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Wandlungen einer Sozietätsbewegung zwischen Österreich, Mähren und Siebenbürgen

Johann Christoph Gottsched war erfahren und erfolgreich darin, in Leipzig und an anderen Orten Publikations-, Zeitschriften- oder Sozietätsprojekte anzusto-ßen. Seine Anregung aber, in der Metropole der Habsburgermonarchie eine Deutsche Gesellschaft zu gründen, stieß auf Vorbehalte. Franz Christoph von Scheyb, Schriftsteller und Kunsttheoretiker, machte aus seiner Skepsis1keinen Hehl:

Was soll ich nun auf dero sehr gegründten Beweis, allhier eine deutsche Geßellschaft stifften zu können, antworten? Man ist allhier unter allen denen, die dergleichen angele-genheiten wohl einsehen, der einhelligen Meinung, daß es unmöglich seÿ; und daß die von E. M. angeführte gründe nur in Leipzig nicht aber hier zulangen.2

Dieses Verdikt hat Gottsched nicht abgeschreckt, seine Projekte in Wien weiter zu verfolgen; es sollte auch heute nicht davon abhalten, nach den Erscheinungs-formen der Sozietätsbewegung‚Deutsche Gesellschaft‘in der Habsburgermonar-chie zu forschen. Unmöglich war eine Gründung nicht, Scheybs Pessimismus ungeachtet gab es mehrere derartige Gesellschaften, die bislang nicht im Zusam-menhang untersucht wurden. Ihren Reiz kann eine solche Betrachtung nicht zu-letzt aus Scheybs Bemerkung „nur in Leipzig nicht aber hier“ beziehen. Die weitgehende Verschiedenheit der Bedingungen, die für gelehrte Gesellschaften in Leipzig und in Wien bestanden, lässt fragen, ob und welche Wandlungen ein mitteldeutsches Sozietätsmodell im Vielvölkerreich der Habsburger genommen hat.

Danksagung: Für Hinweise auf Quellen und Verbesserungsvorschläge danke ich Frau Fran-ziska Menzel M.A., Frau Andrea Tonert M.A., Herrn Dr. Béla Hegedüs, Herrn Dr. Rüdiger Otto und Herrn ThomasŞindilariu.

1 Vgl. zu den Erfahrungen Scheybs mit den aufgeklärten Gesellschaften dieses Typus Grete Klingenstein: Johann Daniel Schöpflin und Wien. In: Bernard Vogler, Jürgen Voss (Hg.): Stras-bourg, Schoepflin et l´Europe au XVIIIe siècle, Bonn 1996, S. 128162, hier S. 156158.

2 Franz Christoph von Scheyb an Johann Christoph Gottsched, den 1. Februar 1749, Universi-tätsbibliothek Leipzig, Ms 0342, Bd. XIV, f. 2022.

https://doi.org/10.1515/9783110637649-006

Die Deutschen Gesellschaften zählen zu den weniger gut erforschten Orga-nisationsformen der deutschen Sozietätsbewegung.3Erst in den letzten Jahren sind–nach einigen Dissertationen und Aufsätzen v. a. der Vorkriegszeit– neu-ere Arbeiten sowohl über den Sozietätstypus4als auch über einzelne Sozietä-ten5erschienen.

Die Anfänge der Deutschen Gesellschaften liegen an der Universität Leip-zig, wo Görlitzer Studenten 1697 eine Poetische Gesellschaft gründeten und sich unter der Leitung des Polyhistors Burckhard Mencke„in der deutschen

3 Bisher einziger Forschungsüberblick zum Thema ist die Arbeit von Corinna Fricke: Die Deut-schen Gesellschaften des 18. Jahrhundertsein Forschungsdesiderat. In: Klaus D. Dutz (Hg.):

Sprachwissenschaft im 18. Jahrhundert. Fallstudien und Überblicke, Münster 1993, S. 7798, die sich v. a. auf die Beiträge der Deutschen Gesellschaften zur Sprachwissenschaft konzent-riert. Dort auch eine kurze Bibliographie.

4 Björn Hambsch: Art. Sprachgesellschaften. In: Gert Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 8. Tübingen 2007, Sp. 10881097; Wolfgang Hardtwig:

Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland. Bd. 1. Vom Spätmittelalter bis zur Fran-zösischen Revolution. München 1997, über die Deutschen Gesellschaften S. 224238. An älteren Arbeiten sind Richard van Dülmen: Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürger-lichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland. Frankfurt/Main 1986, S. 4854; Thomas Charles Rauter: The Eighteenth-Century Deutsche Gesellschaft: A Literary Society of the German Middle Class, Diss. Urbana/Illinois 1970; Eugen Wolff:

Die Deutschen Gesellschaften des achtzehnten Jahrhunderts. In: Nord und Süd 99 (1901), S. 225241, 336354; Ludwig Keller: Die Deutschen Gesellschaften des 18. Jahr-hunderts und die moralischen Wochenschriften. Ein Beitrag zur Geschichte des deut-schen Bildungslebens. In: Monatshefte der Comenius-Gesellschaft 9 (1900), S. 222242, zu nennen.

5 Felicitas Marwinski: Johann Andreas Fabricius und die Jenaer gelehrten Gesellschaften des 18. Jahrhunderts. Jena 1989; Dies.: Der Deutschen Gesellschaft zu Jena ahnsehnlicher Bücherschatz. Bestandsverzeichnis mit Chronologie zur Gesellschaftsgeschichte und Mit-gliederübersicht. Jena 1999; Eva Wedel-Schaper:. . .das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden Die Teutsche Gesellschaft in Erlangen. In: Jahrbuch für fränkische Lan-desforschung 53 (1992), S. 249263; Detlef Döring: Die Geschichte der Deutschen Gesell-schaft in Leipzig. Von der Gründung bis in die ersten Jahre des Seniorats Johann Christoph Gottscheds. Tübingen 2002 (Frühe Neuzeit 70); Robert Seidel: Gelehrtensozietät oder Seminar? Die Teutsche Gesellschaft in Gießen (17631765). In: Sozietäten, Netz-werke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung. Tübingen 2003 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 21), S. 4356; Hans-Joachim Kertscher: Die Prüfende Gesellschaft in Halle. In: Detlef Dö-ring, Kurt Nowak (Hg.): Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (16501820).

Stuttgart, Leipzig 2002 (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse Band 76, Heft 5), S. 7199; Dieter Cherubim, Ariane Walsdorf: Sprachkritik als Aufklärung. Die Deutsche Gesellschaft in Göttingen im 18. Jahrhundert. Göttingen 2004.

Poesie zu üben suchten“.61724 trat ihr Johann Christoph Gottsched bei, der be-gann, die Gesellschaft in seinem Sinne zu einer Deutschen Gesellschaft umzufor-men, wie sie sich seit 1727 nannte. Schnell gründeten sich nach diesem Muster weitere Vereinigungen im nördlichen und mittleren Deutschland, unter denen bis zur Jahrhundertmitte Sozietäten in Jena, Halle, Wittenberg, Helmstedt und Bre-men zu nennen wären. Ihr institutioneller Ort waren die protestantischen Univer-sitäten und größeren Gymnasien, deren Lehre und Forschung weitgehend von der überkommenen Latinität geprägt war. Die Pflege der deutschen Sprache, Literatur und Rhetorik sollte kein wissenschaftlich–literarischer Selbstzweck sein. Darüber hinaus sollte sie die Gelehrten aus den Schranken der Latinität zu größerer Beach-tung und AchBeach-tung in der Ständegesellschaft führen. Dabei war die Hinwendung zur Muttersprachlichkeit Teil einer umfassenden Habitusänderung der Gelehrten, die sich an den Idealen von friedlicher Zusammenarbeit, Klarheit und Nutzen für das Gemeinwesen orientieren sollte. Diese Sozietätsbewegung war mit weit über 3.000 namentlich bekannten Mitgliedern im gesamten deutschen Sprachraum von Zürich bis Königsberg und von Bremen bis Kronstadt vertreten. Regelmäßig wurden in den gesellschaftlichen Sitzungen von den meist studentischen Mitglie-dern verfertigte Abhandlungen und Gedichte vorgelesen und von den Anwesen-den beurteilt. Diese wurAnwesen-den damit nicht nur auf die Themen und Stilideale der Frühaufklärung eingeschworen, sondern auch zu regelmäßigem Erscheinen und freundschaftlichem Umgang auch und gerade bei Kontroversen angehalten. Vor allem in den ersten Jahren spielte das Projekt einer nationalen Akademie der deut-schen Sprache für deren spiritus rector Gottsched eine wichtige Rolle.

Eigentlich hätte dem Kaiserhof für solche Vorhaben eine Vorreiterrolle gebührt; schließlich konnten ihm die Bestrebungen zu einem reineren und ein-heitlichen Deutsch sowie die Anklänge eines überregionalen Patriotismus nur in die Hände spielen. In der Tat entwarf der Hofantiquar Carl Gustav Heraeus eine Projektskizze, die ähnlich den Leibniz´schen Sozietätsprojekten7eine Sprachge-sellschaft unter der Protektion des Kaiserhofs vorsahen.8Unter dem Schutz des Reichsoberhaupts sollte eine Gesellschaft entstehen, die nicht aus Personen mit

6 Art.Societät der Deutschen Sprache (oder Deutsche Gesellschaft) in Leipzig. In: Johann Heinrich Zedler (Hg.), Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste [. . .], Bd. 38 (1743), Sp. 191.

7 Vgl. Andreas Erb: Eine unabhängige Umsetzung unvorgreiflicher Gedanken? Die Deutschen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts und die Leibnizschen Reformpläne. In: Ute Ecker, Daniel Fulda (Hg.): Theatrum naturae et artisLeibniz und die Schauplätze der Aufklärung (Manu-skript eingereicht).

8 Carl Gustav Heräus: Unvorgreifliche Gedanken über die Auf- und Einrichtung einer Teut-schen Sprach-Gesellschaft / wie solche einem vornehmen Minister sind überreichet worden.

In: Ders.: Gedichte und Lateinische Inschriften. Nürnberg 1721, S. 264276.

„Schul=Art“bestehe, sondern„solche Männer, welche der Vorzug des Standes, die Erfahrung in Aemtern, und der Umgang mit Leuten, deren Sprache und Sit-ten eine gleiche Zierlichkeit haben“9in ihren Reihen führen sollte. Gottsched griff die Schrift begeistert auf und druckte sie elf Jahre nach ihrem ersten Erschei-nen in seiErschei-nenBeyträgen zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeitmit dem Lob erneut ab, sie seien„werth, [. . .], bey verständigen, und die Ehre ihres Vaterlandes liebenden Deutschen, einen vollkommenen Bey-fall zu erhalten.“10Auf diesem Weg das Projekt einer landesherrlichen Akademie zu lancieren, stand keineswegs quer zur universitär geprägten Deutschen Gesell-schaft in Leipzig, sondern war als publizistische Begleitmusik zu Anläufen gedacht, durch Aufnahme gerade adeliger Mitglieder kurfürstlich sächsische Be-stätigung für‚seine‘ Gesellschaft zu erlangen. Zu einer kaiserlichen oder höfi-schen Gründung ist es nie gekommen, als Wunsch mancher Sozietäten nach höchster Protektion führten solche Projekte jedoch weiterhin ein zähes Eigenle-ben. Noch in den 1760er Jahren ventilierte Georg Andreas Will, Gründer der Deut-schen Gesellschaft in Altdorf, mit dem Reichshofrat Gustav Georg König von Königsthal das Projekt, zu einer kaiserlichen Privilegierung zu kommen.11

Die Untertanen der Donaumonarchie partizipierten früh an dieser Bewe-gung, wobei den Schlesiern die mit Abstand führende Rolle zukam. Bis zum Austritt Gottscheds 1738 sind in der Leipziger Deutschen Gesellschaft über 50 von 323 insgesamt bekannten Mitgliedern Schlesier, und in der ersten Phase derTeutschen Gesellschaft Jenaformierten sich die Schlesier sogar in den Statu-ten von 1730 als eigene Landsmannschaft.12 Nimmt man allerdings die nach 1740 ohnehin zum größten Teil aus dem Untertanenverband ausscheidenden Schlesier heraus, verbleiben unter den Mitgliedern der frühen Deutschen Gesellschaften nur einige wenige habsburgische Untertanen.

Eine eigene Gründung auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie aber blieb in den ersten beiden Jahrzehnten der Sozietätsbewegung aus. Erst, als sich die

9Ebd., S. 271.

10Johann Christoph Gottsched: Einleitung zu Carl Gustav Heräi, kaiserl. Raths, auch Medail-len- und Antiquitäten-Inspectors, unvorgreifliche Gedanken über die Auf- und Einrichtung einer deutschen Sprachgesellschaft, wie solche einem vornehmen Minister sind überreichet worden. In: Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit.

Zweytes Stück. Leipzig 1732, S. 267280, hier S. 268.

11 Vgl. Gustav Georg König von Königsthal an Georg Andreas Will, den 4. Mai 1762, Stadtbib-liothek Nürnberg, Will III. 454. Autogr. (Umschlag 12). Das Projekt war darauf angelegt, den der Deutschen Gesellschaft nicht wohlgesonnenen Rat der Reichsstadt Nürnberg mit kaiser-lichem Druck zu einer Privilegierung der Gesellschaft zu bewegen. Es scheiterte, da König von Königsthal eben diese nürnbergische Privilegierung als Voraussetzung verlangte.

12 Vgl. Marwinski: Fabricius (Anm. 5), S. 3035.

Deutschen Gesellschaften etabliert hatten, gründete sich 1746 in Olmütz die Societas eruditorum incognitorum in terris Austriacis, die zugleich die erste Ge-lehrtengesellschaft in der heutigen Tschechischen Republik war.13Ihre Zurech-nung zum Sozietätsmodell Deutsche Gesellschaft ist keineswegs eindeutig. Der Jurist und Militär Joseph Freiherr von Petrasch hatte die Gesellschaft nach seiner Rückkehr von einer Reise gegründet, während der er Mitglied gelehrter Gesell-schaften in Italien geworden war.14Dass man sich nicht ausschließlich mit der deutschen Sprache und Literatur befasste, mochte Petraschs Gründung noch mit vielen Deutschen Gesellschaften teilen. Stärker dürfte ins Gewicht fallen, dass ihre Selbstbezeichnung nicht wie andere Gründungen die Bezeichnung ‚ Deut-sche Gesellschaft‘in ihrem Namen führte und ihre Protokolle in Latein gehalten wurden.15Die Sprachen der vorgetragenen und gedruckten Abhandlungen und Gedichte waren Latein, Italienisch, Deutsch und Französisch. Damit war zwar keineswegs ein Primat des Deutschen etabliert, die Union von Latinität und Ge-lehrsamkeit aber nachdrücklich in Frage gestellt worden. Dass die Sozietät nach ihrer Satzung„mit gemeinschaftlichen Kräften an der Aufnahme deren schönen Wissenschaften und freyen Künsten wie auch allgemeiner Einführung des guten Geschmacks mit vereinigten Kräften zu arbeiten entschlossen“,16rückte sie in die Nähe der Bestrebungen Gottscheds,17 den sie für seinen„guten Geschmack mit sonderbarer Reinigkeit der deutschen Sprache“18 auch als Mitglied aufnahm.

Gottsched selbst gegenüber formulierte Petrasch die gesellschaftlichen Ziele frei-lich eher als die einer umfassenderen gelehrten Gesellschaft:

13 So weist dies schon der Titel der Abhandlung von Antonín Kostlán: Societas incognitorum.

První učená společnost včeských zemích. Prag 1996, aus. Vgl. zu dieser im folgenden Societas incognitorum abgekürzten Gesellschaft weiterhin Ders.: Die Societas eruditorum incognitorum in terris Austriacis und die Benediktiner. In: Bernhard Löffler, Maria Rottler (Hg.): Netzwerke gelehrter Mönche. St. Emmeram im Zeitalter der Aufklärung. München 2015, S. 201222; Felix Freude: Die Societas Incognitorum (174651) nach Actenstücken und Briefen. Ein Beitrag zur Cultur- und Literatur-Geschichte in Österreich. Hs. Diss. Wien 1887, Universitätsbibliothek Wien, D 13136; Walter Schamschula: Die Anfänge der tschechischen Erneuerung und das deut-sche Geistesleben (17401800). München 1973.

14 Vgl. Art. Joseph Petrasch. In: Abbildungen böhmischer und mährischer Gelehrten und Künstler. Teil 3. Prag 1777, S. 185191, hier S. 187.

15 Vgl. die Protokolle im Moravský zemský archiv Brno, Sbirka Cerroniho I, 35., f. 4974.

16 Präambel der Satzungen, Moravský zemský archiv Brno, Sbirka Cerroniho I, 35, f. 19.

17 Vgl. Detlef Döring: Der Briefwechsel von Johann Christoph Gottsched. Die Geschichte seiner Erschließung und seine Stellung in der Entwicklung der Korrespondenz. In: Editionsdesiderate zur Frühen Neuzeit. Beiträge zur Tagung der Kommission für die Edition von Texten der Frü-hen Neuzeit. Hrsg. von Hans-Gert Roloff unter redaktioneller Mitarbeit von Renate Meincke. 1.

Teil. Amsterdam, Atlanta 1997, S. 297318, hier S. 316.

18 Moravský zemský archiv Brno, Sbirka Cerroniho I, 35, f. 53.

um ungeachtet aller Gegenstände, welche sich finden möchten, durch Beÿtrag auch des ganzen Vermögens, so wohl der Fähigkeit als Geldmitteln, den guten Geschmack, in denen Wissenschaften, beÿ uns einzuführen; und die Landesleute, zu Lesung guter Bü-cher zu gewöhnen, auch die bisher verachtete Kenntniß, in unserm Vaterland ehrsam zu machen.19

Johann Andreas Fabricius hat dieSocietas incognitorumin einem Atemzug mit Heraeus´ Sozietätsprojekt als „dergleichen“20genannt, ein anonymer Beiträger der Critischen Bibliothek rechnete sie„gar füglich [. . .] unter die Zahl der Teut-schen Gesellschaften.“21Spätere Forscher wie Wolfram Suchier haben sie zumin-dest in ihre Deutschen Gesellschaften einbezogen,22als eine erste Anpassung an die Verhältnisse in der Donaumonarchie ist sie für eine Darstellung der dortigen Laufbahn des Sozietätsmodells unverzichtbar.

Die Gründung der ersten Gelehrtengesellschaft im Habsburgerreich stieß zunächst auf Widerstand. Fassbar ist eine Anzeige des Olmützer Kreishaupt-manns Franz Anton Schubirz Freiherr von Chobinie. Diesem war

umso bedenklicher erschienen, als keine Societäten ohne ihrer Majestät allerhöchster Ge-nehmhaltung gehegt werden könnten, hiernächst aber dem Publicum daran gelegen sein möchte, dass dem allgemeinen Wesen nicht etwa hierdurch einiger Nachtheil erwachse.23

Petrasch versicherte die Behörden des Gegenteils, suchte nun aber um höchste Protektion an und hatte Erfolg.24Die Kaiserin antwortete in einem Reskript,

19Joseph von Petrasch an Johann Christoph Gottsched, den 29. November 1746, Universitäts-bibliothek Leipzig, Ms. 0343b, Nr. 63, f. 481.

20Vgl. Johann Andreas Fabricius: Abriß einer allgemeinen Historie der Gelehrsamkeit. Bd. 3.

Leipzig 1754, S. 772.

21 M.J[ohann].C[hristian].M[esserschmidt]***: Beytrag von Teutschen Gesellschaften, zu dem VII. Artickel des zweyten Stücks der Critischen Bibliothek, p. 188. In: Critische Bibliothek I (1749), S. 398.

22 Vgl. Wolfram Suchier: Die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft zu Göttingen von 1738 bis Anfang 1755. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen 81 (1916 [1917]), S. 45125, hier S. 46.

23Anzeige des Olmützer Kreishauptmanns Franz Anton Schubirz Freiherr von Chobinie vom 20. Februar 1747, zit. nach: Wilhelm Schram: Josef Freiherr von Petrasch und dieGelehrte Gesellschaft der Unbekanntenin Olmütz. In: Notizen-Blatt der historisch-statistischen Sek-tion der kaiserlich-königlichen mährisch-schlesischen Gesellschaft zur Beförderung des Acker-baues, der Natur- und Landeskunde 1894 Nr. 10, S. 7781, 8991, hier S. 79.

24 1748 hatte Petrasch einen weiteren Angriff auf die Gesellschaft abzuwehren. Vgl. Josef Hemmerle: Anreger und Begründer der Geschichtsforschung in den Sudetenländern zu Beginn der Aufklärung. In: Stifter-Jahrbuch V (1957), S. 72101, hier S. 85.

dass dieser erreichteten Societät nicht nur nichts in Weege geleget, sondern dieselbe Viel-mehr in allen billigen Sachen geschützet, und ihr dermahlen anfangender Fleiss noch mehr und mehr aufgemuntert werden solle.25

Als Petrasch die Kaiserin im Folgejahr um die Einrichtung eines eigenen Zen-sors für die Schriften der Gesellschaft in Olmütz bat, argumentierte er nicht nur damit, dass die Beförderungskosten eines Boten von Olmütz nach Brünn sehr hoch seien und eine Zensurentscheidung durch spätes Eintreffen die Druckle-gung störe. Mit der Tätigkeit der Societas incognitorum, so appellierte er, sei man berechtigt zu der

Hoffnung, [. . .], daß sodann auch die Kunst zu denken, und die Begierde etwas zu wissen auch wachsen, und die Schläfrigkeit der Sinne sambt der Wollust der Ignoranz überwin-den, folglich nach und nach Menschen aufstehen werüberwin-den, welche von denen Alterthü-mern und Zeitgeschichten unseres Mährischen Vatterlandes [. . .] und andere wohlgesitttete Völcker von ihren NationalEigenschafftenVerfassungen und Epoch reden, schreiben, und sich gleich ihren alten Vorfahren in orbe Litterario bekandt ma-chen, hierdurch aber die bey auswärtigen schon gefaste Impression, als wenn unsere Na-tion nur schwelgen, und wohlleben, keineswegs aber Wissenschaft noch Künste besäße auflösen werden.26

Der gesellschaftliche Namenszusatz„in terris austriacis“unterstrich die auf die Habsburgermonarchie fokussierten patriotischen Absichten.27Die Kaiserin je-denfalls gewährte auch diese Privilegien und wurde von der Gesellschaft als

„Pallas der Gelehrtheit und nützlichen Wissenschaften“28besungen. 1750 über-trug sie derSocietas incognitorumdie Bücherzensur in Olmütz.29Die Nähe zum Wiener Hof war unhinterfragte Voraussetzung und wurde durch mehrere Lob-gedichte auf Maria Theresia untermauert.30In diesem Kontext gehörten ferner

25 Reskript Maria Theresias vom 16. März 1747, zit. nach: Christian d´Elvert: Die Gelehrten-Gesellschaft in Olmütz. In: Notizen-Blatt der historisch-statistischen Sektion der kaiserlich-königlichen mährisch-schlesischen Gesellschaft zur Beförderung des Ackerbaues, der Natur- und Landeskunde 1859, Nr. 9, S. 6871, hier S. 68.

26 Joseph Freiherr von Petrasch an Maria Theresia, den 5. Januar 1748, Moravský zemský ar-chiv Brno, Sbirka Cerroniho II, 3, f. 27 f.

27 Walter Schamschula hat sie alsdas zu dieser Zeit mögliche Höchstmaß eines böhmischen Landespatriotismusbezeichnet. Ders.: Die Anfänge der tschechischen Erneuerung und das deutsche Geistesleben (17401800). München 1973, S. 39.

28 Raymund Duellius: Rede, bey Gelegenheit des Hohen Nahmens=Tages Sr. Kays. Majestät, Maria Theresia. In: Reden und Gedichte, welche den 15. Wein=Monat im Jahr 1747 in der Ge-lehrten Gesellschaft der Unbekannten abgelesen worden. Wien 1747, S. 18.

29 Vgl. Schram, (Anm. 23), S. 89.

30 Vgl. die in der Publikation Reden und Gedichte (Anm. 28) enthaltenen Beiträge.

die Aufnahme ihres Leibarztes, des Schulreformers Gerard van Swieten, und des bereits zitierten Wiener Schriftstellers Franz Christoph von Scheyb. Dass man mehrere Protestanten aus Mittel- und Norddeutschland in die Gesellschaft auf-nahm, sollte einerseits einen Anschluss an die dortige Aufklärung herstellen, andererseits aber auch den Anspruch beglaubigen, als eine Institution mit Anbin-dung an den Kaiserhof im gesamten Heiligen Römischen Reich verankert zu sein.

Zahlreiche auswärtige Mitglieder wirkten in Italien und dürfen den Kontakten zu-gerechnet werden, die Petrasch auf seiner der Gründung vorangegangenen Reise knüpfte. Mitgliederstamm vor Ort waren Geistliche sowohl des Weltklerus als auch der Orden sowie Offiziere, die wie Petrasch in der Festung Olmütz stationiert waren.31Eine lange Dauer war ihr jedoch nicht beschieden, da viele Mitglieder, zuletzt Petrasch selbst, ihren Wohnort wechselten. Die letzte protokollierte Sit-zung fand am 9. Januar 1749 statt,32Mitgliederaufnahmen sind bis zum Jahr 1751 belegt, in dem Petrasch auf sein Landgut Neuschloß ging.33

1749 betrieb Gottsched den Export seines Sozietätsmodells unverdrossen im Rahmen seiner Reise nach Wien weiter. Seinem eigenen Vernehmen nach war die gelehrte Ausbeute an der Universität eher mager.34Gleichwohl lernte er dort einige der Protagonisten der Societas incognitorum sowie der deutsch-freundlichen Wiener Aufklärung kennen.35Konnte Gottsched für seine Sprach-lehre „hoffen, daß selbige allmählich in den Landschaften längs der Donau

[. . .] mehr und mehr in Aufnahme kommen werde [. . .]“,36 sollte das für die

seine Ansichten propagierenden Gesellschaften auch gelten.

Sieht man von einem Zirkel ab, den Georg Ferdinand Pamer mit anderen Anhängern Gottscheds in Ödenburg unterhielt,37 ist als nächste Sozietät die

31 Vgl. zur Mitgliederzusammensetzung sowie der Mitgliederentwicklung v. a. in Bezug auf die Ordensmitglieder Kostlán: Die Societas eruditorum incognitorum (Anm. 13), S. 205209.

32Moravský zemský archiv Brno, Sbirka Cerroniho I, 35, f. 74.

33Ebd., f. 201.

34 Johann Christoph Gottsched: Singularia Vindobonensia 1750 die 12. mensis Februarii ora-tione solemni in auditorio philosophor. Lipsiensi celebrata, Leipzig 1749, S. XXVII.

35Vgl. ebd., S. XXXII f. Im Einzelnen handelte es sich um Gerard van Swieten, Marquard Herr-gott, Franz Christoph von Scheyb, Magnoald Ziegelbauer und Joseph von Petrasch.

35Vgl. ebd., S. XXXII f. Im Einzelnen handelte es sich um Gerard van Swieten, Marquard Herr-gott, Franz Christoph von Scheyb, Magnoald Ziegelbauer und Joseph von Petrasch.