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Diese Sozietät der Wissenschaften, die Wolff in seinen Werken entwarf, war nur ein Projekt für die Zukunft, das mit den existenten Akademien seiner Zeit nicht zu verwechseln ist. Wenn es um die Rolle der realen Akademien seiner Zeit ging, war Wolff ganz anderer Meinung. Dies zeigte sich im Verlauf der Verhand-lungen über seine Rückkehr nach Halle, die eigentlich bereits im Jahre 1739, noch unter der Regierung Friedrich Wilhelms I. stattfanden. Der König hatte ihm zuerst eine Stelle an der Universität Frankfurt an der Oder angeboten, was Wolff ablehnte. Der neue König Friedrich II., welcher den Thron am 31. Mai 1740 bestieg, nahm die Verhandlungen wieder auf, aber auch er weigerte sich, ihn direkt nach Halle gehen zu lassen. Stattdessen bot er ihm eine Position an der Sozietät der Wissenschaften in Berlin an. Dieses Ereignis bot Wolff die Ge-legenheit, seine Meinung über Akademien seiner Zeit auszudrücken.55

Wolff glaubte, er würde als Lehrer an einer Universität nützlichere Dienste leisten können. Er sei nämlich für den Unterricht begabt, und wenn er diesen Ruf verriet, würde er die § 533 und § 534 seines soeben erschienenJus naturae verletzen.56In diesen Paragraphen behauptete Wolff, dass jeder den Beruf aus-wählen solle, für den er begabt sei.57Dann fügte er noch hinzu, was er von den Akademien hielte:„Man siehet bey dergleichen Societäten nicht auf den allge-meinen Nutzen des menschlichen Geschlechtes, sondern auf das, was parade macht unter den Gelehrten, auf tiefsinnige speculationes in der Mathematick, rare Experimente und observationes in der Physick, und denen dazu gehörigen

53Ders.: JN (Anm. 9) VIII § 477.

54 Ders.: JN (Anm. 9) VI § 858918; JN (Anm. 9) VIII § 443.

55Vgl. Katharina Middel, Hanns-Peter Neumann (Hg.): Der Briefwechsel zwischen Christian Wolff und Ernst Christoph Manteuffel 1738 bis 1748, 3 Bde. (online unter http://www.qucosa.

de, accessed 17. 3. 2018).

56Middel, Neumann (Hg.): Der Briefwechsel (Anm. 55), Bd. 1, Nr. 70, Wolff an Manteuffel, 15.

6. 1740, S. 159.

57Wolff: JN (Anm. 9) I § 534535.

Theilen der Medecin.“58Außerdem hatte er auch von den Kollegen an der So-zietät in Berlin keine hohe Meinung. Es handelte sich dabei um Franzosen, die der Philosophenkönig nach Berlin gelockt hatte, um der Akademie neuen Glanz zu verleihen. Wolff wusste von dem Propst Reinbeck, dass diese sämtlich der Philosophie John Lockes und der Physik Newtons anhingen, und er war kein Anhänger dieser englischen Richtung. Zudem sprach nur Maupertuis unter allen ausländischen Akademikern ein bisschen Latein, keiner Deutsch, während Wolff Französisch nicht aktiv sprechen konnte.„Ich kann mit ihnen aus Mangel der Sprache nicht reden, und sie können mich nicht verstehen.“59 Er war sich sicher, dass es genügen würde, mit der Sozietät zu korrespondieren und gelegentlich eine Sommer-Reise nach Berlin zu unternehmen.

Wichtiger freilich ist, was er als Nachteile einer Akademie für die wissen-schaftliche Arbeit eines akademischen Forschers betrachtete. Er erklärte, dass die Lehrtätigkeit ihn eigentlich in seinen Forschungen nicht hindere, sondern ihm helfe:

Wenn ich die Praesidenten=Stelle bey der Academie der Wißenschafften zu Petersburg angenommen hätte, so würde keines von meinen philosophischen Wercken zum Vor-schein kommen seyn, denn es wäre mir nicht möglich gewesen, bey gantz anderen Idéen, denen ich den Kopff hätte einräumen müßen, ohne das Dociren für vielen meine dazu nöthigen Idéen aufzuklären und so geläuffig zu erhalten, als zu Verfertigung der Wercke erfordert wird. Und dieses war allein genung, keinen Vorstellungen Platz zu geben, wo-durch man mich bereden wollte. Es ist keine andere Ursache als diese gewesen, warum ich einige Jahre her über den Grotium gelesen, als weil ich mir vorgenommen hatte das Jus Naturae zu schreiben.60

Graf Manteuffel versicherte ihm, dass der neue König eine umwälzende Reform seiner Akademie der Wissenschaften vorbereite,61aber dies beruhigte Wolff kei-neswegs. Wolff schätzte die neuen Akademiker ein–einen nach dem anderen– und kam immer noch zu dem Schluss, dass alles nur Fassade sei. Seine Ansicht über die Akademie der Wissenschaften hat sich also nicht verändert.

Im realen Leben vertrat Wolff demnach eine ganz andere Meinung über die Rolle der Akademien, als er in seinem naturrechtlichen Staatsrecht behauptete.

Unter den gegenwärtigen Umständen zog er die Universitäten den Akademien vor. Dies darf jedoch nicht als ein Widerspruch in seiner Position angesehen

58 Middel, Neumann (Hg.): Der Briefwechsel (Anm. 55). Bd. 1, Nr. 70, Wolff an Manteuffel, 15.

6. 1740, S. 159.

59 Ebd., S. 160.

60 Ebd., S. 160161.

61 Ebd., Nr. 78, Manteuffel an Wolff 6. 8. 1740, S. 175.

werden. Seinem Vorbild Leibniz ging es allerdings ebenso, auch er war sehr kritisch gegenüber den Akademien seiner Zeit, trotzdem hielt er an der Über-zeugung fest, dass eine Akademie nach seiner Vorstellung sehr nützlich für die Gesellschaft wäre.

Fazit

Wolffs naturrechtliche Konzeption des Staats gab diesem die Pflicht, ein allgemei-nes Bildungssystem mit einer Akademie der Wissenschaften einzurichten. Diese außergewöhnliche Konzeption knüpfte an die deutsche Tradition des Naturrechts an, welche die Gewalt des Staats auch auf die Bildung der Seele ausdehnte. Den Keim dieser Idee gab es schon in Pufendorfs grundlegendem WerkDe jure naturae (1672), aber Wolff entfaltete sie zu einem umfassenden Programm.

In seinem detaillierten Entwurf verknüpfte er zwei intellektuelle Traditionen:

Einerseits waren es didaktische Werke protestantischer Geistlicher, insbesondere Comenius, die das Programm eines allgemeinen Schulwesens ausgearbeitet hat-ten. Andererseits die Akademiepläne Gottfried Wilhelm Leibniz, der eine praxis-orientierte deutsche Akademie wollte, jedoch die Konzeption des allgemeinen Bildungssystems auszuarbeiten versäumte.

Wolff verband beide Traditionen im Plan für ein System der allgemeinen Schulbildung, zu dem auch eine Akademie der Wissenschaften gehören sollte.

Die Grundausbildung hielt er für ein Naturrecht aller Menschen, da sie mit den niederen Fähigkeiten des Verstandes verknüpft waren, die allen Menschen an-geboren seien. Dies bedeutet, dass die Einrichtung eines solchen Schulnetz-werks eine Pflicht des Staates darstellte. Die Akademie der Wissenschaften sollte dabei praktischen Zwecken dienen und dem aufgeklärten Herrscher in seinen Reformplänen assistieren.

Als Maria Theresia im Januar 1774 eine Reform der Volksausbildung über-legte, verknüpfte sie die Idee eines Netzwerks von Volksschulen ebenfalls mit der Einrichtung einer Akademie der Wissenschaften.62 Diese sollte sich weder mit Theologie noch mit Jurisprudenz, sondern mit Ackerbau, Manufakturen, Handel und Kriegskunst beschäftigen, damit sie zum„politischen Wohl“ des Staates beitrüge. Als die Studienhofkommission im Dezember 1775 die ersten fünf Mitglieder der Akademie vorschlug, erwiderte die Kaiserin, dass sie sich lächerlich in der Welt machen würde, wenn sie eineAcadémie des Sciencesmit

62Das Programm abgedruckt in Rudolf Kink: Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien. Bd. 1, Theil 1. Wien 1854, S. 509510.

vier Ex-Jesuiten und einem wackeren Professor der Chemie einrichten wollte.63 Damit war der Plan endgültig abgesetzt.

Dem Ruf nach einer Akademie der Wissenschaften folgte nur eine Gruppe von Gelehrten in Prag, die zu dieser Zeit angefangen hatten, eine informelle Pri-vatgesellschaft zu formieren. Ihre missverstandenen Erwartungen drückt das Gedicht Auf die Stiftung einer Akademie der Wissenschaften aus, das der ex-jesuitische Gelehrte Ignaz Cornova im Jahre 1775 in Prag veröffentlichte.64 In einer Fußnote zu diesem Gedicht bemerkt er, dass„allgemeine Gerüchte“den nahen Zeitpunkt einer Akademiegründung verkündeten.65Diese Hoffnung ging jedoch nicht in Erfüllung, und die Prager Gelehrtengesellschaft blieb ein isolier-tes Unternehmen.

63 Abgedruckt ebd., S. 510.

64 Ignaz Cornova: Gedichte. Prag 1775, S. 7881.

65 Ebd., S. 79.