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Die naturrechtliche Schul- und Bildungspflicht

Wolff integrierte nämlich das Projekt des allgemeinen Schulsystems und einer damit einhergehenden Akademie in seine naturrechtliche Konzeption des Staa-tes.3Vor dem Hintergrund des Rechtsverständnisses seiner Zeit ist das überra-schend: Man hielt die Strafandrohung für eine wesentliche Eigenschaft des

1 Einladungsschreiben vom 25. November 1720 abgedruckt in: Beylagen zur Historischen Lob-schrift des Freiherrn Wolff, S. 17, 31; Heinrich Wuttke (Hg.): Christian Wolffs eigene Lebensbe-schreibung. Leipzig 1841, S. 154; Briefe Christian Wolffs aus den Jahren 1719 bis 1753. Ein Beitrag zur Geschichte der kaiserlichen Academie der Wissenschaften. Petersburg 1860.

Vgl. Günter Mühlpfordt: Petersburg und Halle. Begegnungen im Zeichen der Aufklärung. In:

Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas 25, 1981, S. 155171; Ders., Deutsch-russische Wissenschaftsbeziehungen in der Aufklärung. Christian Wolff und die Gründung der Petersburger Akademie der Wissenschaften. In: 450 Jahre Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Bd. 2. Halle an der Saale 1952, S. 169219. Gerhard Biller: Biogra-phie und BibliograBiogra-phie. In: Robert Theis, Alexander Aichele (Hg.): Handbuch Christian Wolff.

Berlin 2017, S. 12.

2 Schierls Akademieprojekt abgedruckt in: Alfred Fischel (Hg.): Christian Schierl von Schie-rendorf. Ein Vorläufer des liberalen Zentralismus unter Josef I. und Karl VI. In: Ders.: Studien zur österreichischen Reichsgeschichte. Wien 1906, S. 298305; Briefe abgedruckt in: Beylagen (Anm. 1), S. 2028.

3 Für Wolffs Naturrecht vgl. Ivo Cerman:Universal Human Rightsand Social Compact in Christian Wolff. In: Das Achtzehnte Jahrhundert und Österreich 2017, S. 123146 (hier auch weiterführende Literatur); Alexander Aichele: Naturrecht. In: Ders. (Hg.): Handbuch Christian https://doi.org/10.1515/9783110637649-002

Rechts, welche die Regeln des Rechts von den Regeln der Moral unterscheidet.

Die Bahnbrecher dieser Auffassung, welche Recht nur auf Äußerlichkeiten ein-schränkt, waren Hobbes, Pufendorf und Thomasius, die in dieser Hinsicht noch weiter als Grotius gingen.4

Der Mathematiker Wolff zeigte sich in dieser Hinsicht konsequenter als seine juristischen Vorgänger. Die Quelle seiner Überlegungen zum Schulwesen scheint wieder Pufendorf zu sein, der aber kein Hehl daraus machte, dass er einerseits Recht nur auf Pflichten /officiaeinschränkte, um die strafrechtliche Auffassung des Rechts zu respektieren, und zugleich dem Herrscherofficia/ Pflichten ohne Strafen auferlegte.5Der Herrscher sei dem Untertan nur als Mensch zu Mensch verpflichtet. Zu den Pflichten /officiades Herrschers rechnete er, neben den tra-ditionellen Pflichten wie Gesetzgebung, auch die Pflicht, die Sitten der Bürger zu kultivieren.6 Dabei bemerkte er nur am Rande, dass man dazu nicht nur die christliche Religion, sondern auch die öffentlichen Schulen (scholae publicae) verwenden könne.7Zum Schluss folgert Pufendorf, dass es dem Herrscher ob-liege, all das– d. h. Kirchen und Schulen–in einem wohlgeordneten Staat zu besorgen.8Wolff vertiefte seine Idee, aber bezeichnete sie alscurae rectoris civita-tis. Um die Einheit eines strafrechtlichen Charakters des Rechts zu bewahren, weigerte er sich, diese„Pflicht“des Herrschers alsofficiumzu bezeichnen, weil sie sowieso nicht erzwingbar war. Der Untertan durfte den Herrscher nicht ver-klagen, wenn er es versäumte, Schulen zu gründen.

Mit dieser terminologischen Neuerung konnte er es sich erlauben, dem Staat ganz neue und breitere Aufgaben zu geben, ohne dabei seiner eigenen Auffassung des Rechts zu widersprechen. Es könnte eingewendet werden, dass Wolff auch vonofficia rectoris civitatisspricht. Er scheint jedoch diesen Begriff für solche Pflichten zu reservieren, welche sozusagen mit der eigenen Disziplin

Wolff. Berlin 2017, S. 269290; Hanns-Martin Bachmann: Die naturrechtliche Staatslehre Chris-tian Wolffs. Berlin 1977.

4 Fürsanctioim Gesetz, vgl. Thomas Hobbes. Hg. von Richard Tuck: Leviathan, II, cap. XXVI, S. 183201; Samuel Pufendorf. Hg. von Frank Böhling: De jure naturae et gentium (weiterhin als Pufendorf: JNG). I. cap. VI., §14; Christian Thomasius: Fundamenta juris naturae et gen-tium. 4. Auflage. HalleLeipzig 1718, I, cap. V, § 17; Nicolaus Gundling: Jus naturae ac gen-tium connexa ratione novaque methodo elaboratum (weiterhin als Gundling: JNG). Halle 1736, cap. XXXVI, § 16§ 34.

5 Pufendorf: JNG (Anm. 4), VII, cap. IX.

6 Pufendorf: JNG (Anm. 4) VII, cap. IX, § 4; Gundling: JNG (Anm. 4), cap. XXXI, § 19.

7 Pufendorf: JNG (Anm. 4) VII, cap. IX, § 4.

8 Ebd. Er stützte sich dabei auf Hobbes: Leviathan (Anm. 4), IV, cap. 46, wo Hobbes jedoch nur über den Kampf gegen die Finsternis schreibt, und nicht von juristischen Verpflichtungen für die Herrscher seiner Zeit.

des Herrschers zusammenhängen. Dem Herrscher obliege die Pflicht, sich selbst auszubilden oder Gesetze zu geben. Wenn es sich um das Verhältnis zu den Untertanen handelt, dann bezeichnet er solche Pflichten alscurae/ Sor-gen. Demzufolge obliege dem Herrscher Sorge, die Schulen für allgemeine Bildung der Bürger zu gewährleisten und alles für die Prosperität der Volks-wirtschaft zu tun.9

Der Grund, warum es Wolff überhaupt wagte, ein so vielfältiges Gebiet wie Ausbildung dem Staat als eine„Pflicht“aufzuerlegen, mag damit zusammen-hängen, dass die deutsche Schule des Naturrechts diecultura animiunter die Pflichten der Bürger rechnete. Bereits Samuel Pufendorf tat dies in seinem sys-tematischen Entwurf des Natur-, Staats- und Völkerrechts, und leitete daraus gewissepraestationes/„mildere Pflichten“ab, zu denen er auch diestudia lit-terariarechnete.10 Leibniz und Christian Wolff folgten ihm in dieser Hinsicht.

Die deutschen Naturrechtler vertraten nicht die Ansicht John Lockes, dass der Staat sich um den Körper und die Kirchen um die Seele der Bürger kümmern sollen,11sie hingen der Meinung an, dass der Staat für beides sorgen soll.

Daraus folgt, dass der Staat ebenfalls die Pflicht haben sollte, ein System des öffentlichen Bildungswesens zu schaffen. Pufendorf deutete diese Schlussfolge-rung nur mit einem Satz an,12und Thomasius schaffte es nicht, den öffentlich-rechtlichen Teil seinerFundamenta iuris naturaezu schreiben.13Sein Schüler Ni-colaus Gundling, der das öffentlich-rechtliche System aufgriff, rechnete jedoch die öffentliche Schulbildung nicht zu den Pflichten des Staates.14

9Wolff: Jus naturae methodo scientifica pertractatum (weiterhin als JN), VIII § 998§ 1004.

Vgl. Cerman:Universal Human Rights(Anm. 3), S. 142.

10Pufendorf: JNG (Anm. 4) II, cap. IV., § 13.

11 John Locke. Hg. von Mark Goldie. A Letter concerning Education and other Writings. India-nopolis 2010, S. 1214. Im englischen politischen Denken gab es jedoch auch Alternativrich-tungen. Bereits zur Zeit der Revolution beschäftigte sich der Kreis um Samuel Hartlib mit Fragen eines öffentlichen Bildungssystems, welches auf der Didaktik von Joannes Comenius aufbaute, es gab allerdings auch Konkurrenten (John Dury, John Milton). Nach der Glorious Revolution von 1688 gab es auch eine Alternativströmung der Radical Whigs, welche die Auf-fassung von Robert Molesworth teilten, dass die freie öffentliche Schulbildung die Grundlage eines freien Staates bilde, daher solle der Staat ein öffentliches Netzwerk von Schulen einrich-ten. Das warnende Beispiel war für sie das absolutistische Dänemark, das positive Vorbild das republikanische Sparta und Rom (Walter Moyle, Matthew Tindal). Locke konzedierte in seinem Essay on the poor law (1697), dass der Staat zumindest working schools für arme Kinder ein-richten solle.

12 Pufendorf: JNG (Anm. 4), VII, cap. IX, § 4.

13 Thomasius: Fundamenta (Anm. 4).

14 Gundling: JNG (Anm. 4), cap. XXXI, § 19.