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1 Das Klotz ’ sche Briefnetzwerk und seine Dokumentation

Die aufklärerische Formationsphase der literarischen deutschen Öffentlichkeit kennt mehrere herausragende Netzwerker. Eine Generation nach den so wir-kungsvollen Impulsen Johann Christoph Gottscheds gehörte Christian Adolf Klotz (1738–1771) dazu, produktiver Altertumswissenschaftler in Halle, Dirigent eines „weitläufigen Zeitschriftenimperiums“4 und kulturjournalistischer Mei-nungsführer, eine polarisierende Persönlichkeit. Er hatte, in den Worten Les-sings, einen„Schwarm junger aufschießender Skribler sich zinsbar zu machen gewußt, die ihn gegen alle vier Teile der Welt als den größten, außerordent-lichsten Mann ausposaunten“.5In der Literaturgeschichte hat er durch die Aus-einandersetzungen um LessingsLaokoon(1766) seinen festen Platz.

Der Entwicklungsstand der Kommunikationsmedien ist in diesem Zwist ein entscheidender Faktor, die Gattung des Briefes ein wesentliches privates wie publizistisches Gestaltungsmittel, dessen Dialogizität und enge Leserführung eine besondere Wirkungsintensität versprach, wie bald auch im Briefroman mit demWerther(und bereits mit dessen englischen Vorbildern) deutlich. Unter Ein-satz des Briefes benützt und durchquert Lessing schon zuvor alle medialen Fel-der gelehrter Kommunikation. Nach denLiteraturbriefenverwenden seineBriefe, antiquarischen Inhaltsdie Gattung, um grundlegende kritische Einwände zur an-tiken Realienkunde zu diskutieren und damit namentlich Klotz als Kritiker des Laokoonenergisch zurückzuweisen. Erste offene Briefe dieser Sammlung waren zuerst in hamburgischen Blättern erschienen, ein Raubdruck brachte sie als Bro-schüre, ergänzt durch eine Replik von Klotz sowie durch Lessings zuvor in der

4 Antonie Magen:Ewr: hochwohlgebohren ganz gehorsamster Diener Klotz. Christian Adolf Klotz (17381771) und sein gelehrtes Netzwerk, dargestellt anhand eines Briefes. In: Zeitschriften, Journalismus und gelehrte Kommunikation im 18. Jahrhundert: Festschrift für Thomas Habel.

Hg. von Claire Gantet, Flemming Schock. Bremen 2014, S. 7787, hier S. 77.Zur Kontroverse mit Lessing jetzt Daniel Ehrmann: Bündnisse, die es nie gegeben hat. Lessing, Klotz und die Dynamik latenter Allianzen, insbes. Abschnitt 3:Lessing contra KlotzDynamik, Medien und Praktiken schriftstellerischer Allianz. In: Bündnisse. Politische, soziale und intellektuelle Allianzen im Jahrhundert der Aufklärung. Hg. von Franz M. Eybl, Daniel Fulda, Johannes Süßmann. Köln / Wien / Weimar: Böhlau / V&R, erscheint Sept. 2019.

5 Gotthold Ephraim Lessing: Briefe, antiquarischen Inhalts. Berlin: Nicolai 1768/1769 (Tl. 1 Brief 134, Tl. 2 Brief 3557). In: Laokoon / Briefe, antiquarischen Inhalts. Hg. von Wilfried Barner. Frankfurt a. M. 1990 (Werke und Briefe in 12 Bänden. Hg. von dems. u.a., Bd. 5/2:

Werke 17661769) (Frankfurt a. M. 2007, Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch 22), S. 351582, 56. Brief, S. 576. Im Folgenden zitiert als FA (Frankfurter Ausgabe) mit Band- und Seitenzahl.

Hamburgischen Neuen Zeitungerschienenen Antwort. Die an Druckfehlern reiche Erstausgabe (Tl 1 mit 34 Briefen, Berlin: Nicolai 1768) wurde 1778 korrigiert he-rausgegeben; der zweite Teil mit Brief 35–57 erschien 1769 bereits als Antwort auf die inzwischen eingetretenen Reaktionen des Kritisierten.6

Den Schritt zur Veröffentlichung von an sich privat ausgetauschten Briefen setzt Lessing, um seine angegriffene Position zu verteidigen. Er stellt im 52.

Schreiben derBriefe, antiquarischen Inhaltsdie Reihenfolge seiner privaten Kor-respondenz mit Klotz klar, die zu diesem Zeitpunkt freilich nur aus zwei förmli-chen Privatbriefen bestand, Klotz´s Anfrage vom 9. Mai und Lessings Antwort vom 9. Juni 1766. Nicht er habe in diesem Antwortschreiben Klotz um die Lao-koon-Lektüre gebeten, was der öffentlich behauptet hatte, schreibt Lessing im 52.

Brief, sondern dieser sich zuvor an ihn gewandt und um„Erlaubnis“ gebeten,

„mir seine Zweifel über den Laokoon in denActis litter.“, also öffentlich in seiner Zeitschrift,„mitteilen zu dürfen“.„Wenn ihm erlaubt war, eine Stelle aus mei-nem Briefe drucken zu lassen: so kann mir nicht anders als vergönnt sein, eben das mit seinem ganzen Briefe zu tun. Hier ist er, von Wort zu Wort!“7Mit rhetori-schem und polemirhetori-schem Sachverstand zergliedert Lessing diesen Privatbrief und gelangt zum Resultat:„Was für Ungereimtheiten man nicht alles aus lieber Höf-lichkeit zu schreiben pflegt!“Das sodann im Oktober 1766 erschienene, Lessing zugesandte Heft derActa Litterariamit der lateinischen Rezension desLaokoon versieht Klotz mit einem Privatbrief als Begleitschreiben, das Lessing mit hohem Lob überschüttet.„Ich teile auch dieses ganz mit; denn da Hr. Klotz es einmal für gut befunden, unser Publicum in einen Privatbrief gucken zu lassen: so mag die-sem Publico nun lieber gar nichts verhalten bleiben, was unter uns vorgefallen.

Es lautet so: [. . .]“.8Lessing geißelt das Verfahren eines Korrespondentennetzes, das mit doppelter Zunge spricht. Klotz wolle, wie es in einem weiteren derBriefe, antiquarischen Inhaltsheißt, bei seinen Briefpartnern„Zujauchzungen“erzeugen

„als der vervielfältigte Widerhall seiner eigenen Bewunderung“.9Doch Lessing

6Vgl. den Kommentar mit ausführlicher Dokumentation von Entstehung und Wirkung der Briefe ebd., S. 9481085.

752. Brief, FA 5/2, S. 558, es folgt S. 559560 = Nr. 353, 9. Mai 1766, in: Briefe von und an Lessing 17431770. Hg. von Helmuth Kiesel. Frankfurt a. M. 1994 (Werke und Briefe in 12 Bän-den. Hg. von Wilfried Barner u.a., Bd. 11/1), im Folgenden zitiert als FA (Frankfurter Ausgabe) mit Band- und Seitenzahl, S. 443444.Lessing kennt die feine Trennlinie zwischen harter und satirischer Kritik und persönlicher Invektive genau: Verwendet ein Kritiker Wissen über den Künstler, das über das Gelesene bzw. Gestaltete hinaus ins Persönliche geht, sohöret [er]

auf, Kunstrichter zu sein, und wirddas verächtlichste, was ein vernünftiges Geschöpf wer-den kannKlätscher, Anschwärzer, Pasquillant.57. Brief, FA 5/2, S. 579.

8 53. Brief, ebd., S. 563; Klotz´ Schreiben folgt ebd., S. 563564 = FA 11/1, Nr. 359, S. 451452.

956. Brief, ebd., S. 576.

durchkreuzt diesen Halleschen Verbrüderungsversuch durch Schweigen auf der Ebene der Privatkorrespondenz und fingiert für dieBriefeein nicht als Privatbrief gelaufenes Antwortschreiben,„ohne meiner Freimütigkeit Gewalt zu tun“, eine deutliche Zurückweisung.10

Mit diesem Literaturstreit datiert Goethe in seinen Lebenserinnerungen das Ende einer von gegenseitiger Achtung bestimmten Idylle im Literaturbetrieb, deren „schöne Zeit“im Zeichen des alten Konzepts der Gelehrtenrepublik, „wo vorzüglichen Menschen noch mit Achtung begegnet wurde,“sich„bald schließen werde“.11Wenn Goethes Befund Stich hält, mit den „Klotzischen Händel[n] und Lessings Kontroversen“ einen Epochenbruch anzusetzen, der im Medium des Briefverkehrs und der Briefpublikation ausgetragen wird, dann ist in unmittelbarer historischer Nachbarschaft ein weiterer Bruch des Briefgeheimnisses ein Signaler-eignis, die anonyme Herausgabe der Briefe an Klotz nach dessen Tod 1771 (er war erst 33 Jahre alt). Die von Johann Jost Anton von Hagen ediertenBriefe Deutscher Gelehrten an den Herrn Geheimen Rath Klotz, Ende 1772 in Halle gedruckt (datiert 1773), repräsentieren in 145 Briefen an den Halleschen Professor sein Netzwerk quer durch die literarischen Kulturen des Reichs, sie bringen jenen„kleinen Theil von dem weit ausgebreiteten Briefwechsel“, dessen Beiträger den Leser „theils durch unerwartete Urtheile, theils durch die Grazie der Schreibart“unterhalten.12

Was die Ausdehnung des darin manifestierten Korrespondentennetzes be-trifft, so umhegen die äußeren geographischen Eckpfosten ein deutliches Epizent-rum in Mitteldeutschland um Halle. Südlich ist es Zürich, aus dem J. C. Lavater einen Brief beisteuert, nordöstlich schreibt J. G. Herder aus Riga und der Pastor Johann Jakob Harder aus dem livländischen Sunzel, man korrespondiert aus

10 54. Brief, ebd., S. 568, der fingierte Brief S. 567 f. Zur vernichtenden Generalcharakterisie-rung Klotz´s durch Lessing vgl. den 56. Brief, S. 573579.

11 Johann Wolfgang von Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. 7. Buch. In:

Sämtliche Werke. Hg. von Ernst Beutler (Artemis-Ausgabe). München 1977, Bd. 10, S. 361. Eine bündige Einführung in den Laokoonstreit bietet der AbschnittRezeption und Wirkung, FA 5/2, S. 650661.

12 Briefe Deutscher Gelehrten an den Herrn Geheimen Rath Klotz. Herausgegeben von J [ohann]. J[ost]. A[nton]. v. Hagen. Cosmopolis 1773 (bzw. Halle: Bey Johann Jacob Curt, 1773), Vorrede, Bl. *4r. Im Folgenden zitiert als BDG mit Teil, Briefdatum und Seitenzahl. Zur Drucklegung Hilde Haider-Pregler: Die Schaubühne alsSittenschuleder Nation. Joseph von Sonnenfels und das Theater. In: Joseph von Sonnenfels. Hg. von Helmut Reinalter. Wien 1988 (ÖAdW, Komm. f. d. Geschichte Österreichs 13), S. 191244, S. 240 Anm. 1.Das Buch ist spä-testens im November 1772 erschienen (vgl. auch Anm. 23):Um Ihretwegen bin ich der Klotzin so böse, wie möglich. Wenn auch die äußerste Not sie zu Herausgebung der Briefe gebracht hat, so verzeihe ich es ihr dennoch nicht, schreibt Eva König bereits am 3. Dezember 1772 aus Wien an Lessing, FA 11/2, Nr. 873, S. 481.

Altona, Hamburg und Rostock mit Halle, J. G. Jacobi meldet sich aus Düssel-dorf und aus Wien schreiben K. Mastalier, M. Denis, T. Ph. v. Gebler und J. v. Sonnenfels (mit gleich 9 Briefen, die uns noch beschäftigen werden; er eröffnet den Band). Zwar überwiegen Literaten, Philologen und Pastoren, doch auch Künstler wie Philipp Daniel Lippert in Dresden, wie der Pädagoge und Theologe Karl Heinrich Seibt in Prag, wie der Hofprediger Karl Ludwig Conrad in Crossen, später Berlin, finden sich, und von Thomas Abbt bis Les-sing, von Gleim bis Flögel und Zachariae sind namhafte und bedeutende Absender vertreten. Prosopographisch ist der Korrespondentenkreis der 40 Beiträger noch nicht vollständig durchleuchtet.

„Man hat sich bemüht eine strenge Auswahl zu beobachten, und sowohl die leeren Briefe wegzuwerfen, als auch diejenigen zur Zeit noch zurück zu halten, worinnen gewissen Leuten ihre Schande gar zu sichtbarlich aufgedeckt wird“, besagt die Vorrede (Bl. *4v), dennoch erzeugte die Veröffentlichung umgehend Streit und„großes Aufsehen“.13Schon Wochen vor dem Eintreten des im Impres-sum genannten Erscheinungsjahrs ist eine anonyme Schmähschrift über Sonnen-fels´ Anteil an den Klotzbriefen mit der Angabe „Wien 7. Decemb. 1772.“ datiert.14Diese Resonanz kann dazu dienen, den epochalen Umbruch genauer zu beschreiben und davon ausgehend die Struktur und Entwicklung deutscher ge-lehrter Netzwerke nach dem Siebenjährigen Krieg zu befragen. Der historische Quellenwert der Briefe mit den vielen lohnenden Einzelheiten zum literarischen Verkehr, die hier nur auszugs- und andeutungsweise genannt werden können, bleibt unter dieser Voraussetzung gegenüber der Relation des einzelnen Schreib-ens im Korrespondentennetzwerk zweitrangig.