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3.2 Textanalyse

3.2.7 Töten

Die Kriegstechnik war im Ersten Weltkrieg viel besser entwickelt als in den Kriegen zuvor. Es kämpfte seltener Mann gegen Mann, sondern der Gegner wurde mit unpersönlichen Tötungsmitteln besiegt.287 Der Kampf war nicht mehr so „ritterlich“ wie zu früheren Zeiten. Die Ritterlichkeit wurde vielmehr von der neuen Waffentechnik in den Hintergrund gedrängt. Der Krieg war nur noch eine Menschenjagd, ein Massenmord. So ist bei Tumlirz zu lesen: Furchtbare, zerschmetternde Gewalt, gegen die der Mensch wehrlos ist! Menschenjagd, tausendfacher Massenmord! – Die Poesie des ritterlichen Heldentums findet auf den Schlachtgefilden der Gegenwart keine St%tte mehr.288 Das furchtbare Geräusch, das das Maschinengewehr erzeugt ist für Balázs das schreckliche Symbol des unpersönlichen Krieges.289 Der Priester Menke macht sich an einer Stelle Gedanken darüber, welche Art des Tötens menschlicher sei:

Freilich erhebt sich hier die Frage, ob denn etwa der gezackte Stahlsplitter der modernen Brisanzgranate weniger grausam, Bajonett, Messer und Handgranate, Mine, Spaten und Beil menschlicher seien? Nur das kleine Infanteriegescho&, sagt man, sei „humaner“ geworden. Diesem Vorzug steht jedoch seine bedeutend gesteigerte Fernwirkung und seine Verwendung im grausigen Sichelwagen der modernen Schlacht, im furchtbaren Maschinengewehr entgegen.290

Die Soldaten mussten töten, um nicht selbst getötet zu werden: Wir mu&ten so werden, wenn wir nicht selbst vernichtet werden wollten.291 Sie mussten Menschen töten, die sie gar nicht kannten und die ihnen persönlich nichts Schlechtes getan hatten. An einer Stelle nennt sich Pilisi keinen Soldaten, sondern er sagt, er sei nur ein Wanderer auf dem Weg des Gemetzels.292 Wie auch wegen des massenhaften, sinnlosen Sterbens versuchten die Soldaten auch wegen des Tötens in der Idee der Heldenhaftigkeit Trost zu finden. Sie töteten für ihr Vaterland und für ihre Familien. Die Soldaten versuchten ihr Gewissen durch die Überzeugung zu beruhigen und die Verantwortung von sich zu schieben, zumal es in der Tat nicht sie sind, die den Feind umbringen, sondern ihre Waffen.293 Dieser Gedanke ist bei Balázs sehr klar ausgeführt:

287 Vgl. Andexlinger / Ebner, „Friedlich leuchtet” S. 61, 86–87.

288 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 208.

289 Vgl. Balázs, Lélek S. 75.

290 Menke, Ohne Waffe S. 150.

291 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 245.

292 Pilisi, A kárpáti S. 80.

293 Diese Feststellung ist auch im Buch Krieg & Emotionen zu lesen. Vgl. Krieg & Emotionen. Der Erste Weltkrieg der k.u.k. Armee in autobiographischen Dokumenten. Ergebnisse des Forschungspraktikums 2009/2010. [Graz 2010]. S. 74.

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Zum Gl'ck ist das Gewehr eine abstrakte Waffe. Es sind nicht wir die t$ten, sondern die Kugel. Wir waren 'berhaupt nicht dort, wir sahen gar nichts. Was wir machen, ist ein „chemisches Verfahren“. Wir z'nden das Gemisch an, das oxidiert und entwickelt Gas im Rohr. Das ist eine friedliche Laboratoriumarbeit.294

Die Soldaten versuchten nicht nur mit der Auffassung, dass es nicht sie sind, die töten, sondern ihre Waffen, eine Distanz zum Töten zu schaffen sondern auch durch die Überzeugung, dass sie lediglich ihre Arbeit verrichten.295 Auch von Sanitätsleuten wird das Töten so dargestellt, dass es nicht die Menschen sind, die töten, sondern die Waffen:

Unsere Granaten (…) haben solch grauenhafte Arbeit verrichtet.296

Wie die grausamen Erlebnisse mit Tod und Sterben, konnten die Soldaten auch ihre Erfahrungen mit dem Töten nur schwer aufarbeiten. Alles hing davon ab, wie der einzelne Mensch in seinen Gedanken und Gefühlen mit seinen Taten umgehen konnte. So fragt sich Balázs: Ist es keine S'nde, Menschen zu t$ten? S'nde, die durch keine Erkl%rung gerettet werden kann? Und gibt die folgende Antwort: S'nde ist nur, was der Mensch denkt und f'hlt. Die S'nde ist in der Seele, nicht in der Tat.297 Es ist leichter, wenn man darüber gar nicht nachdenkt. Doch die Sünde des Tötens und die dadurch erzeugten Gewissensbisse begleiten die Soldaten auch im Traum:

Ich tr%umte, ich sei einer der Hauptanstifter des furchtbaren Weltbrandes (…) Mir war’s, ich sei einer von den wenigen irrsinnigen Verbrechern, die Millionenv$lker aufeinander gehetzt haben, die den Tod in tausendfacher Gestalt in die Welt gerufen, die Str$me kostbaren Menschenblutes, (…) die die furchtbare, wahnwitzige Trag$die des Blutes, des Mordens und Rasens und W'tens ersannen und Wahrheit werden lie&en (…).298

Decsey ist dagegen der Meinung, dass das einander Töten im Krieg zumindest aufrichtig ist. In Friedenszeiten – schreibt er – tun die Menschen dasselbe: heimliche Verblutungen, heimliche Mordbrennereien – und das nannte sich Frieden. Im Krieg tun es die Menschen offen, der Krieg tr%gt keine Maske und ist so die aufrichtigste Form des Lebens.299 Die Soldaten begreifen oft erst nach den Kämpfen was sie getan haben. Tumlirz erzählt darüber, dass aus den Soldaten erst nach dem Angriff wieder Menschen wurden, die nun fähig waren, den Tod und das Töten wahrzunehmen: Sp%ter, wenn wir den Feind besiegt hatten, dann wollten sich die Marss$hne wieder in Menschen verwandeln, dann wollten

294 Balázs, Lélek S. 74.

295 Vgl. Krieg & Emotionen S. 87.

296 Von Schullern, Erinnerungen S. 87.

297 Balázs, Lélek S. 49.

298 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 209–210.

299 Decsey, Krieg S. 68–69.

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wir uns unsere Pflichten gegen die Verwundeten und Toten wieder entsinnen.300 Das hier erwähnte Pflichtgefühl spielte in der Kriegssituation eine wesentliche Rolle. Wenn aus den Soldaten – die automatisch die hochentwickelte Waffentechnik bedienten und dabei nicht denken und fühlen durften – nach dem Kampf wieder Menschen wurden, war es unvermeidlich, dass sie über das Geschehene nachdachten und der Anblick des Ergebnisses des Kampfes negative Gefühle in ihnen hervorrief. Um diese Gedanken und Gefühle zu überwinden und mit sich selbst ins Reine zu kommen, mussten sie sich ihre Taten sinnvoll begründen und erklären können. Das geschah – wie oben bereits erwähnt wurde – durch die Überzeugung, dass sie das Sterben und das Töten aus Pflichtgefühl für ihr „hochgeliebtes Vaterland“, für die glückliche Zukunft ihrer Nation und ihrer Familie getan haben.

Bei Requadt ist an einer Stelle zu lesen, wie bei einem Angriff die Soldaten bewusst- und gefühllos im seltsam-furchtbar-sch$nen Standhalten und St'rmen301 im Kugelregen werden, sie nichts mehr sehen und hören, nur das Kommando der Offiziere wahrnehmen und wie sie, die Kämpfenden, nur morden und morden.302 Nach dem Kampf folgt die traurige Ernüchterung. Was sie getan haben, begreifen sie erst, nachdem der Angriff vorbei war: Ja, es war alles wie ein Traum, den man austr%umen und vergessen k$nnte, w%re nachher nicht die schreckliche Wirklichkeit. Man kommt erst dann zum Bewu&tsein, wenn alles vorbei ist.303

Am Anfang war es für Praclik – der sonst ein gläubiger und überzeugter Christ war – eine Selbstverständlichkeit, sich als junger Mensch – er war erst 21 Jahre alt – freiwillig in den Krieg zu melden,304 dann aber schreibt er immer wieder über sein heftiges inneres Ringen und seine ernste Auseinandersetzung mit dem Sterben und Töten im Krieg und wie es mit seiner Religiosität und dem Christentum zu vereinbaren ist. Er schöpft Kraft aus Gebeten und findet Trost im Lesen der Bibel, aus der er auch oft zitiert. Trotzdem meldet er sich, nach der Genesung von einer Verwundung, auch zum zweiten Mal freiwillig. Dies kann er – bei der späteren Aufschreibung – selbst nicht verstehen; er kann nicht begreifen, was ihn dazu bewegt hat, in den Krieg zu ziehen und dort zu töten:

300 Tumlirz, Kriegstagebuche S. 100.

301 Requadt, Lüttich S. 25.

302 Vgl. Requadt, Lüttich S. 25–26.

303 Requadt, Lüttich S. 26.

304 Vgl. Praclik, Unter Stahlhelm S. 12.

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Wie kam ich als Christ dazu, in voller Kenntnis seiner Schrecken zum anderen Male freiwillig in den Krieg zu ziehen und mich hier inmitten der Kameraden v$llig an meinem Platz zu f'hlen? (…) Von jeher war mir Lebensvernichtung, gleich welcher Art, ein Greuel, kann ich doch neues Leben nicht schaffen. Noch als F'nfzehnj%hriger war ich nur knapp einer kr%ftigen Ohrfeige vom Pflegevater entgangen, weil ich mich geweigert hatte, beim Schlachten eines Huhns zu helfen.305

Bei Praclik gibt es lange Auseinandersetzungen mit der Tatsache, dass er töten muss,306 und an einer Stelle schreibt er über ein Gespräch mit einem seiner ebenfalls religiösen Offiziere über das Gebot „Du sollst nicht töten!“307