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2 Wahlen und Wahlkampf

2.2 First- and second-order elections-Modell im Kontext der EU-Wahl

2.2.3 Conclusio zu first- and second-order elections

Wie aus den Reflexionen hinsichtlich der Wahl-Situation in Österreich sowie den Erkenntnissen verschiedener wissenschaftlicher Studien hervorgeht, ist der Ansatz der first- and second-order elections, wie Reif und Schmitt sie 1980 entworfen haben, nicht mehr in jeder Hinsicht anwendbar. Auch Schmitt stellt 2005 „in seiner Analyse der Europawahl 2004 fest, dass der second-order-Charakter der Europawahlen einem, wenn auch langsamen, Wandel unterliege.“ (Holtz-Bacha, 2016, S. 8). Einer der Gründe dafür liegt in der gestiegenen politischen Macht der EU insgesamt und dem Kompetenzgewinn des Europäischen Parlaments – spätestens mit dem In-Kraft-Treten des Vertrages von Lissabon.

Die Einstufung der Europawahl als second-order election ist für eine Vielzahl der ForscherInnen zu kurz gegriffen. Irwin (1995) fragt nach der vierten EU-Wahl „second-order or third-rate?“, weil die Europawahl vor allem ein symbolischer Akt sei, der Unterstützung für die Idee der europäischen Integration signalisiert, für den sich aber immer weniger Leute interessierten (Irwin, 1995, S. 198). EU-Wahlen wurden aber auch als ‚fourth-order elections‘

(S. Wagner, 2003) bezeichnet, womit die Nachrangigkeit nicht nur gegenüber first-order elections, sondern auch gegenüber anderen second-order elections - wie Landtagswahlen - ausgedrückt werden soll (Höller, 2013, S. 23).

Diese Einschätzung ist auch für Österreich relevant. Vor dem Hintergrund einer stark föderalen Struktur und damit einer starken ‚Konkurrenzsituation‘ mit anderen Nebenwahlen,

wie vor allem den österreichischen Landtags- bzw. Gemeinderatswahlen, kommt der EU-Wahl in Österreich nochmals eine Sonderstellung zu.

Ziehen Reif und Schmitt in ihrer Studie 1980 ihre Schlussfolgerungen vor allem aufgrund des Wahlverhaltens, knüpfen andere empirische Studien an das Ergebnis an und untersuchen auch die anderen Akteure, die für Wahlen ausschlaggebend sind, nämlich Parteien und Massenmedien, hinsichtlich ihrer Rolle bei second-order elections.

ForscherInnen aus der Politik- aber auch der Kommunikationswissenschaft diagnostizieren den EU-Wahlen mangelndes Interesse seitens der Parteien und der Massenmedien (Holtz-Bacha, 2016, S. 5). Die second-order election-Theorie wird demnach auch auf die Wahlkämpfe der Parteien und das Engagement der Massenmedien übertragen. In diesem Kontext wird von first- und second-order-campaigns gesprochen. Was die Wahlkampagne anbelangt so spricht Cayrol (1991) von low-key campaigns und de Vreese u. a. (2007) in Bezug auf die Medienberichterstattung von second-rate coverage.

2.2.3.1 EU-Wahlen: second-rate coverage und low-key campaigns

Speziell die Tatsache, dass bei der EU-Wahl für die WählerInnen weniger auf dem Spiel steht als bei first-order elections, wirkt sich massiv auf die Wahlkampfführung aus. „Less at stake führt dazu, dass der Einsatz der politischen Akteure im Europawahlkampf nur halbherzig erfolgt. Entsprechend hält sich das Interesse der Medien in Grenzen, was sich wiederum in der geringen Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern wiederspiegelt. Diese folgen bei Wahlbeteiligung und Stimmabgabe obendrein anderen Überlegungen als bei Bundestagswahlen. Einsatz und Interesse aller Beteiligten stehen in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis (…).“ (Holtz-Bacha, 2016, S. 5). Kurz gefasst kommt Holtz-Bacha (2016, S. 5) in ihrer Studie zur Situation in Deutschland zu dem Schluss, dass ‚low-key campaigns‘ folglich auch ‚low-key response‘ und umgekehrt bedingen würden. Seitens der Massenmedien kommt es in diesem Falle zur second-rate coverage (de Vreese u. a., 2007):

Das – im Vergleich zu first-order elections – geringere Engagement von Parteien führt zu einem geringeren Einsatz der Medien und damit einer reduzierteren Berichterstattung.

Der Grundstein für diese Erkenntnisse wurde schon nach den ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 1979 gelegt. Schulz (1983, S. 362 ff) vermisst im EU-Wahlkampf mehrere Merkmale, die für andere Wahlkämpfe charakteristisch seien. Es fehle an der Möglichkeit zur Identifikation mit der EU-Wahl. Ein Contest-Charakter, also ein Rennen um den ersten Platz, wie er bei nationalen Kampagnen vermittelt wird, würde sich positiv auf die Identifikation auswirken.

In der Analyse jüngerer Studien wird sehr rasch klar, dass viele Erkenntnisse, die Schulz schon 1983 gezogen hat, auch für spätere EU-Wahlkämpfe noch relevant sind. Um diese einem Vergleich zu Hauptwahlkämpfen unterziehen zu können, widmet sich das nächste Kapitel der Wahlkampfkommunikation ganz generell und dem EU-Wahlkampf im Besonderen. Ein klarer Fokus ganz im Sinne des Forschungsinteresses liegt bei der Kommunikationsstrategie der Parteien.

2.3 Wahlkampf

Wahlkämpfe im Vorfeld von Wahlen sind aus der repräsentativen Demokratie nicht wegzudenken. Blieb in der US-Wahlforschung unter den Eindrücken der drei Theoriestränge, konkret des sozialstrukturellen Ansatzes vor allem jedoch den Studien der Michigan School sowie den ökonomischen Ansätzen, die politische Kommunikation bei Wahlkämpfen gänzlich ausgespart, so machen unter anderem Pappi und Shikano (2007, S. 173) ein Umdenken fest.

Die frühere Erkenntnis aus der US-Wahlforschung sei vor allem dem Umstand geschuldet, dass Persuasions-Effekte selten waren und wenige Wahlberechtigte „ihre Parteipräferenz und damit ihre Wahlabsicht unter dem Eindruck des Wahlkampfs“ geändert haben. In Zeiten erhöhter Wählervolatilität hat die Wirkung von Wahlkämpfen an Bedeutung gewonnen. So können andere Wahlentscheidungen als die ursprünglich beabsichtigten getroffen werden,

„wenn sich unter dem Eindruck des Wahlkampfes das Gewicht einzelner Sachfragen verschoben hat.“ (Pappi & Shikano, 2007, S. 173).

Die Wahlkampfforschung befasst sich vor allem mit zwei Feldern. Einerseits will sie wissen, wie Wahlkämpfe geführt werden und, einen Schritt weitergedacht, von welchen Faktoren die Wahlkampfführung abhängt. Andererseits wird die Wirkung von Wahlkampagnen auf das

Forschungsschwerpunkt. Der zweite Aspekt, das eingangs dieser Arbeit behandelte Wahlverhalten, ist in dieser Arbeit insofern von Belang, als es einen Einfluss auf die Strategie der Wahlkampfführung hat.

Die Ziele von Wahlkämpfen lassen sich auf drei wesentliche Eckpunkte zusammenfassen:

Wahlberechtigte sollen mobilisiert werden, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Sie sollen, zweitens, informiert werden. Drittens ist das Hauptziel jeder wahlwerbenden Partei völlig klar: Möglichst viele der abgegebenen Stimmen für die eigene Partei bzw. den eigenen Kandidaten oder die eigene Kandidatin zu erhalten. Dahinter treten die beiden vorher genannten Ziele deutlich zurück. Als Randbemerkung sei hier angeführt, dass vereinzelt auch eine subjektive Zielsetzung einzelner AkteurInnen bestehen kann, die von oben erwähnten Zielen abweichen. So können WahlkampfmanagerInnen dem oder der SpitzenkandidatIn ihrer Partei, den oder die sie in dieser Rolle nicht akzeptieren, eine Niederlage bescheren, um ihn oder sie nach den Wahlen absetzen zu können; es könnte auch die Zielsetzung sein, sich als Koalitionspartner anbieten zu wollen (Schoen, 2014b, S. 664). Diese divergierenden Zielsetzungen werden an dieser Stelle nicht weiterverfolgt, da es sich um Ausnahmefälle handelt und diese zur Beantwortung der Fragestellung nicht dienlich sind.

Gelingen soll die Zielerreichung, in dem wahlkämpfende Parteien und KandidatInnen ihre Themen, Positionen und Argumente einerseits auf die Agenda der massenmedialen Berichterstattung setzen und zusätzlich diese über direkte Kommunikationskanäle an die WählerInnen herantragen. Letzteres, auch als werblicher Wahlkampf bezeichnet (Plasser, 2012), ist mit erheblichem finanziellen Aufwand verbunden und meint vor allem Plakate, Spots, Broschüren, Veranstaltungen und andere Formen des direkten, persönlichen Kontaktes zu den WählerInnen sowie die immer mehr im Steigen begriffenen multimedialen Instrumente der Online-Kommunikation. Die Gestaltung der Wahlkämpfe unterliegt finanziellen und technischen Restriktionen sowie gesetzlichen Rahmenbedingungen. Neben diesen äußeren Restriktionen gilt es, den politischen Mitbewerb und seine Wahlkampfführung zu berücksichtigen und zu beobachten. In Wahlkämpfen stehen unterschiedliche politische AkteurInnen im Wettbewerb um die Gunst der WählerInnen. Jede Partei versucht, ihre WählerInnen aus der letzten Wahl anzusprechen sowie ihre Wahlchancen auch auf Kosten der Konkurrenz zu verbessern (Schoen, 2014b, S. 665).

Wahlkämpfe sind komplexe kommunikationsstrategische Operationen und erfordern Zeit, Geld und ein hohes Maß an interdisziplinärer Expertise. Wahlkämpfe, ob für Haupt- oder Nebenwahlen, werden durch die kommunikative Interaktion von drei Akteursgruppen bestimmt. Auf der Nachfrageseite von Informationen sind das die WählerInnen. Auf der Angebotsseite sind als relevante AkteurInnen die Parteien einerseits und die Medien andererseits zu nennen. Diese Arbeit widmet sich in erster Linie der Kommunikation der Parteien.

Wahlkämpfe verlaufen von Wahl zu Wahl unterschiedlich, folgen jedoch bestimmten Mustern und Regeln. Die Unterschiedlichkeit liegt zum einen an der Art der Wahl, handelt es sich also, im österreichischen Fall, um eine bundesweite Wahl, eine regionale Wahl oder eine EU-Wahl.

Zum anderen laufen Wahlkämpfe in jedem Land nach landesspezifischen Rahmenbedingungen ab bzw. orientieren sie sich am jeweiligen Parteiensystem und Wahlrecht. Und letztendlich gilt es in der Wahlkampfforschung immer auch den zeitlichen Kontext zu betrachten, denn Wahlkämpfe haben seit den ersten empirischen Studien eine deutliche Wandlung erlebt.