• Nem Talált Eredményt

Die Schweiz und Ungarn, traditionelle Beziehungen seit der Reformationszeit

Von etwa 700 ungarischen Studenten, die von 1460 bis 1800 schweizerische

„Hohe Schulen“besuchten, studierten 650 Theologie.1Seit dem 16. Jahrhundert boten die eidgenössischen Städte protestantischen Glaubensflüchtlingen aus Un-garn, Siebenbürgen und Polen Zuflucht.2Ungarische Theologiestudenten kamen in der Frühen Neuzeit zum Studium nicht nur nach Wittenberg, Marburg oder Herborn, sondern suchten auch die Hohen Schulen in den eidgenössischen Städten auf.3 Einige zogen weiter in die Niederlande oder nach England.4 Besonders in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts flohen ungarische Prediger vor den Zwangsmaßnahmen der Wiener Geistlichkeit, die Reformierte des

1 Die jüngste monographische Studie zu den peregrinationes ungarischer Studenten in der Schweiz stammt von Jan-Andrea Bernhard, der seinerseits an die universitätsgeschichtlichen Forschungen Ádám Hegyis anknüpft. Vgl. Jan-Andrea Bernhard: Das Zürich Breitingers, Ha-genbuchs und Zimmermanns als Anziehungspunkt für ungarische Studenten. In: Hanspeter Marti und Karin Marti-Weissenbach (Hg.): Reformierte Orthodoxie und Aufklärung. Die Zür-cher Hohe Schule im 17. und 18. Jahrhundert. Wien/ Köln/ Weimar 2012, S. 209261.

2 Grundlegend für das Verständnis der traditionell engen Beziehungen zwischen Ungarn (v.a.

Siebenbürgen) und der Schweiz sind die folgenden Arbeiten: Márta Fata: Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700. Hg. von Franz Brendle und Anton Schindling. Münster 2000; Márta Fata, Gyula Kurucz, Anton Schindling (Hg.): Peregrinatio Hungarica. Studenten aus Ungarn an deutschen und österreichischen Hochschulen vom 16. bis 18. Jh. (Contuber-nium. Universitäts- und Wissenshaftsgeschichte 64). Leider ist die Migration zwischen Schwei-zer Hochschulen und ungarischen Ausbildungsstätten nicht in einem eigenen Aufsatz berücksichtigt. Aber in den Biographien ungarischer Studenten tauchen Genf und Zürich als Studienorte auf.

3 Jan-Andrea Bernhard Konsolidierung des reformierten Bekenntnisses im Reich der Ste-phanskrone. Ein Beitrag zur Kommunikationsgeschichte zwischen Ungarn und der Schweiz in der Frühen Neuzeit (15001700). Göttingen 2015, S. 228255 und 393412.

4 Jan-Andrea Bernhard:„. . .Darauf reiste er nach Ungarn, und hielt sich in dem reformierten Collegium zu Debrecyn uhngefehr 2 Jahre auf. Studentenkontakte zwischen Ungarn und Graubünden im 18. Jh. In: Bündner Monatsblatt 2005, H. 1, S. 6371.

https://doi.org/10.1515/9783110637649-005

Aufruhrs verdächtigten, ihnen die Kirchen wegnahmen und sie zur Bekehrung nötigten.51674 wurden Hunderte protestantischer Prediger in Pressburg vor Ge-richt gestellt und des Hochverrats angeklagt. Wer weder seinen Beruf aufgeben noch konvertieren wollte, kam zu den Galeerensklaven an die Adria. 1676 konn-ten diese Opfer mit niederländischer und Schweizer Hilfe frei kommen.6Johann Heinrich Fries (1639–1718) stammte aus einer reformierten Familie in Hinwil, kam 1670 zum Studium nach Zürich und erhielt an der dortigen Hohen Schule 1676 die Professur für Katechese. Sein Album Amicorum enthält nach 1676 Ein-tragungen von 30 ehemaligen Galeerensklaven, die sich in Zürich aufhielten oder bei Fries studierten. Für ungarische Studenten schrieben eidgenössische Städte seit dieser Zeit vereinzelte Stipendien aus.7Von 1676 bis 1720 schrieben sich nur 27 Ungarn an der Hohen Schule in Zürich und an der Basler Universität ein, während im gleichen Zeitraum 300 junge Landsleute zum Studium nach Wit-tenberg gingen und 200 nach Frankfurt an der Oder. Von 37 ungarländischen Studenten, deren peregrinatio in den Jahren nach der Befreiung der Galeeren-sklaven 1676–1719 Ádám Hegyi untersucht hat, studierten 23 an der Hohen Schule in Zürich oder suchten dort Professoren auf, 19 studierten an der Basler Universität oder hatten dort Kontakt mit Basler Professoren; einige frequentierten beide Institutionen.8Sie alle erhielten an ihrem Studienort Unterstützung. Auch die Hohen Schulen in Genf und Bern gaben Stipendien an ungarische Studenten.

1717 hielten sich erstmals einige wenige in Bern auf und erhielten für mehrere Monate ein Stipendium (Kleidung, Büchergeld, Reisegeld). Von 1723 an förderte die Berner Regierung regelmässig vier ungarische Studenten. Sie verweilten ein knappes Jahr oder höchstens zwei Jahre in der Fremde. Zürich unterstützte jähr-lich ebenfalls drei ungarische Studenten, Basel und Genf je zwei.9Seit den drei-ßiger Jahren des 18. Jahrhunderts nahmen die Zahlen ungarischer Studenten am Collegium Carolinum sprunghaft zu. Im 18. Jahrhundert wurden an der Basler Universität über 200 ungarische Studenten immatrikuliert. Zwischen 1700 und 1790 hielten sich etwa 190 Ungarn in Zürich auf, um dort zu studieren oder Kon-takte mit Zürcher Gelehrten zu knüpfen.10

5 Walter Meyrat: Die Unterstützung der Glaubensgenossen im Ausland durch die reformierten Orte im 17. Und 18. Jahrhundert. Bern 1941, S. 228232.

6Ádám Hegyi: Hungarica-Eintragungen im Stammbuch von Johann Heinrich Fries (16391718).

Die ersten ungarländischen Studenten in Zürich. In: Marti und Marti-Weissenbach (Hg.): Refor-mierte Orthodoxie und (Anm. 1), S. 189207.

7Ebd., S. 196.

8 Ebd., S. 204207.

9Meyrat: Die Unterstützung (Anm. 5), S. 255258.

10Bernhard: Zürich als Anziehungspunkt (Anm. 1), S. 211.

Besonders eng waren die Beziehungen der reformierten Orte mit der Gemeinde Debrecen, der die reformierten Kantone beispielsweise 1728 1000 Gulden schenkten. Seit 1756 erhielt das Collegium zu Debrecen von ihnen jähr-lich 400 Gulden; diese Zahlungen wurden bis 1781 regelmässig fortgesetzt.11 Nach ihrer Rückkehr machten die Studenten meistens als Pfarrer oder als Pro-fessoren in Debrecen Karriere.12

Bis 1730 galt die Zürcher Hohe Schule als „orthodoxe Ausbildungsstätte“. Dieser Ruf, der sich unter anderem auf die zahlreichen Zürcher Ausgaben des Zweiten Helvetischen Bekenntnisses und nachfolgender Formulae Confessionis mitsamt Kommentaren gründet, war für reformierte Ungarn 1670–1730 ver-trauenserweckend, da sie in der Zeit der Glaubensbedrohung dieConfessio Helve-tica Posterior als besonders wichtig für ihre konfessionelle Identität erachteten.

Zahlreiche theologische Dissertationen ungarischer Absolventen am Collegium Carolinum zeugen davon.13

Die folgende Untersuchung konzentriert sich auf die Epoche der Zürcher Auf-klärung, als Johann Jakob Breitinger (1701–1776), Johann Jakob Zimmermann (1693–1756) und nach dessen Tod Johann Caspar Hagenbuch (1700–1763) am Collegium Carolinum lehrten. Sie waren mit Christian Wolffs Philosophie der Harmonisierung von Vernunft und Offenbarung vertraut und erkannten wie er die Notwendigkeit, dass der theologischen Fachausbildung eine Grundbildung in Logik, Erkenntnistheorie und Methodik vorhergehen müsse. Alle drei lehrten zuerst Fächer des Artes-Studiums, bevor sie Theologieprofessoren wurden. Sie sind als Vertreter einer Übergangstheologie anzusehen, die den Studenten die Pluralität theologischer Meinungen in der Bibelexegese und Überlieferungskritik vermitteln und die Kirchengeschichte in Verbindung mit der Geschichte philoso-phischer Lehrmeinungen darboten.14

11 Meyrat: Die Unterstützung (Anm. 5), S. 255258.

12 Vgl. Imre Lengyel: Breitinger und Debrecen. In: Arbeiten zur deutschen Philologie 6 (1972), S. 5562 und die dort angegebene Literatur S. 7275, mit einer Edition von Briefen György Ma-róthis, Sámuel Szilágyis und István Hatvanis an Breitinger, die in der ZB Zürich aufbewahrt werden (S. 6372); János Győri: Zur Bedeutung des Reformierten Kollegiums Debrecen für Kul-tur und Politik Ungars vom 16. bis 19. Jahrhundert. In: Marta Fata/ Anton Schindling (Hg.):

Calvin und Reformiertentum in Ungarn und Siebenbürgen. Helvetisches Bekenntnis, Ethnie und Politik vom 16. Jahrhundert bis 1918. Münster 2010, S. 239261.

13 Bernhard: Zürich als Anziehungspunkt (Anm. 1), S. 215219.

14 Ebd., S. 220223; Peter Opitz: Aspekte und Tendenzen der theologischen Diskussion in Zü-rich zur Zeit Bodmers und Breitingers. In: Barbara Mahlmann-Bauer/ Anett Lütteken (Hg.): Jo-hann Jakob Bodmer und JoJo-hann Jakob Breitinger im Netzwerk der europäischen Aufklärung.

Göttingen 2009, S. 172197.

Das Collegium Carolinum bot in der Epoche, als Breitinger und Bodmer zusammenarbeiteten und ihre Hauptwerke zur Poetik und Ästhetik schrieben, den ungarischen Studenten im 18. Jahrhundert„Theologie plus“an, d.h. Theo-logie in Kombination mit PhiloTheo-logie, ArchäoTheo-logie, Logik und den Naturwissen-schaften. Diese Fächer dünkten die Zürcher Professoren wichtig für die Bekämpfung des Deismus und Naturalismus. Ihr weiter interdisziplinärer Hori-zont unterschied sich vom dogmatisch engeren Verständnis der Zürcher Amts-kirche, war aber für ehrgeizige ungarische Studenten eine Einladung, sich abseits vom vorgeschriebenen Studienziel während ihrer Zürcher Studienzeit mit den Entwicklungen der nicht-theologischen Disziplinen zu beschäftigen.

Das Zürcher Studium der Bibelsprache, der Kirchengeschichte und Dogma-tik wurde von einigen wissbegierigen jungen Ungarn als Tor zur Wertschätzung einzelner Fachwissenschaften geschätzt: Archäologie, Orientalistik, Mathema-tik und Physik hatten sich wie anderswo auch an der Zürcher Ausbildungsstätte für Theologen aus ihrer Rolle als Hilfsdisziplinen für die Theologie emanzipiert.

Einer, der dieses Fächerspektrum in Personalunion vertrat, war Johann Jakob Breitinger, Canonicus am Zürcher Großmünster und Professor der Reihe nach für Hebräisch, Griechisch, Logik, Methodenlehre und Theologie. In seiner Ästhetik und Erkenntnislehre war er Wolff-Schüler, ging aber mit seiner Ana-lyse der Einbildungskraft als poetischer Produktivkraft über dessenDeutsche Metaphysik(1719) hinaus. Neu an seinem Unterricht war, dass er eine gute Ar-gumentationsmethode und Training in logischem Denken als Schlüsselqualifi-kationen für jedes Fachgebiet ansah.

Die ZB Zürich verwahrt die immense, geographisch ausgreifende Korres-pondenz Breitingers, aus der vier ungarische Briefpartner besonders herausra-gen. Die Briefe von György Maróthi (1715–1744), Sámuel Szilágyi (1719–1785) und István Hatvani (1718–1786) an Breitinger zeugen von einem freundschaftli-chen Lehrer-Schüler-Verhältnis.15 Alle drei machten als Theologen mit einem bemerkenswert interdisziplinären Horizont am Debrecener Collegium Karriere, weswegen Jan-Andrea Bernhard anerkennend von einem„Debreziner Triumvi-rat“spricht. Kalmár begegnete hingegen Breitinger als Kollegen, dessen Bezie-hungsnetz er für seine sprachwissenschaftlichen Publikationen zu nutzen trachtete und der mit Abenteuerlust und Risikofreude über die akademische Theologie hinausstrebte.

Maróthi kam 1731 in die Schweiz, studierte ein Jahr lang in Zürich und wandte sich dann nach Basel und Bern, bevor er 1736 in die Heimat zurückkehrte.

15 Lengyel: Breitinger und Debrecen (Anm. 12), vgl. die Briefedition S. 6272; Bernhard: Zü-rich als Anziehungspunkt (Anm. 1), S. 228238.

Mit Zimmermann blieb er danach in Briefkontakt, ebenso mit Jakob Christoph Beck (1711–1785), Professor für Geschichte, Exegese und seit 1759 für Hebräisch in Basel.16Maróthi eröffnete das Zürcher Curriculum auch den Zugang zur Mathema-tik und Archäologie.

Szilágyi nahm aus Bern und Zürich eine zeitgemässe philologische und phi-losophische Ausbildung mit und führte am Debrecener Kolleg als Professor für Philosophie und Griechisch 1742 Breitingers Logiklehrbuch von 1736,Artis cogi-tandi principia, ein. Er hielt Kontakt mit Breitinger, dem er 1741 in Zürich begeg-net war, und legte seinem Brief am 25. November 1743 ein Exemplar des ungarischen Drucks der Artis cogitandi principiabei.17 Auch ein anderes Lehr-buch Breitingers brachte er bei Debrecener Studenten in Umlauf, eine Anthologie griechischer Schriftsteller und DichterEclogae ex optimis Graecis scriptoribus, ad vitam studiosae juventutis informandam. Dieses 1749 erstmals erschienene Lehr-buch blieb bis 1791 auf dem Debrecener Unterrichtsplan für die griechische Spra-che.18Breitinger nahm Szilágyis Nachruf auf den früh verstorbenen Maróthi 1745 in dasMuseum Helveticumauf.19

Hatvani studierte in Basel 1746 Theologie; ein Jahr später immatrikulierte er sich dort als Medizinstudent und schloss das Medizinstudium im April 1748 ab.

1749 erhielt er den Lehrstuhl für Philosophie in Debrecen und entfaltete sich dort als Mediziner, Mathematiker und Experimentalphysiker.20 Hatvani blieb Basel treu, da er dort nicht nur eine lateinische Abhandlung publizierte, sondern auch mehrere Hungarica für den schulischen Religionsunterricht.21Er verbrachte 1748 eine Woche in Zürich, vermutlich in der Absicht, Breitinger und Zimmermann persönlich kennenzulernen. Hatvani nannte Breitinger in einem Brief am 6. De-zember 1747„die Zierde der Kirche und den Schmuck der‚Republik’der Dichter sowie einen Gewinn der ungarischen Jugend“.22Auch mit Zimmermann setzte er den Briefaustausch von der Heimat aus fort.

Was Bodmer für junge dichterische Talente tat, ließ Breitinger, meistens in Verbindung mit Zimmermann und nach dessen Tod mit Hagenbuch, und mit großzügigen Empfehlungen, zu Basler, Berner und Genfer Kollegen Kontakt

16 Ebd., S. 229232; Lengyel: Breitinger und Debrecen (Anm. 12), S. 56.

17 ZB Zürich, Ms. Bodmer 22.43a; vgl. Lengyel: Breitinger und Debrecen, S. 58f. und Bernhard:

Zürich als Anziehungspunkt (Anm. 1), S. 233.

18 Ebd., S. 234235.

19 Sámuel Szilágyi: Oratio funebris qua Georgio Marothi [. . .] parentavit. In: Museum helveti-cum, Bd. 1 /17461747), S. 239280; Bernhard: Zürich als Anziehungspunkt (Anm. 1), S. 232.

20 Lengyel: Breitinger und Debrecen (Anm. 12), S. 5961.

21 Bernhard: Zürich als Anziehungspunkt (Anm. 1), S. 237 und Anm. 128.

22 Lengyel: Breitinger und Debrecen (Anm. 12), S. 67f. Von Hatvani sind 5 Briefe an Breitinger überliefert (ZB Zürich, Ms Bodmer 21.32).

aufzunehmen, den ausländischen Theologiestudenten großzügig zukommen.

Breitinger weckte ihre polyhistorischen Begabungen, brachte ihre ersten Publika-tionen, Reden und DissertaPublika-tionen, zum Druck und wurde dafür von seinen unga-rischen Vorlesungsbesuchern zeitlebens freundschaftlich verehrt. Sie profitierten von Breitingers ausgreifendem Netzwerk, indem sie auch Kontakte zu seinem Jugendfreund Johann Caspar Hagenbuch,23 zum Hebräischprofessor Johann Christoph Beck (1711–1785), Johann Rudolf Iselin (1705–1779) und zu den Ber-noullis in Basel aufnahmen.

Nach Maróthi, Szilágyi und Hatvani, deren Zürich-Aufenthalte und Briefe an Schweizer Gelehrte Imre Lengyel und Jan-Andrea Bernhard ausgewertet haben, fand der 1726 geborene Theologe und Hebraist György Kalmár von Oxford aus den Weg zu Breitinger und nahm aufgrund von dessen Empfehlung Kontakte zu Sprach- und Altertumsforschern in Basel, Bern, Genf und Lausanne auf. Béla He-gedüs hat in seiner Dissertation und einer Reihe weiterer Studien den Lebensweg und die intellektuelle Entwicklung dieses Außenseiters unter den Theologen aus Debrecen erforscht.24Seine Arbeiten gaben mir neben Bernhards beeindrucken-dem Panorama der ungarländischen Theologiestudenten in der Schweiz den An-stoß zur Beschäftigung mit der Korrespondenz Kalmárs mit Breitinger. Anders als seine Vorgänger am Collegium Carolinum Maróthi, Szilágyi und Hatvani, denen Breitinger zu den ersten akademischen Veröffentlichungen verhalf, kam Kalmár

23Auch Johann Caspar Hagenbuch war ein Förderer ungarischer Studenten. Er erhielt zwei sehr respektvolle Briefe ungarischer Theologen, den einen von einem Vater, der mit seinem Sohn in die Schweiz gereist war, um seinen Sprössling der väterlichen Fürsorge der Zürcher Theologen anzuvertrauen, und den zweiten von einem ungarischen Pastor, der seinem verehr-ten früheren Zürcher Lehrer die Treue hielt und ihm schrieb, dass die Repressalien der Türken noch den Alltag in Ungarn beherrschten. Der erste Brief ist unterzeichnet:Michael Bodnar Miskoltzi Hungaricus Paroechus in S. Afra Ecclesia Lutziensi, Luczini, 7. Juli 1762. Den zwei-ten schrieb Johann Szent Péteri Hungaricus, Student der Theologie aus Bern am 3. März 1762 (ZB Zürich, Cod Ms 276 (1760), f. 304 und 305).

24 Meine Forschungen zu Kalmár und seinen Beziehungen zur Schweiz stützen sich auf die Untersuchungen von Béla Hegedüs:Prodromus. Kalmár György világáról[Prodromus. Über die Welt von György Kalmár], Budapest 2008; ders.: The Ideas of György Kalmár. Theory be-hind his Universal Language Plan, in: Hungarian Studies, 25/1 (2011), 6170; ders. Epistemo-logischer Hintergrund des Litterae-Literatur-Überganges im 18. Jahrhundert. Ein Versuch, in:

Germanistische Studien, IX (2013), Eger, S. 4957. Während meiner Beschäftigung mit Kalmár begleiteten mich Béla Hegedüs und Gábor Tüskés mit ihren wertvollen Anregungen. Ich bin beiden dankbar für viele Gespräche über die ungarische Sprachwissenschaft und Aufklärungs-philosophie. Nicht zu meiner Verfügung stand N. László Szelestei: Kalmár György,a magyar nyelv szerelmese [György Kalmár, der Liebhaber der ungarischen Sprache]. Piliscsaba 2000; vgl. Bernhard: Zürich als Anziehungspunkt (Anm. 1), S. 254.

nach abgeschlossenem Theologiestudium und schon mit mehreren lateinischen Publikationen nach Zürich.

Dieser ungarische Sprachforscher, Sprachphilosoph und Dichter tauchte im mittleren Drittel des 18. Jahrhunderts in zentralen Städten der Aufklärung auf, ohne in der Fremde bleiben zu wollen, wie ein Komet, der in ein Sonnensystem eindringt, die Nähe der Sonne sucht und nach 1780 wieder ihrem Licht, d.h. aus der Öffentlichkeit, entschwindet. Der ganz und gar ungewöhnliche Lebensgang György Kalmárs und seine lebenslange Suche nach den Bedingungen der Möglichkeit gegenseitigen Verstehens und des Funktionierens einer jeden Sprache lassen die Potentiale aufgeklärten Denkens und Diskutierens jenseits theologischer Polemik aufblitzen. Kalmár strebte über die Grenzen menschlichen Wissens hinaus und suchte zielstrebig nach Förderern. Sein selbstbewusster An-schluss an Francis Bacon, John Wilkins, John Locke, Leibniz und Wolff vergegen-wärtigt, dass die Aufklärung schon im 17. Jahrhundert begann. Kalmár steuerte, zielstrebig wie ein Komet, auf das Perihel, auf Johann Jakob Breitinger und seine Kollegen am Collegium Carolinum, in Lausanne, Genf, Bern und Basel zu und profitierte von ihnen, wie seine Suche nach Förderern im Vorfeld seiner 1760 pub-lizierten hebräischen Grammatik dokumentiert. Was die Zürcher Vertreter der ge-mässigten reformierten Orthodoxie, nach Bernhard einer Übergangstheologie, ihm nicht zu bieten vermochten, das suchte Kalmár auf seiner späteren Reise bei Johann Heinrich Lambert, weil er zu Recht glaubte, der Autor desNovum Orga-num würde seine durch Sprachvergleiche mit dem Ungarischen und die Begeg-nung mit den orientalischen Sprachen und Kulturen gereifte Theorie einer Universalzeichensprache verstehen, ihre Originalität wertschätzen und seine durch die erstrebte Publikation dieser Praecepta grammatica fördern. Lambert war, wie Kalmár, Autodidakt und Quereinsteiger in die akademische Zunft. Als Universalgelehrter, der die Mathematik und mathematische Astronomie zu seinen Forschungsgebieten zählte, übertraf Lambert den Chorherrn am Grossmünster durch die Kühnheit und Geschlossenheit seiner Theorie, einer Erkenntnis-, Zei-chen-, Sprach- und Wahrnehmungstheorie. In der Tat ist Lambert die Publikation von Kalmárs Universalzeichenlehre zu verdanken; er sorgte dafür, dass Mitglieder der Berliner Académie des Sciences das Werk subskribierten. Während Breitingers Antworten auf Kalmárs Briefe–bis auf eine Ausnahme–nicht überliefert sind, kennen wir Lamberts Reaktion auf den ungewöhnlichen ungarischen Prädikan-ten: er nahm ihn in Schutz, weil er die sprachphilosophischen Ideen des Ungarn innovativ und gegründet fand und sich durch das unkonventionelle Auftreten des Weitgereisten nicht beirren ließ.

Ziel dieses Beitrags und der Briefedition ist es, Licht in das Dunkel der mitt-leren Lebensphase Kalmárs zu bringen, als er sich bei Schweizer Gelehrten einen Namen machen wollte. Die Schweiz war freilich nur Etappe in einem

Lebenslauf, der halb Europa durchmass, von Genf über Halle bis Petersburg und von Ungarn bis Konstantinopel und Palästina. Im Zentrum stehen hier Kal-márs Beziehungen zu Schweizer Theologen, Philosophen und Naturwissen-schaftlern, die er 1754–1761 aufgesucht und mit denen er korrespondiert hat.

Johann Jakob Breitingers internationale