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Zur Forschungsmethodik der deutschen Sprachinseln in Ungarn

2 Forschungslage und Forschungsterminologie

2.3 Forschungstraditionen in der Sprachinselforschung

2.3.1 Zur Forschungsmethodik der deutschen Sprachinseln in Ungarn

abwechslungs-reiche und an Ergebnissen abwechslungs-reiche Geschichte. Über die Entwicklungen und wich-tigsten Etappen bis zu den 1990er Jahren berichtet HUTTERER74 (1991) ausführlich, auf die hier nicht eingegangen wird, vielmehr wird auf die in den letzten 30 Jahren entstandenen und initiierten Forschungen fokussiert.

In der ungarndeutschen Tradition wurde in dialektologischen Forschungsar-beiten und wissenschaftlichen Untersuchungen der Frage der Methoden bzw. der Methodenwahl relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In der Regel orientierte man sich an den methodischen Vorgehensweisen vor allem der germanistischen

71 Vgl. KNIPF (1993), MAITZ (2005), ERB (2007a).

72 Vgl. FÖLDES (2005b), KNIPF-KOMLÓSI (2003b, 2006b).

73 Z. B. die von der Minderheit selbst initiierten Spracherhaltsbestrebungen, die Partizipation am Vereinsleben der Minderheit und in der Öffentlichkeit, die Traditionspflege, das Aufrechterhal-ten von SitAufrechterhal-ten sind als wichtige, die linguistischen Aspekte ergänzende Forschungsfragen zu betrachten.

74 Vgl. HUTTERER (1991) insbes. Kap. IV, V.

41 (binnendeutschen), österreichischen, der internationalen sowie der ungarischen dialektologischen Forschungsliteratur.75 Prägend und maßgebend waren die For-schungen unter der wissenschaftlichen Leitung von HUTTERER, später von MANHERZ, WILD.76 Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts77 griff die Forschung auf die sog.

Heimat- oder Herkunftsbestimmungsmethode zurück, um die Sprachinseldaten mit denen der „Urheimat“ vergleichen zu können. Heute sind uns die Schwächen und die Einseitigkeit dieser Methode bereits bekannt (vgl. HUTTERER 1991, 173). Die dialektgeografische Methode setzte erst später ein, als die sprachlichen Phänomene der einzelnen Ortsmundarten den Bezugsgebieten (auf deutschem Sprachgebiet) topologisch zugeordnet wurden.78

Eine andere Perspektive sah in den Sprachinseln ein Feldlabor für sprachliche Veränderungen, die „in der neuen Heimat“ einen eigenständigen Entwicklungs-weg eingeschlagen haben. So versuchte man die in den Sprachinseln gewonnenen Belege auf sprachhistorisch frühere Stufen zu beziehen, um ihren Entwicklungs-weg mit größerer Genauigkeit interpretieren zu können. Somit standen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Forschungsansätze und -methoden in der Tradi-tion der klassischen dialektologischen, dialektgeografischen und areallinguisti-schen Forschung.79 Glücklichen Umständen zufolge können Sprachinselforscher in Ungarn heute noch auf eine reichhaltige Dokumentation zu alten, mehr oder weniger noch als homogen betrachteten Dialekten der deutschen Sprachinseln der Zwischenkriegszeit zurückgreifen, die teils in ungarischer, teils in deutscher Spra-che in akademisSpra-chen Zeitschriften publiziert worden sind und die reichhaltiges dia-lektales sowie volkskundliches Material, sprachliche und volkskundliche Angaben und Belege dokumentiert und beschrieben haben.80

Zu einem Forschungsstillstand kam es aus bekannten Ursachen in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg. Seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts kann jedoch auf diesem Gebiet auch in Ungarn über eine Neubelebung der For-schung gesprochen werden.

75 Vgl. die ungarische dialektologische Fachliteratur (v. a. JENŐ KISS, SAMU IMRE, LORÁND BENKŐ, JÓZSEF SZABÓ, DEZSŐ JUHÁSZ).

76 Darüber hinaus kamen wichtige Impulse durch die engen Kontakte mit der Marburger Schu-le (HEINRICH DINGELDEIN, JÜRGEN SCHMIDT), den Heidelberger und Wiener Kollegen (KLAUS

MATTHEIER, PETER WIESINGER) und mit dem Tübinger Institut (ARNO RUOFF). In den 1980/90er Jahren wurden regelmäßig Sprachinseltagungen, zweimal gemeinsame Feldforschungen und Workshops in Ungarn durchgeführt, bzw. Kooperationsprojekte (STELLMACHER, MATTHEIER, EICHINGER, SCHMIDT, WIESINGER, PATOCKA) in die Wege geleitet.

77 Es muss hinsichtlich des Alters der Sprachinseln differenziert werden. Es wurden die mittelal-terlichen Sprachinseln wie Siebenbürgen, die Zips und Westungarn untersucht, die Erforschung der neuzeitlichen Sprachinseln (18. Jh.) setzte erst Anfang des 20 Jahrhunderts (1903) ein.

78 SCHMIDT (1934).

79 Vgl. Német Philológiai Dolgozatok, Német Nyelvészeti Dolgozatok, Nyelvtudományi Közle-mények, Egyetemes Filológiai Közlöny oder in den Deutschungarischen Heimatblättern (Vier-teljahresschrift 1929–1935) bzw. in dem Deutschen Volkskalender des Ungarländischen Deut-schen Volksbildungsvereins.

80 Vgl. NEUHAUSER (1927), SCHWARTZ (1923), SCHILLING (1933), TÓTH (1934), TOLNAI (1941), FOLLÁTH (1940), u. a. m.

Forschungstraditionen in der Sprachinselforschung

Angeregt durch den von vielen als „Vater der Sprachinseln“81 genannten VIKTOR SCHIRMUNSKI in Russland, fortgesetzt von seinem Schüler CLAUS JÜRGEN HUTTERER in Ungarn, wurde diese Forschung wissenschaftsmethodisch begründet und aus-gebaut. SCHIRMUNSKI adaptiert das Modell der primären und sekundären Merkmale und der mehrstufigen Mischungs- und Ausgleichsprozesse von KUHN, die von HUTTERER auch für die ungarndeutsche Sprachinselforschung angewendet wurde.

Diese methodische Bereicherung bedeutete in der Sprachinselforschung aus dop-pelter Hinsicht einen wichtigen Meilenstein: Erstens, weil durch die Einbeziehung der sprachlichen Mischungsprozesse die äußere und innere Dynamik der Kontakte der Sprachinselmundarten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt wurde, zweitens, weil dies als ein erster Ansatz zur Beschreibung einer Varietätenverschie-bung und einer Umfunktionierung im Sprachrepertoire der Sprachinseln betrachtet werden kann. Beide Aspekte stellen heute noch aktuelle Forschungsfragen dar.

Die Forschungen der 1970/80er Jahre stehen im Zeichen der neueren metho-disch-wissenschaftlichen Ergebnisse der Dialektologie und der Soziolinguistik nach dem Vorbild des deutschen Sprachgebietes (vgl. MANHERZ 1977). So standen variations- und kontaktlinguistische Methoden durch die Erschließung der viel-seitigen Wechselwirkung von Sprachinsel und Umgebungsgesellschaft im Mittel-punkt der Forschungen (KIEFER 1967, MÁRVÁNY 1970, NELDE 1990, WILD 1990, ERB 2002), bzw. Forschungen mit dem Ziel, den besonderen Aspekt der Interferenz- und Transferenztypen (FÖLDES 1996) ins Visier zu nehmen. Neuere Forschungen basie-ren auf makrosoziolinguistischen Erhebungen mit Methoden der sozialpsychologi-schen Attitüden-Forschung, mit der Analyse von subjektiven ethnisch-emotionalen und instrumentellen Einstellungen und Bewertungen der Sprachinselsprecher zu ihrer Muttersprache und der Mehrheitssprache (vgl. auch DEMINGER 2004, GER

-NER 2006, ERB 2007a), doch gleichfalls belebend wirken in letzter Zeit auch die Methoden der Sprachwandelforschung (KNIPF-KOMLÓSI 2009). Für eine genaue Bestandsaufnahme der heutigen Sprachinselverhältnisse eignet sich die interaktio-nale Soziolinguistik nach dem Modell von GUMPERZ (1982) gut, in der die aktuelle Kommunikationspraxis mit den Umgebungsfaktoren analysiert und in Korrelation gestellt wird, wodurch das volle Kommunikationsprofil einer Sprach-/Dorfgemein-schaft erschlossen werden kann (MIRK 1997, MANZ 2007, ERB 2009).

Auf die konkreten Methoden bezogen, verläuft die Trennung zwischen deskrip-tiv und soziolinguistisch orientierten Verfahren funktional. Bei der Beschreibung einzelner systemlinguistischer Erscheinungen flexionsmorphologischer oder syn-taktischer Art überwiegen bis heute noch die strukturell – deskriptiven Methoden, weshalb in diesem Bereich in den ungarndeutschen dialektologischen Forschungen nach wie vor viele Forschungsergebnisse zu verzeichnen sind.82

Bei handlungsorientierten, auf die Sprecher, die Sprachgemeinschaft und wei-tere sprachexterne Faktoren bezogenen Fragestellungen, in Bezug auf die Sprach-kompetenz und auf das Kommunikationsprofil der Sprecher und des dialektalen

81 Als eigentlicher „Vater“ der Sprachinseltheorie gilt WALTER KUHN (1934), von dem v. a. auch das Konzept der primären und sekundären Merkmale stammt.

82 Vgl. MÁRVÁNY (1970), MANHERZ (1977), KNÁB (1994), WILD (1994), BRENNER (2004), MÁRKUS (2003), KNIPF-KOMLÓSI (2003a), WILD (2003a).

43 Sprachgebrauchs – der Spracheinstellungen – haben die gängigen, in der Forschung vielfach eingesetzten soziolinguistischen Erhebungs- und Auswertungsmethoden die führende Rolle übernommen (vgl. MANZ-JÄGER und MANZ sowie ERB, alle 2007, NÉMETH 2010).

Es lässt sich ein langer Entwicklungsweg nachzeichnen: Ausgehend von einer primär dialektgeografischen und klassischen systemlinguistischen Sicht gelangte die Sprachinselforschung in Ungarn bei der Erforschung ihres Gegenstandes und bereichert durch mehrere Forschungsrichtungen und -ansätze zu einer sozio- und kontaktlinguistischen, pragmatischen und nunmehr schon interdisziplinär ausge-richteten Sicht und Methodenvielfalt. In diesem Sinne gewinnen neben den eher seltener werdenden (eher rein deskriptiv ausgerichteten) systemlinguistischen Forschungserträgen soziolinguistische Fragestellungen zum Sprachgebrauch, zur Bewertung und Einstellung zum Dialekt, und zu den übrigen Sprachen und Varie-täten eine immer wichtigere Rolle. So wurden besonders nach der Wende bei den deutschen Sprachminderheiten in Mittelosteuropa die dialektalen und kommuni-kativen Verhältnisse, der Kompetenzgrad der Sprecher in der Minderheitensprache und in der Landessprache, bzw. der Kompetenzgrad ihrer Bilingualität83 ziemlich exhaustiv erforscht. In jüngster Zeit lernen wir in neuesten Forschungen die frü-heren und gegenwärtigen kontaktlinguistischen Methoden aus einem neuen Blick-winkel kennen (vgl. ERB 2004, FÖLDES 2005a).

In diesen als soziolinguistisch summierten Forschungen wurde der Forschungs-gegenstand den neuen Herausforderungen der veränderten Gesellschaftsstruktur angepasst, denn als erstrangig wichtig wurde in der Sprachinselforschung nun eine Zuwendung zu den Sprechern: Es werden Sprachverwendungsmodalitäten und Strukturen sowie die Einstellungen der Sprecher erforscht, wie und warum sie ihre Sprachen und Varietäten in gegebenen Situationen wählen oder eben mischen. Als Bezugspunkt gelten nunmehr die Situation und die aktuelle Umgebungssprache der Mehrheitsgesellschaft mit ihren sozialen und kommunikativen Normen, ihren vielfältigen Kontakten, an denen auch Sprachinselsprecher in ihrem Alltag partizi-pieren und diese mitgestalten. Aus diesem Grunde plädierte MATTHEIER für einen erweiterten Sprachinselbegriff, indem er die Aufmerksamkeit auf die soziologi-schen und soziolinguistisoziologi-schen Aspekte der Sprachinseln und ihrer Sprecher lenkte, und die Rolle der Kontaktgesellschaft in den Vordergrund stellte.84

Hand in Hand mit den linguistisch orientierten Forschungen sind nach der Wende in Ungarn auch neue Sichtweisen in den historiografischen und soziohis-torischen Forschungen erschienen: Es kam zu einem grundlegenden Perspektiven-wechsel in der Geschichtsschreibung der Ungarndeutschen.85 Durch die Möglichkeit der Erschließung und Zugänglichkeit von bislang unerreichbaren Quellen konn-ten im historisch-politologischen Umfeld neue Erkenntnisse, Interpretationen und Bewertungen wichtiger historischer Ereignisse86 in der ca. dreihundertjährigen

83 Vgl. WILD (1986), KNÁB (1994), MANZ (2007), BRENNER (2004).

84 Vgl. MATTHEIER (1994), BEREND / MATTHEIER (1994), KNIPF / ERB (1998), EICHINGER (2003a).

85 Vgl. FATA (1997), SEEWANN (2007), SPANNENBERGER (2002).

86 Z. B. die Ansiedlung, die Rolle der Ungarndeutschen im Mittelalter, in der Neuzeit und im 20.

Jahrhundert mit der Aussiedlung und Vertreibung.

Forschungstraditionen in der Sprachinselforschung

Geschichte der Ungarndeutschen gewonnen werden. Gleichzeitig bedeuteten diese Erkenntnisse – auf komplementäre Weise – eine Erweiterung bzw. Unterstützung des linguistischen Horizonts.87 Ähnliches gilt auch für die ethnografischen und soziologischen Forschungen zur deutschen Minderheit, die ebenfalls zu einer Befruchtung der gesamten Minderheitenforschung beigetragen haben.88

Die Sprachinsel-Forschungen der letzten Jahre in Ungarn verfügen über eine Methodenvielfalt, die nach Forschungszweck und -interesse gewählt wird. Neben den bislang überwiegend punktuellen dialektologischen Erhebungen erscheinen nun auch einige zusammenhängende Areale erfassende und auch vergleichende Arbeiten.89 Doch auch die mehrheitlich strukturliguistischen Untersuchungen zu Einzelerscheinungen in der Phonetik, Morphologie, im Bereich der Entlehnungen und Kontakte sind noch vertreten, eher selten sind Analysen im Bereich der Syntax und Lexik. Es zeichnet sich klar eine abnehmende Tendenz der rein dialektologi-schen Untersuchungen zu Gunsten der sozio- und kontaktlinguistidialektologi-schen Methoden und Fragestellungen ab, in denen es um sozio- sowie psycholinguistische Frage-stellungen (Spracherwerb, Mehrsprachigkeit, Sprachwahl, Sprachverlust etc.) und Analysen geht.

87 Vgl. die Reihe „Beiträge zur Volkskunde der Ungarndeutschen“.

88 Vgl. FÉL (1935), MANHERZ / WILD (2002), BINDORFFER (2001).

89 Vgl. MÁRKUS (2003), Ungarndeutscher Sprachatlas Hb. l. (2008), WILD (2003A) sowie das groß-angelegte Projekt von RUOFF / WILD zur Dokumentation donauschwäbischer Mundarten.

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3 METHODISCHE VORÜBERLEGUNGEN ZUR