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Horizontale Gliederung des Wortschatzes

5 Empirische Befunde: Veränderungen auf der Ebene des Wortschatzes

5.2 Aufbau und Organisiertheit des Wortschatzes

5.2.1 Horizontale Gliederung des Wortschatzes

Im Wortschatz der Minderheitensprecher zeichnet sich ein “change in progress” ab (vgl. BARBOUR / STEVENSON 1998, 109), mit dem ein fortwährender Wandel, eine stete Veränderung in der Lexik gemeint ist. Das bedeutet nicht nur einen fremden Einfluss, sondern auch einen internen Wandel, eine Variation der Bezeichnungs- und Benennungsgewohnheiten der Sprechergemeinschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt sowie eine Archaisierung bestimmter Wortschatzelemente in gewissen Abschnitten der Sprachdynamik. So ist es in der vorliegenden lexikalischen Unter-suchung nicht überraschend, dass – wie angenommen war – in den Tonaufzeich-nungen vor 30 Jahren ältere, authentischere lexikalische Elemente auftauchen als in den Aufnahmen der letzten Jahre am Anfang des 21. Jahrhunderts. So hört man im Spontangespräch heute nur von der älteren Generation zum Konzept des ‘Groß-werdens’ die Kollokation:

(42) Seit ich’n net gsege hep is der amol gut gekrode.334 (II-L-M-76-m) (Seit ich ihn nicht gesehen habe, ist der aber gut geraten = schön gewachsen.335)

333 Vgl. LUCKMANN (1986).

334 Vgl. wie auch der Phraseologismus, der nur noch von wenigen älteren Menschen gebraucht wird: die grot net und deiht net (die wächst nicht, gedeiht nicht)

335 In einer vertrauten, persönlichen Situation verwendet mit einer positiven Konnotation ver-sehen. Zahlreiche ähnliche Beispiele sind gfrette ‘sich abmühen, sich mühsam durchhelfen’

(mhd. vretten – plagen, quälen, wundreiben) vgl. WOLF (1987, 249).

129 von der mittleren und jüngeren hingegen:

(43) der is awer groß wore (III-L-M-81-m) (der ist aber groß geworden)

Ähnliche Beispiele, die aus dem heutigen Sprachgebrauch leider verschwunden sind, gibt es noch mehr, denke man nur an die heute nicht mehr gebräuchlichen verschiedenen Maßbezeichnungen, wie a Tope Salz ‘eine Prise Salz’, a Range Brot

‘ein großes Stück Brot’, a Batze Schmalz ‘ein Batzen Schmalz’, a Kaafl Kukrutz

‘eine handvoll Mais’, a schipplvoll ‘eine Schöpfe voll’. Die Bewegungen von Wortschatzelementen zwischen Zentrum und Peripherie sind im Minderheiten-wortschatz besonders auffallend. Die in der Gegenwart seltener gebrauchten dialek-talen Elemente wandern vom Zentrum an die Peripherie, und durch die allmählich schwindenden Aktivierungsmöglichkeiten dieses Wortschatzes vermehren sich auch Zeichen des Dialektabbaus.

Hier vollzieht sich ein generationenvariativer Gebrauch lexikalischer Elemente, der bei Dialektsprechern des deutschen Sprachraumes bereits vor einiger Zeit kon-statiert wurde.336 Beim Konzept „entwicklungsvariant“ geht es im binnendeutschen Sprachraum um die Entwicklung dialektaler Varietäten im Generationenverlauf:

Die Sprache der Großelterngeneration von heute wird nicht die dialektale Varie-tät der Zukunft sein, denn die Trägerin des Dialekts der Zukunft wird die Kinder-generation sein, die jedoch eine abgewandelte Varietät des Dialekts repräsentiert und die sich vom heutigen Dialekt der Großelterngeneration – auch bei Bewahrung eines gewissen Grades an Dialektalität – verständlicherweise unterscheiden wird.

Ausschlaggebend für den Erhalt einer Dialektalität ist das aktive und passive Dia-lektwissen der einzelnen Generationen, und die Speicherungsart dialektaler Lexik.

Da in Sprachminderheitensituationen Dialektkenntnisse an jüngere Generationen schon seit geraumer Zeit nicht weitergegeben werden, bedeutet dies einen eindeu-tigen Abbruch der Dialektalität, für die Zukunft sogar einen völligen Verlust der Sprachinseldialekte.

Im Wesentlichen zeichnen sich zwei Tendenzen in der Dynamik des Wortschat-zes ab: Einerseits der für eine Sprachminderheit typische stark fortgeschrittene Erosionsprozess auf der Ebene der Lexik, zum anderen ein allmählich verlaufender interner, doch meist extern initiierter, Wandel in der Wahl der Ausdrucksformen der lexikalischen Elemente. Die Dynamik dieser Tendenzen zeigt ein komple-mentäres Verhältnis, d. h. Erosionsprozesse müssen ausgeglichen werden durch unterschiedliche Bezeichnungsbedürfnisse. Die Veränderungen in der Lexik ver-laufen nicht linear, sind aber in Anbetracht des gegenwärtigen Sprachgebrauchs der Sprecher in jeder Hinsicht als progressiv zu betrachten. Aus den heute noch vor-findbaren Gebrauchsdomänen der älteren Generation und entsprechend der Hand-lungsräume der Sprechergruppen ergeben sich auf der horizontalen Ebene einzelne Teilwortschätze, die das Gesamtsystem des Wortschatzes337 konstituieren. Wichtige

336 Vgl. BERROTH (2001, 195).

337 Vgl. dazu LUTZEIER (1995, 15–16): „Der Wortschatz einer natürlichen Sprache bildet ein Sys-tem von SysSys-temen.“

Aufbau und Organisiertheit des Wortschatzes

Kennzeichen dieser Teilsysteme sind, dass sie generationenspezifisch, dynamisch und variabel sind. Aufgrund der bisher zum Wortschatz dieser Minderheit gesam-melten Sprachmaterialien und -dokumente338 können folgende Bereiche von Teil-wortschätzen ausgemacht werden:

Abbildung 3: Teilwortschätze des Mundartwortschatzes

1. Familie, Verwandtschaft 2. Haus und Hof

3. Nahrung, Essgewohnheiten, Küche 4. Wetter und Jahreszeiten

5. Mensch und Eigenschaften, Kleidung

6. Feste, Feiern im Jahresablauf des Individuums, der Gemeinschaft 7. Sitten, Bräuche, Traditionen

8. Tiere, Pflanzen

9. Alltagstätigkeiten, Arbeit, Leben im Alltag 10. Krankheit, allgemeine Befindlichkeiten 11. Landwirtschaft, Weinbau, Viehzucht etc.

Alle diese Teilwortschätze gehören dem Nähebereich an, doch selbst hier haben wir es mit einer hohen Abbaurate von dialektalen Einheiten zu tun, denn neben der allgemeinen Dialekterosion kommt mit dem Verschwinden des Bezugsgegenstan-des (Denotat) auch das Lexem außer Gebrauch.

Hinsichtlich der Zusammensetzung der lexikalischen Einheiten der Teilwort-schätze ist ihre Heterogenität ein wesentliches Charakteristikum. Sie enthalten neben indigenen Wortschatzelementen der Ortsdialekte, wie die Wortschatzsegmente für Verwandtschaftsbezeichnungen: Bas ‘Base’, Gschwistrichkind ‘Geschwisterkind’,

‘Cousine’, ‘Cousin’, Vetter ‘Onkel’, Krankheitsbezeichnungen wie Blattre ‘Blat-tern’, Hifallet,339 Verben wie hupse ‘hüpfen, springen’, laafe ‘laufen in der Bedeu-tung von gehen’, Adjektive wie marot ‘marode’, ‘krank’, zeidich ‘reif’, Partikeln ament, ‘vielleicht’, hibsch ‘viel’, Konjunktionen wie nochtrding ‘danach’, Berufs-bezeichnungen wie Klumbemacher ‘Klumpenmacher’, Renschenier ‘Ingenieur’

auch zahlreiche lexikalische Einheiten aus der Kontaktsprache zur Bezeichnung aktueller Sachmodernismen des Alltags wie építési engedély ‘Baugenehmigung’, tb-járulék ‘Sozialversicherung, -abgabe’, teils auch hybride Bildungen wie

geren-338 Vgl. auf die in Kap. 2.3 (Forschunsgtraditionen und -methoden) verwiesenen Forschungen, wissenschaftliche Arbeiten und Untersuchungen.

339 Fallende Sucht, Epilepsie.

131 delt ‘Sprechstunde gehalten’, geszavazt ‘gewählt’, bzw. eine Reihe von ad-hoc geprägten, oft von den Benennungskonventionen abweichende, für die gegen-wärtige Minderheitensprache typische Formen wie Benzibrunne ‘Tankstelle’, die Wohnung rausgewe ‘die Wohnung vermieten’, die in der Gegenwart zu integrierten Bestandteilen des Minderheitenwortschatzes geworden sind.340

Die folgende Abbildung zeigt das schematische Ineinandergreifen und die Über-schneidung der einzelnen Wortschatzbereiche in der Sprache der Minderheit, jene Schnittmenge des Gebrauchswortschatzes, der sich aus den drei wichtigen Res-sourcen der einzelnen Teilwortschätze ergibt:

Abbildung 4: Schematische Darstellung der Anteile des Gebrauchswortschatzes341 der ungarn-deutschen Sprachminderheit

L1 umfasst indigene Wortschatzelemente, die dem jeweiligen Ortsdialekt angehö-rende Mundartwörter sind,342 die größtenteils nur noch von der dialektsprechenden älteren Generation gekannt und gebraucht werden, hinsichtlich ihrer Herkunft sind sie relativ homogen.

Es geht um einen sich im Abbau befindlichen, stark erodierenden Mundartwort-schatz der einzelnen Ortsdialekte (vgl. ERB 2002, 35), der durch einen wahrnehm-baren Verlust an mundarteigenen lexikalischen Einheiten gekennzeichnet ist. Die Bezeichnungsvielfalt in den einzelnen Sachbereichen deutet auf unterschiedliche Begriffsdimensionen der Areale hin.343 Diese areale Vielfalt der einzelnen Mund-artregionen in Ungarn, die vor 1945 als noch kompakte Mundartgebiete mit vitaler Sprach- und Kulturpflege galten, ist heute vollkommen verschwunden.344

340 Vgl. dazu die Forschungsergebnisse bei niederdeutschen Sprachinseln in den USA (WIRRER 2005, 467), bzw. bei deutschen Auswanderern im 20. Jahrhundert in die USA (LATTEY / TRACY 2005).

341 Unter Gebrauchswortschatz wird in diesem Kontext der im durchschnittlichen Alltag gebrauch-te, nicht kodifiziergebrauch-te, heterogene, sich wandelnde Wortschatz der Sprachrealität dieser Minder-heit verstanden.

342 Vgl. Kap. 5.3.1.

343 Wie dies bereits im UDSA 1. Hb. zu sehen ist, dessen detaillierte onomasiologische Auswer-tung noch aussteht.

344 Als relativ homogene Mundartregion (mit einem relativ einheitlichen Bezeichnungsusus) kann heute noch die Nord-Batschka betrachtet werden.

Aufbau und Organisiertheit des Wortschatzes

L2 enthält primär kontaktsprachliche Wortschatzeinheiten, vor allem aus der unga-rischen Sprache, aber auch – besonders in Grenzgebieten – Elemente aus anderen benachbarten Sprachen, wie aus dem Serbischen, Kroatischen, sowie Entlehnun-gen, LehnübersetzunEntlehnun-gen, Lehnprägungen und eingebürgerte Transferenzen,345 zu deren Übernahme es im Sprachgebrauch kontinuierlich kommt. Sie alle bilden feste Bestandteile des Lexikons dieser Minderheit.

a) Entlehnungen aus früheren Epochen des Sprachinseldaseins, die zunächst einer Nominationsfunktion, später der Referenz gedient haben:

(44) pekmes ‘Marmelade’, ‘Mus’,346 aus dem Türk.

schecko jedno serb.: ‘alles eins’, ‘ganz egal’

bes brige ‘ohne Sorgen’, serb.: ‘bez briga’347

aldemasch ung. ‘áldomás’, ‘Umtrunk zum Feiern eines abgeschlossenen Handels etc.’

letske ‘Schulaufgabe’, ung. ‘lecke’

tarenje ‘Eiergerste’, ung. ‘tarhonya’

b) Elemente von L2, die noch nicht den Integrationsgrad von den entlehnten L1 Elementen erlangt und in der Mundart noch keine Entsprechungen haben. Die-ser Wortschatzbereich übernimmt in der Gegenwart eine primäre Nominations-funktion:

(45) s igazolás ‘Nachweis’, ‘Bescheinigung’, ung. ‘igazolás’

s táppénz ‘Krankengeld’, ung. ‘táppénz’

s kérvény ung. ‘Antrag’

e/r távirányító ‘Fernbedienung’

e fogadóóra ‘Sprechstunde’ sowie weitere gängige Sachmodernismen s jogosítvány ‘Fahrerlaubnis’

e kiképzés ‘Ausbildung’

e egyetem ‘Universität’

L1 + L2 sind hybride Formen, zu denen im Wortschatz der Ungarndeutschen jene Bildungen gerechnet werden, die oft auf ad-hoc-Weise in spontanen Gesprächs-situationen entstehen, von den gängigen Bildungsmustern abweichen, aus den Konstituenten der zwei kontaktierenden Sprachen bestehen und situations- und

345 Im Sinne von WIRRER (2005, 465) sind Transferenzen dauerhafte Effekte des Sprachkontak-tes, wohingegen Interferenzen okkasionelle Effekte darstellen, wobei er die Transferenzen als festen Bestandteil des Lexikons der Sprachminderheit betrachtet, die bei mehr als 50 % der Sprecher nachweisbar sind und für die keine Alternativen in der Minderheitensprache existie-ren. CLYNE (1991, 160) weitet den Begriff von Transferenz aus: “Transference is employed for the process of bringing over any items, features or rules from one language to another, and for the results of this process. Any instance of transference is a transfer”. Transfers werden hier als Oberbegriff gebraucht.

346 Aus dem Serbisch/Bosnischen übernommen, aus dem Türkischen (pekmes) stammend.

347 Gebraucht nur in der Nähe der serbischen Grenze, in der Batschka.

133 kontextgebunden sind.348 Hierher gehören u. a. eine Reihe der Sachbezeichnungen des modernen Alltags wie Foliaház ‘Folienhaus’ (eine Art Gewächshaus), Posch-taschin ‘Briefträgerin’,349 Mentöauto ‘Rettungswagen’ (Zweitglied in deutscher Aussprache), Paprikeföld, auch Paprikefeld ‘Paprikaacker’.350 Bei letzterem Beleg haben wir es mit quasi homophonen Morphemen in den zwei Sprachen zu tun, wie in Paprika, Paprike und föld-Feld. Die formale Ähnlichkeit erleichtert hier die Bildung des hybriden Kompositums, verhindert aber die Suche eines adäquaten Lexems in der Mundart. Bei hybriden Formen scheint die Trennung zwischen den zwei Sprachen oft schwierig zu sein, doch die Matrixsprache, in der diese Formen eingebettet sind, weisen auf die in der gegebenen Situation dominante Sprache hin.

Auf jeden Fall kann hier nicht von zwei monolingualen Gesprächsformen ausge-gangen werden, weil auch diese hybriden Formen andeuten, dass es eine breite Übergangsphase zwischen den zwei Sprachen gibt. AUER (2006, 5) hebt hervor, dass Sprecher wahrscheinlich ohne Schwierigkeiten zwischen den Kodes unter-scheiden können „und nur auf der Grundlage dieser Zuordnung sind bedeutungs-generierende Alternationen möglich“.