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2 Wahlen und Wahlkampf

2.2 First- and second-order elections-Modell im Kontext der EU-Wahl

2.5.4 Die Zukunft von EU-Wahlkämpfen

Das gebremste Engagement von Parteien und deren KandidatInnen sowie eine reduzierte Berichterstattung der Massenmedien schaffen ein Wahlkampfumfeld, das bei den WählerInnen den Eindruck verstärkt, bei den EU-Wahlen gehe es um weniger als bei den Nationalratswahlen. Damit wird dieses für den europäischen Integrationsprozess zentrale Ereignis der EU-Wahlen nicht genutzt, um das häufig beklagte und empirisch belegte Defizit der europäischen Öffentlichkeit zu beheben (Langenbucher & Latzer, 2006).

Die „menáge à trois“ (Tenscher, 2011), wo die Schuld zwischen Parteien, Medien und WählerInnen hin- und hergeschoben wird, könnte aufgebrochen werden wenn einer der drei AkteurInnen der Wahlkampfkommunikation (siehe Kapitel 1.4) einen ersten Schritt hin zu mehr Engagement im EU-Wahlkampf unternimmt. Würden etwa die Parteien den EU-Wahlen mehr Augenmerk schenken, sowohl in ihren Kampagnen als auch bei der Kandidatenwahl, würde wohl auch umfassender und prominenter in den Massenmedien berichtet werden. Den WählerInnen würde es damit schwerer gemacht, sich mit den EU-Wahlen nicht zu beschäftigen und damit entstünde mehr EU-Interesse und ein höherer Grad an Informiertheit, was sich wieder positiv auf die Wahlbeteiligung auswirken könnte.

„Allein, es ist zu bezweifeln, dass sich die Parteien oder die Massenmedien zukünftig stärker in Europawahlkämpfen engagieren würden. Dem entgegen steht ihre nationale Verankerung und Abhängigkeit von Stimmen bei nationalen Wahlen bzw. von größtmöglichen nationalen Publika.“ (Tenscher, 2011, S. 24).

Damit soll den Parteien nicht – im Sinne des ‚menage à trois‘ – die alleinige Schuld für das mangelnde Interesse aller Beteiligten gegeben werden. Dazu ist die Interdependenz der drei

handelnden Akteursgruppen zu komplex. Jalali und Silva (2011, S. 124) haben den EU-Wahlkampf 2009 in Portugal hinsichtlich des Engagements der Parteien und der Medien untersucht und kommen zum Schluss, dass Parteien und Medien hier nicht mit dem selben Maß gemessen werden können. Im Vergleich zu den Wahlkampf-Kampagnen der Parteien würde die Medienberichterstattung die EU-Wahlen als Thema generell ‚runterspielen‘.

Zusätzlich können auch Parteien nicht in einen Topf geworfen werden: So fanden die beiden StudienautorInnen heraus, dass Regierungsparteien die EU-Wahlen sehr wohl thematisieren, wohingegen die Oppositionsparteien fast ausschließlich nationale Themen favorisieren. Diese Beobachtung setzt sich in der Medienberichterstattung fort, wo über die Regierungsparteien eher im Zusammenhang mit EU-Themen berichtet wird. Es scheint, als würde der Absender zählen. Weiters konnte die Divergenz zwischen der Medienlogik und Europa bestätigt werden, indem die Berichterstattung zu EU-Wahlkampagnen deutlich abfällt. Das legt die Vermutung nahe, dass die Medienbotschaft wichtig ist, aber es kommt zumindest teilweise auf den politischen Akteur an. Somit kommen die beiden AutorInnen zu einem ähnlichen Ergebnis wie Tenscher (2011): Die Bedeutung, die die Parteien – auch durch die Auswahl ihrer KandidatInnen – den EU-Wahlen geben, hat einen Einfluss auf den Verlauf der Kampagne und demnach auch den Mediencoverage (Jalali & Silva, 2011). Eine Erkenntnis, die einmal mehr die Interdependenz zwischen politischen AkteurInnen und Medien veranschaulicht.

Vor diesem Hintergrund war die Erwartungshaltung hoch, dass alle drei AkteurInnen der EU-Wahl 2014 eine größere Bedeutung einräumen würden und sich das Engagement jedes einzelnen Akteurs verstärken würde. Einige massive Veränderungen, was den Gestaltungsraum des Europäischen Parlaments anbelangt sowie politischen Rahmenbedingungen und Ereignisse, waren es, die ein gesteigertes Interesse der EU-BürgerInnen, der Medien und damit im Zusammenhang stehend den wahlkämpfenden Parteien erwarten ließen. Die EU-Wahl 2014 ist auch aus diesem Grund ein spannender Untersuchungsgegenstand, der im empirischen Teil dieser Arbeit bearbeitet wird.

Die empirische Ausarbeitung beruht auch auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem vorangegangenen Theorie-Kapitel, die nachfolgend zusammengefasst werden.

2.6 Fazit

Im voran gegangen Kapitel wird der Bogen vom Wahlverhalten über die unterschiedliche Bedeutungsgabe von Wahlen seitens der WählerInnen aber auch seitens der Parteien sowie der Medien, die in der first-and-second-order elections-These mündet, bis hin zur Wahlkampfkommunikation gespannt. Den Abschluss des Kapitels bildet die Wahlkampfkommunikation bei EU-Wahlen.

Bei der Auseinandersetzung mit der empirischen Wahlforschung wird sehr rasch klar, dass es nicht eine Theorie geben kann, die das Wahlverhalten erklärt. In der Politikwissenschaft sind es vor allem drei Theoriestränge, die seit den 40er Jahren versuchen, das Wahlverhalten zu erklären: der soziologische, der sozialpsychologische – auch Ann-Arbor Ansatz genannt - sowie der Rational Choice-Ansatz.

Zusammenfassend scheint es sinnvoll die sozial- und individualpsychologischen Einflussvariablen des Ann-Arbor Modells mit langfristigen sozialstrukturellen Orientierungen des soziologischen Ansatzes zum einen und Elementen des rationalen ‚issue votings‘, wie es vor allem der Rational Choice-Ansatz favorisiert, zu verknüpfen. Es gelte „Modelle zu entwerfen, die individuelle Wahlentscheidungen und Institutionen in Beziehung setzen.“

Gerade am Rational Choice-Ansatz ließe sich dies verdeutlichen (Arzheimer & Schmitt, 2014, S. 332).

Ein Kritikpunkt, der auf alle drei dargestellten Ansätze zutrifft, ist die Ausklammerung der politischen Kommunikation in Wahlkämpfen und deren Beitrag zur Entstehung der Wahlentscheidung. Diese Ignoranz lässt sich zum Teil aus der Entstehungszeit der Theorieansätze ableiten. Hatten die Ansätze in den 40er und 50er Jahren ihre Berechtigung, so haben sich die Einflüsse auf das Wahlverhalten seither massiv verändert. Aus diesem Blickwinkel heraus dienen die dargestellten Theoriestränge zum Wahlverhalten als Ausgangsbasis und begründen das Verständnis der Zusammenhänge.

Das Wahlverhalten ist in jedem einzelnen Land vor dem Hintergrund der jeweils spezifischen, soziografischen und politischen Entwicklungen zu reflektiern. Aber nicht nur Landesspezifika gilt es zu berücksichtigen, sondern auch die Stimmabgabe der WählerInnen unterscheidet sich

bei verschiedenen Wahlen im gleichen Land. Einen Erklärungsversuch dafür erarbeiten Reiff und Schmitt mit ihrer 1980 entwickelten first-and-second-order elections Theorie. Die beiden Forscher entwickeln sechs Dimensionen, anhand derer der Unterschied zwischen Haupt- und Nebenwahlen festgemacht werden kann. Schon die beiden Autoren selbst, aber auch zahlreiche ForscherInnen danach, kommen in ihren empirischen Untersuchungen zur Erkenntnis, dass die less-at-stake Dimension die bedeutendste Dimension darstellt. Den Kern bildet die Feststellung, dass Wahlen, bei denen weniger auf dem Spiel steht, sowohl von politischen AkteurInnen, Medien als auch dem Wahlvolk weniger Beachtung geschenkt wird.

Parteien und Medien widmen EU-Wahlen, die von den ForscherInnen als second-order election eingestuft werden, weniger Aufmerksamkeit. Die geringere Wahlbeteiligung in allen EU-Ländern im Vergleich zu den jeweiligen nationalen Hauptwahlen drückt andererseits das geringere Interesse der WählerInnen aus.

Was das geringere Engagement der Parteien in ihren Wahlkampagnen und der Medien in ihrer Medienberichterstattung, die im Fokus dieser Arbeit stehen, angelangt, so lässt sich der Unterschied zwischen Haupt- und Nebenwahlen anhand nachfolgender, aus der wissenschaftlichen Literatur abgeleiteter Merkmale zusammenfassen. EU-Wahlkämpfe unterscheiden sich demnach durch (Tenscher, 2011):

• Organisation und Strukturen

o Geringeres Wahlkampfbudget und kürzere Wahlkampfdauer

o Weniger ausdifferenzierte Wahlkampfstäbe, etwa durch reduzierte Einbeziehung externer Expertise

o Fokussierung auf direkte Kommunikationskanäle bei geringerem Wahlkampfbudget, was zu vergleichsweise niedriger Präsenz im öffentlichen Raum (weniger Plakate, weniger Spots, weniger Inserate) führt. Gleichzeitig führt der Fokus auf direkte Kommunikationskanäle zu weniger Augenmerk auf Pressearbeit. Darin liegt einer der Gründe, warum es zu weniger Sichtbarkeit in den Medien kommt.

• Themenmanagement o Nationalisierung

▪ Dominanz nationaler Themen

▪ Dominanz nationaler Frames

Darunter ist die Übernahme von EU-Themen auf die Ebene von nationalen Themen zu verstehen oder anders gesagt: EU-Themen werden zu nationalen Themen geframt.

▪ Dominanz nationaler Kompetenzdarstellung

Dabei werden bestimmten Themen dieselbe Relevanz in nationalen als auch EU-Wahlen eingeräumt wird, obwohl thematische Schwerpunkte und Kompetenzen zwischen nationaler und EU-Ebene variieren.

o Weniger Konflikt

Weniger dramatisierende und konflikt-zentrierte Darstellung bei EU-Wahlkämpfen führen dazu, dass europapolitische Ideen der einzelnen Parteien weniger kontrovers diskutiert werden, was wiederum die Meinungsbildung der WählerInnen erschwert.

• Politische AkteurInnen o Nationalisierung

Bei EU-Wahlkämpfen kommen nationale PolitikerInnen häufiger zu Wort als EU-(Spitzen)KandidatInnen

o Personalisierung

Weniger Personalisierung als bei nationalen Wahlen

Vor allem die Unterschiede hinsichtlich des Politischen Themenmanagements sind im Kontext dieser Arbeit von Interesse. Insofern werden folgende zwei Indikatoren abgeleitet und im empirischen Teil aufgegriffen.