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5.3 Sterben, Tod und Trauer aus der Sicht einer Krankenschwester

5.4.7 Auswirkungen der Erfahrungen mit Sterben und Tod

5.4.8.1 Trauer

Wie bereits angesprochen wurde, hatte Mierisch Kontakt auch zu den Angehörigen der Soldaten, sie sah diese bei ihrem letzten Besuch beim Sterbenden und bei der Abschiednahme von ihm. So kann sie nicht nur über ihre eigenen Gefühle und Gedanken

1104 Mierisch, Kamerad S. 127.

1105 Mierisch, Kamerad S. 42.

1106 Mierisch, Kamerad S. 84–85.

1107 Vgl. Mierisch, Kamerad S. 150.

1108 Mierisch, Kamerad S. 105.

1109 Mierisch, Kamerad S. 110.

1110 Mierisch, Kamerad S. 110.

1111 Vgl. Mierisch, Kamerad S. 72.

1112 Mierisch, Kamerad S. 72.

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beziehungsweise über solche ihrer Kameradinnen und Kameraden berichten sondern sie hat auch darin einen guten Einblick, wie die Sterbenden im Lazarett und die Angehörigen aus dem Hinterland den Tod erleben und darauf reagieren. Sie merkt erst nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub mit geschärfterem Blick, wie schwer der Druck von Krankheit und umschleichendem Tod auf den Menschen lastet1113 und erzählt mehrere kleine Geschichten. Sie schreibt darüber, mit wie viel Liebe sich die Frau eines Sterbenden ihm gegenüber verhält, obwohl diese Situation auch für sie sehr schmerzvoll ist. Mierisch ist davon stark beeindruckt, weil sie nicht daran gewöhnt ist, dass bei ihr zu Hause die Bauern ihre Gefühle und ihre Liebe zeigen:

Strasser ist tot. Wenige Stunden vor seinem Heimgang las ich ihm noch einen Brief seiner Frau vor. Ein unendlich liebevolles Verh%ltnis mu& zwischen den beiden Eheleuten bestanden haben. Bei uns daheim sind die Bauern karg mit Liebkosungen und *hnlichem. Wie der Erde alles abgerungen werden mu& in dem rauhen Klima, so auch ihnen alles %u&ere Zarte. Hier ist alles mild, die Natur bringt reichen Segen, genau so im Geben und Nehmen scheinen die beiden Menschen zu sein. Eine feine Seele tr$stet da unentwegt, w%hrend ihr sicher das Herz dabei bricht.1114

Sie erzählt oft vom Besuch von Angehörigen bei Kranken und Sterbenden. Diese Berichte schildern, wie verschiedenartig die Menschen nicht nur Trauer sondern auch die Situation erleben, wenn sie mit ihren verwundeten, leidenden und eventuell verkrüppelten Angehörigen konfrontiert werden. Das traurige Wiedersehen widerspricht den Erwartungen der Angehörigen und manchmal auch denjenigen der Schwester, obwohl sie schon vieles im Krieg gesehen hat:

Gestern kam die telegraphisch herbeigerufene Frau eines hanseatischen Gro&industriellen. Der Mann bleibt, wenn er 'berhaupt durchkommt, ein Kr'ppel, und ich f'rchtete mich sehr vor allen Aufregungen, die mit dem Besuch zusammenhingen. – Es kam alles anders. Wohl schwang unverkennbares Mitleid in der Stimme der Frau, – aber ich hatte mir ein Wiedersehen zweier Ehegatten unter der Wucht solchen Schicksalsschlages anders vorgestellt.1115

Ein Gegenbeispiel dafür ist der Besuch einer Witwe, die auf den Tod ihres Mannes hysterisch reagiert. Es ist auch die Aufgabe der Schwester, mit der Witwe zu sprechen und sie zu beruhigen:

Kurz danach [nach dem Tod ihres Mannes] erscheint v$llig ahnungslos seine Frau.

(...) Auf der Schreibstube mochte man ihr nichts sagen: „Die Schwester mag das machen.” Und sie machte es... Aber die Frau glaubt mir kein Wort.

„Typhusverdacht?” schreit sie – „Miliartuberkulose? Wie reimt sich das zusammen?

Angesteckt ist er worden- Mein Mann war stets von bl'hender Gesundheit-” Sie rast in tausend Anklagen. Dr. Rascher bleibt unsichtbar. „Die Schwester mag es machen.”

(...) Inzwischen lasse ich die Leiche in die leere Quarant%ne schaffen, bekleide sie mit

1113 Mierisch, Kamerad S. 75.

1114 Mierisch, Kamerad S. 57.

1115 Mierisch, Kamerad S. 97.

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dem jetzt 'blichen Papierhemd und schm'cke das Ganze mit Efeu. Dann erst f'hre ich die Witwe hinein. Ein Aufschrei- Sie rei&t sich mir vom Arm, will auf die Leiche st'rzen und sie mit K'ssen bedecken. Trotzt der Anstrengungen der Schwester schafft sie es auch: Da lag die Frau 'ber der Leiche, bei der sich das Hemd verschoben hatte und dadurch die Sektionsnaht sichtbar wurde. „M$rder seid ihr- M$rder--” schrie sie mir zu. (...) Meine ganze Hoffnung ist unser Doktor. Er allein kann ihre Phantasie beschneiden und den hysterischen Anklagen ein Ende machen.1116

Mit einer anderen Witwe, Frau Strasser, knüpfte sie eine gute Beziehung. Ihr Mann starb Anfang 1915 und sie war auch später öfters mit Schwester Elisabeth in Kontakt.1117 Mierisch erzählt ebenfalls von einem armen Vater, dessen Sohn im Sterben liegt und mit dessen Tod täglich gerechnet wird. Der Sohn ist ein sehr unfreundlicher, grober Mensch, ein schlechter Patient. Doch der Vater spricht über ihn mit Liebe und Verzeihung:

„Schwester, er war schon in gesunden Tagen haltlos und schwer zu haben, vielleicht lag die Krankheit in ihm. Er ist trotzdem mein Sohn, den ich liebe, aber der schon gute Tage nicht zu leben wu&te, wie sollte er Kraft f'r schwere haben?”1118

Es ist für Mierisch oft eine unangenehme Situation, den Eltern bei der Beerdigung des Verstorbenen zu begegnen: Ich zittere schon innerlich, wenn, wie heute, ein Elternpaar (…) kurz vor der Beerdigung gemeldet wird.1119 Doch die Menschen erleben die traurige Nachricht über den Verlust eines ihnen lieben Menschen ganz unterschiedlich. Die Beerdigung ist hier ruhig, diese Eltern ertragen ihren Verlust leise und mit Würde, was Mierisch bewundert, und sie weiß nicht, wie sie darauf reagieren soll:

Nur stille Tr%nen flossen. Keine Szene, keine Vorw'rfe folgten wie am letzten Begr%bnis. Wie ich diese W'rde den so hart getroffenen Eltern danke, ahnen sie nicht.

Man kommt innerlich ganz durcheinander, weil die rechte Aussprache fehlt und man alles mit sich selbst abmachen mu&.1120

Dazu, wie ein Soldat, dessen Geliebte gestorben ist und der darüber mit der Schwester spricht, seine Trauer ausdrückt, notiert Mierisch folgendes: Ich brannte die zwei 'brigen Kerzen auf dem [Advents]Kranz, den mir ihre Liebe gebunden, nieder bis auf den Rest. Ihr Bild wird warm und rein in meinem Herzen weiterstrahlen, gleich, ob unser Wille oder das Schicksal uns vor Schuld bewahrte.1121 Gegenstände, die eng mit dem Tod einer geliebten Person verbunden sind, bleiben für immer ein Zeichen des Schmerzes, der Trauer. So geht

1116 Mierisch, Kamerad S. 104.

1117 Vgl. Mierisch, Kamerad S. 83, 119.

1118 Mierisch, Kamerad S. 79.

1119 Mierisch, Kamerad S. 107.

1120 Mierisch, Kamerad S. 107–108.

1121 Mierisch, Kamerad S. 196.

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das vorige Zitat weiter: Adventskr%nze aber sind mir nur noch das Symbol f'r eine wundervolle, tiefe Liebe, der keine Erf'llung beschieden sein konnte, so oder so…1122 In solchen Fällen, in denen die Angehörigen über den Soldaten die Nachricht „vermisst“

erhalten, können sie nur warten und hoffen: Und daheim wartet, wartet und hofft eine Mutter, Frau oder Braut unentwegt weiter.1123 Obwohl Trauer die Menschen auch schon während des Krieges stark betrifft, werden sie erst nach dem Krieg begreifen, was die vielen Verluste wirklich bedeuten: Daheim erst werden uns die Verluste von alten Freunden, die gefallen sind, doppelt auffallen und die Kameraden, mit denen man verbunden ist, 'berall fehlen.1124

Über die Trauer von Mierisch erfährt der Leser ebenfalls. In der tiefen Trauer bedeutet die Nähe, die Gesellschaft der Kameraden, mit denen man im Krieg vieles gemeinsam durchgemacht hat und die dabei zu einer Art Familie wurden, einen gewissen Trost.

Mierisch erzählt über ihre eigenen Gefühle, nachdem sie drei Briefe nacheinander erhalten hat und jeder über den Todesfall eines lieben Bekannten berichtet. Sie bekommt Urlaub, ist auf dem Weg nach Hause, würde aber am liebsten zurück zu ihren Kameradinnen und Kameraden fahren. Sie kann ihre Erfahrungen mit ihnen besser teilen als mit den Verwandten zu Hause. Zusammen mit ihnen sind diese Nachrichten leichter zu ertragen.

Wegen der traurigen Nachrichten zieht sie sich zurück und es fallen ihr noch weitere tote Bekannte ein, so viele, dass sie in der Erinnerung der Schwester schon fast verschwinden:

Ich las als erstes die Zeilen von Heinrichs Mutter. (…) mu& ich erfahren, da& er [Heinrichs Schwager]1125 gefallen ist. (…) Der zweite Brief aus A. meldet mir den Heldentod Dr. Raschers, meines Seuchenarztes von 1916. – Ich wagte den dritten Brief erst gar nicht zu $ffnen (…). Auch Herr Lippert ist gefallen. Am liebsten w%re ich wieder umgekehrt, denn an den Menschen, mit denen man Jahr und Tag zusammen gearbeitet hat unter oft unertr%glich schweren Umst%nden, mit denen man auch sch$ne Stunden der Entspannung verlebte, h%ngt man ebenso wie an Blutsverwandten. W%hrend drau&en die R%der rollen und der Fr'hling hereinlacht, ist mein Gehirn wie benebelt und es summt ununterbrochen: Otto tot, Rascher tot, Lippert tot. Name an Name, Patient reiht sich dazu an Patient, bis sie in langem Zug schemenhaft verschwinden.1126

Als sie einige Tage später zu Hause Heinrich trifft, müssen sie aufpassen, dass ihre Wiedersehensfreude Heinrichs Schwester nicht noch größeren Kummer bereitet: Wir

1122 Mierisch, Kamerad S. 196.

1123 Mierisch, Kamerad S. 159.

1124 Mierisch, Kamerad S. 289.

1125 Heinrich ist ihr zukünftiger Ehemann.

1126 Mierisch, Kamerad S. 229.

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wagen unsere Wiedersehensfreude gar nicht von uns zu geben, da die Schwester ihren Verlust bei unserem Anblick doppelt schwer empfinden mu&.1127

Die Arbeit der Schwestern und Ärzte an der Front war ein ständiges Abschiednehmen. Das bezieht sich einerseits auf Lebende, andererseits auf Tote: Es ist ein st%ndiges Abschiednehmen. Abschiede auf Zeit und solche auf Ewigkeit.1128 Das Abschiednehmen vom Sterbenden kommt im Tagebuch häufig vor.1129 Wie oben schon behandelt wurde, ist bei schwerkranken und stark leidenden Patienten die Vorahnung des Todes immer gegenwärtig,1130 jedoch ist das Abschiednehmen sehr schwer. Das lange erwartete Wiedersehen mit den Angehörigen endet manchmal mit dem traurigen Abschiednehmen vom Toten. Schwester Elisabeth möchte deshalb die Sterbenden am liebsten gar nicht verlassen:1131

@ 3 Uhr verschied nach entsetzlichem Todeskampf Kreiger. Als er in den letzten Z'gen lag, kam sein einziger Bruder ihn zu besuchen. Er war fast ahnungslos, denn so hatte er sich das Kranksein nicht vorgestellt und statt freudigen Wiedersehens wurde ein Abschied f'r immer daraus.1132

Ein anderes Beispiel für eine liebevolle Abschiednahme ist ein Brief eines Soldaten an seinem Bruder, der im Lazarett liegt und der mit den folgenden Worten endet: Sollten das die letzten Gr'&e sein, so bleiben wir uns ausreichend im Ged%chtnis verbunden.1133

Ein starkes Verlangen, wissen zu wollen, unter welchen Umständen jemand starb, ist typisch für die Angehörigen. Es ist ein wichtiges Anliegen der Menschen, um die Umstände des Sterbens seiner Lieben zu wissen, beziehungsweise sie wollen eher darüber Bescheid wissen, dass sie unter menschlichen Umständen und in pflegenden Händen von Ärzten und Krankenschwestern „friedlich” starben. Darüber zu berichten ist wiederum die Aufgabe der Schwester. Das ist auch deshalb keine leichte Arbeit, denn die Angehörigen wollen ihr manchmal nicht glauben. Dass der Verstorbene einfach angesteckt wurde und daran starb, lässt sie zweifeln – wie oben bereits am Beispiel einer Witwe geschildert wurde –, nicht so, wenn jemand verwundet ist und die Verwundung als ausreichender Grund für seinen Tod erscheint: Wie einfach ist das doch auf der Chirurgischen. Da ist die

1127 Mierisch, Kamerad S. 230.

1128 Mierisch, Kamerad S. 70.

1129 Vgl. Mierisch, Kamerad S. 14, 97, 125.

1130 Vgl. Mierisch, Kamerad S. 43.

1131 Vgl. Mierisch, Kamerad S. 156.

1132 Mierisch, Kamerad S. 82.

1133 Mierisch, Kamerad S. 32.

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schwere Verletzung Erkl%rung genug. Bei uns – ich hab’s ja dick genug erlebt, – f%ngt gar zu leicht der Zweifel an.1134

In vielen Fällen schreibt Mierisch einen Brief und erzählt darüber, was mit dem Soldaten passiert ist. An einer Stelle zitiert sie den dankbaren Antwortbrief der Eltern:

Herzlich danken wir f'r die lieben Zeilen beim Tod und der Krankheit unseres lieben Sohnes Alfred. Es war uns ein Herzensbed'rfnis, etwas N%heres zu erfahren, da das Schicksal ihn uns so j%h entrissen hat. (...) Es ist uns doch ein Trost, da& liebende H%nde ihm den letzten Dienst tun konnten, da es uns doch nicht m$glich war, so gern wir es gewollt h%tten.1135

Sie kann die Wissensbegierde der Angehörigen nicht immer befriedigen, weil sie über zu viele Todesfälle berichten muss: Wie vieles m$chte die arme Frau noch wissen und ahnt nicht, da& solche Einzelheiten l%ngst untergegangen sind durch die vielen anderen Schicksale, die man alle miterleidet.1136 Manchmal kann sie deshalb nicht viel Persönliches berichten, denn der Kranke starb sehr schnell:

Es ist schon $fter vorgekommen, da& wir einen Toten herausnahmen oder der Kranke nach wenigen Stunden starb. Was soll ich dann viel Pers$nliches berichten? Kommen nach 1= Tagen neue Anfragen, so wei& ich oft nicht wen das betraf, denn inzwischen rollt das Schicksal wie eine Dampfwalze 'ber Menschenleben hinweg.1137

Eine Witwe fragt ständig danach, wie der Tod ihres Mannes überhaupt passieren konnte, sie sucht ständig nach Antworten: Frau Ascher schreibt einen furchtbaren Anklagebrief mit unz%hligen aufgew%rmten Fragen, die ich ihr schon bis zur Bewu&tlosigkeit m'ndlich erkl%rt habe.1138 Da sie kein Foto machen können, beschreibt Mierisch stattdessen auch die Ruhestätte des Verstorbenen für die Familie: Man verlangt in der Heimat Bilder von der Ruhest%tte der Lieben. Da es keine gibt, beschreibe ich so gut ich kann dieses letzte Pl%tzchen in den Briefen.1139 Sie bemüht sich möglichst darum, die Eltern mit der traurigen Nachricht zu verschonen. Vor der offiziellen Nachricht schreibt sie einen tröstenden und persönlichen Brief:

Da mein Brief noch nicht bei den ahnungslosen Eltern sein kann, gehe ich noch in der Nacht aufs Telegraphenamt (...) und bitte den Beamten die offizielle Todesmeldung vom Lazarett morgen fr'h ein paar Stunden liegen zu lassen. „Wird gemacht, Schwester”, sagt er mit seltsam w'rgendem Ton.1140

1134 Mierisch, Kamerad S. 107.

1135 Mierisch, Kamerad S. 71.

1136 Mierisch, Kamerad S. 83.

1137 Mierisch, Kamerad S. 264–265.

1138 Mierisch, Kamerad S. 107.

1139 Mierisch, Kamerad S. 269.

1140 Mierisch, Kamerad S. 109–110.

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Oder bei einem Kranken, der mit Genickstarre angesteckt wurde: Was soll ich nur den Eltern schreiben? Dreimal habe ich angefangen. Ich will es doch so schonend wie m$glich melden, was f'r ein Schicksal ihrer wartet.1141

Eine bizarre Szene ist, wenn Mierisch von der Trauer um Tiere erzählt. Es geht hier um zwei Enten, die sie mit einer anderen Schwester zusammen aufzogen, aber einmal finden sie diese tot. Sie betrauern die zwei Tiere und beerdigen sie. In der Kriegsnot muss aber diese wertvolle Nahrung ausgegraben und gegessen werden.1142 (Zitat siehe Anhang Nr. 5.)