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Die sogenannte ‘Toleranzrede‘ 44 von Giburg

In document Rencontre de l'Est et de l'Ouest (Pldal 196-200)

Willehalms Bemühung um Versöhnung mit den Heiden scheint umso be-deutsamer zu sein, weil auch er sich im Fürstenrat für den Krieg geäußert hat und geschickt (oder schlau?) genug war, dafür mehrere Gründe aufzuzählen:

einen geistlichen („ze wer den touf und unser ê“45), einen politischen („Mir lâ-gen ouch sieben vürsten tôt / der hoehsten von unserem rîche.“ 46) und einen, der eher ritterlichen genannt werden kann („swer rîterschefte will rehte pfle-gen, / der sol witwen unde weisen / beschirmen von ir vreisen!“ 47). Nach den Ergänzungen der französischen Fürsten, die vor allem von Rache getrieben werden,48 erhebt sich Giburg, deren Anwesenheit eigentlich in Frage gezogen werden könnte.49

Dabei lohnt es sich, einen Blick auf die Gestaltung zu werfen, weil gut dar-gelegte Gegensätze der ziemlich langen Ansprache von Giburg vorangehen.

Die Stellungnahme von Willehalm und die ergänzenden Meinungen der französischen Ritter wirken als Steigerung derselben Auffassung, die den Krieg in den Mittelpunkt stellt. Schließlich wird die Steigerung durch einen Kernsatz ausgeschaltet: „durh Giburge al diu nôt geschach.“50 Wenn dies rich-tig ist, dann ist Giburg jetzt am Zug. Nun sollte sie also etwas zur Sache bei-tragen und sich um die Lösung bemühen. Und deswegen kommt es zu einer Rede, die sich grundsätzlich gegen die allgemein vertretene Meinung äußert.

44 „Toleranz wird dabei meist in Anführungsstriche gesetzt, weil der Begriff nicht trifft und ein treffender nicht gefunden wird.“ Karl Bertau, Wolfram von Eschenbach (Neun Versuche über Subjektivität und Ursprünglichkeit in der Geschichte), München, C. H. Beck, 1983, 242.

45 Willehalm, 297, 11.

46 Willehalm, 297, 26-27.

47 Willehalm, 299, 16-18. „Die meisten höfischen Dichter haben die religiösen Ritterpflichten mit den höfisch-weltlichen Motiven des Rittertums, die am deutlichsten im Frauendienst zum Ausdruck kamen, in harmonische Übereinstimmung zu bringen gesucht.“ Joachim Bumke, Höfische Kultur (Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, II), München, DTV, 415.

48 Es lohnt sich, nur dieses Wort in ihren Reden zu betrachten. Zweimal kommt das Verb vor:

„nû helfet [...] / [...] / Vîvîanzen rechen!“ Willehalm, 301, 14a.16. „Franzoiser wurden al bereit / [...] / Vîvîanzen raechen“ Willehalm, 304, 6.8, und schließlich wird das Hauptanliegen zusammengefasst: „Sus râche wider râche wart gegeben.“ Willehalm, 305, 30.

49 „Bemerkenswert ist, daß Giburg überhaupt an der Beratung der Fürsten teilnimmt und daß sie als Frau das Wort ergreift.“ J. Bumke, Wolfram von Eschenbach, op. cit., 303. Wolfram dürfte ihr die Erlaubnis erteilt haben: „Gîburc mit urloube dran / gie zuo manegem werdem man.“ Willehalm, 297, 1-2.

50 Willehalm, 306, 1. Das erkennt Giburg selber: „und sî ich schuldic dran.“ Willehalm, 306, 17b.

Da diese einzigartige Ansprache der einst heidnischen, bereits zum Christentum bekehrten Frau weitgehend erforscht wurde,51 wird sie nun verhältnismäßig kurz betrachtet und dazu ein einziger Ansatz vorgeschla-gen. Bisher wurde der Akzent überwiegend auf eine Auffassung gesetzt, die heutzutage Toleranz und Gotteskindschaft heißt. Dabei wurden die theologischen Stellungnahmen von Wolfram von Eschenbach behandelt.

Hier werden diese Betrachtungen bei Seite gelassen. Nicht weniger scheint es aber bemerkenswert, wie ihre Argumentation aufgebaut ist. Auch wenn die vorhin aufgezählten Schrecken des Kriegs allen bekannt sind, wird der Fürstenrat teils durch die erlittenen Niederlagen,52 teils durch die Vorbereitung auf den Endsieg erhitzt.53 Giburg tut eigentlich nichts anderes, als die vielen gegenseitig erlittenen Schläge und die kaum erlebte Freude, die jeweils allen, die an einer Schlacht beteiligt sind, vertraut sein müssen, ergänzen. In dieser Hinsicht zählt es wenig, dass die Rede zwischen der ers-ten, verlorenen und der zweiers-ten, siegreichen Schlacht gehalten wird. Jede Schlacht bringt Trauer, Schmerz und Verluste mit sich, dennoch steht etwas im Hintergrund, was oft außer Acht gelassen wird. Und genau das steht im Mittelpunkt der Rede von Giburg. Denn die Tatsache, dass alle eine heidni-sche Wurzel haben, wird durch eine gewöhnliche autoritäre Argumentation untermauert. Die Aufzählung jener biblischen Figuren, deren Abstammung und jeweiligen Zugehörigkeiten kaum auffindbar sind, dient dem Grund der Rede. Wenn so zahlreiche berühmte und verehrte Gestalten des Alten Testaments bis hin zu den drei Heiligen Königen heidnischer Abstammung waren und doch nicht verdammt sind,

51 Um nur einige Beiträge zu erwähnen: K. Bertau, Wolfram von Eschenbach, op. cit.; Walter Johannes Schröder, „Der Toleranzgedanke und der Begriff der Gotteskindschaft in Wolframs Willehalm“, In: Festschrift für Karl Bischoff zum 70. Geburtstag, hrsg. von Günter Bellmann, Günter Eifler, Wolfgang Kleiber, Köln – Wien, Böhlau, 1975; Barbara Sabel, Toleranzdenken in mittelhochdeutscher Literatur, Wiesbaden, Reichert, 2003; Carl Lofmark, „Das Problem des Unglaubens im Willehalm“, In: Studien zu Wolfram von Eschenbach (Festschrift für Werner Schröder zum 75. Geburtstag), hrsg. von Kurt Gärtner, Tübingen, Niemeyer, 1989;

R. Schnell, „Die Christen und die »Anderen«“, In: op. cit., usw.

52 Wie sich z. B. Willehalm ausdrückt: „Ez sint ehte mîner mâge / gevangen, die ûf die wâge / mit mir riten, als ir triuwe gebôt. / Mir lâgen ouch siben vürsten tôt / der hoehsten von unserem rîche.“ Willehalm, 297, 23-27.

53 Dazu passt z. B. Heimrichs Rede: „Swes saelde niht verdirbet, / der wert die roemischen edel-keit / mit ellenthafter arbeit.“ Willehalm, 300, 20-22.

Ein heiden was der êrsten man, den got machen began.

Nû geloubet, daz Elîas und Enoch vür heiden sint behalten noch.

Nôê ouch ein heiden was, der in der arken genas.

Jôp vür wâr ein heiden hiez, den got dar umbe niht verstiez.

Nû nemt ouch drîer künege war, der heizet einer Kaspar, Melchior und Balthasân;

die müezen wir vür heiden hân, diene sint zer vlüste niht benant:54

dann dürften die derzeitigen Heiden auf ähnliche Chancen hoffen.55 Diese Gemeinsamkeiten sollen verhindern, mit jedem einzelnen Heiden auf diesel-be Weise umgehen zu dürfen. Dadiesel-bei taucht der Toleranzgedanke auf, weil sich Giburg gegen jegliche Verallgemeinerung bzw. Vorurteile einsetzt, die für den grausamen Umgang mit den Heiden sorgen. Da alle Menschen, die gleich vom ersten Moment an mit seinen Geschenken erfüllt sind,56 als Gottes Geschöpfe gelten,57 spricht Giburg den Kernsatz aus, der den eben erklungenen Ausdruck

54 Willehalm, 306, 29 – 307,11.

55 „Gyburg ist sich der Ungewöhnlichkeit bewußt, als Frau, halbfremd und Laie dazu, dieses Programm, das weit in zeitgenössische theologische Diskussionen (etwa limbus puerorum) hineinreicht, vor dem Fürstenrat zu entwickeln (hoeret eines tumben wîbes rât. Willehalm, 306, 27). Doch kommen die Vermittlungsworte nicht zufällig aus dem Munde derer, die sich, eine ‘andere Helena‘, als Anlaß der gewaltigen Auseinandersetzung empfindet, die wie nie-mand sonst für beide Seiten zu sprechen vermag, für ihre heidnische Sippe wie für ihre neu-gewonnene christliche Verwandtschaft. Es handelt sich um ein Verständigungsmodell, das nicht schon als aufklärerische ’Toleranz‘ verstanden werden darf, vielmehr als Ernstnehmen elementarer christlicher Positionen in undogmatischer Sicht.“ Christian Kiening, „Wolfram von Eschenbach: Willehalm“, In: Mittelhochdeutsche Romane und Heldenepen, hrsg. Horst Brunner, Stuttgart, Reclam, 1993, 218-219.

56 „Got selb enpfie mit sîner hant / die êrsten gâbe ane muoter brust / von in. [...]“ Willehalm, 307, 12-14a.

57 Walter Haug verbindet Giburgs Rede mit dem im Prolog erklingenden Gebet von Wolfram:

„Gerade an der Stelle der Handlung, an der neues großes Blutvergießen beginnt, und durch den Mund jener Gestalt, die am tiefsten in Leid und Schuld verstrickt ist, wiederholt Wolfram den Schöpfungspreis des Prologes. In der Ordnung der Schöpfung ist die Wirkung des göttlichen Geistes anschaubar. [...] Man mag wohl im Prolog eine Garantie dafür sehen, daß die göttliche Gnade am Ende das Leid und die Schuld aufheben wird, der Weg dahin führt jedenfalls durch eine Welt hindurch, in der der Mensch hilflos zwischen der göttlichen

(„niht benant“58) wiederholt und damit betont: „Die heiden hin zer vlust / sint alle niht benennet.“59 Nach einem Rückblick auf die Zustände um die Geburt aller Menschen stellt Giburg fest: „Wir wâren doch alle heidnisch ê.“60 Damit werden Christen und Heiden tief miteinander verbunden, da sie vor Gott61 als gleich gelten. Und dieser Gott ist auch in der Barmherzigkeit allmächtig: „er mac sich erbarmen über sie, / der rehte erbarmekeit truoc ie.“62

Vor dem Fortsetzen der Auslegung, werfen wir einen Blick auf das Namensverzeichnis.63 Es stellt sich die Frage: Warum werden genau diese

Heilsversicherung und der Ausweglosigkeit von Tod und Rache steht. Wenn Gyburc im Augenblick der größten inneren Zerrissenheit Gott in der Schönheit der Schöpfung preist, so müßte dies aber absurd erscheinen, wenn damit nicht jene Prolog-Position des Dichters selbst wieder aufgenommen würde, derzufolge aus diesem Lobpreis die Hoffnung auf ein sinnvolles Gestalten der Welt fließt. Gyburg vertraut auf eben diesen Zusammenhang.“

Walter Haug, Literaturtheorie im deutschen Mittelalter von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992, 194-195.

58 Willehalm, 307, 11c

59 Willehalm, 307, 14b-15.

60 Willehalm, 307, 25.

61 Um diese Identifikation des Pronomens er mit Gott, muss die Erklärung des Herausgebers zitiert werden: Der Text und die Übersetzung „gehen davon aus, daß der im ersten Satz ge-nannte Vater [dem saeldehaften tuot vil wê, / ob von dem vater siniu kint] identisch ist mit dem Subjekt er des zweiten Satzes [hin zer vlust benennet sint: / er mac sich erbarmen über sie.], es sich also um Gott als den Vater der Menschen handelt, und daß er als Vater der genann-ten kint angesprochen ist.“ Joachim Kienzle, „Die Heiden als Kinder Gottes“ (Notiz zum Willehalm), Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, 123, 1994, 301.

62 Willehalm, 307, 29-30. Diese und die knapp davor stehenden Verse gelten als eine der schwie-rigsten auslegbaren Textstellen des Werkes. Ohne den langen Disput fortführen zu wollen, zitiere ich den Aufsatz von Fritz Peter Knapp, der ebenfalls die Parallele mit den vorange-henden Gedanken unterstreicht: „Es muß in 307,27f. eine unmittelbare Parallele zu 307,10f.

(die müeze wir vür heiden han / diene sint zer vlüste niht benant) und 307,14f. (die heiden hin zer vlust / sint alle niht benennet) vorliegen. Hier sind jeweils Heiden vor Christi Tod und Auferstehung gemeint, die sola fide gerechtfertigt werden konnten.“ Fritz Peter Knapp,

„Die Heiden und ihr Vater in den Versen 307,27f. des ‘Willehalm‘“, Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, 122, 1993, 205.

63 Rüdiger Schnell stellt fest: „Diese Vorstellung konnte Wolfram früheren deutschen Dichtungen (u. a. Kaiserchronik) entnehmen, vgl. J. Bumke, Wolframs Willehalm, S. 164f.“

R. Schnell, „Die Christen und die »Anderen«“, In: op. cit., 194 (Fußnote 34). An der ange-gebenen Stelle erwähnt Joachim Bumke die Forschung von Samuel Singer: „Das Material zu diesem Teil stammt, wie Singer gezeigt hat, im wesentlichen aus der Silvesterlegende der Kaiserchronik. Dort wurden Enôch und Nôê (9420) und Jôb (9602) als gerettete Heiden an-geführt; in anderem Zusammenhang erschienen kurz darauf die drîe chunige hêre (9664).“

Joachim Bumke, Wolframs Willehalm, Heidelberg, Winter, 1959, 164-165. Zur Aufzählung der alttestamentlichen Gestalten bemerkt Samuel Singer das Folgende: „Wieder schwebt

alttestamentlichen Figuren ausgesucht und zitiert? Gibt es vielleicht ein Merkmal, das sie miteinander gewissermaßen verbindet? Allem Anschein nach weisen die erwähnten biblischen Helden etwas Außerordentliches auf, was sie tauglich macht, in einer Argumentation eingesetzt zu werden. Auch wenn Wolfram von Eschenbach seine theologischen Kenntnisse mehrmals unter Beweis stellt, kön-nen sie zur Beantwortung der gestellten Fragen kaum herangezogen werden.

Was allen bekannt gewesen sein dürfte, ist die ungewöhnlich enge Beziehung der zitierten Figuren mit Gott. Hinsichtlich des ersten Menschen („der êrste man“64) bedeutet das offensichtlich die unmittelbare Kreatürlichkeit. Die all-bekanntesten Ereignisse aus dem Leben des Propheten Elias sind einerseits das günstige Gottesurteil im Streit mit den heidnischen Propheten von Baal, an-dererseits die verwunderliche Himmelfahrt65 – und damit stellt sich noch ein Anknüpfungspunkt mit dem Roman über Guilhem de la Barra heraus, wie vor-hin bezüglich des Götterstreits erläutert. Etwas Ähnliches passierte mit Enoch, der durch Gott ‘aufgenommen‘ wurde.66 Über die enge Gottesbeziehung hinaus trägt die Erwähnung von Enoch aber eine weitreichendere Bedeutung, die der Rede von Giburg einen höheren Sinn verleihen soll. Denn der Name von Enoch

Wolfram das Religionsgespräch der Silvesterlegende in der Kaiserchronik vor. Was dort der Heilige gegen die Notwendigkeit der Beschneidung für die Seligkeit, das lässt er hier seine Neophytin gegen die Unerlässlichkeit der Taufe vorbringen: 306, 29ff. ein heiden was der erste man, den got bilden began. Nu geloupt, daz Eljas und Enoch für heiden sint behalden noch, Noe ouch ein heiden was, der in der arken genas. Jop vür war ein heiden hiez, den got dar umme niht verstiez, Kchr. 9418ff. die weissagen, die lange waren vor dem herren Abrahame, Enoch unde Noe: sich, ob ez iender von in gescriben ste? Jop was gote ain vil lieber man, wir suln in under den rehten han. Und wenn bald darauf Kchr. 9664 die heiligen drei Könige er-scheinen drie chunige here, wenn auch in anderem Zusammenhange als hier 307, 7, nu nemt ouch drier künege war, so werden wir das auch nicht für einen Zufall halten können. Dass er aber die Beschneidung der Taufe gleichstellt, sagt der Dichter mit unerhörter Kühnheit selbst 307, 23 der juden touf hat sundersite: den begent si mit einem snite, wieder in Anlehnung an die Kaiserchronik 9342 wande er rehoup den site, daz sich die liute besniten. Aber auch dieje-nigen, die nach der Einführung des Christentums nicht getauft worden sind, können durch Gottes Barmherzigkeit gerettet werden, 307, 27: vielleicht denkt der Dichter an die aus der Kaiserchronik bekannte Geschichte von Trajan, der von Papst Gregor aus der Hölle losgebe-tet wird.“ Samuel Singer, Wolframs Willehalm, Bern, Francke, 1918, 96. Wie vorhin festgestellt wurde, bewegt(e) sich also die Forschung meist um die Schonungs- und Toleranzgedanken sowie die Rechtfertigung.

64 Willehalm, 306, 29c.

65 2 Kön 2,11. „Elias fällt als (beschnittener) Jude aus dieser Reihe heraus: ein Fehler, der sich wohl aus der traditionellen Verbindung zwischen Enoch und Elias erklärt.“ Joachim Heinzle,

„Stellenkommentar“, In: Wolfram von Eschenbach, op. cit., 1024.

66 „Henoch war seinen Weg mit Gott gegangen, dann war er nicht mehr da; denn Gott hatte ihn aufgenommen.“ Gen 5,24.

In document Rencontre de l'Est et de l'Ouest (Pldal 196-200)