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2 Netzwerkstruktur, Briefrhetorik, Indiskretion

In strukturellen Kategorien der jüngeren Forschung formuliert, bestehen die

„netzwerklichen Funktionen von Briefwechseln“ in der Etablierung verlässli-chen Informationsflusses und Koordinierung der dazu erforderliverlässli-chen Stellung-nahme, also im„Austausch(Informationen aller Art, Wissen, Ideen, materielle

13 Über die Wiener Rezeption schreibt Sattler:Sie machten hier so großes Aufsehen, daß sie von jedermann, es sey nun aus Neugierde, oder aus andern Ursachen, gelesen wurden. Jo-hann Tobias Sattler: Bemerkungen über die neue deutsche Kritik bey Gelegenheit der Klotzi-schen Briefe. Wien: Ghelen 1774, Vorrede.

14 Ueber die Briefe des Hrn. v. S. an Hrn. Klotz. Leipzig und Züllichau 1773. Der Druck ist also wahrscheinlich im Verlag Frommann erschienen.Ich danke Frau Mag. Eva Offenthaler für ihre Vorarbeiten und für die Überlassung der Kopie des Ex. der UB Halle.

Gaben, aber auch Bruchstücke oder Rohstoffe der eigenen Arbeit)“, begleitet von„Diskussionbzw. Kritik und Kommentar“. Die Schreiber selbst sind drittens an der„AnbahnungundAufrechterhaltungformeller wie informeller Kontakte“ höchst interessiert, sodass die Briefe viertens im„Karrieremanagement (Mittei-lung von Verhaltensregeln, Hinweise auf offene Stellen, Empfeh(Mittei-lungen)“eine zentrale Rolle spielen.15

Inszeniert werden diese netzwerklichen Funktionen in einer spezifischen Rhetorik unter Verwendung konventioneller Brieftopik, bedachtsamer insinua-tioals Moderierung der Aufmerksamkeit wie auch Handlungsaufforderung mit dem Telos des eigenen Wohlergehens. Deshalb kommen als Interaktionskrite-rien die Dichte und Häufigkeit der Beziehungen sowie deren Intensität dazu, also die Breite der Briefthemen und die Nähe der Partner. Strukturelle Eigen-schaften besitzen die Netzhierarchien, deren Kommunikationsstrukturen und Verbindungen zu anderen Netzen. Hier stößt man auf Fragen der Macht und der Abgrenzung.16

Im Briefnetzwerk Klotz steht vor allem der letztgenannte Aspekt im Zent-rum der Äußerungen, die Grenzziehung zwischen In- und Exklusion, denn die Gegner werden deutlich gebrandmarkt, sei es Nicolai mit seiner Allgemeinen Deutschen Bibliothekund deren Zuträgern und Rezensenten, sei es Lessing, der seit dessen Rezension des Laokoon mit Klotz in Interpretationsfragen antiker Ästhetik im Krieg liegt, also dessen ureigenstem Fachgebiet. Als Befestigung der Identitätsstiftung qua Exklusion werden die bösen Feinde im Kollektiv ge-scholten,„das Toben des gutenNicolaiim 5ten Bande seiner Bibliothek. . .Ein leibhaftes Protocoll eines alten Rabulisten“,17oder der„alte RadoteurBodmer“, den Christian Felix Weiße einen„alten schweitzerischen Tanzbär“nennt;„Der Geifer mag in seinen eignen Bart laufen.“18 Lessing ist in der Formulierung Josephs von Sonnenfels „unartig“,19 obzwar„ein Mann, der um die Literatur

15 Hallers Netz. Ein europäischer Briefwechsel zur Zeit der Aufklärung. Hg. von Martin Stuber, Stefan Hächler, Luc Lienhard. Basel 2005; hier fasse ich die Terminologie mit Jost (Anm. 1), S. 9 zusammen.

16 Jost (wie Anm. 1), S. 10:Ausschlaggebend für die qualitative Analyse von Netzwerken ist ein Set vonInteraktionskriterien. [Anm. 24] Erfasst werden sollten dieDichte und Häufigkeitder Beziehungen, die Intensitätderselben (z. B. persönlich-privat oder funktional-geschäftlich), diestrukturellen Eigenschaften(liegt etwa ein gleichberechtigtes oder ein hierarchisches Ver-hältnis vor?), die Kommunikationsstrukturen im Netz sowie die Verbindungen zu anderen Netzen.

17 Flögel, BDG 1, 20. Juli 1769, S. 154.

18 Chr. F. Weiße, ebd., 9. Mai 1768, S. 68, und 14. Juni 1768, S. 69.

19 Unsere hiesigen Schriftsteller sind eben so unartig, als ihreLeßings. Sonnenfels, ebd., 17.

Dezember 1768, S. 13 f.

verdient ist, aberLeßinghat vielleicht nicht den Ruhm, der noch wesentlicher ist, den Ruhm eines so guten Mannes. Dieses Wort sey unter uns beyden auf unsere wechselseitige Ehre verschlossen, ein Zeichen meines Zutrauens gegen Sie!“20Nicht zum ersten Mal tarnt sich zum Zwecke der Inklusion und Exklu-sion Verleumdung als Vertraulichkeit.

Ein paralleles Beispiel der Einrichtung einer wissenschaftlichen Zeitschrift

„als das quasi ausschließliche Sprachrohr einer geschlossenen Gesellschaft“ bietet die 1759 durch Joachim Georg Darjes gegründeteJenaische philosophische Bibliothek, die vor allem„als ein wesentliches Element zur Gestaltung der Aus-einandersetzung mit den Anhängern Wolffs in Jena angelegt war“. Wie sein Journal für Klotz, war auch für Darjes seine Bibliothek wesentliches Element seiner „Selbstbehauptungsstrategie.“21 Klotz hat die Funktion eines Journals zur Formierung und Verstetigung der eigenen Anhängerschaft nicht neu erfun-den, aber doch die Härte gelehrter Positionskämpfe merklich verschärft, denn

„[d]ie Journale organisierten Verhalten.“22

Dassentre nous, also innerhalb eines kollektiven Wir im internen Sprechmo-dus des Netzwerks, anders gesprochen wird alscoram publico, bedarf keiner Ar-gumentation. Wo aber die Grenze dazwischen verläuft, scheint im Sinne Goethes einer der Indikatoren des Epochenübergangs zu sein. Wo zwischen Innen und Außen Schwellenaufwand getrieben wird, liegt gemäß Luhmann eine System-grenze, die durch die Publikation der Briefe wirkungsvoll gesprengt wurde. Und dies breitflächig, denn der Skandal der veröffentlichten Privatbriefe besteht im Aufdecken der Interna eines Netzwerks, also einem sozialenarcanum(ähnlich jenem der Geheimgesellschaften wie auch des Beichtgeheimnisses), nicht in der

20Sonnenfels, ebd., 24. Juli 1769, S. 32. Zu Sonnenfels vgl. Haider-Pregler 1988, jetzt Simon Karstens: Lehrer Schriftsteller Staatsreformer. Die Karriere des Joseph von Sonnenfels (17331817). Wien, Köln, Weimar 2011 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Ge-schichte Österreichs 106). Karstens nutzt Netzwerkbeschreibung erfolgreich und wegweisend für die Rekonstruktion von Sonnenfels´ Leben und Wirken.

21 Günter Dörfel u. Joachim Bauer: Gelenkte KommunikationDie geschlossene Gesellschaft des Joachim Georg Darjes und ihr Kommunikationsorgan, dieJenaische philosophische Biblio-thek. In: Kommunikation in der Frühen Neuzeit [Tagung Erhard Weigel, Jena 2006]. Hg. von Klaus-Dieter Herbst, Stefan Kratochwil. Frankfurt a. M. 2009, S. 253271, hier S. 254 u. 267. Zur Tradition vgl. auch Martin Mulsow: Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Liberti-nage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Stuttgart, Weimar 2007,Netzwerke gegen Netzwerke. Polemik und Wissensproduktion im politischen Antiquarianismus um 1600, S. 143190.

22 Martin Gierl: Res publica litterariaKommunikation, Institution, Information, Organisa-tion und Takt. In: Herbst / Kratochwil: KommunikaOrganisa-tion in der Frühen Neuzeit (Anm. 21), S. 241252, hier S. 251.

Bloßstellung einer einzelnen Person. Letzteres wurde gewissermaßen als Kollate-raleffekt mit Behagen in Wien wahrgenommen, wo man, dem Zeugnis Eva Kö-nigs zufolge, in den Tagen nach Erscheinen des Buchs nicht über die Lektüre der ersten 45 Druckseiten mit den Briefen Sonnenfels´ hinauskam, weil einem das Exemplar vom nächsten skandalbegierigen Leser aus der Hand gerissen wurde.23 Über die anderen Briefe verstreut finden sich allerhand weitere„saftige“ Formu-lierungen und Bloßstellungen verschiedenster Briefverfasser, auch solcher des Bandes selbst, durch die Mitglieder des Netzwerks. Sonnenfels findet Christian Felix Weiße feige, weil er„nicht das Herz“habe, öffentlich zu seiner Meinung zu stehen, Karl Seibt erlebt Sonnenfels als höchst unangenehm herablassend,24Karl Ludwig Conrad drückt seine neueste Feindschaft apart so aus:„Grüßen Sie den für mich toten Jacobi“, Christian Friedrich Gotthard Westfeld berichtet despek-tierlich über Thomas Abbt, er sei kein Christ und überdies der Wollust ergeben, und Johann Jakob Harder bezweifelt ernsthaft Herders Griechischkenntnisse, er habe ihm als Übersetzunghelfer eine Falle gestellt und ihn damit überführt.25 Das klingt alles thematisch nicht sehr beunruhigend, weil wir Klatsch und Tratsch auch Menschen zutrauen dürfen, die erfolgreich Literatur verfassen und publizieren konnten, ist aber in Kommunikationsstrategien der Anbiederung, des Einschmeichelns und insgesamt eines Nutzens verwebt, der dem Empfänger wie auch dem Absender durch die Mitteilung erwachsen soll. Wer so schreibt, desa-vouiert sich nicht im epistolografischen Kommunikationsakt, sondern in dessen Veröffentlichung. Es gibt eben doch „Dinge, die in Privatbriefen leicht Verzei-hung erhalten, die man aber dem Publikum nicht vorlegen muß“,26es ist in den zitierten Worten Lessings nicht selbstverständlich, das„Publicum in einen Pri-vatbrief gucken zu lassen“.

23 Doch nur die Sonnenfelsischen, denn von den andern Briefen ist wohl schwerlich noch einer gelesen worden, weil nur zwei Exemplare hier sind, davon eines die Kaiserin hat, und um das andre ein solches Geschicke ist, daß es keiner länger behalten kann, als bis er eben die Sonnenfelsischen Briefe gelesen hat.Eva König an Lessing, FA 11/2, 5. Dezember 1772, Nr. 873, S. 480.

24 Mühelos identifizierte das Publikum den dort namentlich nicht genannten Sonnenfels im Brief Seibts. Vgl. Ueber die Briefe des Hrn. v. S. (Anm. 14), S. 30. Seibt macht aberBaron van Schwieten(sic) namhaft, denn dieser hielt ihnfür die Gleichgültigkeit dieses Gelehrten, der sich so ungern herabläßt, reichlich schadlos.BDG 2, 10. März 1771, S. 65.

25 Conrad: BDG 2, 27. November 1767, 41; Westfeld: ebd., 6. August 1767, S. 34 (r 32) f.; Harder:

ebd., 25. September 1770, S. 58 f.

26 Allgemeine Deutsche Bibliothek Bd. 9, 1. Stk., Berlin, Stettin 1769, Nr. XXXI, S. 189194, hier S. 193; Rez. derBriefe von den Herren Gleim und Jacobi(Berlin 1768), die Klotz dem Autor Gleim gegenüber sehr gelobt hatte (vgl. Gleim, BDG 1, 2. Juli 1768, S. 122).

Mediale Strukturen, unterschiedlicher Wissensstand und wirkungsvolle In-diskretion spielten machtvoll zusammen. Netzwerke beruhen stets auf mehre-ren, wenn nicht allen verfügbaren Informationskanälen. Ihre Funktionsweise zeigt sich daran, wie Sonnenfels selbst in Kenntnis jener Publikation gelangte, die seine vertraulichen Sottisen ans Licht zog.„Hören Sie nur! auf welche Art S. die Briefe erhalten hat“, schreibt Eva König an Lessing. Weil die Schauspiele-rin Maria Antonia Deutscher dort sehr ungünstig wegkommt, hat nach Lektüre der gedruckten Sonnenfelsbriefe ihr Mentor Gebler sie zu jenem gesandt,„als ob sie es gehört hätte, ohne des Buchs zu erwähnen. Er leugnete alles, und sie, die gute [Maria Theresia von] S.[onnenfels], setzt sich mit ihr aufs Kanapee“ und beruhigt die aufgebrachte Aktrice. Die stellt sich besänftigt, geht nach Hause und übersendet Sonnenfels sodann die gedruckten Briefe„als ein neu herausgekommenes Buch, zum Durchlesen“.27Sonnenfels hatte den Spott der für ihren Spott bekannten Stadt, er war im Oktober 1770 seines Amtes als Thea-terzensor enthoben worden, sein Stern war stark am Sinken.28 Dies aber brachte Lessing zur denkwürdigen Replik auf das Schreiben seiner Freundin:

Ich war eben im Begriff, einen sehr empfindlichen Brief desfalls an ihn zu schreiben, ja gar diesen Brief drucken zu lassen, als ich den Ihrigen [vom 5.12.] erhielt. Sie haben mich mitleidig gegen ihn gemacht, ohne es zu wollen. Auf wen alle zuschlagen, der hat vor mir Friede.29

„Beim Vernetzen ging–und geht es immer– um Macht.“30 Bei Klotz als dem Zentrum der Korrespondenzen erzeugen die Briefe hohe Informationsdifferenz und akkumulieren ständig wachsendes Machtwissen gegenüber seinen Korres-pondenten. Diese offerieren ihm rhetorische Unterwerfungsgesten, insbeson-dere wenn Förderung oder Information erwartet wird:„Es ist schon ein Antrieb für mich, daß er [Riedel] unter Ihre Freunde gehört, welchem glänzenden Kreise ich mich nach und nach zu nähern gedenke“, heißt es im Beitrittsgesuch Flögels:„Der Antrag, ein Mitarbeiter an Ihrer Bibliothek zu werden, gereicht

27Eva König an Lessing, FA 11/2, 5. Dezember 1772, S. 480 f.

28 Haider-Pregler: Die Schaubühne alsSittenschule(Anm. 12), S. 237 f.; in diese Darstellung ist Lessings Briefwechsel vorzüglich eingearbeitet.Sonnenfels hatte der Schauspielerin at-testiert, sie seimit der unangenehmsten und unverständlichsten Stimme von der Welt, einer unverständlichen Aussprachesowiemit gezwungenen Gebehrdtenfür die Bühne ganz un-geeignet. FA 11/2, Stellenkommentar, S. 1009 zu Sonnenfels, BDG 1, 3. September 1769, S. 39.

29Lessing an Eva König, ebd., Nr. 885, 8. Januar 1773, S. 496.

30 Jost (Anm. 1), S. 7.

mir zur Ehre, und ich nehme ihn mit Vergnügen an“.31Selbst Herder hofft auf

„einen manchmaligen Briefwechsel mit Ihnen“, eine„Kostbarkeit“,„auf die ich stolz thun könnte.“32So mancher greift noch kräftiger in die Tasten:

Ihr patriotischer Eifer der falschen Methode auf hohen Schulen die Larve abzureissen, das Studium des Alterthums von dem Wust der deutschen Compilatoren zu reinigen, die wahre Philologie und Kritik unter uns herzustellen, verdient alle Erkenntlichkeit unsers Zeitalters; welches die Nachkommen noch besser einsehen werden.33

Umgekehrt beherrscht auch Klotz den Ton der Einschmeichlung, wenn es im oben zitierten Vorstellungsschreiben an Lessing vom Mai 1766 heißt:„Wie viel Vergnügen macht mir nicht Ihr Laokoon!“Und Klotz bittet mit der Schlussflos-kel um die„Versicherung [. . .], daß Sie mir erlauben, Ihr Freund zu sein.“34