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3 Historische Bruchlinien der Gelehrtenrepublik

Sind bisher einzelne strukturelle Aspekte angedeutet, so erscheint in der skiz-zierten Handhabung und Gewichtung der Briefrhetorik und ihrer Konventionen ein Übergangsfeld, das auch mit der Abfolge der Generationen zu tun hat. Die älteren Beiträger pflegen den „Austausch auf gleicher Augenhöhe“.35 Gleim etwa schreibt den Konflikt mit Lessing mit leichter Hand einfach weg:

[. . .] ich las Ihr Urtheil über Leßings Laocoon. Wie sehr zu beneiden sind Sie, mein

theuerster Freund. Allen Ihren Schriften sieht man es an, daß Sie mit ganzer Seele bey Ihren lieben Musen sind, ohne durch eine Menge von Zerstreuungen alle Augenblicke einmal in dem Umgange mit ihnen gestöret zu werden. [. . .] Mit Ihren Erinnerungen kann und wird HerrLeßingeben so zufrieden seyn, als mit Ihrem Lobe. Wenn Sie loben, mein liebster Freund, so hört man eine der Musen.36

31 Flögel, BDG 1, 26. Dezember 1767, S. 133 und 134. Vgl. auch Johann Justus Herwig:Es ist mir eine Ehre, daß Sie mich unter die Recensenten in Ihrer Bibliothek aufnehmen.BDG 2, S. 6064, hier S. 61.

32 Herder,Riga den 31. Octobr.s. a. [wohl 1767], BDG 2, S. 9398, hier S. 98.

33 Flögel, BDG 1, 24. Juni 1767, S. 125.

34 Klotz an Lessing, FA 11/1, Nr. 352, 9. Mai 1766, S. 443444, hier S. 443.

35 Nora Gädeke: Leibniz lässt sich informierenAsymmetrien in seinen Korrespondenzbezie-hungen. In: Herbst / Kratochwil: Kommunikation in der Frühen Neuzeit (Anm. 21), S. 2546:

Der Informationsfluss als Indikator sozialer Beziehungen(S. 4044) funktioniert jedoch be-reits bei Leibnitznach einem anderen Normensystem als dem der République des Lettres, nämlichin dem der Patronage(S. 40).

36 Gleim, BDG 1, 8. Februar 1767, S. 107.

Der berühmte„wirklich grosse[] Antiquarius“37Lippert, der älteste Beiträger der Briefsammlung, urteilt über Klotzens Versuch über Gemmen und Abgüsse, das Buch mache diesem„viel Ehren und wenn Sie hinkünftig Ihren erstaunend feurigen Witz ein wenig beschränken, und manchmal meinen aufrichtigen Rath in einen und andern Sachen, welche die Kunst betreffen, folgen wollen; so wer-den Sie uns ein lieber und verehrungswürdiger Mann seyn, der der Welt und wer-den Künsten Nutzen schaffet“.38Auf gleicher Stufe stehend zeigt Lippert dem hallen-sischen Altertumswissenschaftler offenherzig seine Grenzen. Und auch Christian Felix Weiße, obwohl nur 12 Jahre älter als Klotz, bringt die alte Form gelehrten Umgangs zur Geltung:„Ihre Fehde mitLeßingenthut mir weh. Schöne Geister sollte das Band der Eintracht und Liebe verbinden, und wann hat jemals die Wahrheit bey dieser Art zu kämpfen gewonnen? beyde Theile reiben sich auf, und am Ende geht es wie im letzten Kriege.“39Sehr genau registriert Weiße hier den Zusammenhang von Krieg und kultureller Polarisierung.40

Nicht nur Goethe hat die Lessing-Kontroverse mit Klotz als Bruch wahrge-nommen, auch Flögel schreibt,„daß die antiquarischen Briefe [Lessings, 1768]

den ersten Ton angaben, und den Anfang zu einer Schandchronik gemacht haben“.41Die Zeitgenossen mussten sich gegenüber geänderten Verhältnissen neu orientieren. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae (1726–1777) findet den Karpfenteich der deutschen Literatur leergefressen, denn „durch alle diese scharfen und beißenden Kritiken“werden Junge wie Alte„abgeschreckt, und ich fürchte, es möchte nur allzubald bey unsrer vielen Kritik an Gegenständen zur Kritik fehlen. Unser Deutsches Litteraturreich kömmt mir wie ein Teich vor, aus dem die Fische von den Hechten verzehrt sind, und nunmehr die grössern

37Ueber die Briefe des Hrn. v. S. (Anm. 14), S. 28.Vgl. die Indienstnahme Lipperts gegen Klotz in Lessings Briefen, antiquarischen Inhalts, FA 5/2, 12. Brief, S. 393 f.

38Nun komme ich auf das Buch, welches Sie mir zu Ehren geschrieben; ich habe es mit aller Attention durchgelesen, und ein unbeschreiblich Vergnügen darüber gehabt, es macht Ihnen viel Ehren und wenn Sie hinkünftig Ihren erstaunend feurigen Witz ein wenig beschränken, und manchmal meinen aufrichtigen Rath in einen und andern Sachen, welche die Kunst be-treffen, folgen wollen; so werden Sie uns ein lieber und verehrungswürdiger Mann seyn, der der Welt und den Künsten Nutzen schaffet, sich aber noch nach dem Tode Ruhm machen wird, dieses schreibt mein Herz, und nicht bloß meine Feder.Lippert, BDG 2, undat. [vermutl.

1768], S. 163166, hier S. 165 f.

39Chr. F. Weiße, BDG 1, 20. Oktober 1768, S. 72. Vgl. auch die Haltung von Johann Jacob Dusch, der im literarischen Streit zur Mäßigung rät, die Wohlgesonnenen wüssten ohnedies Bescheid. BDG 2, 24. Oktober 1770, S. 53.

40Vgl. Stefanie Stockhorst: Einleitung. Krieg und Frieden im 18. Jahrhundert als Forschungs-desiderat einer Kulturgeschichte der Moderne. In: Krieg und Frieden im 18. Jahrhundert: Kul-turgeschichtliche Studien. Hg. von Stefanie Stockhorst. Hannover 2015, S. 1128.

41 Flögel, BDG 1, 20. Juni 1770, S. 157 f.

Hechte die kleinen fressen.“Er selbst, schreibt er,„packte“nun„alles angefan-gene ganz weislich auf die Seite“.42

Aber wie sich dem entziehen? Zachariae pausiert mit dem Publizieren, an-dere mit dem Schreiben. Vom Beispiel der Briefpublikation erschreckt, begannen Autoren ihre Korrespondenzen zurückzufordern. „Um einen derartigen Miss-brauch zu vermeiden“, hat Friedrich Nicolai 21 Briefe zurückgekauft, die er zwi-schen 1771 und 1785 an Gebler geschrieben hatte.„Im Falle seiner Korrespondenz mit Christian Ludwig von Hagedorn konnte er eine Veröffentlichung hingegen nicht verhindern.“43 Doch Gebler selbst war sofort nach dem Erscheinen der Klotz-Briefe tätig geworden.„Eben erhalte ich einen Brief von G.[ebler]“, schreibt Lessing schon Anfang Jänner 1773.

Er meldet mir zugleich, daß ihn der Vorfall mit den Kl.[otzischen] Briefen veranlaßt habe, durch ein Circularschreiben an alle seine Freunde, seine sämtlichen an sie erlassenen Briefe im Original zurück zu fordern. Da er dieses nun auch von mir verlangt, so will ich nächstens alle seine Briefe zusammen geben, und sie ihm mit dem Andeuten zuschicken, daß es wohl das Beste sein dürfte, wenn wir einander ganz und gar nichts mehr schrieben.44

Wenn das Korrespondenzsystem der gefährdeten Gelehrtenrepublik die Diskre-tion brieflicher Äußerung nicht mehr garantieren kann, müssen die Datenträger eingezogen werden. Das „Schwirren der Briefe“(M. Gierl) im Aufklärungsjahr-hundert, das„Papiergestöber“(L. Müller) seiner Korrespondenzen45signalisiert wie jede Inflation zugleich die Entwertung der Botschaften und ihrer Medien,

42 Zachariae, BDG 2, 19. Dezember 1767, S. 20 f.

43 Rainer Falk: Die Korrespondenz des `gelehrten Buchhändlers´ Friedrich Nicolai. In: Kultu-ren des Wissens im 18. Jahrhundert. Hg. von Ulrich Johannes Schneider. Berlin, New York 2008, S. 105112, hier S. 112.Goethe kannte den Fall und verurteilt noch im Mai 1813 den Buchhändler August Gräffer, der Geblers Nachlass erworben hatte (Gebler verstarb am 9. Okto-ber 1786). Gräffer bot seinen Adressaten jeweils ihre Briefe zum Kauf an, widrigenfalls sie nach dem Muster der BDG publiziert werden würden:Dieser Speculant scheint die Preise der Briefe nach der Verfänglichkeit derselben angesetzt zu haben [. . .] wodurch denn mehrere Personen, die sich allerley Klatschereyen u Misreden bewußt waren, in beträchtlichen Schaden gekom-men. Johann Wolfgang Goethe: Tagebücher. Bd V,1 18131816. Text. Hg. von Wolfgang Alb-recht. Stuttgart, Weimar 2007, S. 54.

44 Lessing an Eva König, FA 11/2, Nr. 885, 8. Januar 1773, S. 496 f. Geblers Brief an Lessing, dort mit Nr. 880 für Dezember 1772 angesetzt, ist nicht erhalten. Lessing hat den Briefverkehr mit Gebler im Übrigen nicht eingestellt.

45 Für Gierl: Korrespondenzen (Anm. 1), S. 426 ist dasSchwirren der BriefeeinAusdruck der organisationsfreudigen Zeitbereits um 1700. VomPapiergestöberschreibt Lothar Müller:

Weisse Magie. Die Epoche des Papiers. München 2012, bei Erörterung von Richardsons Cla-rissa, S. 162.

Banknoten oder Briefe. Der Titel von Hagens Publikation nennt die„deutschen Gelehrten“und exponiert damit ein gelehrtes Netzwerk als Teil der Gelehrtenre-publik, um es zugleich in Frage zu stellen. Auch Friedrich Klopstocks Projekt der Deutschen Gelehrtenrepublik (1774), dessen längerer Subskriptionsvorlauf zeit-gleich mit den Klotzbriefen und ihrer Wirkung liegt, scheitert an der grundlegen-den Umstrukturierung gelehrter literarischer Kommunikation unter neuen medialen Voraussetzungen und Konfigurationen. Die modernen Kommunika-tionsbedingungen im polarisierten kulturellen Umfeld waren durch den„Glaube [n] an die Gelehrtenrepublik“46nicht mehr zu beheben.

46Vgl. Heribert Tommek: Trennung der Räume und Kompetenzen. Der Glaube an die Gelehr-tenrepublik: Klopstock, Goethe, Lenz (17741776). In: Text und Feld: Bourdieu in der literatur-wissenschaftlichen Praxis. Hg. von Markus Joch, Norbert Chr. Wolf, Tübingen 2005 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur), S. 89108.

Johann Jakob Breitinger und György