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2 Wahlen und Wahlkampf

2.2 First- and second-order elections-Modell im Kontext der EU-Wahl

2.3.1 Wandel von Wahlkämpfen

Vor dem zeitlichen Hintergrund haben sich der Kampagnenstil und die Wahlkampfkommunikation seit den fünfziger Jahren gewandelt. Je nach Blickwinkel wird der Wandel als Amerikanisierung, Modernisierung oder Medialisierung bezeichnet. (Schulz, 2011, S. 232 ff). Steht bei der Modernisierungsperspektive der soziale und politische Wandel im Vordergrund, so hat die Amerikanisierungsthese den Transfer von Wahlkampfpraktiken aus den USA im Blick.

Niedermayer (2000, S. 192) macht die Modernisierung von Wahlkämpfen an der zunehmenden Medialisierung, Personalisierung und Entideologisierung der Politikvermittlung durch Parteien fest. Für Wimmer kommt es neben einer Zunahme der Personalisierung und Professionalisierung auch zu einer Dethematisierung und einem Negativismus (Wimmer, 2000, S. 595 ff).

Unter Dethematisierung oder auch Entpolitisierung ist die Abkehr von sachpolitischen Inhalten zu verstehen und eine „Zuwendung zur Darstellung der sportiven Dramatik eines Wettkampfes um Wählerstimmen“ (Lengauer, 2007, S. 174). Die Entpolitisierung setzt auf das sogenannte game-schema. Darunter sind etwa Themen wie Ergebnisse von Umfragen, Wahlkampfveranstaltungen, Spekulationen über mögliche Koalitionen, das horse-race, also Kopf-an-Kopf-Rennen, sowie strategy and odds zu sehen, die allesamt die issue coverage, also die sachpolitischen Themen aus der politischen Themensetzung aber auch aus der Berichterstattung verdrängen (Höller, 2013, S. 212; Lengauer 2007).

In Österreich bezog sich die Modernisierung der Wahlkämpfe auf das in den 50er und 60er Jahren eng begrenzte Konkurrenzfeld von ÖVP und SPÖ, mit einem gemeinsamen Stimmanteil von 90 Prozent. Mitte der 80er Jahre brach das stabile Parteiensystem auf (Wineroither &

Kitschelt, 2012, S. 193) (siehe Kapitel 2.1.5.1). Für die Wahlkampfführung bedeutet das eine zunehmend zugespitzte Konkurrenzsituation, „weil die Herausforderer der Traditionsparteien ihre elektorale Stärke aus einer Politisierung neuer sozialer und kultureller Konfliktlinien und dem Aufgreifen generalisierter Unzufriedenheit und latenter Protesthaltungen bezogen“. Stil und Tonalität der Auseinandersetzung verschärften sich, wozu auch das „gezielte Affektmanagment der rechtspopulistischen FPÖ unter der Parteiführung Haiders beitrugen.“

(Plasser & Ulram, 2004, S. 406).

Wie in Kapitel 2.1.5.1 dargestellt, setzte die FPÖ gezielt auf die Issues Immigration, Europäische Integration und die Unzufriedenheit mit dem politischen System ganz generell.

Es traten damit diese Issues in den Vordergrund. Parallel dazu änderte sich durch die Intensivierung der Konkurrenzssituation zwischen den Parteien auch der Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit. Eine der Konsequenzen war die Tendenz zur Dethematisierung.

In der medialen Berichterstattung traten Analysen von Wahlkampftaktiken immer mehr in den Vorderund zulasten der Berichte zu inhaltlichen Streitfragen und Positionen der Parteien (Plasser & Ulram, 2004, S. 407).

Eine Strukturierung der Themen im Wahlkampf nehmen Lengauer und Vorhofer (2010, S. 156) vor, indem sie Berichte über Wahlkampfereignisse und Wahlprognosen, ebenso wie die Berichterstattung zu Kandidaten- und Parteienwettstreit, Wahlkampfführung, Affären

politischer KandidatInnen oder Spekulationen um Kandidaturen und mögliche Koalitionsvarianten unter der Themenkategorie, ‚politics‘ verstehen. Zwei weitere Themenkategorien betreffen zum einen klassische Sachpolitik-Felder, wie Arbeitsmarkt, Soziales oder Wirtschaft und werden unter dem Begriff policy-Themen zusammengefasst.

Zum anderen werden unter dem Begriff polity Diskussionen kategorisiert, die die Struktur des politischen Systems zum Inhalt haben, wie beispielsweise Diskussionen zur Verwaltung oder den politischen Institutionen (Lengauer & Vorhofer, 2010, S. 156).

Es entsteht bei der Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Literatur der Eindruck, dass die oben besprochenen Begriffe, die den Wandel von Wahlkämpfen beschreiben, nicht eindeutig benannt oder nachvollziehbar bzw. nach unterschiedlichen Kriterien abgegrenzt werden. Was die Thesen verbindet, ist, dass der Wandel der Wahlkampfkommunikation durch ein- oder wechselseitige Adaptions- und Lernprozesse auf Partei-, Medien- und Wählerseite ausgelöst wurde (Rhomberg, 2008, S. 166). Nachdem in der vorliegenden Arbeit die Kommunikation zwischen Parteien und Medien im Fokus steht, rückt die Medialisierungsthese in den Vordergrund der Betrachtungen, gleichwohl wird bei Rückführung auf eine der anderen Thesen an entsprechender Stelle Bezug genommen.

Ausgelöst von den Veränderungen im soziokulturellen, politisch-kulturellen sowie im massenmedialen Umfeld von politischen AkteurInnen, wandelt sich auch für Tenscher (2012) die Kommunikation in Wahlkämpfen stetig: „Konfrontiert mit einer größer werdenden Gruppe an rationalen, volatilen und bindungsunwilligen Individuen, mit wachsender Komplexität im Prozess der Politikherstellung und einer neuen Unübersichtlichkeit im Bereich der Massen- und ‚neuen‘ Medien reagieren politische Akteure in Form unterschiedlichster Anpassungsleistungen.“ (Tenscher, 2012, S. 88). Das bedeutet vor allem:

• Klare Orientierung des Handelns der Parteien an der WählerInnenumwelt, dem Wahlkampf und dem Wahlerfolg (Elektoralisierung)

• Orientierung an der Medienlogik und an den Medienformaten (Medialisierung)

• „Bemühen um ein dauerhaft angelegtes, strategisch geplantes, rationales und effektives Kommunikationsmanagement (Professionalisierung)“ (Tenscher, 2012, S.

88)

Wie sich das Wahlverhalten seit den 50er Jahren verändert hat, sich demnach die Wählerumwelt darstellt, stand im Zentrum des vorigen Kapitels. Nachfolgend werden die Aspekte der Professionalisierung sowie vor allem der Medialsierung besprochen.

2.3.1.1 Professionalisierung

Den Grad der Professionalisierung von Kampagnen, insbesondere Wahlkampagnen, widmen sich zahlreiche empirische Studien. Allen voran definiert Tenscher (2011) einen Professionalisierungindex, indem sich als zentrale Komponenten zur Messung des Professionalisierungsgrades einer Parteikampagne insgesamt acht Indikatoren für die Kommunikationsstrukturen bzw. acht Indikatoren, die die Kampagnenstrategie herauskristallisiert haben.

2.3.1.1.1 Indikatoren der Kommunikationsstrukturen

• Größe des Wahlkampfbudgets

• Größe des Mitarbeiterstabs

• Dauer der Wahlkampagne

• Ausmaß der Zentralisierung der Kampagnenorganisation

• Ausdifferenzierung interner Kommunikationsstrukturen

• Ausmaß der Externalisierung von Kommunikationsmaßnahmen

• Art und Ausmaß der Rückkoppelung

• Ausmaß der Gegnerbeobachtung

2.3.1.1.2 Indikatoren der Kommunikationsstrategie

• Ausmaß der Zielgruppenorientierung

• Ausmaß der Narrowcasting-Aktivitäten

• Ausmaß der Personalisierung

• Relevanz der Paid media (auch bezahlte Fernsehwerbung bezeichnet)

• Relevanz der Free media

• Vollmediatisierte Wahlkommunikation im TV (meint die redaktionelle Wahlkampfberichterstattung)

• Ausmaß des Ereignis- und Newsmanagement

• Relevanz der Talkshowisierung (Tenscher, 2011)

Auch als teilmediatisierte Wahlkampfkommunikation im TV bezeichnet sind darunter Auftritte der SpitzenkandidatInnen in Talk-Show-Formaten, oder Studiointerviews bzw. TV-Diskussionen zwischen den SpitzenkandidatInnen zu verstehen (Plasser &

Lengauer, 2009, S. 325).

Der Grad der Professionalität einer Kampagne steigt mit der Zunahme dieser Elemente in entsprechend hoher Intensität (Tenscher, 2011). Diese Indizes kamen bei der Bewertung des Professionalitätsgrades von nationalen bzw. EU-Wahlen in Österreich und Deutschland in den Jahren 2008 und 2009 zum Einsatz. Die quantitativen Befunde unterstreichen zudem, „dass nicht nur die Massenmedien und Bürger zwischen Haupt- und Nebenwahlen differenzieren, sondern dies auch für die politischen Protagonisten zutrifft.“ (Tenscher, 2012, S. 104–105) Was wiederum die von Cayrol (1991) aufgestellte Theorie von low-key campaigns, die im vorigen Kapitel behandelt wird (Kapitel 2.2.3.1) unterstreicht.

Die von Tenscher entwickelten Indikatoren sind, in unterschiedlicher Intensität, für Politisches Themenmanagement in Wahlkämpfen relevant und sollten in Wahlkampf-Strategien berücksichtigt werden. Zwar hinterfragt Tenscher selbst in seiner Studie die Relevanz des Indikatorensets und spricht sich für deren Überprüfung aus, jedoch stellen die insgesamt fünfzehn Indikatoren für die Autorin eine geeignete Orientierung für die Entwicklung von Wahlkampf-Kampagnen dar.

Sind die Kommunikationsstrukturen für die Entwicklung von Wahlkämpfen von eminenter Bedeutung, vor allem was die Indikatoren wie Budget und andere Ressourcen betrifft, so sind es die Indikatoren der Kommunikationsstrategie, die einen massiven Einfluss auf das Setzen und Management von Themen im Wahlkampf haben und daher in dieser Arbeit vorrangig betrachtet werden.

Die Indikatoren erinnern an den Marketing-Zugang zu Kampagnen. In diesem Fall wird der Interaktion mit den Massenmedien der Begriff der ‚free media‘ gegeben. Aus Sicht des Marketings und des Wahlkampfbudgets ist diesem durchaus beizupflichten. Aus

Massenmedien im Wahlkampf ein deutlich höherer Stellenwert zu. Auch hinsichtlich der Themensetzung im Wahlkampf ist hier eine Unterscheidung zwischen den direkten und indirekten Kommunikationskanälen zu setzen. Während alle anderen, von Tenscher (2011) genannten Indikatoren in die Kategorie der direkten Kommunikationskanäle fallen, ist die Adressierung der Massenmedien bzw. „free media“ den indirekten Kommunikationskanälen zuzuordnen. Der Vorteil der direkten Kommunikationskanäle aus Sicht der KommunikatorInnen ist, dass die eigenen Inhalte unverändert und direkt an die Bevölkerung vermittelt werden. Bei den indirekten Kommunikationskanälen erreichen die Inhalte der Parteien die WählerInnen nicht auf direktem Weg, sondern gelangen zuerst an die Massenmedien, die nach ihrer Logik über die weitere Vermittlung der Inhalte entscheiden.

Dieser besonderen Rolle der Massenmedien in Wahlkämpfen widmen sich nachfolgende Überlegungen zur Medialisierung.

2.3.1.2 Medialisierung

Die Medialisierungsperspektive konzentriert sich auf die Interaktion zwischen Medien und Politik. Medialisierung ist nach Schulz (2003) „die Prägung der von Massenmedien berichteten Inhalte nach Maßgabe einer Medienlogik, d.h. nach medienspezifischen Selektionsregeln und Darstellungsformaten, meint darüber hinaus auch die Prägung der Wirklichkeit aufgrund einer Wechselwirkung oder Reziprozität zwischen Medien und Ereignissen“ (Schulz, 2003, S. 465).

Interessant für die empirische Auseinandersetzung ist, wie es politischen AkteurInnen gelingt, durch Inszenierung von Ereignissen und durch Themenmanagement die Medienlogik für ihre politischen Ziele zu nutzen.

Unter Medialisierung ist die Vermittlung des Wahlprogrammes und der jeweiligen Positionen zu bestimmten Themen sowie die Kompetenzen der KandidatInnen in medialer Art und Weise zu verstehen. Mithilfe der Massenmedien kann eine erhebliche Reichweitensteigerung der Kampagne erreicht werden, und damit wird eine breite Wählerschaft erreicht. Mehr noch:

„Für die meisten Wähler ist das Bild der Kampagne, das die Medien bieten, die wichtigste Informationsquelle. Die zunehmende Differenzierung des Mediensystems ermöglicht es den Parteien und Kandidaten, die Kommunikationsmittel zu diversifizieren und unterschiedliche Wählersegmente gezielt anzusprechen“ (Schulz, 2011, S. 235).

Für die Parteien als Kommunikatoren gilt es, sich bei ihrer Wahlkampfkommunikation an der Medienlogik zu orientieren. Massenmedien sind demnach die zentralen AkteurInnen in der Vermittlung von Inhalten zwischen Parteien und WählerInnen geworden. Es kommt den Medien dabei eine politische Deutungs- und Definitionsmacht zu, denn nicht nur die Wahrnehmung des politischen Diskurses ist überwiegend von medialer Realitätskonstruktion, medialer Aufmerksamkeit und Nachrichtenkonkurrenz abhängig, „sondern auch die Definition und Deutung der öffentlichen, politischen Debatten und Problemstellungen“ (Lengauer &

Vorhofer, 2010, S. 148). Auf die Rolle der Medien im politischen Diskurs wird in Kapitel 3.4 umfassend eingegangen.

Medialisierung in der Gesellschaft und damit die Rolle der Medien hat im Laufe der Zeit eine immer wichtigere Rolle in Wahlkämpfen eingenommen.