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Sprachinseln vs. Sprachminderheit

2 Forschungslage und Forschungsterminologie

2.2 Terminologische Vielfalt in der Minderheitenforschung

2.2.1 Sprachinseln vs. Sprachminderheit

Die mit dem Begriff ‚Sprachinseln‘ bezeichneten sprachlich-ethnischen Formati-onen von Sprachgruppen gibt es auf der Welt überall. Demenstprechend gibt es auch eine ganze Reihe von Definitionen, die das Phänomen in Abhängigkeit der Forschungsinteressen jeweils anders angehen.43

Die deutschen Sprachinseln in Ostmitteleuropa sind historisch tradierte Sprach-inseln, eigentlich Immigrantenminoritäten,44 deren Ansiedlung verhältnismäßig

41 In der Fachliteratur ist dieser Teil des Sprachrepertoires auch als „dritter Sprachkode“, als „bi-linguale Strategie“ bekannt (Vgl. auch MYERS-SCOTTON 1993), wobei dieser Teil des Sprachre-pertoires vom Terminus „Sprachwahl“ oder „Code-Alternierung“ grundsätzlich zu trennen ist (Vgl. FASOLD 1984, 180).

42 Das Konzept der Ökolinguistik fokussiert „die sozialen Existenzbedingungen und Organisa-tionsformen natürlicher Sprachen und der sie tragenden Sprechergruppen in multiethnischen Kontaktregionen.“ (PÜTZ 2004, 230).

43 Ohne auf die einzelnen Sprachinseldefinitionen näher einzugehen, sei hier auf die Interpretatio-nen des Begriffs KNIPF-KOMLÓSI (2005, 209) sowie FÖLDES (2005a, 283) und MATTHEIER (1996, 812–819. und 2003, 13–33) verwiesen.

44 EDWARDS (1990) unterscheidet zwischen indigenen (z. B. Basken, Sorben) und Immigranten-minoritäten (deutsche Sprachinseln in Ungarn, Russland, Rumänien), obgleich aus historischer Perspektive diese Trennung auch problematisch ist.

Terminologische Vielfalt in der Minderheitenforschung

kompakt und zum Großteil in organisierter Form im Laufe des 18. Jahrhunderts vonstatten ging. Zur Zeit ihrer Ansiedlung waren sie in dreifacher Hinsicht als nicht homogen zu betrachten:

– geografisch, hinsichtlich ihres Herkunftsortes aus dem deutschen Sprachge-biet,

– aus sprachlicher Sicht, durch ihre sehr unterschiedlichen Ursprungsmundarten, – hinsichtlich ihres Identitästbewusstseins, da sie z. Z. der Ansiedlung noch über

kein Gruppenbewusstsein verfügten.

Diese miteinander aufs engste verwobenen Umstände führten im Prozess des Sprachinselwerdens verständlicherweise zu einer Reihe von Schwierigkeiten und Komplikationen, so dass sich im Laufe der Konsolidierung dieser Gruppen sog.

selbstregulierende Prozesse der Anpassung45 entwickelten. Dieser Anpassungs-prozess wurde später in Osteuropa – aus historischer Perspektive betrachtet – auch durch die Nationalitäten- und Sprachpolitik der Österreichisch-Ungarischen Mon-archie teilweise46 stark beeinflusst und geprägt, die „von der Überdachung durch die große mehrsprachige Staatsform der k.u.k. Monarchie [...] ein virtuelles Netz des Deutschen weit über das Land gespannt hat“ (vgl. EICHINGER 2008, VII).

Die Sprachinselgeschichte einer Minderheit – wie die der Deutschen im öst-lichen Teil Europas – ist in hohem Maße abwechslungsreich, da sie die in diesem Teil Europas im 20. Jahrhundert in schneller Abfolge sich abspielenden histori-schen, wirtschaftlichen und sozialen Umstände, Ereignisse und Verhältnisse der einzelnen Ländern widerspiegelt. Sprachinselgemeinschaften reagieren verhältnis-mäßig schnell auf alle gesellschaftlichen Veränderungen, nicht nur durch ihr sozia-les Verhalten und auf der Bewusstseinsebene, sondern auch durch ihre sprachliche Anpassung. Vor diesem Hintergrund sind bei einer holistischen Untersuchung die-ser Minderheit sozialpsychologische wie soziolinguistische Aspekte insbes. für die Beschreibung der Dynamik ihres sprachlichen Verhaltens, ihrer allgemeinen und sprachlichen Integration, ihres Andersseins und ihres Sprachgebrauchs in den ein-zelnen Etappen ihrer Geschichte mit zu berücksichtigen.

Im Laufe ihres Daseins haben die deutschen Sprachinseln in Ostmitteleuropa jenen Werdegang mitgemacht, der für die meisten Sprachinseln der Welt sozusagen vorprogrammiert ist: Ausgehend von einer Phase der monolingualen Sprachsitua-tion gelangen die Sprecher der Sprachinseln in ein lange andauerndes Stadium

45 Vgl. die Modelle von KUHN (1934), SCHIRMUNKSI (1930) und HUTTERER (1991), bzw. Kap. 4.4.

46 Verwiesen sei hier auf die grundlegend unterschiedliche Nationalitäten-und Sprachpolitik von Zisleithanien und Transleithanien, wobei ersterer sich als ein Vielvölkerstaat definierte und

„alle Volksstämme des Staates als gleichberechtigt“ sah und deklarierte: „jeder Volksstamm hat ein unverletztliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache“. Trans-leithanien (Ungarn) dagegen strebte mit seiner Politik das Ideal eines einheitlichen unteilbaren magyarischen Nationalstaates an: „Sämtliche Staatsbürger Ungarns bilden ... die unteilbare, einheitliche ungarische Nation, deren gleichberechtigtes Mitglied jeder Bürger [ist] ... gleich-viel welcher Nationalität er angehört...“ (GOEBL 2008, 121), in dessen Folge auch massive Magyarisierungstendenzen erschienen sind. Zu weiteren Einzelheiten dazu vgl. GOEBL (1999), HASELSTEINER (1984).

31 einer Zweisprachigkeit, in welchem sie ihre Muttersprache (die ursprünglichen Orts-mundarten) sowie die Sprache des Aufnahmelandes (die Sprache der Mehrheit), gleichmäßig als Kommunikationsmittel beherrschen, d. h. in einen bilingualen/

bikulturellen Zustand gelangen.47 Infolge der kontinuierlich anhaltenden externen soziohistorisch-kulturellen und politisch-wirtschaftlichen Einflüsse der Umge-bung, infolge des Dauerkontaktes mit der Sprache der Mehrheit, kann die Balance jedoch nicht lange gehalten werden. In einem nächsten Entwicklungsstadium, in den nachfolgenden Generationen, wird diese Balance umkippen und es kommt zu einer Phase des Übergangs, in der noch zwei Sprachen oder mindestens Reste der Minderheitensprache sowie das in der Schule erlernte Standarddeutsch zusammen mit der Landessprache vorhanden sind und zuletzt wird erneut ein monolingualer Zustand durch eine völlige Aufgabe der indigenen Muttersprache, der Minderheiten-sprache erreicht. Es tritt ein funktioneller wie struktureller Sprachverlust,48 evtl.

auch ein Sprachtod ein,49 doch auf die Sprecher bezogen letztendlich eine Mono-lingualität in der funktional wichtigsten, der überdachenden Landessprache. Neben einem Sprachwechsel50 im Leben der Minderheit erfolgt auch ein Varietätenwech-sel, indem Sprecher von der Mundart auf eine Umgangssprache oder gar auf die Standardsprache wechseln, und die einzelnen Varietäten unterschiedliche Funktio-nen im Kommunikationsrepertoire der Sprecher zu erfüllen haben.

Die Tatsache, dass es in der sprachlichen und soziokulturellen Kontinuität der deutschen Sprachinseln in Ostmitteleuropa, so auch in Ungarn, öfter zu größeren Einschnitten gekommen ist, kann angesichts der historischen, wirtschaftlich-sozi-alen Umwälzungen im Laufe der Jahrhunderte – insbesondere im bewegten 20.

Jahrhundert – nicht verwundern. Verwunderlich kann jedoch sein, dass die Sprache der Sprachinselminderheiten den stürmischen Zeiten der Geschichte trotzen konnte und heute – obzwar bei sehr eingeschränkten Sprachfunktionen51 – immer noch einen relativ hohen sozialsymbolischen Wert besitzt. Die Grenzen der Sprachinseln sind in der Gegenwart weder räumlich noch sprachlich von ihrer Umgebung abge-schlossen. Die Durchlässigkeit der Sprachinseln, die in Ungarn insbes. seit den 1950/60er Jahren durch die Urbanisierung, eine allgemeine Mobilität, die Öffent-lichkeit sowie in der Moderne durch die Allgegenwart der Massenmedien entstan-den ist, beschleunigt nicht nur entstan-den ohnehin großen Assimilationsprozess, sondern führt gleichzeitig auch zu einer größeren Verletzlichkeit dieser Sprachgruppe, die mit einer Schwächung ihrer Eigenständigkeit und Andersartigkeit einhergeht, als deren Folge kleinräumige Dialekte dem großen Druck der Umgebung zum Opfer fallen können.52

47 Vgl. auch FÖLDES (2005a, 65).

48 Sprachverlust (attrition) ist vor allem aus der Psycholinguistik bekannt, wird als terminus tech-nicus auch in der Kontaktlinguistik gebraucht (vgl. RIEHL 2002, 74–76), KISS (1995, 196).

49 Vgl. MATTHEIER (2003, 19).

50 Unter ‚Sprachwechsel‘ wird die Aufgabe einer Sprache (L1) zu gunsten einer anderen (L2) verstanden (vgl. RIEHL 2009, 185–190).

51 Zu den Sprachfunktionen der Ortsmundarten in Ungarn, vgl. ERB / KNIPF (2003, 77–87) und Kap. 3.4.

52 Vgl. BEREND / KNIPF-KOMLÓSI (2006a, 8).

Terminologische Vielfalt in der Minderheitenforschung

MATTHEIER sieht in den Sprachinseln in Ungarn (so auch in Rumänien, Schlesien und Südafrika) eine besondere Entwicklungsvariante: Das Gemeinsame bei diesen geografisch voneinander entfernten Sprachinsel-Gebieten ist, dass eine Verschie-bung im Varietätenspektrum der autochthonen Sprache dieser Minderheiten ein-getreten ist. So beginnen in Ungarn die ursprünglichen Immigrantendialekte, die mehrfache Ausgleichsprozesse mitgemacht haben und sich zwei, drei Jahrhunderte lang halten konnten, seit Mitte des 20. Jahrhunderts einen rapiden Auflösungspro-zess und werden allmählich durch die ungarische Kontaktsprache ersetzt. Dieser Prozess führt nun zu einer Beschleunigung der Assimilation in hohem Maße.53 Parallel damit konnte man – am Beispiel Ungarns wohl am intesivsten Ende der 80er und im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts – dank des damals schon ver-hältnismäßig gut funktionierenden Minderheitenschulwesens auch den Ausbau des Hochdeutschen beobachten, das als wirtschaftlicher Faktor und „als Indiz für die ansonsten nicht mehr vorhandene deutsche Identität angesehen und auch gepflegt wird.“ (MATTHEIER 2003, 26–28)

In den letzten vierzig Jahren vollzogen sich in der Interpretation des Begriffs

‚Sprachinseln‘ markante Veränderungen, wie dies auch in neueren Publikationen thematisiert wird (vgl. PABST 2010, 290). Merkmale der Sprachinseln,54 die in der Anfangsphase sowie im Laufe der klassischen Sprachinselforschung als wichtig und salient erachtet wurden, verloren aufgrund der eingetretenen Veränderungen makrosoziolinguistischer Faktoren an Relevanz. Es traten hingegen Merkmale auf, die unter den alltagsweltlichen Umständen und ethnisch-sprachlichen Bedingun-gen dieser Sprachgruppen heute als unabdingbar erscheinen. Merkmale, die eine herkömmlichere Sicht der Sprachinseln repräsentieren, können (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) im Folgenden zusammengefasst werden:

Aspekt der Arealität, Territorialität (punktuelles, verstreutes Auftreten oder auch zusammen-hängende Gebiete, Regionen), räumliche Abgrenzung der Sprachinseln (sprachliche, kulturelle, ethnische Isoliertheit55), sprachlich differente Mehrheitsgesellschaft, ausgeprägte ethnisch-kulturelle Differenz.

Diesen Merkmalen kann eine dynamischere Sicht gegenübergestellt werden, die folgendes Bild der Sprachinseln abgibt:

Eine Sprachinsel ist eine durch verhinderte oder verzögerte sprachkulturelle Assimilation ent-standene Sprachgemeinschaft, die – als Sprachminderheit von ihrem Hauptgebiet getrennt – durch eine sprachlich/ethnisch differente Mehrheitsgesellschaft umschlossen und/oder überdacht

53 Nicht nur in Ungarn, sondern auch in den von MATTHEIER genannten anderen Ländern, in denen statt den Dialekten das Hochdeutsche (eine wie auch immer geartete deutsche Varietät) die Rolle der Dialekte übernommen hatte.

54 Vgl. die klassischen Sprachinseldefinitionen u.a. von KUHN (1934, 14), WIESINGER (1983, 901), HUTTERER (1991, 100), MATTHEIER (1994, 334), EICHINGER (2003a, 83).

55 Unter heutigen Umständen sind diese Merkmale nicht mehr in jedem Fall gültig. Z. B. um Isoliertheit im wahrsten Sinne des Wortes geht es bei den Walsersprachinseln, die in dreifacher Hinsicht abgesondert waren: 1) vom eigenen Sprachgebiet, 2) von der fremdsprachigen Umge-bung und 3) von den gleichsprachigen Nachbarorten (vgl. ZÜRRER 2009, 27). In den ostmittel-europäischen Sprachinseln ging es um eine anders geartetete Isoliertheit, die heute längst nicht mehr existiert.

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wird, und die sich von der Kontaktgesellschaft durch eine die Sonderheit motivierende sozio-psychische Disposition abgrenzt bzw. von ihr ausgegrenzt wird. (MATTHEIER 1994, 334)

In dieser Definition wird anstelle des territorialen Aspekts der Kontakt mit der Mehr-heitssprache und -gesellschaft in den Mittelpunkt gestellt, wodurch impliziert wird, dass es zu „regelmäßigen Kontaktsituationen“ zwischen Minderheiten und Spre-chern der Mehrheit kommt (WIRRER 2005, 463), und dass sich Minderheitensprecher immer öfter und in immer mehr, auch privaten Domänen der Landessprache bedie-nen. Des Weiteren ist für gegenwärtige Sprachminderheiten typisch, dass sie ihre sprachlich-ethnische Differenz ihrer kulturellen Gepflogenheiten eher in folkloris-tischen Formen56 darstellen und sich der Mehrheitsgesellschaft auch kulturell voll angepasst haben. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist bei den heutigen Sprachminderheiten eine vorher nie gesehene kulturelle und sprachliche Offenheit zu sehen, in deren Folge eine isolierte Lage von den Mitgliedern der Sprachinseln in der Regel völlig abgewiesen und auch nicht mehr gelebt wird.57

Die Spezifik dieser Sprachminderheit ist somit auf nur mehr wenige Berei-che beschränkt, wie auf eine spezifisBerei-che Standardisierung des DeutsBerei-chen (vgl.

EICHINGER 2003a). Selbst der Ausgleich eventueller funktional-sprachlicher Nach-teile ihrer Sprachgewohnheiten in der Minderheitensprache ist heutzutage irrele-vant geworden, da es in der Gegenwart keine ungarndeutschen Sprecher mehr gibt, die in der Landessprache (Ungarisch) nicht voll kommunikationsfähig wären. Die Situation ist eher umgekehrt: Eine Kommunikationstüchtigkeit fehlt den meisten Sprechern in der Minderheitensprache, nicht aber in der Landessprache, in der sie alle ihre Sozialisationsprozesse vollzogen haben. Der sozialsymbolische Wert der noch gesprochenen Ortsdialekte bezweckt eher das Bewahren einer sprachlichen wie einer noch spärlich vorhandenen ethnisch-kulturellen Eigenheit. Gleichzeitig ist auch Folgendes zu erwägen:

In der Forschungsdiskussion der letzten Zeit stellt sich jedoch heraus, daß die den Sprach-assimilationsprozeß steuernden Faktoren weniger in objektiven als in subjektiven Wirkkräften gesucht werden müssen. Nicht die Größe der Sprachinselgemeinschaft oder ihre Siedlungs-dichte ist letztlich entscheidend für den Erhalt oder die Aufgabe der Heimatsprache, sondern bestimmte soziopsychische Dispositionen, die gesellschaftlich als Attitüden und Mentalitäten wirksam werden und das Verhalten, also auch die Varietätenwahl, steuern. (MATTHEIER 1996, 816)

Eine Wertschätzung der minoritären Sprache ist heute aufs Engste verbunden mit dem in Osteuropa noch geschätzten wirtschaftlichen Prestige der deutschen Sprache, auch mit einem größeren Sprachbewusstsein dieser Sprecher.58 Die Ortsdialekte, die als Ausdruck einer Ortszugehörigkeit und -loyalität galten, gleichzeitig auch

56 Z. B. in modernen äußeren Formen der Traditions- und Kulturpflege, wie Volkstanzgruppen, Musik- und Liederdarstellungen oder Theatergruppen.

57 Sporadisch sind sowohl auf der Verwaltungsebene (verschiedene Gremien) als auch durch Sprachinselmitglieder initiierte Bestrebungen wahrzunehmen, die eine im positiven Sinne des Wortes gemeinte Wahrung der Distanz zur Mehrheitssprache zeigen, wohl aus dem Grunde, einen Erhalt der Minderheitensprache herbeizuführen und zu unterstützen.

58 Die deutsche Standardsprache genießt bei allen Generationen der Ungarndeutschen einen un-gebrochen hohen Prestigewert.

Terminologische Vielfalt in der Minderheitenforschung

die Einbindung in feste familiäre und landwirtschaftliche Verhältnisse signalisier-ten, haben heute diese Funktionen (völlig) verloren, und nehmen hinsichtlich ihrer kommunikativen Reichweite nur noch eine ganz marginale Rolle ein oder sind – in seltenen und idealen Fällen – zu einem frei gewählten Mittel der sozialen Identi-fikation der Noch-Sprecher geworden.59 Die untersuchten deutschen Sprachinseln in Ungarn sind heute weder intakt noch kompakt, vielmehr sind sie sprachlich durchlässig und allen positiven wie negativen Auswirkungen der Modernisierung ausgesetzt. Die in der frühen Sprachinselforschung relevante sprachlich-ethnisch-kulturelle Isoliertheit dieser Sprecher ist heute durch die alle soziale Schichten und Regionen umfassende Modernisierung, die Exogamie, die Mobilität sowie durch den Urbanisierungsdrang der Bevölkerungsgruppen und der weltweiten Globalisie-rung nicht mehr vorhanden.

Vor dem Hintergrund der bisher festgestellten Charakteristika der untersuchten Minderheitengruppe kann man sie vielmehr als ein theoretisches Konstrukt, denn als konstante und kohärente soziale Gruppe betrachten, die so gesehen, eine insta-bile Sprachgruppenformation darstellt, deren wissenschaftliche Beschreibung und Untersuchung mit einer Reihe von Schwierigkeiten terminologischer und metho-discher Art verbunden ist. Folgende Tabelle summiert eine geraffte Zusammenfas-sung der wesentlichen Aspekte der ‚Sprachinseln‘ oder ‚Sprachminderheiten‘, wo ersichtlich wird, dass sich nicht nur das Forschungsobjekt, sondern damit verbun-den auch die einzelnen Forschungsaspekte sowie Methoverbun-den maßgebend geändert haben (vgl. Kap. 2.3):

früher gegenwärtig

geschlossene, intakte Sprachräume offene, durchlässige Sprachräume

homogene Sprachgemeinschaft heterogene, interkulturelle Sprachgemeinschaft sprachliche und ethnische Homogenität und

Kohäsion sich ständig verändernde sprachliche und

ethnische Strukturen – Kohäsion in Auflösung Identitäts- und Kommunikationssprache

der jeweilige Ortsdialekt Identitäts- und Kommunikationssprache unterschiedlich, nach Generationen skalierter Status und Funktionen mehr oder weniger stabile Sprach- und

Kommunikationsgemeinschaft lockere, heterogene Sprach- und Kommunikationsgemeinschaft Sprache als System (systemling. Aspekt) Sprache als soziales Handeln einheitliche, die Identität stärkende

Geschichte (Erlebnisgemeinschaft) Fehlen der einheitlichen Geschichte (keine Erlebnisgemeinschaft mehr vorhanden) Erhalt und Pflege der Traditionen als Mittel

der Kohäsion, des Gruppenbewusstseins Pflege der Tradition als (fast einziges) Mittel einer äußerlichen Zusammengehörigkeit eigenes (teils von der Umgebung

abweichendes) Wertesystem Fehlen eines eigenen Wertesystems, Eingliederung in die Mehrheitsgesellschaft Tabelle 1: Forschungegegenstand Sprachinseln

59 Vgl. KNIPF-KOMLÓSI (2005).

35 So wird auch in der neueren Fachliteratur der grundlagentheoretische Begriff

‚Sprachinsel‘ in vielfacher Weise hinterfragt.60 Den Forderungen nach Einbezie-hung neuerer Aspekte in eine Sprachinseldefinition (vgl. PABST 2010, 290) kann man nur teilweise zustimmen, weil die geforderten Aspekte nicht generell für alle heutigen Sprachinseln anzuwenden sind. Nach logischen, die internen und exter-nen Merkmale und Faktoren einer heutigen Sprachinselsituation berücksichtigen-den Überlegungen kann man zum Schluss gelangen, dass die Metapher der ‚Insel‘

hinsichtlich der neuen Konstellation dieser soziolinguistischen Kategorie in der Gegenwart verblasst ist, und die Zeit für einen modifizierten Sprachinselbegriff reif geworden ist. Das wohl wichtigste Argument dafür sieht WIRRER in einer primär die Sprache betreffenden Tatsache, dass von

Sprachinsel nur dann die Rede sein kann, wenn die Minderheitensprache neben der überda-chenden Mehrheits- und Amtssprache allen oder annähernd allen Bewohnern im alltäglichen Umgang auch außerhalb des engeren Nahbereichs als alltägliches kommunikatives Medium dient. (WIRRER 2005, 465)

Dies ist jedoch seit einigen Jahrzehnten weder in Ungarn noch bei den übrigen mittelosteuropäischen deutschen Sprachminderheiten der Fall. Dennoch denke ich, dass die heute typische sprachliche Situation dieser Sprechergruppen auch aus anderen Aspekten beleuchtet und berücksichtigt werden muss.

Die untersuchten und auf eine lange historische Vergangenheit zurückblicken-den Minderheiten-Sprachgemeinschaften haben nach ZÜRRER (2009, 28) „eine Geschichte: sie besteht im sprachlichen Überleben.“ Diese Sprachgemeinschaf-ten – vor allem jene mittelosteuropäischer Prägung – können aufgrund ihrer makrosoziolinguistischen Voraussetzungen nicht als bloße multilinguale und multi-kulturelle Gemeinschaften betrachtet und erforscht werden, denn aufgrund ihrer historischen, sozialen, sozialpsychologischen und ethnografischen Eigenartigkeit können sie nicht einfach mit den weltweit bekannten – aus wirtschaftlicher und oft auch existentieller Not – multilingual gewordenen Migrationsgruppen in den großen Industriestaaten der heutigen Welt gleichgesetzt werden, selbst wenn eine gewisse Ähnlichkeit im Sprachgebrauch mit diesen Minderheiten wahrzunehmen ist. Wenngleich die „Insellage“ der Sprachminderheiten keine Insellage mehr im metaphorischen Sinne des Wortes ist, stellen sie, aufgrund ihrer Genese und spe-zifischen Stellung im deutschen Sprachgebiet, im Gefüge der plurizentrischen deut-schen Sprache, heute noch eine unumstritten eigenständige Sprachminderheit dar.

Der frühere Sprachinselbegriff kann demzufolge mindestens aus makrosoziolingu-istischer Sicht nicht mehr pauschalisiert auf alle deutschen Sprach(insel)gruppen in der Welt angewendet werden, denn die deutschen Sprachinseln in Übersee der Gegenwart zeigen eine von den mittelosteuropäischen Sprachinseln in vieler Sicht abweichende Konstellation. Letztere haben nämlich nach der Wende, nach dem Öff-nen des EiserÖff-nen Vorhangs, eine viel größere kulturelle und sprachliche Nähe und damit einen intensiveren Einfluss des Deutschen in ihrem Alltag, durch die Medien und Reisen, zu spüren bekommen als die in Übersee. Demzufolge gestaltete sich auch ihre sprachliche Konstellation, ihre Einstellung und ihre Bewertung in Bezug

60 Vgl. v. a. FÖLDES (2005a, 281), WIRRER (2005, 465), PABST (2010, 289–299).

Terminologische Vielfalt in der Minderheitenforschung

auf die deutsche Sprache völlig anders. WIRRER schlägt für seine Untersuchung der niederdeutschen Sprachgruppen in den USA sogar den Begriff „Spracharchipelen“

vor und meint damit „jeweilige Eilande, [die] bei wenigen spezifischen offiziellen und halboffiziellen Anlässen kurzfristig meiteinander verbunden sind“ und erläu-tert, dass es sich um ein „Phasenmodell“ handle, „mit dessen Hilfe sich der allmäh-liche Untergang von Sprachinseln recht gut veranschauallmäh-lichen lässt“ (WIRRER 2005, 465).

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen und als notwendig erachteten Modifi-zierungen des klassischen Sprachinselbegriffs werden in der vorliegenden Arbeit im Weiteren die Begriffe ‚Sprachinsel‘ und ‚Minderheitengruppe‘ oder ‚Sprach-minderheit‘ synonym gebraucht, wohl wissend, dass der bewährte ‚Inselbegriff‘ in der Gegenwart für die mittelosteuropäischen Sprachminderheiten grundlegend und dringend einer Modifizierung bedarf, da er den bisherigen Bedingungen sowie der ursprünglichen Intention des Begriffs nicht mehr in jeder Hinsicht gerecht werden kann.

2.3 FORSCHUNGSTRADITIONEN IN DER SPRACHINSELFORSCHUNG