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Ein Konzept der Sprechergenerationen

3 Methodische Vorüberlegungen zur Untersuchung der Minderheitensprache

3.1 Ein Konzept der Sprechergenerationen

Der Zusammenhang zwischen Sprache und Alter in der linguistischen und sozio-linguistischen Forschung kann zwar als nicht neu90 betrachtet werden, doch fokus-sierten die Forschungen nicht auf Dialektsprecher, sondern im Allgemeinen auf Sprachgebrauchsgewohnheiten,91 die durch das Alter sichtbar geprägt sind. Der Sprachgebrauch spiegelt nämlich nicht nur eine bestimmte Phase des Lebens wider, sondern wirkt auch auf die Lebensphase des Menschen. Da in den folgenden Aus-führungen ganz unterschiedliche spontansprachliche Äußerungen und Sprachpro-duktionen einzelner Generationen analysiert und reflektiert werden, muss die Frage des Alters in sprachlichen Untersuchungen zur Minderheitensprache etwas näher beleuchtet werden. Spricht man von einer Abbauphase in der Entwicklungsdyna-mik der Minderheitensprache, so muss auch in Rechnung gezogen werden, dass damit nicht nur eine Veränderung der Sprachstruktur und Veränderungen im Sprach-gebrauch einhergehen, sondern gleichzeitig auch das Sprachkompetenzniveau der Sprecher – ihre Kommunikationsfähigkeit in der Minderheitensprache – stark beeinträchtigt wird. Es ist der Fall eingetreten, wo jüngere Generationen nur noch nach „oben“, mit den älteren Generationen evtl. den Dialekt gebrauchen, mit

Gleich-90 Vgl. die Forschungen von FIEHLER (1997) zu Sprache und Alter (Seniorensprache), sowie von HÄCKI BUHOFER (2003), die das Alter im Zusammenhang mit der Sprachentwicklung untersuch-te und in der Forschung das age grading, die individuelle Sprachentwicklung (Individuallingu-istik) vermisst. Vgl. die Einleitung zum Sammelband: Spracherwerb und Lebensalter (2003, 5).

Zum Alter bei Dialektsprechern vgl. BÜCHARL (1999).

91 Vgl. dazu auch die Varietätenforschung und Ergebnisse der Forschungen zur Stilistik.

altrigen, in den peergroups aber nicht mehr.92 STELLMACHER sieht den Grund für die altersbedingten Divergenzen vor allem in den „abgestuften kommunikativen Anfor-derungen, denen die Sprecher im Leben ausgesetzt waren und sind“ (STELLMACHER 1977, 139).

Auch für die 1990er Jahre betont DINGELDEIN nachdrücklich:

Daß unterschiedliche Lebensalter, jedenfalls heute, weithin große Unterschiede in ihrer Spra-che aufweisen, ist eine so offenbare SaSpra-che, daß über die Notwendigkeit, den Faktor der Alters-stufe zu beachten, nicht weiter gesprochen werden muß. (DINGELDEIN 1994a, 409)

Die bisherigen dialektologischen und soziolinguistischen Forschungen zur Minder-heitensprache beweisen, dass das Konzept ‚Alter‘ als wichtiges Ordnungsprinzip93 der Erfassung und Beschreibung der Minderheitensprache unumgänglich ist. Eine große Ähnlichkeit ist hierbei mit anderen, unter völlig unterschiedlichen Voraus-setzungen entstandenen deutschen Sprachinseln zu beobachten, wo ganz ähnlich

„die aktuelle soziolinguistische Schichtung mit der Generationenfolge [korreliert]“

(ZÜRRER 1999). Durch einen Generationenvergleich aus synchroner Sicht ergibt sich ein Nebeneinander von unterschiedlichen, den einzelnen Generationen typischen Varietäten und Sprachen, eigentlich „Altersklassensprachen“, wodurch gleichzeitig auch der diachrone Aspekt der Entwicklung der sprachlichen Verhältnisse und ihrer Kontaktsituation mit der Mehrheitssprache ins Blickfeld gerückt wird.94

Die soziolinguistische Variable ‚Alter‘ stellt keine einheitliche Kategorie dar und sie erfährt – entsprechend den verschiedenen Forschungsparadigmen – eine mehrfache Interpretation. Das Lebensalter95 bedeutet hier nicht einfach die Bejahrt-heit im Sinne von Alter, denn das Alter des Sprechers oder das Alter der im gleichen Jahrgang Geborenen repräsentiert gleichzeitig sowohl einen historischen Zeitpunkt als auch ein Lebensalter.96 Auf diese Weise kann die lebensalterliche Schichtung der sprachlichen Variablen im Sprachgebrauch der Sprecher die sprachlichen (auch historischen) Veränderungen, so den Sprachwandel im Verlauf der Zeit, als auch die durch das Lebensalter bedingten Veränderungen im Sprachgebrauch des Indivi-duums widerspiegeln.97

In der Dialektologie und Soziolinguistik sind bestimmte Lebensphasen für die Untersuchung und Feststellung von sprachlichen Produktionen der Sprecher

92 Vgl. KISS (1995, 99).

93 Die in letzter Zeit in soziolinguistischen Forschungen erfolgsversprechend eingesetzte Ap-parent-time-Hypothese (CHAMBERS 1995, 200) besagt, dass die sprachlichen Veränderungen (Variationen) von Sprechern verschiedenen Alters einer Sprechergemeinschaft den diachronen Prozess des Sprachwandels widerspiegeln (HOFER 1997, 56).

94 Einstimmigkeit herrscht diesbezüglich auch in anderen Untersuchungen zum generationsspezi-fischen Sprachgebrauch, vgl. STELLMACHER (1977), REIN (1999), MATTHEIER (1980).

95 Bei FIEHLER (1997) werden vier Konzepte unterschieden, die mit dem Begriff ‚Alter‘ verbun-den werverbun-den können: Alter im Alltagsverständnis als eine zeitlich-numerische Größe verstan-den, Alter als biologisches Phänomen (in der Medizin), das Konzept des sozialen Alters und besonders aus gesprächslinguistischem Aspekt relevant ist die interaktiv-kommunikative Qua-lität von Äußerungen im Alter.

96 Vgl. ECKERT (1997, 151).

97 Vgl. KONTRA (2005, 186).

47 als bedeutungsvoll zu erachten (vgl. MATTHEIER 1980, 45, DEMINGER 2004, 55–56).

Nach dieser Auffassung sind – entsprechend dem soziologischen Modell der Gene-rationen-Stufenleiter (BINDORFFER 2001, 65) – drei Generationen zu unterscheiden:

die junge Generation bis zum 30. Lebensjahr mit abgeschlossener Berufsausbil-dung, die Generation mittleren Alters, die bereits im Berufsleben steht (30–60) und die ältere Generation, die bereits aus dem Berufsleben ausgeschieden ist (über 60 Jahre). Lange Zeit fokussierte man in der Dialektologie vor allem auf die Aussagen und Sprachprodukte der ältesten Generation, deren Äusserungen als am meisten authentisch, valide und reliabel betrachtet werden, und an ihrer Sprache und ihrem Sprachgebrauch auch ältere Sprachzustände sowie Veränderungsprozesse der Spra-che am Besten dokumentiert werden können. Für jüngere Generationen besSpra-cheinigt man vielmehr eine Flexibilität und Offenheit gegenüber Neuerungen in der Spra-che.98

Diese Annahmen werden auch von soziologischen Forschungen unterstützt:

Die Präferenz des Schwäbischen nimmt bei den jüngeren Jahrgängen ab. Die Zahl der Situ-ationen, in denen das Schwäbische noch gebraucht wird, hängt neben den bereits erwähnten kognitiven und anwendungsspezifischen Problemen, mit den veränderten Normen und gesell-schaftlichen Erwartungen, sowie mit der Absicht und dem Willen zusammen, diesen neuen Normen, Erwartungen und Werten weitgehend zu entsprechen. (BINDORFFER 2001, 52 und 65)

In der Minderheitenforschung kann die gängige dreistufige Einteilung nach Alters-gruppen/Generationen aus unten angeführten Ursachen nicht einfach adaptiert werden, es bedarf unbedingt einer Feindifferenzierung und Spezifizierung der Altersstufen. Zur Beschreibung einer Minderheitensprache ist ein Generationen-konzept notwendig, das die soziohistorische Genese sowie die Spracherwerbs-gewohnheiten der einzelnen Sprechergenerationen der jeweiligen Minderheit im Laufe der Zeit auf adäquate Weise widerspiegelt. Für den Fall Ungarn bildet der zweite Weltkrieg im Leben dieser Minderheit eine relevante Zäsur, weil durch die nach 1945 eingesetzten politischen Repressalien nicht nur die Zahl der Mundart-sprecher drastisch zurückging, sondern auch der Status der deutschen Sprache sich grundsätzlich geändert hat.99

Eine Sprache und jedes einzelne Wort vermittelt einen Erfahrungshorizont sei-nes Sprechers: seine Sozialisationsstufen, sein Welt-und Handlungswissen, auch seine emotionale Disposition.100 Deutsch wurde allgemein in der Öffentlichkeit der ungarischen Gesellschaft101 der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts als unerwünschte

98 So hatte HUESMANN (1998, 83) zur Untersuchung des Varietätenspektrums des Deutschen mehr-heitlich mit der Generation zwischen 16–31 Abfragungen durchgeführt.

99 Nach HUTTERER (1961) besteht ein proportional umgekehrtes Verhältnis zwischen der Dialekt-kompetenz der älteren und der UngarischDialekt-kompetenz der jungen Generation.

100 Neben diachronen Sprachveränderungen gibt es auch solche, „die mehr oder weniger jedes Individuum in einer Sprachgemeinschaft im Laufe seiner Biografie durchläuft“, vom ersten Sprachewerwerb bis zum Ausscheiden aus dem Berufsleben und im Alter. „Diese im weitesten Sinne entwicklungsbedingten Phänomene spiegeln gerade nicht allgemeine Sprachwandelpro-zesse wider“ (HOFER 1997, 56).

101 Gemeint ist hier der allgemeine politische Diskurs.

Ein Konzept der Sprechergenerationen

Sprache deklariert bzw. die Ortsdialekte haben – aus bekannten historischen Ursa-chen102 – eine starke Stigmatisierung erfahren, wie es heute noch eine Frau103 (85 Jahre) erinnert:

(1) Do musste mir uns schäme, dass mir Schwaben sin und so rede. Mir ware verachtet von andre Natione, des war a in Sz. so. Ezt engedték érezni.

Mindig mondták, hogy gyütt-mentek. (III-S-F-85-m)

(Da mussten wir uns schämen, dass wir Schwaben sind und so reden. Wir waren verachtet von den anderen Nationen, das war auch in Sz. so. Das ließen sie uns spüren. Sie sagten immer, die Herbeigelaufenen.)

Das sozialpsychologische Phänomen einer länger währenden Stigmatisierung kann dazu führen, dass die Sprache vom Individuum bewusst verdrängt oder „verges-sen“ wird und letztendlich als Kommunikationsmittel vom Sprecher ‚freiwillig‘

aufgegeben wird. Ein Stigma, auch wenn es um ein sprachliches Stigma geht, kann schwerwiegende Folgen in der Verhaltensweise der Sprecher hervorrufen, daher kann die Frage auch nicht ohne sozialpsychologische Explikationen verstanden werden.

Beim Stigma geht es um ein vorhandenes oder nur vermeintliches negatives Merkmal, das in sozialen Interaktionen negativ definiert ist, das einer Person oder einer Sprache/Varietät eines Individuums, einer Sprachgruppe mit abwertenden moralischen Bewertungen zugeordnet wird. Aufgrund eines Erwartungsdrucks104 der Mehrheitsgesellschaft, in der die Sprecher der Minderheit sozial verankert sind, gerät das stigmatisierte Individuum in eine Bedrängnis, in der es um jeden Preis den Erwartungen seiner Umwelt und deren Normen,105 entsprechen will, um vom Stigma loszukommen. In diesem Änderungsdruck wird ihm eine Rolle – hier eine Sprache – zugewiesen, die seine eigene Muttersprache ablöst und verdrängt. Die erwarteten Werte der Mehrheitsgesellschaft (z. B. bei der Sprachenwahl) sind – im Gegensatz zur stigmatisierten Sprache der Minderheit – in der gegebenen Situa-tion höherrangig und signalisieren gleichzeitig eine Überlegenheit gegenüber der Minderheitensprache. Daher wird vom Minderheitensprecher angestrebt, sich die Sprache der Mehrheit möglichst einwandfrei anzueignen, denn seine sozialen Aufstiegschancen in der Gesellschaft sind an diese Werte, an das vollkommene Beherrschen der Sprache des Landes gebunden. Dieses Entsprechen-Wollen führt zu einem starken Anpassungsdruck, später allmählich zu einer völligen – nicht nur sprachlichen – Assimilation der Minderheitensprecher.

102 Selbst in der ungarischen Gesellschaft bzw. auch in der gesamten Region Südost-Ostmittel-europas haben Dialekte jedwelcher Nationalsprache (selbst heutzutage) einen geringen Stellen-wert.

103 Die Aufnahme wurde im Dezember 2009 in Sz. von Ritecz Réka (Germanistikstudentin in Pécs) aufgenommen.

104 Vgl. KRAPPMANN (1993) sowie in letzter Zeit das Thema ‚Sprache und Identität‘ das im Zusam-menhang mit soziolinguistischen Forschungen in Migrationssituation aufgegriffen wurde, vgl.

THIM-MABREY / JANICH (2003).

105 Vgl. KRAPPMANN (2004, 406)

49 Als wichtige Grenzmarker von Altersgruppen in Minderheitenkonstellation sind mehrere Faktoren in Erwägung zu ziehen: einschneidende historische Ereignisse des Landes, der Region und der Minderheit. Genauso wichtig müssen aber auch das Kompetenzniveau der Sprecher, ihre Interaktionsgewohnheiten, ihre Sprach-wahl, die Domänen und Funktionen der Varietäten, die sie sprechen, ins Gewicht fallen. Vor diesem Hintergrund geht es in diesem Generationenkonzept darum, ein Konzept der Sprechergenerationen der spezifischen Sprachsituation der deutschen Minderheit in Ungarn anzupassen. In diesem Kontext können in meiner Einschät-zung der gegenwärtigen sprachlichen Situation vier Generationen unterschieden werden:

Generation A (Vorkriegsgeneration, vor 1930 geborene Sprecher)

Das sind die ältesten, dialektkompetenten und -festen Sprecher, die z. Z. als die einzigen authentischen Gewährspersonen zu betrachten sind. Diese Generation ist noch durch den Lokaldialekt als Muttersprache geprägt, sie kann diesen ungezwun-gen gebrauchen und verfügt noch über stabile Dialektkenntnisse und -strukturen.

Ihre Selbstdefinition erfolgt gleichzeitig durch die Abstammung und die Sprache (Ortsdialekt).106 Vertreter dieser Generation wurden in einem ethnisch und dialektal geprägten soziokulturellen Umfeld sozialisiert, haben Ungarisch erst in einer spä-teren Phase ihres Lebens, als zweite Sprache in der Schule, später auf dem Arbeits-platz oder durch ihr späteres im Berufsleben ausgebautes soziales Netz erlernt.

Doch auch für sie bedeutete die historische Zäsur einen großen Einschnitt in ihrer Sprachbiografie, wie das aus einer heutigen Perspektive der Erinnerung einer 85-jährigen Gewährsfrau zu entnehmen ist:

(2) Da in Sz. (ungarische Kleinstadt) in 1965, wie mir reingezoge sin, musste mir alli ungrisch reden, wann mir hon Arweit welle ... Deitsch nar daham, awer die Kiner in dr Schul rede nar Ungrisch, sie vestehn Schwowisch, was sie vun zu Haus ghert hon ..., die unoka (Enkelkinder) rede nar Ungrisch, die lernen Deitsch in Schul. (III-S-F-85-m)

(Da in Sz. in 1965 als wir herein gezogen sind, mussten wir alle Ungarisch reden, wenn wir Arbeit haben wollten ... Deutsch nur daheim, aber die Kinder in der Schule reden nur Ungarisch, sie verstehen Schwäbisch, was sie von uns zu Hause gehört haben ... die Enkelkinder reden nur Ungarisch, die lernen Deutsch in der Schule.)

Sprecher dieser Generation verfügen noch über eine vollkommene Handlungsfä-higkeit ihres Ortsdialektes, sie können heute noch als mundartdominante Zwei-sprachige betrachtet werden, die meistens ortsansässig und wenig mobil sind, oft auf der suprasegmentalen Ebene (oder in ihrer Artikulationsbasis) noch dialektalen Einfluss zeigen, aber auf der lexikalischen Ebene für Sachmodernismen bereits zu Transfers greifen. Bei dieser Generation ist die Sprache (der Ortsdialekt) noch das wichtigste Element der Identitätskonstitution.

106 Vgl. BINDORFFER (2001, 65).

Ein Konzept der Sprechergenerationen

Generation B (Kriegsgeneration, geboren zwischen 1930–1945)

Bekannt als die „stumme Generation“, die in ihrer primären Sozialisation zwar noch in ihrem lokalen Dialekt sozialisiert wurde, in ihrer sekundären Sozialisation jedoch bereits Ungarisch als funktional erste Sprache gebrauchte sowie in ihrem Berufsleben, in der Erwerbstätigkeit, im weiteren und engeren sozialen Umfeld ebenfalls schon das Ungarische dominierte. Diese Generation hatte aufgrund äuße-rer „Verbote“ und der damaligen politischen Situation die Muttersprache verdrän-gen müssen, auf einige familiäre Situationen einschränken und daher die Sprache als eine „minderwertige“, nicht vollkommen funktionstüchtige Sprache erlebt, welcher Umstand in ihrer Sprachbiografie zu schwerwiegenden Folgen führte:

Vor diesem Hintergrund konnte diese Generation nicht mehr oder nur sehr einge-schränkt als Vermittler der Muttersprache an die nachfolgende Generation fungie-ren, zudem war dies eine Zeit, als die deutsche Sprache noch nicht auf gesteuertem Wege erlernt werden konnte. In dieser Generation entsteht eine Diskontinuität, eine Kluft im Bewusstsein der Sprecher zwischen Abstammung und Sprache, weil hier die Sprache nicht mehr als ausschliessliche identitätskonstituierende Komponente wirkt. Die individuelle Erfahrung mit Sprachen bekommt hier eine gewichtige Rolle: In dieser Generation erkennt man bereits, dass zu einem erfolgreichen sozi-alen Aufstieg die Beherrschung der Mehrheitssprache ein wichtiges Stimulans ist.

Wichtige Handlungsmöglichkeiten, z. B. Wissenserwerb, Umgangsformen in der Gesellschaft und im Beruf können nur durch die ungarische Sprache gemeistert werden. All diese Faktoren führen den Beginn einer sprachlichen Erosion herbei.

Generation C (Nachkriegsgeneration, geboren Ende der 40er Jahre bis 1960) Bei dieser Generation konnte noch im günstigen Fall von zu Hause auf passive Weise ein Ortdialekt107 erlebt werden, doch größtenteils erfolgte auch in der pri-mären Sozialisation die Umstellung auf die Sprache des Landes. In dieser Zeit ist die Exogamie bei dieser Minderheit nichts Auffälliges mehr, als dessen Folge in der Familie äußerst selten eine Zweisprachigkeit praktiziert wurde: Gewöhnlich erfolgte die Umstellung auf die ungarische Sprache. Diese Generation ist nicht mehr ortsansässig, sondern durch Beruf, Ausbildung, Studien und Arbeitsplatz mobil und gleichzeitig urban geworden. In dieser Zeit wechselten viele Ungarn-deutsche ihren Wohnsitz aus der ländlichen Umgebung in die Stadt. In dieser neuen Konstellation ihrer sprachlichen Umgebung und zwecks Zugang zu qualifizierten, prestigebesetzten und zukunftsversprechenden Berufen und Arbeiten108 sowie einer Partizipation an der Öffentlichkeit gewinnt die Dominanz des Ungarischen im all-täglichen Gebrauch Oberhand, die sprachliche Erosion des Deutschen hält an. Als Muttersprache bezeichnen diese Sprecher bereits das Ungarische, ihre Zweitspra-che ist das in der Schule erlernte Deutsch, doch ihre Identität manifestiert sich nicht mehr über den Dialekt.

107 Im besten Fall kann hier von einer bruchstückhaften Spracherfahrung mit dem Deutschen ge-sprochen werden, doch erlebten sie größtenteils nur eine beschränkte Handlungsfähigkeit des Ortsdialektes, z. B. durch erlebte Kommunikationssituationen der Großeltern.

108 Durch die soziale Erfahrung in der Familie avanciert die ungarische Sprache zu einem „eigenen Handlungsmittel“ vgl. EHLICH (2007b, 208).

51 Seit den 1960er Jahren ist für diese Generation bereits die Möglichkeit des schuli-schen Deutschunterrichts (auch Minderheitenunterricht) gegeben. Auf diese Weise konnte die deutsche Standardsprache auf gesteuertem Wege und noch durch eine große innere und auch seitens der Familie angespornte Motivation erworben wer-den. Die seit den 1980er Jahren gestatteten Reisemöglichkeiten, die heimischen deutschsprachigen Medien, persönliche Kontakte etc. führten zu schulischen (Stan-dard-) Deutschkenntnissen, zu einer kommunikativen Gewandtheit in der deut-schen Sprache, zu einer Verstehenskompetenz des Ortsdialektes und in Einzelfällen zu einem Zugehörigkeitsgefühl zur deutschen Minderheit.

Generation D (nach 1960 Geborene)

Sprecher dieser Generation können die „Deutsch als Fremdsprache“-Generation ge-nannt werden, denn ihre primäre wie sekundäre Sozialisation erfolgte in ungarischer Sprache (ihre Eltern sind die „stumme“ Generation). In der Regel sind nur selten Dialektkenntnisse vorhanden. Dennoch besteht für sie die Möglichkeit, durch Besu-che der Großeltern und Familientreffen den Ortsdialekt mindestens passiv zu hören, Bräuche und Traditionen der Ungarndeutschen kennen zu lernen und evtl. auch zu pflegen. Diese Generation ist Nutznießer der zweisprachigen Schulen und Ausbil-dungsmöglichkeiten, es gibt eindeutige Bestrebungen der Kulturpflege sowie zur Mitgliedschaft in Vereinen und Organisationen, die den Erhalt der deutschen Spra-che unterstützen. Durch das Konsumieren deutschsprachiger Medien (seit Anfang der 1990er Jahre) sowie durch Reisen ins deutschsprachige Ausland und die Arbeits- und Studiumsmöglichkeiten im deutschen Sprachgebiet erhalten diese Sprecher neue Impulse, wenn auch nicht für den Dialekt, so doch für die deutsche Sprache. Die Schule hat für diese Generation die wichtige Aufgabe, einen sehr guten Lernhintergrund zu bieten, den Zugang zur deutschen Sprache und Kultur, auch zur Vergangenheit der Minderheit zu sichern, und in der heutigen Konkurrenzsituation mit dem Englischen durch Motivation auch positive Lernerfahrungen mit Deutsch zu ermöglichen.109

Es wäre einer Überlegung wert, auch diese Generation in zwei weitere Sub-gruppen zu unterteilen, in eine, die ihr Abitur an einem der Minderheitengymnasien abgelegt hatte und in eine, die diese institutionelle Stütze durch das Schulwesen zum Spracherwerb und -aufbau bzw. zum Sprachbewusstsein nicht erhalten hatte.110

In den zwei letzteren Generationen wird der deutsche Ortsdialekt nicht mehr als Muttersprache betrachtet, ihr Gebrauch repräsentiert nicht mehr den Status einer Muttersprache, denn in ihrer Identitätskonstitution spielt der deutsche Ortsdialekt lediglich eine marginale Rolle, wenn überhaupt noch eine, bei bewussten Sprechern dann nur als die Sprache der Ahnen.111

109 Vgl. dazu EHLICH (2007b, 209) zur Situation der Migranten in Deutschland.

110 Es ist mit gutem Recht anzunehmen, dass die Gruppe der Abiturienten in Minderheitengym-nasien ein ausgeprägteres Bewusstsein, auch bessere, sogar gut fundierte Deutschkenntnisse (Zweisprachigkeit) sowie sonstige Minderheitenkenntnisse besaßen als die andere Gruppe.

111 Vgl. GERNER (2006), BINDORFFER (2001) sowie das Konzept von KNIPF-KOMLÓSI (1993, 103) der

„emotionalen Muttersprache“, die im kommunikativen Handeln dieser Menschen nicht mehr die Funktion einer Muttersprache innehat, jedoch aus Sicht der emotionalen Bindung zur Fa-milie, zur intimen Haussprache, auch bei der mittleren Generation in vielen Fällen noch als „die emotional empfundene Muttersprache“ gilt.

Ein Konzept der Sprechergenerationen

Grundsätzlich kann über eine stark abnehmende Tendenz der Mundart bei drei Generationen, gleichzeitig eine steigende Tendenz von standardsprachlichen Kennt-nissen bei den jüngeren Generationen konstatiert werden.

Abbildung 1: Schematisches Modell zur Mundartkompetenz der einzelnen Generationen

Die Abbildung modelliert die Proportionen der deutschen Mundartkompetenz der einzelnen Sprechergenerationen in Ungarn. Dass die jüngste Generation am wenigsten mundartkundig ist, mag nicht in Staunen zu versetzen, wohl aber, dass tendenziell die deutsche Standardsprache bei den Ungarndeutschen eine Art Ersatz-funktion für die Dialektkompetenz einzunehmen scheint. Die Schülerzahlen der Minderheitengymnasien der letzten Jahre steigen an,112 wohingegen die Zahl der Schüler mit Deutsch als Fremdsprache in Ungarn allmählich abnimmt.

Die oben angeführten vier Generationen repräsentieren auf differenzierte Weise nicht nur die vier Sprechergenerationen dieser Minderheit, sondern damit im Zusammenhang auch die wichtigsten Phasen der sprachlichen Entwicklungen in den Sprachbiografien der Minderheitensprecher in der zweiten Hälfte des 20.

Jahrhunderts. Auch in Bezug auf Migrantengruppen113 geht man davon aus, dass der Prozess der völligen Sprachaufgabe einer autochtonen Sprache im Leben von drei-vier Generationen stattfinden kann.114 Die erste, die Migrationsgeneration im Caskade-Modell zeigt noch eine feste sprachliche Stabilität. Die zweite Generation, die ihre primäre Sozialisation von der ersten Generation erwirbt, kann im Verlauf der Zeit auf eine (eher) reduzierte autochthone Sprache bauen, gleichzeitig zeigt sie jedoch – aufgrund ihrer Lebensumstände – eine große Offenheit gegenüber der Kontaktsprache, sie beginnt zweisprachig zu werden. An die dritte bzw. vierte Generation wird ein noch reduzierteres Sprachrepertoire weiter tradiert, so dass

Jahrhunderts. Auch in Bezug auf Migrantengruppen113 geht man davon aus, dass der Prozess der völligen Sprachaufgabe einer autochtonen Sprache im Leben von drei-vier Generationen stattfinden kann.114 Die erste, die Migrationsgeneration im Caskade-Modell zeigt noch eine feste sprachliche Stabilität. Die zweite Generation, die ihre primäre Sozialisation von der ersten Generation erwirbt, kann im Verlauf der Zeit auf eine (eher) reduzierte autochthone Sprache bauen, gleichzeitig zeigt sie jedoch – aufgrund ihrer Lebensumstände – eine große Offenheit gegenüber der Kontaktsprache, sie beginnt zweisprachig zu werden. An die dritte bzw. vierte Generation wird ein noch reduzierteres Sprachrepertoire weiter tradiert, so dass