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Die Basismundart, die Ortsdialekte

5 Empirische Befunde: Veränderungen auf der Ebene des Wortschatzes

5.2 Aufbau und Organisiertheit des Wortschatzes

5.2.3 Die vertikale Schichtung des Wortschatzes

5.2.3.1 Die Basismundart, die Ortsdialekte

Die „bäuerliche Prägung“ des Wortschatzes der Ungarndeutschen war und ist nach der sozialen Schichtung, der Berufs- und Erwerbstätigkeit dieser Menschen, das auf das ländliche Umfeld eingeschränkt war, unverkennbar:385 Das ist die Sprache mit dem höchsten Kommunikations- und Geltungsbereich dieser Schicht bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, die gleichzeitig auch als wichtiges Identitätsmerkmal dieser lokalen Sprachgemeinschaften diente.386 Ihr Entwicklungsweg ist in einem bestimm-ten Sinne natürlich und abwechslungsreich, aber keinesfalls identisch mit der Entwicklung der Ortsdialekte auf dem deutschen Sprachgebiet, da es um Siedlungs-mundarten (MischSiedlungs-mundarten) geht, die sich auf dem neuen Gebiet in dieser Form entwickelt haben. Selbst diese aus überwiegend heimischen Wortschatzelementen bestehende lexikalische Schicht war nicht homogen, weil neben den indigen dialek-talen Elementen seit dem Anfang des Sprachinseldaseins viele fremde Elemente – abhängig von Beruf und Kontakt mit der Landessprache –, Entlehnungen aus dem Ungarischen und evtl. den benachbarten Sprachen notwendig waren, um die im All-tagsleben gegebenen Sachverhalte, Inhalte und Begebenheiten aus den Umgebungs-kulturen konzeptualisieren und benennen zu können. In der Gegenwart haben wir

384 Das in der Schule erlernte Standarddeutsch, das von den jungen Generationen gesprochen wird, das eine Kontinuität in der Sprache und Kultur der Ungarndeutschen sichern soll, wird hier nicht als Untersuchungsobjekt betrachtet.

385 Die Assimilation der dünnen Intellektuellenschicht, des städtischen Bürger- und Beamtentums, begann bereits um die Jahrhundertwende. „Von den 551 211 Deutschen (aufgrund der Volks-zählung von 1920), die damit übrigens rund 7 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten, waren 56 Prozent und damit die absolute Mehrheit als Bauern und Landarbeiter im Agrar-bereich tätig, die nächstgrößere Gruppe von 25 Prozent als Arbeiter in der Industrie, ferner 15 Prozent als Kleinbürger in Handel und Gewerbe, der Rest von 4 Prozent als Intelligenz in akademischen Berufen“ (SEEWANN 2000, 109).

386 Vgl. HÜLLEN (1992)

Aufbau und Organisiertheit des Wortschatzes

es mit einem stark erodierenden Mundartwortschatz387 der einzelnen Ortsdialekte zu tun, der von einem wahrnehmbaren Verlust an mundarteigenen lexikalischen Einheiten gekennzeichnet ist. Wegen der niedrigen Gebrauchsfrequenz bestimm-ter Wortschatzbereiche, wie z. B. Landwirtschaft, gelangen im Sprachgebrauch von heute viele der echten Dialektwörter mit der Zeit völlig außer Gebrauch388 und werden archaisiert. Betroffen davon sind vor allem Autosemantika, deren Denotat im gegenwärtigen Sprachgebrauch zwar nicht mehr notwendig zum Alltag dieser Sprecher gehört, doch im Nähebereich und im Erinnerungswortschatz von älteren Sprechern auftaucht389 wie Reckl ‘Jacke’, Klätsch ‘Lache’, Schoppe ‘Schuppen’, retriere ‘sich zurückziehen’, der Dachtrapp geht ‘es regnet stark’, der will net in die Sille geh’390 ‘der will nicht in die Siel gehen’, des Weiteren bled ‘blöd’,391 und viele weitere. Von den Synsemantika sind es vor allem Partikeln zum Ausdruck der lexikalischen Steigerung, wie standdt. sehr und deren areale Varianten arich sche

‘arg schön’, starik sche ‘stark schön’ und hart sche ‘hart schön’. Des Weiteren von Ungarndeutschen beim Erzählen häufig gebrauchte, sogar präferierte Konjunktio-nen wie un no ‘und dann’, nochtrding ‘danach’, die Partikel ament und das Tem-poraladverb gleichsofort. Dieser mundarteigene Wortschatz ist heuzutage nur noch selten in seiner vollen Entfaltung in Gebrauch und sozial-symbolisch konnotiert.

Die Basismundart ist jene Sprachschicht, die bereits von Einheiten der Spender-sprache durchsetzt ist, als dessen Ergebnis die Basismundart eine in ihren lexikali-schen Elementen stark fluktuierende, doch gleichzeitig auch eine identitätsstiftende Varietät dieser Sprecher geworden ist.392 Trotz negativer Prognosen in Bezug auf die Minderheitensprache und diese Varietät besteht der glückliche Umstand, dass es noch eine ‚Erlebnisgeneration‘ gibt, die im bäuerlichen Wortschatz sozialisiert wurde, ihn noch beherrscht, und die älteste Generation dieses Segment des Wort-schatzes heute noch in ihrer Basismundart aktiv gebrauchen kann und auch die regionalen Besonderheiten dieser lexikalischen Einheiten bei der ältesten Genera-tion eindeutig erkennbar sind. In der GeneraGenera-tionenfolge wird diese basismundart-liche Kontinuität jedoch unterbrochen, da diese Wortschatzsegmente393 nur noch

387 Vgl. ERB (2002, 35), WOLF (1987, 247).

388 Nach Angabe der ältesten Sprecher waren diese Elemente (eigentlich echte Mundartwörter) in ihrer Kindheit im Kernbereich, sind jedoch im Gebrauch fast verschwunden und daher in den peripheren Bereich des Wortschatzes gelangt, z. B. eschtimiere ‘schätzen’, wettrlaichte ‘wet-terleuchten’, verrummeniere ‘ruinieren’, ‘kaputt machen’, ausschitte ‘bei Tieren ein Junges zur Welt bringen’.

389 In Monologen, freien Gesprächen über Kindheit, Bräuche, Vergangenheit, Alltag der Ungarn-deutschen.

390 Sile ursprüngl. Siel (Pferdezubehör) hier in der Bedeutung: Der will nicht arbeiten.

391 Das Adjektiv blöd- in den Bedeutungen a) schamhaft b) sehr abgenutzt c) albern, einfältig.

392 Vgl. WILD (2003a, 58). Obgleich eine große Anzahl der Ungarndeutschen heute noch auf dem Lande lebt, gehören sie berufsmäßig heute nicht mehr der früher „ländlich“ bezeichneten Bau-ernschicht an.

393 Eine linguistische Beschreibung dieser Wortschatzeinheiten zusammen mit den Daten des UDSA wird im Wörterbuch der ungarndeutschen Mundarten den grundlegenden Lemmabe-stand bilden. Zur lexikographischen Handhabung dieser Wortschatzschicht, über einen Krite-rienkatalog zur Lemmaselektion im Wörterbuch der Ungarndeutschen Mundarten vgl. KNIPF -KOMLÓSI / ERB (2010, 187–209).

145 passiv vorhanden sind bzw. nicht mehr weiter gegeben werden, sodass die Gefahr besteht, dass mit dem Absterben der ältesten Generation diese indigene Schicht des bäuerlichen Wortschatzes vollkommen verschwinden wird. Eine besondere Auf-merksamkeit verdient hierbei das „eigentliche Dialektwort“ sowie die lexikografi-sche Behandlung von pragmatilexikografi-schen Elementen (vgl. Kap. 5.3.2).

Die Dynamik des Wortschatzes manifestiert sich v. a. in den Modalitäten des Transfers sowie im Wortschwund alter, heute bereits als archaisch geltender Wörter z. B. Kaafl ‘handvoll’, die in der Gegenwart fast völlig außer Gebrauch gekommen sind, aber auch dadurch, dass bestimmte dialektale Wörter durch standardsprachli-che Wörter ersetzt werden, wie das Beispiel wetterleuchten heute bei Mundartspre-chern häufiger als blitzen gebraucht394 wird; statt des älteren Tagsatzung wird heute ein ungarischer Transfer tárgyalás ‘Gerichtsprozess’, statt Kwelwern ‘Gewölberin’

wird Vrkaafern ‘Verkäuferin’ und anstelle von Fusssockl ‘Socken’ wird das unga-rische zokni gebraucht.395

Eine große Dynamik sehen wir auch in den Mischphänomenen, die Teil der Basismundart sind. Obgleich bei der ungarndeutschen Minderheit noch nicht das Stadium jener von HARTWEG (1983) beschriebenen Mischsprache der elsässischen Sprachgemeinschaft erreicht wurde, und daher die Mischsprache hier nicht als eigene Varietät identifiziert werden kann, müssen die Tendenzen der immer häufi-geren Mischung der Ortsdialekte mit der Landessprache in Betracht gezogen wer-den. Bisherige Untersuchungen und Tonaufzeichnungen von Gesprächen zeigen, dass sich der Kommunikationsradius dieser Mischsprache in erster Linie auf die Interaktion mit ortsansässigen Ungarndeutschen erstreckt und nur gelegentlich auch auf die Interaktion mit Sprechern aus dem deutschen Sprachgebiet. In letz-teren Interaktionen fehlt dann bei den ungarndeutschen Sprechern eine pragmati-sche Kontrolle (ein Monitoring), die eine systemlinguistipragmati-sche Kohärenz sowie das Gelingen des Gesprächs zu sichern hat, zumal in diesen Interaktionen meistens die Schlüsselbegriffe Transfers sind:

(57) Un wann ich des gut mérlegelni to, na zahl ich die áfa ein un no bleibt mr am End nix. (III-L-M-76-m)

(Und wenn ich mir das gut überlege, wenn ich das erwäge, dann zahle ich noch die Mehrwertsteuer und am Ende bleibt mir dann nichts.)

(58) Waascht, jetz nuss ich a kérvény schreiwe dem polgármester, dass ich des ápolási segély for unser Vadr krieg. (III-L-F-74-m)

(Weißt du, jetzt muss ich einen Antrag schreiben an den Bürgermeister, dass ich die Pflegeunterstützung für unseren Vater kriege.)

Wie lässt sich das Phänomen der Mischsprache beschreiben? Es geht hier vor allem um intersequentielle Codeswitching-Formen, die im Minderheitensprachgebrauch

394 In dieser Wortschatzschicht lassen sich noch dialektale lexisch-semantische Beziehungen wie Heteronymie, Synonymie und Hyperonomie nachweisen.

395 Vgl. WILD (2003b, 65).

Aufbau und Organisiertheit des Wortschatzes

nach Meinung der befragten Normautoritäten396 die wichtige Funktion haben, im Kommunikationsakt eine höhere referentielle Effizienz397 beim Gesprächspartner zu erzielen. Die Sprecher wollen effektiv und mit möglichst wenig Aufwand kom-munizieren, von den Alternativen wählen sie – aufgrund eines Selektionsdrucks – jene aus, die für die gegebene Situation als erfolgreich erscheinen. So werden relevante Gegenstände, Tatsachen oder für den aus dem gleichen soziokulturellen Milieu kommenden Gesprächspartner gewisse Inhaltswörter und Schlüsselbegriffe in ihrer ungarischen Form gebraucht, weil sie expressiver, vom Aufwand her opti-maler und schneller zugänglich sind, als nach fehlenden Begriffen in der Mundart suchen zu müssen. Aussagekräftiger erscheinen die ungarischen Lexeme deshalb, weil sich die Begrifflichkeit der Alltagssprache dieser Menschen, sowohl die deno-tative als auch die konnodeno-tative Ebene der Versprachlichung, bei dieser sprachlich fortgeschritten assimilierten Minderheit in ungarischer Sprache gestaltet. Optimal erscheinende Ausdrucksalternativen werden von Sprechern häufiger gebraucht und können auch schneller erworben werden. Infolge des ständigen Wechsels von L1 und L2 wird zwar die systemlinguistische Kohärenz verletzt, doch wird in der Perzeption der Sprecher die kommunikative Kohärenz der Äußerungen gestärkt.

Die kommunikative Kohärenz wird von einer kognitiven unterstützt, die auf dem Wissen der Sprecher basiert, dass nämlich Landsleute als Gesprächspartner diese ungarischen Wörter mitsamt ihren Konnotationen verstehen, kennen und situations-adäquat deuten können.