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Auswirkung der Erfahrungen mit Sterben und Tod

3.2 Textanalyse

3.2.9 Auswirkung der Erfahrungen mit Sterben und Tod

3.2.9 Auswirkung der Erfahrungen mit Sterben und Tod

Über den Wechsel der Gefühle, über Todesangst, ihre Verdrängung, die Gewöhnung daran, dann wieder über Grauen an der Front im Ersten Weltkrieg ist auch in der soziologischen Forschungsliteratur zu lesen.325 Es wirkte auf die Soldaten deprimierend, als sie an der Front zum ersten Mal mit dem Tod aus der unmittelbaren Nähe konfrontiert wurden, wo sie dem Tod zum ersten Mal ins Auge blickten;326 wo sie nicht das unpersönliche Massensterben, sondern eine Leiche, die Leiche eines Einzelnen sahen und eventuell auch die Zeit hatten, darüber nachzudenken. Tumlirz schreibt über diese erste Erfahrung: Es ergriff mich furchtbar. (…) Der erste Tote- (…) Der erste Tote (…).327 Praclik ist auch schockiert, als er dem ersten Toten begegnet, hier überfällt ihn zum erstenmal das Grauen des Krieges: Das ist doch Blut?! Ja, das ist Blut! Denn jedes dieser formlosen B'ndel birgt die entseelten /berreste eines deutschen Frontsoldaten (…).328 Später, nach den ersten schockierenden Erfahrungen mit dem Tod, ist immer wieder über Abstumpfung, Gewöhnung und Gleichgültigkeit der Soldaten gegenüber den sterbenden und leidenden Kameraden zu lesen.329 Die Anpassung an die Situation war nötig, um die

322 Menke, Ohne Waffe S. 274.

323 Menke, Ohne Waffe S. 275.

324 Menke, Ohne Waffe S. 275.

325 Vgl. Krieg & Emotionen S. 86–87.

326 Vgl. Braun, Aus nachgelassenen S. 138.

327 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 36–37.

328 Praclik, Unter Stahlhelm S. 16.

329 Über zunehmende Gleichgültigkeit berichten auch Andexlinger und Ebner in ihrer emotionssoziologischen Forschung. Vgl. Andexlinger / Ebner, „Friedlich leuchtet” S. 100, 109.

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Erlebnisse ertragen zu können.330 Decsey schätzt diese Anpassungsfähigkeit des Menschen als hoch ein: (…) hat man sich an den Krieg so gut gew$hnt, da& man ihn f'r das Normale h%lt. (…) Wunderbar ist die Anpassungskraft des Menschen.331 Die Seele der Soldaten kämpft aber ständig mit Mitleid und Trauer. Die Autoren berichten immer wieder über Situationen, wo sie nicht gleichgültig bleiben können. Im Folgenden sind einige Beispiele für dieses Ineinanderwirken der Gefühle zu lesen.

Dass die Abstumpfung der Gefühle nicht immer stattfindet, ist bei Tumlirz klar zu erkennen:

Wie das [der Tod einiger Kameraden] einem ins Herz schnitt und ersch'tterte- Wir waren ja keine rauhen Krieger, die unbek'mmert und abgestumpft gegen alles menschliche Leid vorw%rts schritten, achtlos gegen'ber allen, (…) nur vorw%rtsblickten – dem Tode entgegen; wir hatten ja noch ein weiches Herz in der Brust (…).332

Nach einem Angriff aber, wo der Kampf sehr viele Tote gefordert hat, berichtet er über die Unfähigkeit, etwas anderes als Grauen und Ekel zu empfinden:

Mein Denken hatte ausgesetzt, mein F'hlen war erstorben. Unf%hig war ich, Trauer und Schmerz 'ber den Tod so vieler junger, kraftvoller Menschen zu empfinden. (…) Grauen und Ekel, zu anderen Gedanken und Gef'hlen war ich nicht mehr f%hig. Mein Geist, meine Nerven versagten den Dienst angesichts dieses furchtbarsten Erlebens.333 Mit der Zeit gewöhnen sich die Soldaten daran. Später ist bei Tumlirz zu lesen:

(…) wir mu&ten uns alle mit dem Tode vertraut machen.334 Sowie an einer anderen Stelle: Sterben ist uns zu allt%glich geworden, als da& wir es als etwas Fremdes und Nervenersch'tterndes empfinden k$nnten, als da& wir uns gegen das Schicksal auflehnen m$chten, das uns einen lieben Freund f'r immer entrei&t.335

Balázs schreibt über die Gewöhnung der Soldaten: Diese Honv#ds waren unter vier Augen mit dem Tod und nahmen es einfach zur Kenntnis.336 Die Angst und der Schrecken sind schnell vorbei:

Der Kugelstrahl steigt immer niedriger. Geschrei, Blut. Schrecklich. Aber das war‘s, und nichts mehr, das ist alles. Es ist kein dunkles Geheimnis mehr. Auch der Verwundete hat das Gef'hl: das ist alles. Es ist vorbei.337 (…) selbst die Sterbenden verlieren ihren Sinn f'r die Besonderheit des Todes.338

Die Abstumpfung der Soldaten gegenüber dem Tod können die Menschen zu Hause nicht verstehen, wie den Schilderungen von Pogány zu entnehmen ist: Wir gehen an den Toten

330 Vgl. Mertelseder / Wisthaler, Soldat S. 71; Krieg & Emotionen S. 85.

331 Decsey, Krieg S. 67.

332 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 52.

333 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 103.

334 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 42.

335 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 248.

336 Balázs, Lélek S. 84.

337 Balázs, Lélek S. 73.

338 Balázs, Lélek S. 86.

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vorbei. Fremde Leute zu Hause w'rden uns f'r apathisch halten. Aber wir lieben unsere Verstorbenen.339

Die Soldaten an der Front können auch deswegen den Eindruck erwecken, ihnen seien die Sterbenden und Toten gleichgültig, weil sie im Verlauf der Kämpfe oftmals keine Zeit haben, sich mit ihnen zu beschäftigen. Sie haben keine Gelegenheit, sich darüber Gedanken zu machen was wirklich geschah, denn sie müssen vorwärts, um nicht selbst umzukommen. Darüber ist in den behandelten Quellen oft zu lesen:

Und sie, die t%glich k%mpfen und mit dem Tode ringen, sie haben keine Zeit, der toten Freunde zu gedenken, zu weinen und zu trauern.340 Oder Die *u&erlichkeiten des Mitleides fehlen auf dem Schlachtfeld. Die Bestattung ist schnell, das Mitleid gegen'ber den gestrigen Toten geht schnell auf die heutigen 'ber.341 Weiterhin

„Vorw%rts“ war unsere Devise und wer fiel, der fiel. Mehr als einen bedauernden Blick konnte der Freund dem gefallenen Freund nicht schenken. Der letzte Blick der Trauer und des Mitleides, er mu&te alles ersetzen, was die Freundschaft an Liebesdiensten fordern konnte und durfte.342

Oder, wenn sie wissen, dass sie den Armen sowieso nicht helfen können: Rechts und links von mir schrien einige Leute auf, w%lzten sich schreiend und jammernd auf dem Ackerfeld.

Ich warf ihnen einen bedauernden, mitleidigen Blick zu. Arme Teufel! Aber ich konnte nicht helfen. Nur vorw%rts, nur nicht stehen bleiben.343

Wie oben bereits skizziert wurde, ist in den Aufzeichnungen ein ständiges Wechselbad der Gefühle zwischen Gleichgültigkeit und Abstumpfung sowie Entsetzen und Ekel zu beobachten. Die Soldaten haben die schrecklichsten Erfahrungen mit dem Tod oft satt, sind sowohl körperlich als auch seelisch erschöpft und müde und können die Erfahrungen mit dem Tod nicht mehr fassen. Es finden sich aber immer wieder Schilderungen von Situationen, die besagen, dass ihnen diese Gleichgültigkeit nicht ganz oder nur für eine gewisse Zeit gelingt. Gegen das Empfinden von Gleichgültigkeit spricht auch, dass der Autor in seinen Erzählungen immer wieder auf den Tod eines Kameraden zu sprechen kommt, wie beispielsweise Braun, der den Tod seines Freundes Boye immer wieder erwähnt. Andere Autoren erzählen über einen Todesfall sehr ausführlich, manchmal widmen sie sogar ein ganzes Kapitel dem gefallenen Kameraden.

Auch wenn der Soldat der furchtbaren Atmosphäre der Front endlich entkommen ist, kann er seine schlechten Erfahrungen nicht mehr loswerden. So fühlt sich Balázs auf der grünen

339 Pogány, A rokitnói S. 122.

340 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 248; vgl. ebda. S. 170.

341 Pogány, A rokitnói S. 121.

342 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 100.

343 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 48.

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Wiese, umgeben von lauter Blumenduft, unwohl, denn er entdeckt auch im feinen Blumenduft den furchtbaren Geruch der Leichen, die in der Erde begraben wurden:

Das Gr'ne der Bl%tter und der Duft der Wiese beunruhigen mich. Verd%chtig- Vielleicht ist meine Nase noch irr und bange vom Leichengeruch. Sie riecht nur vorsichtig den Geruch der Erde. Sie hat Angst etwas zu erkennen. Weil sie [die Leichen] nicht tief genug unter den Wurzeln begraben sind… Sag mal, gibt es auch Duft-Gespenster? Ob man an dem Blumenduft erkennen kann, was die Wurzel fr'her getrunken hat? K$nnte es sein, dass ich im s'&en Fr'hlingsduft einmal den Geruch des 54er Bataillons erkenne?344

Ein anderes Indiz dafür, dass die Soldaten ihre Erfahrungen mit Sterben und Tod nicht vollkommen gleichgültig verarbeiten können, sind die von mehreren Autoren beschriebenen wiederkehrenden Albträume. Sie erzählen von Leichen und Sterbenden, die ihnen auch im Traum keine Ruhe lassen. Tumlirz erzählt über seine (Fieber)träume mit Leichen:

Ich wate und laufe. Jeden Augenblick sto&en lange K$rper gegen mich. Und jetzt hebt sich etwas vor mir aus den Fluten – ein blutiges Gesicht – doch die Str$mung rei&t es zur'ck. Und da wieder eins. Und noch eins. Und wieder ein blutiger Leichnam, der gegen mich st$&t. Entsetzlich, entsetzlich- (…) Immer bet%ubender str$mt mir der Blutgeruch entgegen, immer h$her steigt der Blutstrom. (…) Ein w'rgendes Gef'hl, tausend und abertausend blut'berstr$mte Leichengesichter, die 'ber dem Blutmeere schweben und mich rachefordernd anstarren (…). 345

Balázs sieht in seinem Fiebertraum seine gefallenen Kameraden überall auf der Erde verstreut herumliegen. Er sucht jeden einzelnen, der dort aus seinem Bataillon gefallen ist, und sucht gleichzeitig nach einem Platz, wo er sich zu ihnen legen könnte.346 Wie bereits vorher zitiert wurde, schreibt Praclik über sein erstes Erlebnis mit Toten an der Front mit großem Entsetzen.347 Später ist bei ihm zu lesen, dass die scheinbare Gewöhnung an die Grausamkeiten des Krieges nur eine Maske ist: Erst viel sp%ter habe ich begriffen, da& die Stumpfheit nur Maske, ja, f'r viele der M%nner drau&en die einzige M$glichkeit war, des Herzwehs in der eigenen Brust wenigstens k$rperlich Herr zu werden.348 Decsey schreibt, dass die Soldaten den engen Raum zwischen Leben und Sterben mit Selbstverst%ndlichkiet durchwandeln349 über Ärzte bemerkt er aber, dass sie unter der Maske gleichg'ltiger beruflicher Erledigung doch nicht ohne Gem'tserregung hantieren.350

344 Balázs, Lélek S. 129.

345 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 211.

346 Vgl. Balázs, Lélek S. 21–22.

347 Vgl. Praclik, Unter Stahlhelm S. 16.

348 Praclik, Unter Stahlhelm S. 17.

349 Decsey, Krieg S. 139.

350 Decsey, Krieg S. 121.

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Über die erste schockierende Begegnung mit Toten auf dem Schlachtfeld sowie über die Gewöhnung an die Grausamkeiten des Krieges schreiben auch die Sanitätsleute. Von Schullern erzählt, wie die Älteren über ihn lächeln, weil ihn am Anfang die traurigen Bilder, (…) die vielen Verst'mmelungen, die Klagen und Schmerzens%u&erungen, die er zum erstenmal in seinem Leben in solchem Ausma&e zugleich hatte h$ren m'ssen351 tief bedrückten. Von Wyss kann nach der Begegnung mit von einer Granate zerfetzten Leichen nur die Arbeit helfen, das Erlebte zu überwinden: Ich kannte noch nicht den Anblick dieser Leiden und Entstellungen, und nur die Arbeit half 'ber das l%hmende Entsetzen hinweg.352 Bei Requadt ist über Gleichgültigkeit oft zu lesen. Er schreibt, dass Gleichgültigkeit einem schnell eingeimpft wird.353 Als ein guter Freund von ihm stirbt, wird er noch gleichgültiger: Am Nachmittag fand ich meinen liebsten und treusten Kameraden (…). Er war tot (…). Ich dr'ckte ihm die Augen zu und wurde allem Toten, allem Blutigen gegen'ber noch gleichg'ltiger, als ich es ohnehin schon war.354

Über die Gleichgültigkeit der Soldaten, die Gräber schaufeln müssen erzählt Menke folgendes: Er bemerkt, dass sie Zigaretten rauchen. Er hielt es im ersten Augenblick für pietätlos und will die Soldaten ausschimpfen. Dann fällt ihm plötzlich ein, dass es im Krieg nicht anders laufen kann. Man braucht etwas, um die traurigen Erfahrungen lindern zu können:355

Armierungssoldaten waren mit der traurigen Arbeit besch%ftigt. Sie rauchten dabei ihre Zigaretten. Entr'stet 'ber eine solche Piet%tlosigkeit, wollte ich sie zur Rede stellen. Bald aber merkte ich, da& sie recht hatten. Inmitten der schaurigen Bilder des Todes und der beginnenden Verwesung brauchten sie eine Art Bet%ubung f'r ihre Sinne.356