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Wortbildungsmuster in der Minderheitensprache

6 Wortbildung: Komplexe Wortstrukturen in der Minderheitensprache

6.2 Wortbildungsmuster in der Minderheitensprache

Bestandteil der Lexikonkomponente der Grammatik in zweifacher Hinsicht: 1. sie beschreiben komplexe Lexikoneinheiten und 2. sie verlangen keine syntaktischen Regeln, die die Kombi-nation elementarer Einheiten vermitteln, sondern nehmen die Abbildung von Bedeutungsstruk-turen auf LautstrukBedeutungsstruk-turen direkt vor. (MOTSCH 1999, 1)

In diesem Sinne gehört zur lexikalisch-semantischen Beschreibung von Wort-bildungen auch die Kenntnis von Wortbildungsmustern,520 die in unserer Auffassung

518 So können GERSBACH / GRAF in ihren Ausführungen zu Wortbildungsphänomenen in Dialekten und in der gesprochenen Sprache nachweisen, dass dort Ableitungen teils noch aus älteren Ba-sen entstehen, sowie dass weit weniger Fremdsuffixe auftauchen (1984, 237 und 255).

519 Vgl. SCHWITALLA (2006, 151).

520 MOTSCH erarbeitet in den Grundzügen der deutschen Wortbildung (1999, 5) aufgrund eines gegenwartssprachlichen Korpus differenzierte semantische Muster, die folgende sind: 1) Reine Umkategorisierung 2) Semantische Umkategorisierung 3) Semantische Modifizierung 4) Wort-negation 5) Umformung der Argumentstruktur.

199 zum intuitiven Sprachwissen der Sprecher gehören, ergänzt um das Wissen, dass Bildungsprozesse oft analogischer Natur sein können, weil Bildungsmuster seman-tisch transparent sind. So können mithilfe von Bildungsmustern Abstraktionen, eine Gegenständlichkeit, Vorgänge, Vergleiche, Verkleinerungen, eine Abschwächung oder eine Verstärkung der Intensität, movierte Feminina, mit anderen Worten ver-schiedene Konzeptualisierungen dargestellt werden. Andere wiederum drücken das Agens, das Thema der Tätigkeit oder Kollektiva und eine Negation aus. Trotz der Aufdeckung und Erarbeitung solcher semantischer Wortbildungsmuster, die einen leichteren Zugang zur Bedeutung der gebildeten Wörter anstreben, stellt ihre Inter-pretation einen äußerst komplexen Prozess dar: So gehört zur InterInter-pretation einer komplexen Wortstruktur das Weltwissen, das dauerhaft gespeicherte Allgemein-wissen des Sprecher/Hörers, das situationelle und sprachliche bzw. außersprachli-che Kontextwissen, das das Verstehen der aktuellen Situation vom Spreaußersprachli-cher/Hörer verlangt. Die Wortbildungsmuster, die in der untersuchten Minderheitensprache vorzufinden sind, weichen von jenen Wortbildungsmustern, die im Laufe der Ent-wicklung der heutigen deutschen Standardsprache entstanden sind, nicht wesent-lich ab: So sind in der Minderheitensprache jene, im Laufe der Sprachgeschichte des Deutschen entwickelten und etablierten traditionellen Wortbildungsmuster aufzufinden, erweitert um einige vor allem durch den sprachlich-kulturellen Ent-wicklungsweg dieser Minderheit und durch den Sprachkontakt begründeten sog.

Sondermuster.521 In der untersuchten Minderheitensprache überwiegen die additi-ven Bildungsmuster im Vergleich zu den subtraktiadditi-ven Prozessen der Wortbildung.

Erstere gelten als die auch in den Sprachinseldialekten etablierten und tradierten Bildungsmuster, letztere, insbesondere die Kurzwortbildung, spielen aufgrund der Gesprochensprachlichkeit in der Wortbildung der Mundart eine verhältnismäßig geringe Rolle.

Grundsätzlich sind alle Sprachgemeinschaften bestrebt, ihre inneren Ressour-cen und vorhandenen Mittel zur Bildung neuer Wörter zu mobilisieren und zu nut-zen, obgleich diese Tendenz im gegenwärtigen Sprachgebrauch der Minderheit nicht mehr so eindeutig festzustellen ist. Folgende Tabelle gibt eine kurz geraffte Übersicht der in der Minderheitensprache belegten Wortbildungsmuster:

Ausdruckserweiterung Formkonstanz Ausdruckskürzung atypische Muster

Komposition Konversion Kurzwortbildung hybride Bildungen

Zusammenbildung (Inkorporation) Derivation Präfix- Zirkumfix-Suffixbildungen

Tabelle 8: Wortbildungsmuster in der Minderheitensprache

521 Vgl. dazu auch Kap. 6.4.

Wortbildungsmuster in der Minderheitensprache

Von den heute bekannten und gängigen Wortbildungsmustern522 im Deutschen, wie auch im untersuchten ungarndeutschen Dialekt sind die Komposition und die Deri-vation die zentralen, am besten überlieferten und auch die am häufigsten gebrauch-ten Bildungsmöglichkeigebrauch-ten bei den ausbaufähigen Wortargebrauch-ten (Substantive, Verben, Adjektive). Beide Bildungsarten gelten als prototypische Muster zur Ausdrucks-erweiterung, die aufgrund der Kombinierbarkeit der verwendeten Bildungsmittel (freie lexematische Konstituenten und gebundene Affixe) als additive Prozesse der Wortbildung bezeichnet werden, wohingegen die Kurzwortbildung als Prototyp für die Ausdruckskürzung steht und die Konversion als formerhaltender Prozess bezeichnet wird. Ein beachtlicher Unterschied zwischen den Wortbildungsmustern der deutschen Standardsprache der Gegenwart und der deutschen Minderheiten-sprache der Gegenwart kann vor allem in der Produktivität bzw. in der Nutzung dieser Muster beobachtet werden.

Die Komposition bietet ein typisches Beispiel für eine komprimierte Darstel-lung von zwei oder mehr Konzepten zu einer Wortkonstruktion. An ihrer Beschrei-bung lässt sich die Zwischenstellung der Wortbildung im Gesamtgefüge der sprachwissenschaftlichen Disziplinen nachvollziehen: An der Wortform lässt sich die morphologische Struktur des Wortbildungsmusters sowie das Zusammenspiel der Bedeutung der morphologischen Konstituenten erkennen. Zwischen den mor-phologisch segmentierbaren Konstituenten zeichnen sich vielfache syntaktische Beziehungen ab, die oft an die Beziehungen zwischen den Satzgliedern in der Syntax erinnern. Auch aus semantischer Sicht zeigen Komposita bereits durch die Anordnung der Konstituenten und durch das zwischen den Gliedern bestehende logisch-semantische Verhältnis eine Durchsichtigkeit, die ihr Verstehen fördern und erleichtern. Durch die Eingebettetheit der Komposita in Kontexte und Gesprächs-sequenzen lassen sich nicht nur der narrative Hintergrund des Textgefüges, sondern auch die pragmatischen Indikatoren der Entstehung des Kompositums erahnen und zu guter letzt auch, wie EICHINGER (2000, 16) schreibt:

erkennt man zudem, wie uns Schematisierungen, die sich als Geschichte von Texten und Inter-texten darstellen, verbunden mit aktuellen textuellen Hinweisen helfen, auch mit unbekannten Wörtern umzugehen.

Die kontextuell gebundene Lesart eines Kompositums lässt sich anhand der Belege Rossarweit-Feldarweit gut beweisen, weil doch das Lexem Rossarbeit kein gän-giges Kompositum darstellt, wohingegen Feldarweit ‘Feldarbeit’, Hausarweit

‘Hausarbeit’ und Handarweit ‘Handarbeit’ als usuelle Komposita gelten. Auch dieser Beleg zeigt, dass die auf dem Wege der Analogie entstandenen Komposita durch ihre Deutung wortinterne Zusammenhänge erkennen lassen, die ergänzt wer-den durch Kontextinformationen und Erfahrungen, über die die Sprecher mit wer-den konstituierenden Bestandteilen des Kompositums bereits verfügen, wie das vom Sprecher auch gleich nach dem Kompositum zu einer Paraphrase expliziert wird Rossarweit – halt die Arbeit, wu m’r a Ross brauch… – ‘halt die Arbeit, wozu man ein Ross braucht’. Hinsichtlich ihrer Deutungsmöglichkeiten sind Komposita

offe-522 Im Weiteren werden die Begriffe Wortbildungsmuster und Wortbildungsarten synonym ver-wendet.

201 ner als Derivationen schon aus dem Grunde, dass die Beziehungen zwischen den freien Konstituenten sehr vielfältig sein können, doch spielt auch hier die Analogie, in einer begrenzten Zahl der Fälle in Mundarttexten auch rektionale Zusammen-hänge der Konstituenten in den Zusammenbildungen eine stützende Funktion bei der Bedeutungserschließung: Wegputzer, Waigartehider ‘Weingartenhüter’, Feldhi-der ‘Feldhüter’, Freithofhider ‘Freidhofhüter’ oder mit dem Zweitglied -fihrer

‘-führer’ Arweitsfihrer ‘Arbeitsführer’, ‘Brigadier’ sowie die Bildungen mit -halter als Zweitglied: Schofhalder, Sauehalder ‘Schafhirte, Schweinehirte’. Besonders pro-duktive Muster der Komposition können bei den Substantiven konstatiert werden, etwas weniger ausgeprägt sind diese Muster bei den Adjektiven und den Verben.

Als additiv ist auch der Prozess der Derivation zu betrachten, deren semanti-sche Struktur von einem einzigen Konzept ausgeht, das mit einem Affix verbunden die Spezifizierung des Ausgangskonzepts, eine bestimmte Hervorhebung oder eine Fokussierung eines Bedeutungsaspektes erfährt. Im Vergleich zur Offenheit der semantischen Interpretation der meisten Komposita (mit Ausnahme der Rektions-komposita) ergibt sich bei der Derivation eine weitaus geringere Interpretations-freiheit, zumal Suffixe, Präfixe und Zirkumfixe zwar polyfunktional, aber in ihrer Bedeutung eher abstrakt und entkonkretisiert sind und daher in der Auslegung ihrer Bedeutung in großem Maße von der Basisbedeutung mitbestimmt werden. Das Suffix ist jedoch in dieser Hinsicht gleichrangig mit dem Zweitglied einer Kom-position – hinsichtlich der Wortart und der Flexionsklasse kategoriebestimmend, d. h. Genus, Wortart und morphosyntaktische Eigenschaften des Derivats werden, von der lexematischen Basis rechts, vom Suffix bestimmt – wohingegen Präfixe dies kraft ihrer Eigenschaften nicht tun können, dafür aber eine semantische Modi-fikation der Basis herbeiführen. Derivationen zeigen ausgeprägte Muster bei Sub-stantiven und Adjektiven, bei Verben sind es die bedeutungsmodifizierenden und aspektbezogenen Präfixe, die eine besondere Gewichtung auch in der Sprache der Minderheiten (in dialektalen Formen) haben. Suffixe kennzeichnen die Subkate-gorie der freien Basis, die semantische und morphologische Klasse des gebildeten Wortes, fungieren also formal gesehen als Kopf des Derivats. Zu jeder ausbau-fähigen Wortart existiert ein Inventar dieser Bildungsmittel, die in den einzelnen Varietäten, z. B. in der Mundart und in der Standardvarietät wegen ihrer unter-schiedlichen Produktivität und Aktivität, ihrer morphonologischen Beschränkungen und aufgrund ihrer Reichweite in der tatsächlichen Nutzung verständlicherweise nicht völlig übereinstimmen. Suffixe können aus pragmatischer Sicht mit ihrer Kategorisierungsfunktion auch bei der Kohäsionsbildung von Texten, Gesprächen und Monologen nützlich sein.

Konversionen scheinen auf den ersten Blick die technisch am wenigsten auf-wändigen Bildungsmuster zu repräsentieren, weil sie die wenigsten oder gar keine morphonologischen Veränderungen beanspruchen, doch sind sie hinsichtlich ihrer Funktionen als komplexe Bildungsmuster zu betrachten. Ihre wichtigste Funktion besteht im Wortartwechsel, in der Überführung einer Kategorie in eine andere ohne das formal anzuzeigen. Man nennt sie auch den Fall der „Nulloption“, bekannt auch als implizite Ableitung. Als prototypische Fälle der Konversion gelten die Muster der Substantivierung der Infinitive und Partizipien, die als „die ideale Schnittstelle

Wortbildungsmuster in der Minderheitensprache

zwischen der flexivischen und der lexikalischen Morphologie [angesiedelt werden]“

(vgl. EICHINGER 2000, 22): des Esse ‘das Essen’, des Schlofe ‘das Schlafen’, des Gschlachteni ‘das Geschlachtene’, des Aigsaierti ‘das Eingesäuerte’, des Gfroreni

‘das Gefrorene’, seltener auch Adjektive des Bloi 523 ‘das Blaue’.

Inkorporationen können im weiteren Sinne als eine Sondergruppe der Konver-sion betrachtet werden, da sie eine Zwischenstellung zwischen Komposition und Derivation einnehmen, ihre Grundlage sind eine syntagmatische Basis und nicht freie Lexeme.524 Auf diese Weise werden kondensierte Konzepte auf ökonomische Weise, durch Informationsverdichtung in Form von Zusammenbildungen, ausge-drückt. Hier sehen wir die syntaxnahe Seite der Wortbildung, in der mehrgliedrige syntagmatische Verbindungen zu einem komplexen Wort werden, sozusagen als ein Fertigteil im Prozess der Wortbildung entstehen. Hierher gehören die Rekti-onskomposita und mehrere Arten von Bildungstypen, in denen „die vereinfachten syntaktischen Außenbezeichnungen im Satz zu innenstrukturellen Beziehungen im Wort werden“ (ERBEN 1983, 22). In der untersuchten Mundart gehören eine Reihe von Gerätebezeichnungen wie Milchseijer ‘Milchseiher’, Ofeschiewer ‘Ofenschie-ber’, Uhrezeiger ‘Uhrenzeiger’, die Vielzahl von Berufsbezeichnungen in Form von Inkorporationen hierher: Besebiner ‘Besenbinder’, Schlappemacher ‘Pantof-felmacher’, Kartezwicker ‘Kartenzwicker’, ‘Schaffner’, Wasserträger, aauget ‘ein-äugig’, korzärmlig ‘kurzärmelig’, aschichtig ‘einschichtig’ (in der Bedeutung von simpel, einfach)

Ein typisch schriftsprachliches Muster repräsentieren Kurzwortbildungen (Abbreviationen), die in der gesprochenen Sprache eher atypisch sind, besonders in ungarndeutschen Dialekten, in denen sich nur vereinzelte Belege fanden. Obwohl Ausgangswort und das gebildete Wort keinen Bedeutungsunterschied signalisie-ren, geht es hier um einen völligen Verlust der Motivation auf der Wortformebene, was zu einem hohen Grad der Ikonizität führt. Bei dieser Bildungsart muss eigent-lich das dritte pragmatische Prinzip wirksam werden. In der Mundart kommt es zu Kürzungen vor allem im Bereich der Propria, der Personennamen. In der vorlie-genden Korpussammlung sind Beispiele eher rar, bis auf jene Transfers aus dem Ungarischen, die seit der Modernisierung der Landwirtschaft und des Alltags seit den 1960er Jahren Einzug in den Wortschatz dieser Minderheit gefunden haben:

die OTI, SZTK, TSZ,525 die im Alltagswortschatz der Ungarndeutschen bis in die 1990er Jahre vital waren, das ungarische Kurzwort zur Bezeichnung von Kühl-schrank fridzsi und das ungarische Füllwort stb. ‘usw.’, das jedoch nur ein einziges Mal, von einer Sprecherin (Lehrerin) der mittleren Generation verwendet wurde.

523 Vgl. KNIPF-KOMLÓSI (2003a, 121).

524 Für den Wortbildungstyp gibt es mehrere Bezeichnungen, GRIMM nannte sie „uneigentliche Komposita“, denn hier ist das syntaktisch vor dem Substantiv stehende Genetiv mit dem Substantiv zusammengewachsen und eine Art Univerbierung der syntaktischen Abfolge des Satzes entstanden (vgl. EICHINGER 2000, 31).

525 Vgl. Akronyme ung. TSZ = termelő szövetkezet (landwirtschaftliche Produktionsgenossen-schaft), ung. SZTK = Szakszervezetek Társadalombiztosítási Központja (Zentrale der Sozial-versicherung der Gewerkschaften), ung. OTI = Országos Társadalombiztosítási Intézet (Landes-institut für Sozialversicherung).