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Bei der Quellenkritik muss man auf zwei wichtige Punkte eingehen. Einerseits soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die hier untersuchten Texte als authentische Wiedergabe der Ereignisse betrachtet werden können und inwiefern Authentizität in Bezug auf die Themen Sterben, Tod und Trauer eine Rolle spielt.26 Andererseits soll die Gattungsproblematik der behandelten Quellen geklärt werden.

Das Problem, inwieweit die Selbstzeugnisse aus und nach dem Ersten Weltkrieg die Realität des Krieges authentisch wiedergeben, wird in der Forschung heftig diskutiert.27 Es gibt unterschiedliche Faktoren, die die Wahrnehmung und die Schilderung der Ereignisse und Erlebnisse eines Menschen beeinflussen.28 Bei der Wahrnehmung und Schilderung

24 Die Bücher der deutschsprachigen Autoren sind alle auf Deutsch, die von den ungarischen auf Ungarisch.

Die Zitate aus den ungarischen Büchern sind die Übersetzung der Verfasserin der vorliegenden Dissertation.

25 Die Analyse stützt sich – außer bei Szabó und Mierisch – allein auf Daten, die in den Büchern zu finden sind.

26 Die Tatsache, dass ein Teil der Aufzeichnungen erst mehrere Jahre nach Kriegsende niedergeschrieben wurde und dass der Autor sich nicht mehr genau erinnern konnte, lässt in diesem Fall nicht die Frage stellen, ob, was er schreibt, in der Wirklichkeit so war, sondern die Frage danach, was und wie er seine Erlebnisse mit Sterben, Tod und Trauer den Lesern weitergeben wollte. Warum er diese Themen in seinem Buch gerade so präsentierte.

27 Vgl. Mertelseder / Wisthaler, Soldat S. 64–68; Epkenhans, Michael / Förster, Stig / Hagemann, Karen (Hg.): Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen. Krieg in der Geschichte Bd. 29. Paderborn u.a. 2006. Einführung: Biographien und Selbstzeugnisse in der Militärgeschichte – Möglichkeiten und Grenzen. S. XII.

Außer der in der vorliegenden Arbeit zitierten Bücher zur Theorie der Kriegserfahrung siehe auch Buschmann, Nikolaus / Carl, Horst (Hg.): Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg. Krieg in der Geschichte Bd. 9. Paderborn u.a.

2001.

28 Epkenhans und seine Mitautoren heben als Beeinflussungsfaktor Klassenzughörigkeit, Nationalität, Ethnizität, Konfession, Weltanschauung, Geschlecht und Generation hervor. Vgl. Epkenhans u.a.,

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von Erlebnissen betont Fussel die kulturellen Paradigmen, die bestimmen, was von den objektiven Ph%nomenen in die Erfahrung des Einzelnen dringt und was er „aus den Dingen macht“.29 Er führt fort, dass das seelische Gleichgewicht, die intellektuelle Befriedigung oder das %sthetisches Empfinden des Autors bestimmte Formen des Erzählens fordern können.30 Außerdem beeinflusst die Literatur selbst, wie Autoren, die bereits andere Selbstzeugnisse gelesen haben, ihre eigenen schildern.31 Die spätere Lebensgeschichte des Autors sowie das kollektive Gedächtnis prägen ebenfalls das Erzählen.32

Dadurch, dass es sich in diesem Fall um Selbstzeugnisse handelt, die als Buch erschienen sind, taucht das Problem auf, dass es sich nicht um die ursprünglichen Aufzeichnungen von der Front handelt, sondern um eine für die Edition bearbeitete Version. Bei den hier untersuchten Autoren lässt sich nicht eindeutig sagen, inwiefern die erschienenen Bücher eine umfangreichere Neufassung oder eine, nur wenig umgearbeitete Version eines an der Front geführten Tage- oder Notizbuches sind.33 Die Selbstzeugnisse, die herausgegeben Einführung S. XIV; Langewiesche den gesellschaftlichen Umfeld und die Weltorientierung. Vgl.

Langewiesche, Nation S. 226.

29 Fussel, Paul: Der Einfluss kultureller Paradigmen auf die literarische Wiedergabe traumatischer Erfahrung.

In: Vondung, Klaus (Hg.): Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestalt und symbolischen Deutung der Nationen. Göttingen 1980. S. 175.

30 Vgl. Fussel, Der Einfluss S. 177.

31 Vgl. Fussel, Der Einfluss S. 178; Epkenhans u.a., Einführung S. XII.

32 Vgl. Epkenhans u.a., Einführung S. XII.

Krafft-Krivanec betont bei der Untersuchung eines Tagebuches aus dem Ersten Weltkrieg den Einfluss kollektiver Vorstellungen auf den Menschen, der ein „doppeltes“, gleichzeitig individuelles und „soziales Wesen“ ist. Vgl. Krafft-Krivanec, Niedergeschrieben S. 14, 17.

Auch Fritsche betont, dass der Zugriff auf das gesamte Kriegserlebnis nicht möglich ist. Es gibt immer Unterschiede, weil jeder den Krieg durch sein eigenes Verständnis und individuelle Bewertung wahrnimmt, was von der Zugehörigkeit zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen beeinflusst ist. Vgl. Fritsche, Bedingungen S. 121.

Folgende Faktoren führten ebenfalls zu unterschiedlichen Kriegserfahrungen: ob der Autor früher schon Erfahrungen mit Krieg hatte oder nicht, die Wahrnehmung zwischen Westfront und Ostfront, das Erleben des Krieges zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung aber auch zwischen Offizieren und gemeinen Soldaten.

Diese Faktoren konnten auch die sprachlichen Mittel bestimmen, die den Autoren zur Verfügung standen.

Vgl. Panke-Kochinke, Birgit / Schaidhammer-Placke, Monika: Frontschwestern und Friedensengel.

Kriegskrankenpflege im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Ein Quellen- und Fotoband. Frankfurt am Main 2002. S. 15; Panke-Kochinke, Birgit / Schaidhammer-Placke, Monika: Frontschwestern und Friedensengel.

Kriegskrankenpflege in der Etappe im Ersten und Zweiten Weltkrieg. In: Walter, Ilsemarie / Seidl, Elisabeth / Kozon, Vlastimil (Hg.): Wider die Geschichtslosigkeit der Pflege. Wien 2004. S. 138; Liulevicius, Vejas Gabriel: Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg.

Hamburg 2002. S. 9–21; Andexlinger / Ebner, „Friedlich leuchtet” S. 85, 94.

33 Bei Mierisch lässt sich eindeutig sagen, dass sie ein Tagebuch im Krieg führte. Auch bei Szabó und Decsey gibt es Hinweise dafür, dass sie sich über ihre Erlebnisse an der Front Notizen machten. Bei Menke ist zu lesen, dass er sich nicht mehr genau erinnern kann, obwohl er während des Krieges Notizen gemacht hat. Vgl. Szabó, A kárpáti hó S. 71; Decsey, Ernst: Krieg im Stein. Erlebtes, Gesehenes, Gehörtes aus dem Kampfgebiet des Karsts. Graz 1915. S. 138; Menke, Josef: Ohne Waffe. Das Kriegserlebnis eines Priesters.

Zweite Auflage. Paderborn 1930. S. 157, 234.

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wurden, erschienen außerdem mit der Absicht, dass sie gelesen werden, was impliziert, dass sie eventuell auch die Einstellung der Leser zum Krieg prägen würden. Auch diese Tatsache beeinflusste die Art und Weise der Autoren, über ihre Erfahrungen, Gefühle und Gedanken zu erzählen. Oft hielten sie dabei ihre „eigenen“, „persönlichen“ Gefühle und Gedanken noch mehr unter Kontrolle.34 In den 1920er und 1930er Jahren erschien eine große Anzahl an Büchern, die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg erzählen.35 Ein Teil dieser Bücher enthält Selbstzeugnisse, die während des Krieges niedergeschrieben und in den 1920er oder 1930er Jahren für eine Buchversion einigermaßen umgearbeitet wurden.

Diese nachträgliche Umformulierung von Texten brachte für die Forschung unausweichliche Probleme mit sich, über die auch nach wie vor heftig diskutiert wird.36 In erster Linie ist hier der Einfluss der Kriegspropaganda zu bedenken, wobei es wiederum einen Unterschied gibt zwischen den Quellen aus den Jahren des Ersten Weltkrieges und denen aus den 1920er oder 1930er Jahren, wo sie schon – vor allem die, die nach 1933 erschienen – ein Mittel der revisionistischen Kriegspropaganda sein könnten.37 Wenn man bei der Analyse berücksichtigt, dass jeder Autor das Kind seiner Zeit38 ist, können auch die späteren Aufzeichnungen als authentisch angesehen werden, authentisch aber für die Zeit, in der sie entstanden sind und nicht für die, über die sie berichten.39 Ulrich übt eine ernste Kritik an Selbstzeugnissen über Kriegserlebnisse. Er ist der Meinung, dass Tagebücher keinen direkten Zugriff auf das Kriegserlebnis erlauben, weil sie von Zensur, Instrumentalisierung im Publikationstext und den medialen Restriktionen beeinflusst waren und dass diese Quellen nur Repr%sentationen der Interpretationen des Krieges zum Zeitpunkt der Abfassung und der Publikation40 sind.41 Emig weist in Bezug auf die

34 Vgl. Mertelseder / Wisthaler, Soldat S. 68; Epkenhans u.a., Einführung S. XIII.

Hüppauf nennt diese beiden, sowohl innere als auch äußere Einflüsse, eine doppelte Zensur. Hüppauf, Der Tod S. 62.

35 Vgl. Schneider, Thomas F. / Heinemann, Julia / Hischer, Frank / Kuhlmann, Johanna / Puls, Peter (Hg.):

Die Autoren und Bücher der deutschsprachigen Literatur zum Ersten Weltkrieg 1914–1939. Ein bio-bibliographisches Handbuch. Schriften des Erich Maria Remarque-Archivs Bd. 23. Osnabrück 2008.

36 Vgl. Epkenhans u.a., Einführung; Schneider u.a., Die Autoren; Mertelseder / Wisthaler, Soldat; Knoch, Kriegsalltag.

37 Vgl. Schneider u.a., Die Autoren S. 10; Panke-Kochinke / Schaidhammer-Placke, Frontschwestern 2002 S.

25.

38 Schertler, Eva-Maria: Tod und Trauer in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Angewandte Literaturwissenschaft Bd. 12. Innsbruck u.a. 2011. S. 59, 61.

39 Vgl. Langewiesche, Nation S. 229; Epkenhans u.a., Einführung S. XV.

40 Schneider u.a., Die Autoren S. 7, zitiert nach Ulrich.

41 Bei Epkenhans u.a. ist weiterhin folgende Kritik zu lesen: Kein Selbstzeugnis kann heute mehr schlicht als direkte, authentische Umsetzung von individuellem oder kollektivem Leben in Literatur gelesen werden.

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Authentizität dem Leser eine wesentliche Rolle zu, wobei er das gro&e Paradox von Authentizit%t der Kriegsbücher betont. Dieses Paradox bedeutet, dass Authentizität zwar eine einmalige, direkte Erfahrung beschreibt, die aber nur erreicht werden kann, wenn die Erfahrung erfolgreich einem Anderen vermittelt42 wird. Jurgensen hebt bei Tagebüchern ihren Charakter als subjektive Reflexionen hervor. In diesen Texten legt das private Individuum, das zugleich auch gesellschaftlicher Zeitgenosse ist, Zeugnis von „seiner“

Welt und „seiner“ Zeit ab.43 Die vorliegende Dissertation führt in erster Linie diesen reflexiven Charakter der „Tagebücher“ vor Augen: wie die Autoren auf die Erfahrungen mit Sterben, Tod und Trauer durch ihr Schreiben reagiert haben.

Wie eingangs darüber bereits die Rede war, erschien der größte Teil der hier untersuchten Quellen während des Krieges, einige aber auch erst nach Kriegsende. Unter diesen Büchern sind auch die Aufzeichnungen Otto Brauns, die 1924 erschienen und von anderen herausgegeben wurden, weil er im Krieg gefallen war. Zwei Autoren, deren Buch in den 1930er Jahren herausgegeben wurde, geben im Vorwort beziehungsweise Nachwort eindeutig bekannt, dass sie erst mehrere Jahre nach Kriegsende angefangen haben, ihre Erfahrungen niederzuschreiben; Josef Menke im Jahre 1924, Gustav Praclik im Jahre 1935.44 Diese Unterschiede in der Art und Weise beziehungsweise im Zeitpunkt des Niederschreibens der Aufzeichnungen erschweren die Gattungseinordnung der Quellen.

Außerdem enthält das Buch Brauns außer den Tagebuchaufzeichnungen Briefe sowie einige Gedichte. Auch andere Autoren zitieren in den Büchern Briefe.45 Es ist ebenfalls unterschiedlich, wie die Autoren selbst oder die Herausgeber die Werke bezeichnen.46 Denn sie sind Konstruktionen aus einer spezifischen Perspektive, in einem historischen Kontext mit einer bestimmten Intention und Funktion (…). Epkenhans u.a., Einführung S. XIV, zitiert nach Günther.

42 Emig, Rainer: Augen/Zeugen. Kriegserlebnis, Bild, Metapher, Legende. In: Schneider, Thomas F. (Hg.):

Kriegserlebnis und Legendenbildung. Das Bild des „modernen“ Krieges in Literatur, Theater, Photographie und Film. Bd. 1. Krieg und Literatur 3.1997/4.1998. Osnabrück 1999. S. 21.

43 Vgl. Jurgensen, Manfred: Das fiktionale Ich. Untersuchungen zum Tagebuch. Bern, München 1979. S. 12.

44 Vgl. Menke, Ohne Waffe S. 8–9; Praclik, Gustav: Unter Stahlhelm und Fliegerhaube. Fronterlebnisse eines Kriegsfreiwilligen 1914–1918. Dritte Auflage. Kassel 1936. S. 175. Bei Von Schullern lässt sich nicht genau sagen, wann er seine Erlebnisse niederschrieb.

45 Decsey, Tumlirz, Mierisch.

46 In vier Untertiteln heißt es „Erlebnisse“. Vgl. Praclik, Unter Stahlhelm; Tumlirz, Otto: Aus dem Kriegstagebuche eines Glückskindes. Stimmungen und Erlebnisse eines österreichischen Reserveoffiziers.

Berlin 1917; Kortheuer, A.: Erlebnisse eines freiwilligen Feldgeistlichen. Herborn 1916; Menke, Ohne Waffe. Bei Decsey ist es Erlebtes, Gesehenes, Geh$rtes; bei Braun Aus nachgelassenen Schriften; bei Balázs Tagebuch; bei Von Schullern Erinnerungen. Vgl. Decsey, Krieg; Braun, Otto: Aus nachgelassenen Schriften eines Frühvollendeten. Hg. Julie Vogelstein. Berlin-Grunewald [1924]; Balázs, Béla: Lélek a háboruban.

Balázs Béla honvédtizedes naplója. [Seele im Krieg. Das Tagebuch des Korporals Béla Balázs]. Gyoma 1916; Schullern, Heinrich Von: Erinnerungen eines Feldarztes aus dem Weltkrieg. Hall in Tirol; Wien 1934.

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Diese literarische Mischform ist typisch für die Bücher, die Erlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg aufarbeiten.47 Um die Untersuchung zu erleichtern, werden diese hier als ein einheitliches Werk der Autoren betrachtet und in diesem Sinn wird hier die Bezeichnung

„Selbstzeugnisse“ verwendet.