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Christian Wolff war allerdings nicht ohne Vorgänger auf diesem Gebiet.

Die Überlegungen zu einem öffentlichen System der Schulerziehung bilde-ten schon seit dem frühen 17. Jahrhundert einen unabdingbaren Bestand-teil didaktischer Schriften, die von lutherischen Denkern im alten Reich verfasst wurden. All diese Reformvorschläge wurden allerdings vom Bi-schof der tschechischen Brüderunität Joannes Comenius zu einem umfas-senden Entwurf zusammengebracht, den er dann von etwa 1630 bis zu seinem Tod im Jahre 1670 in vielen Ländern Europas popularisierte. Er verlangte darin von den Landesfürsten, dass sie Netzwerke öffentlicher Schulen einrichten sollten, welche allen Bürgern beiderlei Geschlechts nützlichen Unterricht ermöglichen würden. Die Schulen seiner Zeit hielt er für ungenügend. Er fokussierte allerdings nur auf die elementare Ebene der Bildung – eine hierarchische Schulbildung, die in einer Akade-mie der Wissenschaften gipfeln würde, hat er nicht vorgeschlagen. Die wichtigsten seiner zusammenfassenden Schriften wurden Zeit seines Le-bens jedoch nicht veröffentlicht. Die Öffentlichkeit kannte lediglich den Entwurf, den er für die englischen Revolutionäre im Jahre 1642 verfasste und erst im Jahre 1668 unter dem Titel Via lucis publizierte.15 In seiner berühmten, 1657 erschienenen Didactica magna konnte man allerdings auch etwas über die Pflicht der cohabitatio hominum bene ordinata in Sachen der öffentlichen Erziehung lesen.16 Die wichtigste reformatorische Schrift, De rerum humanarum emendatione consultatio catholica, wurde zwar nicht vollständig veröffentlicht, aber die ersten zwei Teile sind erschienen.17 Der Plan zur Reform des Staates befand sich allerdings im sechsten Teil, der nicht veröffentlicht wurde. Die Halleschen Gelehrten konnten trotzdem eine tiefere Kenntnis seiner Schriften gewinnen, denn

15 Joannes Comenius. Hg. von Jarmila Borská und Julie Nováková: Via lucis. Amsterodami 1668. In: Ders.: Opera omnia. Bd. 14. Praha 1974, S. 283385.

16 Joannes Comenius. Hg. von Vojtěch Balík, Marie Kyralová und Stanislav Sousedík: Didac-tica Magna. In: Ders.: Opera omnia. Bd. 15/1, S. 36207, insb. 7294.

17 Das vollständige Werk ist erst 1966 erschienen, vgl. Joannes Comenius. Hg. Otakar Chlup:

De rerum humanarum emendatione consultatio catholica. 2 Bde. Praha 1966. Vgl. Franz Hof-mann: Consultatio catholica de emendation rerum humanarum. Gedanken zur Edition der Halleschen Funde des Spätwerks des J. A. Comenius durch die Tschechoslowakische Akade-mie der Wissenschaften. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Gesellschaft- und Sprachwissenschaftliche Reihe 17 (1968), S. 127149; Va-lentin Urfus: Jurisprudence in Comeniuss Times. In: Jaroslava Pešková (Hg.): Homage to J. A. Comenius. Prag 1991, S. 97104.

die handschriftlichen Unterlagen zu diesem Werk wurden paradoxerweise im Halleschen Waisenhaus aufbewahrt.18

Das Waisenhaus und das angeschlossene Pädagogium, die von August Her-mann Francke und seinen Anhängern gegründet wurden, wurden eigentlich als eine ambitiöse Bildungsanstalt geplant, wo arme Waisen und vermögende Bür-gersöhne auf eine neue Art erzogen werden sollten.19Es beteiligten sich daran sogar Studenten der Universität, die im Waisenhaus wohnten und dafür die Waisen unterrichteten. Dieser Kreis religiöser Pädagogen erkannte Comenius als ihre wichtigste Inspiration an. Der pietistische Professor für Moralphiloso-phie an der Universität Halle, Johann Franz Buddeus, gab einige seiner Schrif-ten neu heraus. Die Grundlage seiner 1702 erschienenen Edition bildete die Historia fratrum bohemicorum, zu der er noch die ersten zwei Teile der Come-nius’schen Pansophie hinzugefügt hat.20 Budde erwähnte Comenius auch in seinerHistoria philosophiae hebreaeorum, wo er ihn als Erneuerer der esoteri-schen Theosophie würdigt.21Comenius’Schriften wurden damals in neuen Auf-lagen veröffentlicht, die ZeitungUnschuldige Nachrichten diskutierte über sie im Jahre 1725.22 Bei den vernunft-orientierten Aufklärern wurde Comenius jedoch für einen Narren gehalten, und das blinde Vertrauen in seine schwärme-rischen pansophistischen Pläne wurde als ein grober Fehler der Pietisten gese-hen.23 Wolff konnte die pädagogischen Bestrebungen seiner pietistischen Gegner kaum übersehen, denn ihre Weltverbesserungsversuche führten zu seiner Vertreibung aus Halle im Jahre 1723. Da er jedoch solche Pläne auch in seine Polizey-Wissenschaft und in seinem Jus naturae eingliederte, lässt sich schließen, dass er damit einverstanden war, dass der Staat sich um die Bildung der Bürger kümmern sollte. Wolff vertrat jedoch eine andere Meinung bezüglich der Zusammensetzung der Fächer, die an den Schulen und an der Akademie gepflegt werden sollten. Der Zweck dieser Einrichtungen war auch mehr prak-tisch orientiert, als es bei den frommen Pietisten der Fall war.

In dieser Hinsicht hatte Wolff noch einen anderen Vorgänger, nämlich sei-nen Fernlehrer Gottfried Wilhelm Leibniz, welcher sich bekanntlich Zeit seines Lebens um die Gründung einer deutschen Sozietät der Wissenschaften bemühte.

18 DmytroČiževskij: Ztracenéčásti Pansofie Komenského nalezeny. In: Slovo a slovesnost 1 (1935), S. 118119.

19Kelly Joan Whitmer: The Halle Orphanage as Scientific Community. Chicago 2009.

20Joannes Comenius. Hg. Johann Franz Budde: Historia fratrum bohemicorum. Halle 1702.

21 Johann Franz Budde: Introductio ad historiam philosophiae hebreorum. Halle 1702, S. 245.

22 Vgl.Čiževskij: Ztracenéčásti (Anm. 18), S. 118.

23Johann Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung im Preußen des 18. Jahrhun-derts. Das Leben und Werk Georg Ernst Stahls. Tübingen 2000, S. 88.

Seine eigenen Akademie-Vorschläge wurden jedoch gar nicht veröffentlicht, daher lässt sich schwer beurteilen, inwieweit Wolff in die Details seiner Projekte eingeweiht war. Im Unterschied zu Comenius propagierte Leibniz vornehmlich die Idee einer Sozietät der Wissenschaften, aber vernachlässigte die Frage eines damit verknüpften allgemeinen Bildungsnetzwerks. Nur in einer frühen Fassung seiner Akademiepläne aus dem Jahr 1671 setzte er voraus, dass die Sozietät auch für die Bildung der Kinder in„öffentlichen Waisenhäusern“sorgen würde, damit ihre Eltern genügend Zeit für ihre erfüllende Arbeit haben würden.24In den spä-teren Plänen, welche er Kaiser Leopold I. und dem Brandenburger Kurfürsten vorlegte, taucht die Idee der öffentlichen Schulen nicht mehr auf.

Leibniz veranlasste allerdings eine wichtige Veränderung, weil er die Idee einer Akademie nicht mehr mit unpraktischen, literarischen und schöngeisti-gen Interessen assoziierte. Aufgrund seiner schlechten Erfahrunschöngeisti-gen mit den königlichen Akademien in London und Paris verlangte er, dass die Akademie sich nicht mit curiosa, sondern mit praktischen Problemen beschäftige, die dem gemeinen Wesen nützlich sein könnten. In dem Akademieplan, den er Kaiser Leopold I. im Jahre 1688 unterbreitete, wurde vorgeschlagen, dass sich die Akademie mit einer encyclopaedia realis beschäftige. Unter dem Begriff der realen Wissenschaften verstand er Wissenschaften, welche für den Staat nützlich sind, insbesondere Mathematik und Physik. Als Vorbild hat er die englische Akademie der Wissenschaften vorgeschlagen, weil sie –im Unter-schied zur Pariser Akademie – etwas Praktisches tue. Die Umsetzung der neuen Entdeckungen in die Praxis sei allerdings auch bei den Engländern problematisch, und deshalb seien die Deutschen vielleicht die letzten, die eine richtige Akademie gründen könnten. Die italienischen Akademien galten ihm als Versager, weil„da wackere leüte zusammen kommen, laufft aber ge-meiniglich auf ein bloßes geschwäz hinauß“.25Neben derencyclopaedia realis sollte die Akademie nach diesem Plan mit Zensur betraut sein. Im endgültigen Projekt der Sozietät der Wissenschaften zu Berlin, die im Jahre 1700 gegründet wurde, ist von diesen praktischen Absichten nur wenig geblieben. Als Haupt-aufgabe der Akademie wurde die Erhaltung der deutschen Sprache und Ver-besserung der deutschen Terminologie in den praktischen Wissenschaften

24 Gottfried Wilhelm Leibniz: Societät und Wirtschaft. In: Ders.: Sämtliche Schriften und Briefe. Bd. IV/1 (16671676). Berlin 1983, S. 560.

25 Leibniz: Ausführliche Aufzeichnung für den Vortrag bei Kaiser Leopold I. September 1688.

In: Ders.: Sämtliche Schriften und Briefe. Bd. IV/4 (16801692). Berlin 2001, S. 75.

definiert,26mit der vagen Hoffnung, dass sie sich mit ähnlichen Gegenständen beschäftigen sollte wie die anderen Akademien der Wissenschaften.27