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2 Wahlen und Wahlkampf

2.2 First- and second-order elections-Modell im Kontext der EU-Wahl

2.2.2 Reflexion des Modells mit Bezug auf Österreich

Betrachtet man die Erkenntnisse des Reif/Schmitt-Modells vor dem Hintergrund der politischen Situation in Österreich, ergeben sich in einigen Punkten differenzierte Zugänge.

Das mag zum einen an der Tatsache liegen, dass Österreich 1995 der EU beigetreten ist, und zwischen den ersten EU-Wahlen im Jahr 1979 und den ersten EU-weiten Parlamentswahlen an denen Österreich teilgenommen hat - im Jahr 1996 - der Einfluss des Europäischen Parlaments deutlich gestiegen ist. Spätestens mit dem Inkraft-Treten des Vertrages von Lissabon im Jahr 2009 ist die Stellung des Europäischen Parlaments vor allem im EU-Gesetzgebungsprozess bedeutend wichtiger geworden. Damit steht mehr auf dem Spiel als noch bei den Wahlen 1979. Das Parlament ist nunmehr gemeinsam mit dem Ministerrat gleichberechtigtes Gesetzgebungsorgan. Die ebenso gestiegene Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments gegenüber der EU-Kommission ist als weiteres Indiz zu nennen.

Hinzu kommt die neue Rolle des Europäischen Parlaments bei der Ernennung des Kommissionspräsidenten. Damit ist die less-at-stake Dimension anders zu beurteilen als noch 1980, als die second-order elections-Theorie aufgestellt wurde.

Was bleibt, ist das grundsätzliche „strukturelle Defizit (…), nämlich die Tatsache, dass aus der Europawahl keine Regierung hervorgeht“ (Holtz-Bacha, 2016, S. 7). In diesem Punkt unterscheidet sich die Europawahl von anderen Nebenwahlen in Österreich, vor allem den Landtagswahlen.

2.2.2.1 Sonderstellung der EU-Wahl als second-order election

In einem stark föderal strukturierten Staat wie Österreich kommt den Wahlen von Landesregierungen bzw. in weiterer Folge Landeshauptleuten ein hoher Stellenwert zu. Diese Einschätzung bestätigt sich in der vergleichsweise hohen Wahlbeteiligung bei österreichischen Landtagswahlen. Sie lag bei den Landtagswahlen im Zeitraum 2013 bis 2015 im Durchschnitt bei 71,2 Prozent (Kapitel 14.1). Im Vergleich dazu liegt die Wahlbeteiligung bei der letzten EU-Wahl bei 45,4 Prozent.

An dieser Stelle entsteht die Frage, ob das Analysemodell von Reif und Schmitt aus 1980, nach der die Europawahlen und die Landtagswahlen auf eine Stufe gestellt werden, in diesem Punkt für Österreich anwendbar ist.

Tatsächlich haben sich zahlreiche ForscherInnen mit der Frage beschäftigt, ob EU-Wahlen mit anderen Nebenwahlen gleichzusetzen sind. Reif selbst warnt 1984 davor, dass Europawahlen Gefahr laufen eine eigene Kategorie zu bilden. Sie würden sich zu reinen Testwahlen für die nationalen Systeme entwickeln. Für Irwin (1995) gerät die EU-Wahl immer mehr in die Kategorie eines symbolischen Aktes, „der Unterstützung für die Idee der europäischen Integration signalisiert“ und immer weniger Menschen interessieren würde (Irwin, 1995, S.

198). Einig sind sich ForscherInnen (Niedermayer, 2009) über die Besonderheit der EU-Wahlen im Vergleich zu anderen Nebenwahlen. Einen „Doppelcharakter“ sieht Niedermayer (2009, S.

711), weil mit der EU-Wahl zum einen die Abgeordneten des Europäischen Parlaments gewählt werden, zum anderen sei die EU-Wahl eine nationale Nebenwahl, die von nationalen Politikebenen stark beeinflusst werde.

Um den Strang der Beantwortung der Forschungsfrage dieser Arbeit weiter zu folgen, wird auf den Unterschied zwischen EU-Wahlen und anderen, als Nebenwahlen bezeichneten Wahlen in Österreich nicht näher eingegangen. Als Punkt für die weitere Betrachtung nimmt die

Autorin allerdings die Erkenntnis mit, dass zwischen den in der ursprünglichen These als Nebenwahlen definierten Wahlen starke Unterschiede vorliegen und einmal mehr die Sonderstellung der EU-Wahlen zutage tritt.

Ganz im Sinne der Forschungsfrage liegt die Unterscheidung zwischen der EU-Wahl als second-order election und der Nationalratswahl als first-order election. Darauf wird nachfolgend aus der Perspektive der less-at-stake Dimension eingegangen.

2.2.2.2 Wahlbeteiligung

Bei den Nationalratswahlen im September 2013 gaben 74,9 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Bei den EU-Wahlen im Mai 2014 nahmen 45,4 Prozent der Wahlberechtigten an der Wahl teil. Hier ist ein drastischer Unterschied in der Wahlbeteiligung von 29,5 Prozent zu verzeichnen, was auch der Annahme des Reif/Schmitt-Ansatzes entspricht. Die vergleichsweise niedrige Wahlbeteiligung bei EU-Wahlen ist eines der Hauptargumente, die den Vorwurf des Legitimations- und Demokratiedefizits befeuert. Abgesehen davon führt sie zu einem Disproportionseffekt, wie die Wahlbeteiligungsforschung zeigt. Das bedeutet, dass die Nichtteilnahme vieler WählerInnen eine soziale Schieflage verstärkt, „da Menschen aus den unteren sozialen Schichten deutlich überproportional nicht zur Wahl gehen.“ (Kaeding &

Switek, 2015, S. 27). Im Vergleich dazu machen BürgerInnen aus der Mittel- und Oberschicht häufiger Gebrauch von ihrem Wahlrecht und verfügen zusätzlich über größere Ressourcen, sowie Kommunikations- und Organisationsfähigkeit. Damit sind sie besser in der Lage am politischen Leben teilzuhaben und dieses zu beeinflussen (Kaeding & Switek, 2015, S. 27–28).

2.2.2.3 Gültigkeit der Stimmen

Bei Betrachtung der ungültigen Stimmen sind die Wahlen in Österreich nach dem Modell von Reif und Schmitt (1980) nicht klar in Haupt- und Nebenwahl einzuteilen, da der Anteil der ungültigen Stimmen bei beiden Wahlen ähnlich hoch ist, wie nachfolgende Tabelle veranschaulicht. Die beiden Autoren gehen in ihrer Theorie davon aus, dass bei Nebenwahlen ein deutlich höherer Anteil an ungültigen Stimmen festzustellen ist.

Wahltyp Wahlbeteiligung davon gültig davon ungültig

Tabelle 1: Gültigkeit von Wählerstimmen (Angaben in Prozent)

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an (Statistik Austria, 2018) 2.2.2.4 Stimmenverteilung

Die aus der less-at-stake Dimension abgeleiteten Konsequenzen hinsichtlich Wahlentscheidung lassen sich für die beiden im Vergleich stehenden Wahlen folgendermaßen darstellen:

Tabelle 2: Vergleich Wahlergebnis EU-Wahl / Nationalratswahl (Angaben in Prozent)

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an (Statistik Austria, 2018)

Hier stellt sich das Bild ebenfalls nicht in jeder Hinsicht dem Ansatz Reif/Schmitt entsprechend dar. Die Regierungsparteien fuhren bei den letzten EU-Wahlen keinen Verlust ein. Im Gegenteil: Rechnet man die Ergebnisse der beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP zusammen, so konnten sie – wenn auch gering – zulegen und zwar um 0,27 Prozent. Die Oppositionspartei FPÖ musste geringe Verluste einstecken. Die Schlussfolgerung von Reif und Schmitt, wonach kleine und neue Parteien größere Chancen hätten, stimmt auch für Österreich. So konnte die bei den Nationalratswahlen erstmals angetretene liberale Partei NEOS deutlich zulegen, ebenso die Grünen. Auch auf andere Kleinparteien entfielen immerhin mehr als 5 Prozent der Stimmen.