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Zum Wortschatzwandel in der Minderheitensprache

5 Empirische Befunde: Veränderungen auf der Ebene des Wortschatzes

5.4 Zum Wortschatzwandel in der Minderheitensprache

Entwick-lungsgeschichte der deutschen Sprachinseln in Südost- und Ostmitteleuropa sicht-bar. Der von der Sprachinselgemeinschaft erlebte, durch innere und äußere Faktoren erfolgende Assimilationsprozess selbst gilt als wichtiger Auslöser eines Wortschatz-wandels, der sich vor allem in auffälligen Bezeichnungslücken und einem Benen-nungsbedarf sowie in zahlreichen Transferenzen in der Kommunikation dieser Sprecher manifestiert. Nur stabile und mehr oder weniger intakte Sprach- und Dia-lektgemeinschaften können dem von außen kommenden Druck standhalten, wie

455 Z. B. der entlehnte ungarische Konnektor ‘vagy’ löst meistens keinen CS aus.

171 vergleichsweise feste Dialektgemeinschaften im binnendeutschen Sprachraum.456 Instabile sprachliche Gruppierungen, die zudem mit Spracherhaltungsproblemen zu kämpfen haben, sind nicht in der Lage, ihre Bezeichnungsbedürfnisse aus eigener Kraft und Innovation zu lösen. In erheblichem Maße ist es auch von der Politik des jeweiligen Landes abhängig, ob und in welchem Maße die betreffende Minderheit ihren Wortschatz mit Hilfe schulischen Unterrichts und der Medien stabilisieren und erweitern kann.457 Untersuchungen zu diesen letztgenannten Bereichen bei den gegenwärtigen Sprachminderheiten bilden bis heute ein Forschungsdesiderat.

Der Wortschatzwandel integriert in sich nicht nur systemlinguistische (lexi-kalische, semantische sowie sprachhistorische) Aspekte, genauso wichtig sind die pragmatischen Aspekte, d. h. wie Sprecher ihren Wortschatz benutzen. Denn

der Auslöser jedes Wandels im Bereich der Lexik ist vor allem das Bedürfnis der Sprach-benutzer, für neue Sachverhalte geeignete Bezeichnungen oder für bekannte bessere zu finden.

Die Konkurrenz des Neuen drängt Älteres in den Hintergrund. Der Wandel der Lebenswelt zwingt auch zum Wandel in der Bezeichnung. (MUNSKE 2005, 1386)

Auf welche Weise sich ein Wortschatzwandel in einer Sprachgemeinschaft durch-setzen wird, hängt von vielen Faktoren ab, z. B. von der Strukturiertheit und Motiviertheit der Lexik, der Einstellung der Sprecher zur Sprache und von ökono-mischen Bedingungen.

Unter den durch Sprachkontakt veranlassten Wortschatzwandel sind drei grö-ßere Kategorien des Wandels zu subsumieren: Vor allem bekommt der quantitative Lexemwandel, mit dem Wortschwund und der evt. Wortvermehrung, z. B. der Ent-lehnungen, Transferenzen (Kap. 5.2.2) und die Entstehung und Verbreitung von hybriden Formen unterschiedlicher Art eine wichtige Rolle. Als zweiter Bereich ist der Wortbildungswandel zu erwähnen, in dem Wortbildungsmuster sich vermeh-ren oder auch außer Gebrauch kommen können, und auch Entlehnungsprozesse durch die Lehnwortbildung im Spiel sind sowie gewisse Formen des Bedeutungs-wandels. Neben dem Wandel kann auch eine Stabilität und Kontinuität bestimm-ter Wortschatzsegmente registriert werden, die aufgrund ihrer Kontinuität weniger auffallen.458 Der Wandel des Wortschatzes umfasst zwei scheinbar entgegenge-setzte Tendenzen: den Schwund und die Innovation. Die folgende tabellarische Übersicht459 zeigt die vielfältigen Formen des Wortschatzwandels, die sich auf den Wortschatz der Minderheitensprache beziehen. Die untersuchten Belege zeigen konzentrierte Fälle für den quantitativen Wandel bzw. den Wortbildungswandel.

456 Lange Zeit auch die Sprechergemeinschaften der Old order Amish in Pennsylvania, vgl. dazu LOUDEN (2003, 121–137).

457 SEEWANN (1991, 128) warnt im Zusammenhang mit der Identitätsbewahrung vor einer Überbe-tonung der Rolle des Sprachunterrichts: „Ebenso verfehlt ist die allzu einseitige Konzentration aller Anstrengungen auf Sprache, Sprachunterricht und Sprachpflege…“.

458 Vgl. Elemente des Grundwortschatzes, die sich natürlich auch ändern können.

459 Vgl. in Anlehnung an MUNSKE (2005, 1387)

Zum Wortschatzwandel in der Minderheitensprache

Wortschatzwandel in Sprachkontaktsituation

Quantitativer Wortschatzwandel Wandel von WB-Modellen (vgl. Kap. 6.7) Wortschwund

Lexikalische Variation- Parallelformen Lexikalische Entlehnung

Hybridisation

Tabelle 7: Wortschatzwandel in der Minderheitensprache

Quantitativer Lexemwandel Wortschwund460

Der in der einschlägigen Literatur auch als Sprachverlust bezeichnete Abgang von lexikalischen Einheiten im Wortbestand der Sprachminderheit ist ein natür-licher Prozess, der auch bei der allgemeinen Beschreibung des Sprachwandels als Sprachverlust bereits erwähnt wurde.461 Unter ‚Sprachverlust‘ kann der funktionale und der sprachstrukturelle Verlust verstanden werden, die in Sprachminderheitun-tersuchungen nicht getrennt behandelt werden können. Bei den nun thematisierten Sprachwandelphänomenen stehen sprachstrukturelle Gesichtspunkte im Blickpunkt der Untersuchungen.

Welche Wortschatzsegmente sind in der Minderheitensprache am meisten vom Wortschwund betroffen? Vor allem geht es um jene Segmente der früheren Lebens-welt der Sprecher der ältesten Generation, die nur noch in ihrem Erinnerungs-wortschatz und in ihren Sprachbiografien vorkommen: Ihr Alltag und ihr früheres Leben, die Erwerbstätigkeiten in früheren Zeiten, Sitten und Bräuche, die noch als authentisch ein Minderheitsgefühl vermittelt haben. Beispiele:

(79) Wal ich noch so klans Kint war, maini Lait ware so klani Krumbiere un Knedl-Baure. Tie hen sich net zufriede khenne stelle in ihrem Torf, dass sie ihre Lewe hen khenne turchbringe. No sen sie in a anres Torf kange, uf die Pusta. No hen sie Feld knumme in Arenda. No hen sie sich a viel Saue akschafft un Kih akschafft un ich bin romkspronge tort, kspielt. Spielsach war kaans, nar was ich so kfone hep, mit Kukrutzkolwe hew ich kspielt.

(I-L-M-73-m)

(Weil ich ein kleines Kind war, meine Leute waren so kleine Kartoffel-und Knödl-Bauern. Die haben sich nicht zufrieden können stellen in ihrem Dorf, dass sie ihr Leben haben können durchbringen. Dann sind sie in ein anderes Dorf gegangen, auf die Puszta. Dann haben sie Feld in Arenda genommen. Dann haben sie sich viel Schweine angeschafft und Kühe

460 In der Lexikologie ein selten erforschtes Thema, vgl. OSMAN (1993). Es kann ein zahlenmäßi-ger Vergleich nur anhand von Wörterbucheinträgen in verschiedenen Etappen vorgenommen werden.

461 Vgl. Kap. 4.4.

173 angeschafft und ich bin herumgesprungen dort, gespielt. Spielsachen gab es keine, nur was ich so gefunden habe, mit Maiskolben habe ich

gespielt.)

Bei der Bewältigung des heutigen Alltags, wozu bereits lexikalische Einheiten in der Mundart bei einzelnen Generationen fehlen, kann es zu Parallelformen kom-men:

Lexikalische Varianten – Parallel-/Konkurrenzformen

Parallelformen sind kein sprachlicher ‚Luxus‘, doch es ist nur eine Frage der Zeit, wann und in welchen Generationen die eine oder die andere Variante außer Gebrauch kommen wird. Die Aufnahmen am Anfang der 1980er Jahre belegen noch das Vor-handensein der älteren, mundartinhärenten Lexemvariante, wohingegen Aufnah-men der letzten Jahre die Transferenzen aus der Landessprache belegen:

Die chronologische Laufbahn des Lexems von ‚Kindergarten‘ zeigt in der Sprache der Ungarndeutschen folgende Variation. Je nach Zeitpunkt, Sprechergeneration und Sprachwahl (Varietät: Ortsdialekt oder Substandard) variiert das Lexem:

(80) Wie ich kla war, bin ich in die Spielschul gange, zwa Johr un no bin ich in die Schul hkumme, awer mir ware net so reich, so hew ich net wieder lene khene. No hew ich messe bal, mit 12 Johr, arweide geh. (I-L-M-73-m) (Als ich klein war, bin ich den Kindergarten gegangen, zwei Jahre lang und dann bin ich in die Schule gekommen, aber wir waren nicht so reich, so konnte ich nicht weiter lernen. Dann habe ich müssen bald, mit 12 Jahren, arbeiten anfangen.)

(81) Im Dorf war schun wie ich kla war, a ovode un mir hen die Nunne khat, da war ani die ovónéni…, da hemmr deitsch und ungarisch rede messe.

(II-L-F- 67-m)

(Im Dorf gab es schon als ich klein war, einen Kindergarten (óvoda) und wir hatten die Nonnen und eine von ihnen war die Kindergärtnerin, da haben wir Deutsch und Ungarisch reden müssen.)

(82) Unsre Kinner gehen in den deitschen Kindergarten, dass sie deitsch lernen…, des is doch a Weltsproch. (III-S-F-51-s)

(Unsere Kinder gehen in den deutschen Kindergarten, dass sie Deutsch lernen, das ist doch eine Weltsprache.)

(83) Do muss ich alli Tag am halp vieri in die ovode, den Klane hole.

(III-L-F- 82-m)

(Da muss ich jeden Tag um halb vier in den Kindergarten, den Kleinen holen.)

Zum Wortschatzwandel in der Minderheitensprache

Die Variante ‘Spielschule’ ist heute nicht mehr gebräuchlich, selbst die älteste Generation gebraucht in der Gegenwart das ungarische Lexem. Wechselt jedoch ein Sprecher in eine höhere Sprachlage, wird das standardsprachliche Lexem gebraucht. Als lexematische Alternationen bestehen also noch das ungarische und das standardsprachliche Lexem, die je nach Varietätenwahl wechseln.

Wortvermehrung durch Hybridisation

Eine wichtige Gruppe bilden die diversen Arten der hybriden Formen, sog. Hybri-disationen,462 die auch als Teilübersetzungen betrachtet werden können, weil ein Element des Lexems immer in der usrprünglichen Form beibehalten wird. Diese Entlehnungen erscheinen immer häufiger in kontaktsprachlichen Situationen, bei Sprachminderheiten, die, wie auch ZÜRRER (2009, 134) bei den walserdeutschen Dialekten nachweist, aus einem „lexematischen und einem morphologischen Teil“

bestehen, deren Teile, ein heimischer und ein fremder, besonders in den Partizip-formen von Verben ‚zusammengewachsen‘ sind und eine neue Wortform bilden.

Die in der Sprache der Minderheit entstandene lexematische Lücke muss durch den Verbstamm von der Spendersprache entlehnt werden, aber morphologisch in die Matrixsprache integriert werden:463

(84) Uno hew ich geporszivózt am Vormittag. (III-L-F-74-m) (Und dann habe ich am Vormittag gestaubsaugt.)

(85) Mir hen uns no a neier Kihlschank un a mosogató gekaaft, awr der is bal kaputt wore uno sai’mr reklamálni gange, uno hen’sie’s uns kicserélt.

(III-L-M-85-m)

(Wir haben uns dann einen neuen Kühlschrank und eine Spülmaschine gekauft, aber der ist bald kaputt gegangen und dann haben wir reklamiert und dann wurde er ausgetauscht.)

ki- cserél- t

natives ung. Präf.

(ki ‘aus’) Kont. spr. ung.

Stamm (-tausch) natives dt. Flexiv (-t)

In sekundären Bildungen wie Gasvezeték oder Szemetesauto haben wir es jeweils mit einem bekannten Lehnwort (hier: Internationalismus) ‘Gas’ und ‘Auto’ zu tun, die lautlich bereits angepasst sind, und als Erst- und Zweitglied eine Komposition eingehen:

(86) Ja, uno hen sie ba uns der Gaas aigfiehrt, im ganze Dorf, awr dr Raufang war net gut, na hen sie messe den zerscht kibélelni, un erscht no hem’r die

462 Vgl. auch LANSTYÁK (2006, 26–28) sowie Kap. 4.3 und 6.6.

463 Vgl. auch BEREND (2003, 258) für amerikadeutsche Beispiele, in denen Englisch als Spenderspra-che fungiert: geregistered, gechanget, gecallt, getalkt, gemeet, gewatcht etc. und das gleiSpenderspra-che Mus-ter findet BEREND auch bei russlanddeutschen Sprechern, wo Russisch die Spendersprache ist.

175 Gasvezeték ins Haus kriegt. (II-L-F-68-m)

(Ja, und dann haben sie bei uns Gas eingeführt, im ganzen Dorf, aber der Kamin war nicht gut, dann haben sie müssen den zuerst von innen ausbauen und erst dann haben wir die Gasleitung in das Haus bekommen).

Im Allgemeinen kann bei den angeführten Belegen, den hybriden Formen und den Mischformen, der Kontextualisierungshinweis464 nicht übersehen werden, der gerade die Bilingualität und Bikulturalität dieser Sprecher, die typische Eigenart dieser Diskurse in die Interpretation mit einbringt. Als Kontextualisierungshinweis sind auch Entlehnungen zu betrachten, die eine Bereitschaft und Offenheit der Minderheit zur kulturellen Anpassung an die Mehrheit signalisieren und dokumen-tieren.465

5.5 WORTFINDUNGSPROBLEME IM SPRACHGEBRAUCH VON MINDERHEITENSPRECHERN

Auf die im Allgemeinen als Wortschatzlücken genannten Phänomene in der münd-lichen Kommunikation von native speakers soll schon deshalb näher eingegangen werden, weil durch ihre Untersuchung wichtige Einsichten zu verschiedenen Dimen-sionen des Sprechablaufs von Minderheitensprechern gewonnen werden können.

In der Fachliteratur finden sich zur Beschreibung des betreffenden Phänomens unterschiedliche Bezeichnungen. So sprechen IVÁNYI (1998) über „Wortsuchpro-zesse“, AUER / RÖNFELDT (2002) über „Wortfindungsprozesse- oder schwierigkei-ten“, GÓSY (2005) über „aus Unsicherheit entstandene Verzögerungen (stockende Erscheinungen)“ (bizonytalanságból eredő megakadásjelenségek), doch auch der Ausdruck „lexikalische Zugangsschwierigkeiten“ ist im Umlauf.

Da es nicht Ziel der vorliegenden Abhandlung über den Wortschatz der Minder-heitensprache ist, eine psycholinguistisch fundierte quantitative Auswertung dieses Phänomens zu liefern,466 werden in diesem Kapitel einige auffallende Aspekte der psycholinguistischen, der interaktiven und der die Verhaltensweise der Sprecher einbeziehenden sozialen Perspektive der Wortsuchprozesse untersucht und anhand von Beispielen beleuchtet.

Die im Folgenden analysierten Belege mit Wortschatzlücken467 sind eigentlich als „Begleitprodukte“ entstanden, die im Laufe von dialektologischen und soziolin-guistischen Erhebungen zur Sprache und zum Sprachgebrauch von deutschen Min-derheitensprechern in Ungarn, in interaktiven sprachlichen Äußerungen von zwei

464 Vgl. dazu AUER (1992, 1–39).

465 Vgl. auch HARTWEG (1983, 1328) in Bezug der Entlehnungen in den elsässischen Dialekten.

466 Wortfindungsphänomene sollen hier nicht aus Sicht des mentalen Lexikons im Rahmen der Wortschatzuntersuchung quantitativ ausgewertet werden.

467 Bei der Belegauswahl stütze ich mich auf eigene verschriftete Tonaufnahmen in Südungarn Baja und Umgebung (1989, 2002–2003), auf das Korpus von WILD (Schwäbische Türkei-Bra-nau, 1990er Jahre bis heute) und KNAB (Nadwar, Nordbatschka, 1994) insgesamt 400 Seiten, bzw. auf das z. T. vorhandene auditive Material dieser Korpora.

Zum Wortschatzwandel in der Minderheitensprache

Generationen (älteste und mittlere), in Interviews, in freien Gesprächen und nicht zuletzt auch durch teilnehmende Beobachtung gesammelt und registriert wurden.

In der gesprochenen Sprache kommt es insbesondere im phonetischen und lexikali-schen Bereich zu verschiedenen im Sprechablauf auffallenden Verzögerungen und Lücken, die insbesonders häufig bei Sprachminderheiten auftreten, die in einem Dauerkontakt mit anderen Sprachen und Kulturen stehen. Erste Ansätze von Unter-suchungen dieses Problems gibt es bereits bei Minderheiten-Sprechergruppen,468 ausführlich untersucht wurden diese Erscheinungen jedoch vor allem bei Fremd-sprachensprechern, bei Aphasikern und teils bei bilingualen Individuen.469

Minderheitensprecher stellen eine Gruppe mehrsprachiger Sprecher dar, die zwar über ein erweitertes, größeres Repertoire sprachlicher Muster und Verhaltens-optionen verfügen als monolinguale Sprecher, doch meistens nicht als balancierte zweisprachige Individuen betrachtet werden können, denn bereits in der Planungs-phase von Gesprächssituationen kommt es bei ihnen häufig zu verschiedenen Wort-findungsschwierigkeiten. Zum besseren Verständnis der auftauchenden Lücken im Wortschatz dieser Sprecher sollen kurz die Umstände ihres Spracherwerbs skiz-ziert werden, die eher negative Veränderungen zeigen: Grundsätzlich verläuft seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts die primäre Sozialisation der Nachkommen der deutschen Minderheit in Ungarn einsprachig, nämlich in ungarischer Sprache (bis auf einige Ausnahmen in Südungarn470). Die als prototypisch geltende ältere Generation der Ungarndeutschen auf dem Lande ist mit ihrer dialektalen primären Sozialisation – sogar heutzutage – noch als funktional zweisprachig zu betrachten, mit einer aktiven Kompetenz des Ortsdialektes sowie einem ansehnlichen Reser-voir kommunikativer Praktiken, obgleich auch die meisten Domänen ihres Alltags, d. h. ihr kommunikatives Umfeld in der Regel in die Landessprache und deren Narrativen eingebettet ist. Damit ist zu erklären, dass auch bei dieser Generation lexikalische Entlehnungen (lexical borrowing) insbesondere für Sachmodernismen und Kulturwörter der Gegenwart zum Meistern der Alltagskommunikation als not-wendig und unabdingbar erscheinen.

Die in ländlicher Umgebung lebende mittlere Generation kann bereits als unba-lanciert zweisprachig betrachtet werden: mit passiver Kenntnis des Ortsdialekts erworben in der primären Sozialisation, alle anderen Sozialisationsstufen jedoch mit einer Dominanz des Ungarischen durchlaufen. Diese Generation verfügt über verhältnismäßig wenig aktive kommunikative Praktiken im deutschen Ortsdialekt, die Präferenz des Ungarischen überwiegt sowohl im Privaten als auch in ihrem Erwerbsleben.471 Typisch für ihre Sprechweise sind häufige Sprachmischungs-phänomene, doch eine noch vorhandene Redebereitschaft in Deutsch, die durch einen Deutschunterricht in der Schule, durch Reisen ins deutschsprachige Ausland und evtl. Arbeitsmöglichkeiten in diesen Ländern gestärkt wurde und wird.

468 Vgl. bei der ungarischen Minderheit in der Slowakei LANSTYÁK (2006, 106, 130).

469 Vgl. IVÁNYI (1998), AUER / RÖNFELDT (2002), FRANCESCHINI (1999a).

470 Vgl. MANZ-JÄGER 2007.

471 Vgl. auch die Ergebnisse der Sprachgebrauchserhebungen der 1990er Jahre: KNIPF-KOMLÓSI / ERB (1998).

177 Die primäre wie auch die weiteren Sozialisationsprozesse erfolgen bei der jungen Generation der Ungarndeutschen in der Landessprache, gegebenenfalls verbunden mit noch passiven Erlebnissen eines deutschen Ortsdialektes (z. B. durch Besuche bei Dialekt sprechenden Großeltern). Falls überhaupt bei dieser Generation noch von Zweisprachigkeit gesprochen werden kann, so ist es eine durch die gesteu-ert erworbenen Lernvarietäten des Deutschen entstandene landessprachdominante Zweisprachigkeit mit einer in der Regel geringen Redebereitschaft in Deutsch.

Infolge dieser unidirektionalen Spracherwerbsform dieser Sprachminderheit kann mit unterschiedlicher generationsbedingter Sprachdominanz, mit diversen Trans-fererscheinungen und Formen des Code Switching und Mixing gerechnet werden.

So können bei allen Generationen der Ungarndeutschen, die wir heute als multi-linguale Sprecher identifizieren, im fließenden Gespräch Wortschatz- und Nomina-tionslücken in Form von Verzögerungen auftreten, deren Untersuchung Aufschlüsse über den Arbeitsmechanismus unseres mentalen Lexikons geben kann.472

Welchen Grund diese Wortschatzlücken auch haben mögen,473 sie werden vom Sprecher entsprechend der Situation – zur Aufrechterhaltung der Interaktion – mit verschiedenen Strategien überbrückt.

5.5.1 Die interaktive und soziale Dimension der Wortfindung

Minderheitensprecher sind eingebunden in kleinere oder größere Gemeinschaften, die wie alle menschlichen Gemeinschaften bestimmte Erwartungen, soziale Nor-men und Verhaltensweisen aneinander herantragen. Individuen wie Gemeinschaf-ten wollen diesen Normen entsprechen und dadurch – im Sinne des von GOFFMAN entwickelten face-Konzepts – ihr Gesicht wahren. In Abhängigkeit ihrer Ziele und Intentionen treffen die Sprecher die Wahl aus den Möglichkeiten, um die Wort-findungsprobleme zu lösen. So kann es nicht verwundern, dass Minderheitenspre-cher – wie die Untersuchungen zeigen – durch die Wahl ihrer Strategien in den meisten Fällen darauf bedacht sind, ihr Gesicht zu wahren, d. h. durch ihre Sprache oder ihren Sprachmodus unangenehme, heikle Gesprächssituationen zu vermeiden und ihre Äußerungen der „rituellen Ordnung“ (GOFFMAN 1981, 278) des Gesprächs und den Erwartungen entsprechend zu gestalten.

Grundsätzlich ist jeder sprachliche Lapsus, Fehler, jeder Versprecher, jedes Zögern gesichtsbe-drohend, weil sein Produzent in den Verdacht gerät, ein falsches Bild entworfen zu haben, also mehr sein zu wollen als er tatsächlich ist. (AUER / RÖNFELDT 2002, 82)

Die einzelnen Schritte unserer sprachlichen Produktionen, die Wortwahl, der Strukturbau unserer Äußerungen, die Wahl der Varietäten und des Stils sowie die phonologische Codierung bilden integrierte Bestandteile unserer gesamten Sprach-produktion (vgl. NAVRACSICS 2007, 148).

472 Vgl. die Untersuchungen von GÓSY (2002) zu Verzögerungsphänomenen bei einsprachigen ungarischen Sprechern und HUSZÁR (2005) über den Sprachprozess und dessen Fehlermöglich-keiten im spontanen Gespräch.

473 Vgl. auch GÓSY (2005, 96–98).

Wortfindungsprobleme im Sprachgebrauch von Minderheitensprechern

Die Sprecher, insbes. bilinguale Sprecher können ihre eigene Sprachproduktion mit Hilfe eines Kontrollmechanismus (Monitor) überwachen, die Fehler wahrnehmen, diese verheimlichen oder aufdecken und der Öffentlichkeit und dem Gesprächs-partner zeigen.

Nach GROSJEAN (1995) gibt es bei mehrsprachigen Sprechern mehrere Sprach-modi, die sie situationsgemäß einsetzen können. Der einsprachige wie auch der mehrsprachige Sprachmodus spielen beim Monitoring eine wichtige Rolle. Min-derheitensprecher mit koexistierenden Sprachen verfügen über ein kooperatives Potenzial ihrer Sprachen, wodurch sich ein Kontinuum von Mischformen eröffnet, welches jedoch zu keinen Verstehensschwierigkeiten führt, solange es um „gleich Gesinnte“, d. h. um Sprecher mit gleichem multilingualen Sprachmodus geht. Ver-läuft jedoch die Interaktion in einem monolingualen Sprachmodus (ältere authen-tische multilinguale Dialektsprecher) mit einsprachigen (ungarischen) Sprechern, so muss das Monitoring der multilingualen Sprecher sehr aktiv sein, damit sie in ihrem Sprachgebrauch z. B. keine Dialektwörter verwenden, die der andere nicht verstehen könnte. In einem zweisprachigen Modus kann das Monitoring etwas

‚nachlassen‘, lockerer sein, weil man sich sicher ist, dass man vom anderen in bei-den Sprachen gut verstanbei-den wird, was wiederum erlaubt, die Sprachen zu wech-seln474 oder auch zu mischen. Die Wahl der Sprache und des Sprachmodus durch den Sprecher ist nicht funktionslos, es kann nämlich durch diese Wahl eine soziale Verortung in der Situation oder mit dem Gesprächspartner, eine Gesichtswahrung, angezeigt werden.

Die Voraussetzung einer Untersuchung von interaktiven sprachlichen Äuße-rungen von Minderheitensprechern ist das Nebeneinander, die Koexistenz, von zwei oder mehr Sprachen im mentalen Lexikon der Sprecher. Der Besitz mehrerer Sprachen bedeutet natürlich nicht immer eine friedliche Koexistenz, es kann auch zu einer Rivalität zwischen den Sprachen kommen, wie das z. B. beim gleichzei-tigen Aktivieren von lexikalischen Einheiten zu sehen ist. Eine weitere Möglich-keit ist eine rational organisierte Arbeitsteilung zwischen den Sprachen/Varietäten (Diglossie-Situation), wofür auch bei Minderheitensprechern Beispiele vorhanden sind.

Da mehrsprachige Sprecher in ihrem multilingualen Sprachmodus ihre Sprachen öfter mischen, entsteht im Laufe des Wechsels eine unbewusste Aufgabenteilung von Objekt- und Metasprache, es wird „eine Art Metadiskurs ermöglicht, d. h., dass im bilingualen Kontext objekt- und metasprachliche Aufgaben von unterschiedlichen Sprachen übernommen werden können“ (TRACY / STOLLBERG 2008, 93).

In der fließenden Rede, die aus zwei Teilprozessen, der Planungs- und der Durch-führungsphase besteht, gibt es bestimmte Signale, die akustisch wahrnehmbare

474 Das erklärt auch, warum es ungarndeutsche Sprecher der älteren und mittleren Generation nicht

474 Das erklärt auch, warum es ungarndeutsche Sprecher der älteren und mittleren Generation nicht