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Der Geist der Vergangenheit spukt

In document Cathedra Magistrorum 2019/2020 (Pldal 134-140)

Ein Ausdruck aus einer älteren Stilistik ist mittlerweile geflügeltes Wort ge-worden. Partikeln seien demnach wie Läuse im Pelz der Sprache. Der originale Wortlaut ist wie folgt: „Unsere Sprache ist reich an Flickwörtern, die meisten sind unnötig. […] All diese Flickwörter wimmeln wie Läuse in dem Pelz un-serer Sprache herum.“ (Reiners 1943/44 [2004]: 241f.)

Die Stilistik Deutsche Stilkunst. Ein Lehrbuch deutscher Prosa von Ludwig Reiners ist mitten in den schlimmsten Kriegsjahren entstanden. Sein Umgang mit der Sprache gliedert sich in die nationalsozialistische Sprachkritik ein. Das Ziel besteht in einer idealisierten sprachlichen Kürze, durch die Sachlichkeit, Entschlossenheit und Folgerichtigkeit zum Ausdruck gebracht werden. Nicht nur Partikeln, sondern auch Konjunktionen, Satzadverbien, sogar Hilfs- und Kopulaverben werden bei ihm als überflüssige Wörtchen verachtet, die zum wesentlichen Satzinhalt nicht beitragen, sondern die Rede unnötig verlängern:

1 Vgl. dazu besonders die von Harald Weydt herausgegebenen Sammelbände (z.B. Weydt [Hrsg.]

1989) sowie mehrere Monographien (z.B. Thurmair 1989). Ein Sammelband (Weydt [Hrsg.]

1981) ist sprachdidaktischen Fragen gewidmet.

Ist der Aufbau der Gedanken folgerichtig, so braucht man die Sätze nicht noch mit logischen Bindewörtern aneinanderzuleimen. […] Wenn die richtige Tonstärke getroffen ist, braucht man nicht die verstärkenden Umstandswörter wie gänzlich, durchaus und vollständig. Reif für den Rotstift sind meist auch die Worte selbst-verständlich und natürlich; wenn etwas wirklich selbstselbst-verständlich ist, braucht man dies (selbstverständlich) nicht erst zu erwähnen. (ebd.)

In Bezug auf die Partikeln (die ja nicht als eigene Kategorie erscheinen) äußert sich Reiners wie folgt:

Das Wörtchen ja versucht eine unangebrachte Familiarität in den Umgang mit dem Leser hineinzubringen; es wird gern eingefügt, wenn man etwas als selbst-verständlich und beiläufig darstellen möchte, was in Wahrheit recht windig ist (ich habe ja schon bewiesen…). Auch doch, wenn es nicht die Bedeutung von jedoch hat, sondern den Sinn von wie sich ja eigentlich von selbst versteht, ist oft banal:

an dieser Tatsache besteht (doch) gar kein Zweifel. Eigentlich ist meist unnötig und verdächtig; es leitet gern Behauptungen ein, die dem Schreiber selbst ungenau oder zweifelhaft vorkommen. Das Wort übrigens wird meist angewandt, wenn der Autor etwas anbringen will, was mit der Sache wenig zu tun hat, oder wenn er zu bequem ist, den richtigen Übergang zu dem neuen Satze genau zu über-legen. Meist ist der ganze Satz entbehrlich. Fast ist ein Angstwort; es wird gern verwandt, um eine falsche Behauptung (fast) zurückzunehmen oder wenigstens abzuschwächen. Wohl soll gleichfalls fragwürdige Urteile mildern und entschul-digen. Nun ist oft bloßes Leimwort und verdeckt oft eine Gedankenlücke. (ebd.) Die hintergründige ideologische Position stellt sich aus dem Zitat gut heraus.

Familiarität, Freundlichkeit, Unsicherheit und Relativierung, Beiläufigkeit, Abstecher und nebenbei erwähnte Inhalte sowie Zögerungssignale sollten aus der sprachlichen Kommunikation verbannt werden. Lehrer wurden an-gewiesen, derartige „Kommunikationsschwächen“ konsequent zu korrigie-ren. Demgegenüber sollte man sich auf das Wesentliche, auf die Sachlichkeit und Folgerichtigkeit der vermittelten Inhalte beschränken. Dadurch wurde eine Kommunikationsform präferiert, in der der Kommunikant als kleiner Ersatzteil einer großen Maschinerie einfach seine Aufgaben erfüllt, aber nicht als Mensch, nicht als Individuum auftritt. Als Ironie des Schicksals kann nur betrachtet werden, dass Reiners trotz seiner verachtenden Haltung die Funktion dieser Wörtchen sehr gut erfasst hat, so dass spätere Partikelforscher von dieser Beschreibung gut ausgehen können.

Die Frage wird im gegenwärtigen Fremdsprachunterricht leider wieder aktu-ell. Auch wenn in der Linguistik niemand mehr die Position von Reiners teilt, sieht die Stellung von Sprachenlehrern in dieser Hinsicht m.E. ziemlich kont-rovers aus. Manche meinen, dass die Partikeln wegen der anfangs erwähnten Schwierigkeiten nicht richtig didaktisiert werden können, dass sie zu einer sehr

hohen Unterrichtsstufe gehören und kleine, für ausländische Deutschlerner überhaupt nicht relevante Nuancen ausdrücken oder sogar das Privileg der Muttersprachler, den Teil der muttersprachlichen Sprachkompetenz bilden.

Für viele Lehrer besteht das Ziel des Fremdsprachunterrichtes nur darin, dass Schüler die wesentlichen Inhalte klar und verständlich formulieren können (Reiners lässt grüßen!). Auch dies sei nach ihnen eine große Herausforderung für die Deutschlerner. Feinere Schattierungen, Nuancierungen halten sie für unrealistisch.

Hinzu kommt, dass Fremdsprachenkenntnisse in immer zunehmendem Maße als bloße technische Hilfsmittel für die Bewältigung praktisch ausge-richteter beruflicher Aufgaben betrachtet werden (etwa: auf A2 muss man ein Hotelzimmer reservieren oder ein Flugticket bestellen, auf B2 Anträge oder Geschäftsbriefe schreiben können usw.). Während zur Zeit der kommuni-kativ–pragmatischen Wende (vgl. Helbig 1988a: 148f.) die Fremdsprache als Tor zur Welt, als erweiterte Denkhaltung bzw. Einblick in eine andere Kultur betrachtet wurde, wird heutzutage eher von einer homogenen Berufswelt ausgegangen und die kulturelle Vielfalt der Völker wird – etwas zugespitzt formuliert – auf ihre Gastronomie reduziert. Fremdsprachenkenntnisse die-nen heute eher der Karriere als der vielfältigen Entwicklung einer ausgewo-genen, weitsichtigen Persönlichkeit. Wundern wir uns, dass die Ergebnisse des Fremdsprachunterrichtes letztendlich immer schlechter werden, weil die Schüler dieses Lernen als monoton und geschmacklos empfinden? Wie die Suppe ohne Salz.

2 Eine besonders „situations- und kontextbezogene Sprache“

Demgegenüber ist die deutsche Sprache besonders reich an den behandelten

„unnötigen Flickwörtern“ wie an

• Hilfs- und Modalverben

• Konjunktionen

• pronominalen Verweisen, Pronominalketten

• verstärkenden Adverbien (so, ebenso, ebenda, genau)

• Verbpartikeln (auftreten, eintreten, abtreten, wegtreten, zurücktreten)

• Satzadverbien (vielleicht, wahrscheinlich, bekanntlich, offensichtlich)

• Grad- und Steigerungspartikeln (auch, nur, gerade, sehr, außerordentlich, super)

sowie auch an Modalpartikeln, so dass sie als typologische Merkmale des Deutschen angesehen werden können. Harald Weydt hat bereits schon 1969 bemerkt, dass Modalpartikeln in französischen Übersetzungen deutscher Texte meistens einfach weggelassen und nicht übersetzt werden. Er erklärt dies mit zwei unterschiedlichen Denkweisen. Das Französische beschränke sich „auf die grobe, aber deshalb ganz unverwechselbare Information, auf das daß, während das Deutsche feiner differenziert und das wie kommuniziert“

(Weydt 1969: 118). Coseriu kommt zu einer komplexen sprachtypologischen Erklärung:

In anderen Sprachen wird die Einordnung in eine bestimmte Situation oder in einen bestimmten Kontext stillschweigend vorausgesetzt oder in der Rede mit okkasionellen Mitteln angegeben. Im Deutschen gibt es dagegen diese einzel-sprachlichen Funktionen auf der Ebene des Sprachsystems. […] Das Deutsche ist dadurch eine „situations- und kontextbezogene“ Sprache, oder, wenn man will, eine „Sprech-Sprache“: eine Sprache, die sehr zahlreiche und verschiedenartige Determinationen des Sprechens zu einzelsprachlichen Funktionen gestaltet und als solche in sich selbst aufgenommen hat. (Coseriu 1988: 27)

Wenn man im Unterricht die Partikeln (oder auch andere Mittel der kon-textuell–situationellen Determination) ignoriert, ist man einfach den grundlegenden Eigenschaften der deutschen Sprache sowie der deutschspra-chigen Kommunikation nicht gerecht, verliert man gerade die Eigenart des Deutschen.

3 Common Ground: der eigentliche Kontext für Äußerungen

Eine neue Kommunikationstheorie bietet einen angemessenen Rahmen für die Erklärung der Partikelfunktionen. Stalnaker (2002) geht in seinem Common-Ground-Modell davon aus, dass hinter jeder erfolgreichen Kommunikation eine Wissensbasis der Kommunikationspartner steht, die für das Verstehen genauso wichtig ist wie die Sprachkenntnisse. Jeder Sprachlehrer wurde schon damit konfrontiert, dass seine Schüler einen fremdsprachigen Text auch mit wenigen Sprachkenntnissen relativ gut verstehen, wenn das Thema ihnen bekannt ist, wenn sie mit der Situation vertraut sind. Umgekehrt ist ein Text auch mit guten Sprachkenntnissen schwer verständlich, wenn das Thema bzw.

die Situation fremd und/oder vom Interesse des Schülers weit entfernt ist. Die Theorie von Stalnaker gibt für dieses Phänomen eine komplexe Erklärung.

Jeder Kommunikationsteilnehmer verfügt in Bezug auf das Thema über ein

eigenes Wissen. Zugleich macht jeder Teilnehmer Annahmen über das Wissen der Kommunikationspartner. Bestimmte Inhalte werden als allgemein be-kannt, evident vorausgesetzt. So kann man z.B. die Sonne oder den Mond in jedem Gespräch als für alle Teilnehmer bekannte Information erwähnen, ohne sie zu erklären. Bei Stalnaker werden diejenigen Wissensinhalte, von denen alle Kommunikationsteilnehmer überzeugt sind und zugleich alle über-zeugt sind, dass auch alle anderen davon überüber-zeugt sind, Common Belief (‚gemeinsame Überzeugung‘) genannt (vgl. Stalnaker 2002: 706). Außer dem allgemeinen Weltwissen gehören dazu auch diejenigen Inhalte, über die im ge-gebenen Diskurs allgemeiner Konsens besteht bzw. die von allen Teilnehmern als Überzeugung deklariert wurden.

Es gibt ferner auch Wissensinhalte, die von den Kommunikationsteilnehmern nicht als gemeinsame Überzeugung, sondern nur als individuelle Überzeugung eines Teilnehmers angenommen werden. Dies liegt typischerweise bei Dissensthemen vor. Wenn jemand seine Position äußert, wird dies von den anderen als seine Position akzeptiert, aber nicht als gemeinsame Position aller Teilnehmer.

Alle Teilnehmer gehen davon aus, dass jeder Teilnehmer über ein bestimm-tes Wissen und über eine bestimmte Position zum Diskursthema verfügt.

Wenn ein Teilnehmer diese Position nicht bekannt gibt, machen seine Partner Annahmen darüber. Missverständnisse entstehen häufig dadurch, dass jemand die Position des Anderen falsch einschätzt oder über das Wissen und die Absichten des Anderen falsche Annahmen macht.

All diese Wissensbestände, d.h. die gemeinsamen Überzeugungen und die den anderen bekannten oder nur angenommenen individuellen Überzeugungen der Kommunikationsteilnehmer, konstituieren den sog. Common Ground, die gemeinsame Wissensbasis für die Kommunikation. Stalnakers wichtigste Neuigkeit besteht darin, dass er den Begriff des Kontextes vor diesem theo-retischen Hintergrund neu definiert. Jede Äußerung ist notwendigerweise in einen Kontext eingebettet und kann nur vor diesem Kontext interpretiert werden. Der Kontext kann aber nicht auf die enge sprachliche Umgebung beschränkt werden. Allgemeines Weltwissen, die allgemeine Kenntnis des jeweiligen Diskursthemas, die gemeinsam erlebte Situation usw. gehören auch zum Common Ground. Wie Stalnaker das Fazit zieht: “If we understand con-texts, and the speech acts made in concon-texts, in terms of the speaker’s beliefs and intentions, we have a better chance of giving simpler and more transparent explanations of linguistic behavior.” (Stalnaker 2002: 720).

4 Modalpartikeln im Dienste der Konstitution des Common Ground

All die von Reiners so verachteten „Flickwörter“ weisen über den en-gen Rahmen des tatsächlich Gesagten hinaus und stellen ein Verhältnis zum Common Ground her. Darin besteht der wesentliche Unterschied zwischen der natürlichen menschlichen Kommunikation und der blo-ßen Informationsvermittlung. Kommunikation ist ohne eine gemeinsame Wissensbasis gar nicht vorstellbar. Diese Wissensbasis ist dynamisch zu ver-stehen: die Wissensbestände der einzelnen Diskursteilnehmer sind nicht un-bedingt deckungsgleich, sie überlappen einander nur teilweise, sie werden im Laufe der Kommunikation ständig erweitert. Jede Äußerung hat ein spezifi-sches Verhältnis zu diesem Wissensrahmen und dieses Verhältnis wird mit sprachlichen (und häufig auch mit nichtsprachlichen) Mitteln auch expliziert.

Die Modalpartikeln verfügen dabei über eine besonders wichtige Funktion für die Konstituierung des Common Ground (vgl. Karagjosova 2003). Wie bereits Zimmermann (2011: 2016) darauf verwiesen hat, besteht beispiels-weise der semantische Unterschied zwischen ja und doch darin, dass erstere Modalpartikel einen symmetrischen, letztere einen asymmetrischen Common Ground markiert. In Beispiel (1) geht der Sprecher mit ja davon aus, dass der Partner seine Aussage vor der gleichen Wissensbasis interpretieren wird, in Beispiel (2) postuliert er mit der Verwendung von doch zwei unterschiedliche Wissensbestände und weist den Partner an, die Aussage vor dem Hintergrund des Wissens des Sprechers zu interpretieren und nicht vor seinem eigenen.2 Mit eben/halt wird auf die Common Belief verwiesen und die Überzeugung des Sprechers versprachlicht, dass niemand eine andere Überzeugung vertreten wird (Beispiel 3).3

Auch in Nichtaussagesätzen kann man mit der Modalpartikel auf den Common Ground Bezug nehmen. Mit denn wird in Beispiel (4) auf die vom Sprecher und von den Kindern gemeinsam wahrgenommene Situation verwie-sen, die den Motivationsgrund für die Fragestellung darstellt. Es handelt sich dabei nicht unbedingt um eine vorangehende sprachliche Äußerung, sondern

2 Darin besteht das Wesen der erinnernden Funktion von doch: Der Sprecher geht davon aus, dass der Partner etwas wissen sollte, was ihm aber aktuell nicht präsent ist. Er will mit der Äußerung das Sprecher- und das Partnerwissen wieder ausgleichen.

3 Thurmair (1989: 125) schlägt auch eine weitere Differenzierung vor, indem eben etwas stärker ist und die Evidenz, während halt nur die Plausibilität des vermittelten Inhaltes bedeutet. In unserem Modell heißt es, dass der Sprecher im ersten Fall auf eine bereits vorhandene Common Belief verweist, im zweiten an den Partner appelliert, damit der vermittelte Inhalt zur Common Belief wird.

auch darum, was der Sprecher und seine Partner gemeinsam sehen oder sonst erleben.4 Mit eigentlich wird in Beispiel (5) auf das fehlende gemeinsame Wissen verwiesen bzw. auch darauf, dass der Sprecher den Common Ground bemängelt. Mit dem Aufforderungssatz (6) mit der Modalpartikel mal wird der Partner zu einer Handlung aufgefordert, die nach dem gemeinsamen Wissen der Kommunikationspartner keine besonderen Anstrengungen des Hörers benötigt, dadurch kommt eine freundliche, beiläufige Atmosphäre zustande. Eine komplexe Charakterisierung des Common Ground liegt im Exklamativsatz (7) vor, in dem der Sprecher mit aber auf die Diskrepanz seiner Erwartungen und der tatsächlich wahrgenommenen Situation verweist: Er hat zwar erwartet, dass der Kaffee heiß ist, aber die tatsächliche Situation hat seine Erwartungen überschritten.5

Die Natürlichkeit der Sätze mit Modalpartikeln erklärt sich damit, dass dadurch auf den Kontext im weiten Sinne Bezug genommen und der Satz in den ganzen Kontext eingebettet wird. Die Unnatürlichkeit der partikellosen Sätze ist in vielen Situationen darauf zurückzuführen, dass die Sätze dadurch kontextlos wirken, als würden nicht oder nur locker zusammenhängende Sätze nebeneinander gestellt.

5 Ein Geheimnis wird aufgeklärt oder:

auf der Spur der Leistung der Modalpartikeln

In document Cathedra Magistrorum 2019/2020 (Pldal 134-140)