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Variation und Dynamik in der Minderheitensprache

4 Theoretische Grundlagen

4.2 Variation und Dynamik in der Minderheitensprache

variab-ler Verwendung von Sprachelementen, und zwar sowohl in der diachronen Dimen-sion (keine Sprache bleibt über einen längeren Zeitraum hinweg gleich) als auch in der interaktiv-individuellen Dimension (kein Mensch ohne Sprachstörung kom-muniziert mit allen Menschen gleich, schon gar nicht im Verlauf seines gesamten Lebens)(vgl. FRANCESCHINI 2003, 252).

Diese Verschiedenheit kann z. B. auf biologisch-physiologische Veranlagungen, auf die durchlaufenen Sozialisationsprozesse von der Familie bis zu den

verschie-215 Vgl. GUMPERZ (1982), AUER (1992).

216 Über eine ähnliche Anpassung berichtet CHRISTEN (1998, 129) bei schweizerdeutschen Spre-chern.

217 Gleichzeitig Ausdruck der doppelten Identität (vgl. BAYER 1993).

Zur Minderheitensprache

denen Stufen der institutionalisierten Ausbildung oder auf die Verschiedenheit der sprachlichen Äußerungen in bestimmten Gesprächssituationen zurückgehen. In den weltweit verstreuten deutschen Sprachminderheitenregionen erfährt die deutsche Sprache (in ihren Varietäten) unterschiedliche Realisierungen, die bei Sprachmin-derheiten immer durch den jeweiligen Kontakt mit der Landessprache mitgeprägt werden. Das Geflecht der Kommunikationsbedingungen und -umstände, in die die Minderheitensprache eingebettet ist, führt zu einer vielfältigen Variation sowie zu Veränderungsprozessen in der Minderheitensprache, die sowohl aus einer chrono-logischen als auch aus einer synchronen Sicht untersucht werden können.

Aus forschungsgeschichtlicher Perspektive betrachtet herrschte in der Sprachtheo-rie des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts lange Zeit, von der strukturalistischen Sprachbetrachtung über die generative Sprachtheorie hin, eine variationsfremde Haltung, die von der Einheitlichkeit der natürlichen Sprache und einem idealen Sprecher/Hörer ausging. Argumente für eine variationsfeindliche Haltung218 sind v. a. die Kohärenzstiftung, die Wahrung der leichten Verständlichkeit, eine einheit-liche Normvorstellung, der einfachere Weg eine Fremdsprache zu erlernen, etc.

Erst durch die pragmatische Wende wurde diesem Phänomen der Weg zu einer differenzierten Sicht des Variationsphänomens geöffnet und dadurch die Homoge-nitätsannahme der natürlichen Sprache ins Wanken gebracht. Die Variation wurde zunächst als Abweichung, als Ausnahme, oft sogar als Fehler gedeutet. Selbst Sprecher der ungarndeutschen Minderheit, die sich ihrer sprachlichen Ausdrucks-möglichkeiten wohl bewusst sind, betrachten bis heute dialektale Abweichungen ihrer Sprechweise als fehlerhaft, als abschätzig und geringwertig. Dies tun sie in der Annahme einer vermeintlichen Norm, die oft durch die Sprechweise der in Deutschland lebenden Verwandten, der in der Schule erlernten deutschen Sprache sowie durch die deutschsprachigen Medien und die individuellen Spracherfahrun-gen im deutschsprachiSpracherfahrun-gen Ausland geprägt werden:

(14) Wie mir rede, des is ka richtigs Deitsch wie was sie in Deitschland rede, des is so Mundart, so verdreht, awer die Deitsche ton des a verschteh.

(III-L-F-77-m)

(Wie wir reden, das ist kein richtiges Deutsch wie das, was sie in

Deutschland reden, das ist so Mundart, so verdreht, aber die Deutschen tun das auch verstehen.)

So kommt es vor, dass sich Sprecher häufig für ihre sprachliche Ausdrucksweise entschuldigen, wie auch im folgenden Beispiel eine Sprecherin, die sich im Tele-fongespräch mit ihren Verwandten in Deutschland unterhält:219

(15) Ihr wisst ja wie mir red’, ich kann net so sprech’ wie ihr, ich muss so, wie ich kann, no lache sie un sag’n, ich soll rede wie ich kann, awr des geht schon schwer. (III-S-F-82-m)

218 Zur variationsfeindlichen Einstellung der DaF-Lehrer vgl. KNIPF-KOMLÓSI (2008, 227).

219 Die Aufnahme stammt von Réka R. (2009) Studentin der Germanistik in Pécs.

93 (Ihr wisst ja wie wir sprechen, ich kann nicht so sprechen wie ihr, ich muss so, wie ich kann, dann lachen sie /nämlich die Verwandten in Deutschland/

und sagen, dass ich reden soll, wie ich kann, aber das ist schon schwer.) Als erste sprachwissenschaftliche Disziplin war es eben die Dialektologie und in ihrer Folge die Soziolinguistik, die ihren Untersuchungsgegenstand durch die Vari-ation definierten. Hier stand schon von Anfang an durch die Diatopik und den dia-lektgeografischen Zugriff eine heterogene Sicht der Sprache im Mittelpunkt, die durch den Verkehrs- und Kulturraum der Sprachgemeinschaft bestimmt ist,220 in dem die Sprecher lebten. Auf dieser Grundlage konnte in der zweiten Hälfte des 20.

Jahrhunderts die Analyse variabler Äußerungen und Formen von native speakers anhand sprachlicher mit nichtsprachlichen Merkmalen in Korrelation gestellt und im Raum, in der Situation und in der Zeit und durch die Funktion interpertiert wer-den.221 Sprachliche Variation entsteht permanent und erscheint vielfach: zunächst intralingual in der Einzelsprache, im Reden, Sprechen auf den systemlinguistischen Ebenen in Form von verschiedenen lexikalischen Transfer- und Mischphänome-nen, am auffälligsten jedoch im Sprachgebrauch, auf der Diskursebene, das von Sprechern selbst folgenderweise beurteilt wird:

(16) Wie mir Schwowe haintzutag rete, des versteh’n mir am Beschte. Des is a komisches Deitsch, wal do sain viel ungarische Wertr a schun drin, awer mir vrstehn des halt, des is jetz unser Sproch, mai Urgroßeldre und Großeldre hätte des a net alles vrschtane, die hen net so gut ungarisch gekennt ... wie mir ali. (III-S-F-68-s)

(Wie wir Schwaben heutzutage reden, das verstehen wir am Besten. Das ist ein komisches Deutsch, weil da sind viele ungarische Wörter auch schon dabei, aber wir verstehen das halt, das ist jetzt unsere Sprache, meine Urgroßeltern und Großeltern hätten das auch nicht alles verstanden, die haben nicht so gut Ungarisch gekonnt ... wie wir alle.)

Von den vielfachen Funktionen der Sprache (vgl. Kap. 3.2) kommt der sozialen und konativen Funktion im Sprachgebrauch der Minderheitensprecher eine besondere Rolle zu, da durch diese auch eine Gruppenkohäsion und das Sprachbewusstsein der Sprecher gestärkt werden kann. Durch die komplexe Symptomfunktion der Sprache kommt nicht nur die verbale Bedeutung der Äußerung, sondern auch die soziale Stellung zwischen Sprecher und Sender und die psychischen Dispositionen der interagierenden Personen zum Vorschein.222 Dieses komplexe Geflecht von Sprachlichem und Nicht-Sprachlichem, das Neben- und Miteinander der

verschie-220 Vgl. LÜDTKE / MATTHEIER (2005, 13).

221 So entwickelten sich angefangen mit LABOVS Untersuchungen in den 1960er Jahren bis in un-sere Tage – von den USA bis Europa – eine ganze Reihe von theoretischen Modellen, die mit ihrer interdisziplinären Methodenvielfalt die sprachliche Realität in ihrer Variation zu erfassen bestrebt waren.

222 Die Belege 15 und 16 lassen gerade die negative Eigeneinschätzung der Sprecherinnen zu ihrer Minderheitensprache zum Vorschein kommen.

Variation und Dynamik in der Minderheitensprache

denen Sprachfunktionen führt dazu, dass die Sprache(n) oder Varietät(en) variabel gebraucht werden und dem Sender eine Selektion aus den zur Verfügung stehenden vielfältigen sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten ermöglicht: „Variation ... [ist] ein meist regelhafter Prozess, der in Abhängigkeit von verschiedenen Determinanten stattfindet und dadurch bestimmte Funktionen in der Kommunikation erfüllt“

(HÄCKI BUHOFER 2000, 174).

Durch die Sprachvariation,223 die kontinuierliche Entstehung und Verschiebung sprachlicher Ausdrucksvarianten in verschiedenen Etappen der ungarndeutschen Geschichte, findet der Sprachwandel in Minderheitensituation seine wichtigste Grundlage. Variation hängt zwar mit der sprachlichen Kreativität der Sprecher zusammen, die sich auf der Ebene der parole manifestiert, doch dieser Kreativität wird entweder durch die Verständlichkeit oder durch eine von der Sprachgemein-schaft usualisierte Norm eine Grenze gesetzt. So wird in manchen Minderheiten-kreisen der Gegenwart (z. B. bei ungarndeutschen Intelligenzlern) das ständige Mischen der beiden Sprachen als ein Anzeichen des Sprachverfalls negativ bewer-tet,224 andere Sprecher auf dem Lande in Südungarn wiederum empfinden das Mischen der Sprachen als selbstverständlich, sogar in dem Maße, dass sie behaup-ten, dass man die zwei Sprachen nicht mehr klar voneinander trennen kann:

(17) Des is schun ans, des Deitschi un des Ungarischi, die kumme schun mitnant. (III-L-M-77-m)

(Das ist schon eins, das Deutsche und das Ungarische, die kommen schon miteinander.)

Varianz und Dynamik werden im Allgemeinen mit der gesprochenen Sprache asso-ziiert, auch unsere sprachliche Variationserfahrung stammt zum Großteil aus den unzähligen, routinemäßig verlaufenden Interaktionsketten. Gelungene sprachliche Interaktionen bedeuten nicht, dass zwischen Individuen und Gruppen eine problem-lose wechselseitige Verständigung nur durch eine Homogenität der sprachlichen Ausdrucksformen gewährleistet werden kann. Erfolgreich interagieren kann man auch durch sprachlich variable Formen, insbesondere wenn vom Sprecher durch die Situation eine Korrelation zwischen sprachlichen und außersprachlichen Merk-malen hergestellt werden kann, wie das im Sprachgebrauch der Minderheit der Fall ist. Minderheitensprachen bieten ein ganzes Arsenal von Variationsphänomenen, deren Gruppierung in übersichtlicher Form oft zu Schwierigkeiten führt. Variati-onsphänomene können nach ihrem Entstehungsort gruppiert werden,225 so entsteht phonetische Variation im Koartikulationsprozess, orthographische Varianten durch Normierungsprozesse und durch die kreative Nutzung der sprachlichen

Möglich-223 In Anlehnung an MATTHEIERS theoretischen Ansatz der Sprachvariation sind die Begriffe ‚Vari-abilität‘, ‚Variation‘ und ‚Varietät‘ zu klären. Unter Variabilität wird die Eigenschaft der Spra-che (variabal zu sein) verstanden, Variation weist darauf, dass die Eigenschaft ‚Variabilitität‘

innerhalb einer historischen Sprache realisiert wird und Varietät bezieht sich auf Teilsprachen und Sprachformen innerhalb der Gesamtsprache.

224 Vgl. BEREND / KNIPF (2006b, 161–175) und KNIPF-KOMLÓSI (2007, 271–285).

225 Vgl. LÜDTKE / MATTHEIER (2005, 30).

95 keiten, weiter entstehen durch Analogieprozesse innersystematische Varianten. In Minderheitensprachen dominiert aufgrund der spezifischen sprachlichen Situation eine kontaktinduzierte Variation (vgl. FÖLDES 2005a), die auch als varietätsexterne bezeichnet wird, weil sie nicht aus der autochthonen Varietät selber entwickelt wurde, sondern Varianten aus einer anderen Sprache zugelassen hatte. So ist die Mischung der zwei Sprachen, der Landessprache und des deutschen Ortsdialek-tes,226 eine Manifestation der Variation, die zum Alltag der Sprecher gehört:

(18) Ja, des war so, mir hen messe a Arwet suche. Ich bin ins Spital, wu die krange Kiner sain, un do war ich ápolónő. Do sain mir als mit dr szakszervezet aus jutalom oft uf kirándulás ins Ausland gfahre.

(II-L-F-72-m)

(Ja, das war so, wir haben müssen eine Arbeit suchen. Ich bin ins Spital, wo die kranken Kinder sind, dort war ich Schwester. Da sind wir manchmal mit der Gewerkschaft als Belohnung oft auf einen Ausflug ins Ausland gefahren.)

Hier haben wir es mit einer kontaktbedingten externen, lexikalisch-soziolingu-istischen Variation zu tun, denn in diesem Text sind wichtige Schlüsselbegriffe Transfers aus dem Ungarischen, obwohl die Sprecherin – nach eigenem Beken-nen – auch die deutsche Standardsprache gut beherrscht. An solchen Beispielen wird die systemlinguistische Kohäsion zwar verletzt, nicht aber die Kohärenz des Gesamttextes. Die Variation in der Mischsprache von Minderheitensprechern ist ein Spiegelbild ihrer erlebten Welt, nicht nur ein Signal der Bequemlichkeit, son-dern auch mit einer Funktion verbunden. Es kann damit angedeutet werden, dass sich der Sprecher im bilingualen Sprachmodus befindet und Rückkoppelungen in beiden Sprachen entgegennehmen kann.

Selbst die intralinguale (auch varietätsinterne) Variation ist noch belegt, die mit dem Sprachgebrauch und den historisch gewachsenen Gegebenheiten der Sprache zusammenhängt, wie das am Beispiel der Diminutivvarianten in den fuldischen Mundarten227 oder an der lexikalischen Variation in den Ortsdialekten in Südungarn zu sehen ist. Aus einer funktionalen Perspektive können die Variationstypen in der Minderheitensprache tabellarisch zusammengefasst werden:

interne Variation externe Variation

historisch und systembedingt, im phonologi-schen, lexikaliphonologi-schen, morphosyntaktischen Bereich, ortsdialektale Variationen

kontaktbedingt durch die Landessprache

seltener gebräuchlich, nicht mehr verbreitet

und nicht weiter tradiert kommunikativ leichter verständlich mit wenig kognitivem Aufwand, sozial akzeptiert und verbreiteter

Tabelle 5: Intern und extern bedingte Variation

226 Dieses Phänomen ist in allen deutschen Minderheitenregionen Ostmitteleuropas nachzuweisen (vgl. HVOZDYAK, TISCHEROWA (2008), KNIPF-KOMLÓSI (2008)).

227 Vgl. WILD (2003b, 41).

Variation und Dynamik in der Minderheitensprache

Das in der Theoriediskussion relativ neue und in der empirischen Sprachwissen-schaft besonders relevante Konzept der Sprachdynamik228 stellt die Sprachva-riation und den Sprachwandel in den Mittelpunkt, denn „Sprachdynamik ist die Wissenschaft von den Einflüssen auf die ständig wandelnde komplexe Sprache und von den sich daraus ergebenden Veränderungsprozessen“.229 Die Begründung der sprachlichen Veränderungsprozesse kann zusammengefasst folgende sein:

Sprachliche Veränderungsprozesse entstehen, weil Sprecher(-Gruppen) in Interaktion mit ande-ren Sprechern bzw. Sprechergruppen die über andere linguale System- und Register-Kompe-tenzen verfügen, entsprechend ihrer kommunikativen Ziele kognitive, in der Regel unbewusste Optimierungsstrategien anwenden. (SCHMIDT 2005, 18)

Pragmatisch gesehen sind unbewusste oder bewusste Optimierungsstrategien bei allen Sprechern, so auch bei Minderheitensprechern, nachzuvollziehen, indem die Sprecher mit möglichst wenig Aufwand viel Informationen in den ihnen bekannten Kodes übermitteln und sich situationsadäquat ausdrücken wollen. Die Frage hierbei ist nur, welche Optimierungsstrategien von den Sprechern eingesetzt werden bzw.

welche Wahl Minderheitensprecher aus den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln treffen? Die sprachliche Dynamik wird im Sinne des Synchronisierungskonzeptes von SCHMIDT neben der „konstitutiven Zeitlichkeit“ und den „lingualen System- und Registerdifferenzen“ auch durch die Synchronisierungsprozesse auf drei Ebenen, der Mikro-, Meso- und Makroebene, unterstützt bzw. vollzogen. Das Konzept der Synchronisierung ist für die Erforschung von Minderheitensprachen aus vielfacher Hinsicht relevant. Hier ist die Antizipation der Sprecher im Spiel, die – aufgrund ihrer bisherigen Spracherfahrungen und sozialen Interaktionsweisen, deren sie sich tagtäglich bedienen – bestimmte Erwartungshaltungen gegenüber dem Gesprächspartner und der Situation haben, d. h. der Einklang zwischen Input und der Antwort darauf das Erfüllen oder Nicht-Erfüllen der Sprachverhaltenserwartung signalisieren.230 Wird ein Nicht-Verständnis signalisiert, haben die Sprecher die Möglichkeit, die Sprache/Varietät (den Sprachmodus) zu wechseln, auf jeden Fall Veränderungen und Modifizierungen vorzunehmen, durch die ihr Sprachverhalten angemessener und erfolgreicher wird. Für Minderheitensprecher heißt das, dass sie in Anbetracht der gegebenen Situation auch Vorbeugungsmaßnahmen treffen können. Bei Signalen des Nicht-Verstehens werden Neutralisierungsstrategien eingesetzt oder zwecks einer einfacheren Kommunikation wird die Sprache gewech-selt, von deutsch auf ungarisch oder umgekehrt.231

Die Synchronisierung auf Mikroebene bezieht sich auf die Einzelinteraktion, wo es darauf ankommt, dass die Sprachhandlung erfolgreich dekodiert werden kann, wozu eine gegenseitige Anpassung der Gesprächspartner erfolgen muss. Auf der Mesoebene geht es um Synchronisierungsakte, die für die Herausbildung von situations- und gruppenspezifischen Konventionen verantwortlich sind. Zuletzt

228 Vgl. dazu SCHMIDT (2005, 15–44) sowie SCHMIDT / HERRGEN (2011).

229 Nach SCHMIDT (2005, 17) wird Homogenität nur aus methodischer Sicht hergestellt, sie ent-spricht jedoch nicht der Sprachrealität.

230 SCHMIDT (2005, 19).

231 Dieser aus psycholinguistischer Sicht interessante Prozess basiert auf Faktoren, die im Sprach-bewusstsein des Sprechers/Hörers ständig aktiviert sind.

97 wird mit Hilfe von Makrosynchronisierungen durch die Mitglieder der Sprachge-meinschaft eine gemeinsame Norm entwickelt. Synchronisierungsprozesse haben die Aufgabe, das individuelle sprachliche Wissen zu stabilisieren, d. h. die Unter-schiede zwischen dem individuellen sprachlichen Wissen zu modifizieren.232 In Minderheitensituation sind Synchronisierungsprozesse auf der Mikroebene wohl am Besten zu verfolgen. Minderheitensprecher können – wie wir in zahlreichen zitierten Beispielen sehen können – ihre Interaktionen unter sich deshalb in der typischen ungarndeutschen Mischsprache führen, weil sie wissen, dass diese richtig dekodiert werden, und so erfolgt auch eine gegenseitige Anpassung zwischen den Partnern. Zum anderen sind die Sprecher auch der Überzeugung, dass diese Weise des Sich-Ausdrückens in diesem Kontext für sie am ökonomischsten ist. Sehr häu-fig kommt es zu asymetrischen Kommunikationssituationen zwischen Großmutter und Enkel, zwischen Sprechern der älteren und mittleren Generation, in denen von jedem Sprecher ein anderer Kode aktiviert und problemlos verwendet wird, wohl wissend, dass der Interaktionspartner den anderen Kode auch beherrscht. Es geht hier um eine gegenseitige Anpassung und gleichzeitige Antizipation von beiden Generationen durch Verwenden ungarischer Lexeme in der dialektalen Matrixspra-che der älteren Generation. SpreMatrixspra-cher der jungen Generation passen sich der SpraMatrixspra-che der älteren an, indem sie über eine passive dialektale Kompetenz und die situa-tionsgebundenen gängigen Sprachmuster verfügen. Die Synchronisierungsprozesse auf der Meso- und Makroebene scheinen m. E. in einer assimilierten und einer im Sprachwechsel befindlichen Sprachgemeinschaft mit mehr Problemen verbunden zu sein, denn beide Synchronisierungsebenen sind mit der Mikroebene aufs Engste verbunden: Sind nämlich bereits in Einzelinteraktionen defizitäre sprachliche Mus-ter vorhanden, liegt die Annahme nahe, dass es auf der Meso- und Makroebene weder zur Entstehung von stabilen gruppenspezifischen Konventionen kommen kann233 noch, dass eine für diese heterogene Sprechergemeinschaft anzunehmende und auszubildende Norm in Frage kommt. Vor diesem Hintergrund erfordert das Synchronisierungsmodell in Bezug auf Minderheitensprachen weitere detaillierte empirische Untersuchungen.

4.3 THEORETISCHER HINTERGRUND DES SPRACHWANDELS