterrealisierung zum Textmus-terwissen, durch die zusätzlich stilistischer Sinn entfaltet wird. Ein Stil kann für ein Textmuster charakteristisch und insofern unauffällig sein (prototypischer Stil), und trotzdem einen Stilwert besitzen. Die Abweichung vom Muster ist mit besonderem stilistischem Sinn verbunden (weniger/nicht prototypischer Stil). Für die Textmuster-beschreibung wird ein ganzheitliches Modell vorgeschlagen, wobei das Textmuster als Zusammenhang von nicht-sprachlichem Handlungstyp und von Textsorte gese-hen wird. Die Textsorte wird als standardisiertes, komplexes Mittel zum Vollzug be-stimmter Handlungstypen betrachtet (vgl. ausführlich unten, Kap. 7.4).

Auch die stilrelevanten Aspekte der Historizität werden anhand der Erfassung der stilistischen Unterschiede bei den Exemplaren eines Textmusters (Vorwort von Kochbüchern) aus verschiedenen Zeiten bearbeitet.51

51 Sandig strebt bewusst danach, authentische, überwiegend schriftsprachliche Texte zahlreicher all-tagssprachlicher Textsorten des Deutschen (in bescheidenem Maße auch literarische Gattungen) zur Illustration heranzuziehen.

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