• Nem Talált Eredményt

In den wissenschaftlichen Arbeiten über die Kriegserlebnisse der Soldaten wird immer wieder betont – wie oben schon diskutiert wurde –, dass für die Nachwelt auf sie kein direkter Zugriff möglich ist. Eine entsprechende Interpretation ist daher nur möglich, wenn man auch die Faktoren, von denen sie beeinflusst wurden, berücksichtigt. Neben der Selbstkontrolle der Autoren und der Kriegspropaganda, spielt dabei vor allen Dingen das gesellschaftliche Milieu der Soldaten eine wesentliche Rolle.

Die Soldaten bildeten eine bestimmte gesellschaftliche Gruppierung. Die unmittelbare Wahrnehmung dieser Gruppierung während des Krieges an der Front war ganz anders als die Kriegserfahrungen der Menschen im Hinterland. Nach Hüppauf ist die Wahrnehmung von Tod und Töten einer der bedeutendsten Unterschiede in der Kriegserfahrung von Soldaten – und Krankenschwestern – an der Front und von Daheimgebliebenen. Die Soldaten erlebten den Tod an der Front in ihrer unmittelbaren Nähe, mit leidenden Sterbenden und verwesenden Leichen, ganz anders als es im Bild über ihr heldenhaftes Sterben zu Hause vermittelt wurde, wo man die Sterbenden und Toten nicht sah, nicht hörte und nicht roch. Dieser Unterschied führte oft zu einem Kommunikationsbruch und zur Verständnislosigkeit zwischen den Soldaten und ihren Familien. Einerseits konnten die Soldaten über ihre Erfahrungen mit Sterben und Tod nicht sprechen, weil diese sie tief erschütterten, andererseits hätten ihre Angehörigen sie wahrscheinlich auch nicht verstanden, denn sie hatten eine ganz andere Vorstellung vom Sterben und Tod. Mit dem Tod im Krieg wurden natürlich auch die Menschen im Hinterland konfrontiert, zum Beispiel in Form von Todesanzeigen, Zeitungsberichten oder Postkarten, der dadurch vermittelte Soldatentod war aber stilisiert und ästhetisiert.49 Über diesen wesentlichen Unterschied ist auch bei den hier behandelten Autoren zu lesen.50

49 Vgl. Hüppauf, Der Tod S. 64–66.

Über die Wahrnehmung von heldenhaftem Soldatensterben im Tagebuch einer jungen Frau siehe Krafft-Krivanec, Niedergeschrieben S. 113, 118–119.

50 Vgl. Pogány, Kázmér: A rokitnói mocsarakban. [In den rokitnoer Sümpfen.] Budapest 1916. S. 122.

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Die Erfahrung mit Tod und Sterben ist davon bestimmt, was einem der Verlust im psychischen, sozialen, religiösen und auch kulturellen Sinn bedeutet.51 In der Rekonstruktion der Kriegserlebnisse über Sterben und Tod gab es deshalb große Unterschiede zwischen den verschiedenen Berufs- und Altersgruppen oder nach dem Familienstand der Soldaten beziehungsweise der Daheimgebliebenen.52 Knoch spricht über die Verschiebung der Grenze der Leidensfähigkeit von Menschen im Krieg, sowohl an der Front als auch zu Hause, was sich auch auf die Verarbeitung von Sterben und Tod bezieht.53 Die Erfahrung mit dem Tod kann einerseits die Erfahrung durch den Tod eines anderen sein, andererseits die des eigenen Beinahe-Todes.54 In den hier behandelten Quellen ist über beides zu lesen. Solche Erfahrungen, in denen sich die verschiedensten Gefühle wie Todesangst, Todeserwartung oder sogar Todeswunsch, Entsetzen und Gleichgültigkeit, Liebe und Mitleid mischen – wie aus den Textanalysen ersichtlich wird –, sind im Krieg noch stärker vorhanden.

Der Tod war im Krieg nicht nur aufgrund seiner ungeheuren Ausmaß tragisch – die Zahl der Todesopfer belief sich in der Monarchie auf 3.477.000, in Deutschland auf 6.250.00055 – sondern auch deshalb, weil mit dem Tod im Krieg das Leben sozusagen nicht abgeschlossen war. Er ließ in den Hinterbliebenen viel mehr Fragen und Zweifel zurück als in Friedenszeiten. Das bedeutet, dass der Abschied von den einzelnen Verstorbenen, ein ehrenvolles Begräbnis und häufig auch das Grab fehlten. Es gab oft keine konkreten Informationen über das Sterben des Gefallenen. Es gab nur die amtliche Mitteilung über die Todesnachricht. Aber gerade dadurch, dass keine gewöhnlichen Formen der Abschiednahme vom Verstorbenen möglich waren – keine Leiche, keine Bestattung, kein

51 Vgl. Platt, Trauer S. 179–180.

Außerdem beeinflussten die Kriegserfahrungen auch die früheren, vor dem Krieg gemachten Erfahrungen einer Person. Vgl. Langewiesche, Nation S. 222. Dies gilt auch für die Erfahrungen mit Sterben und Tod vor dem Krieg. Wie oben schon erwähnt wurde, ist die Einstellung und dadurch die Wahrnehmung des Menschen zum Tod stark von der Gesellschaft beeinflusst. Die in der Gesellschaft verbreiteten Normen und Bräuche sind wiederum von verschiedenen Faktoren geprägt. Hüppauf betont in der Untersuchung der Ausbildung von Todesbildern und der Deutung des Sterbens im Ersten Weltkrieg in seinem oben bereits zitierten Aufsatz, wie der soziale und wirtschaftliche Wohlstand im Deutschen Reich in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg auch die Einstellung der Menschen zum Tod prägten. Alle diese Faktoren in der vorliegenden Dissertation mit einzubeziehen würde jedoch deren Rahmen überschreiten. Vgl. Hüppauf, Der Tod S. 57–59.

52 Vgl. Hüppauf, Der Tod S. 63.

53 Vgl. Knoch, Kriegsalltag S. 237.

54 Vgl. Platt, Trauer S. 179.

55 Vgl. Ravasz, István (szerk.) [Hg.]: „Boldogtalan hadiid"k…” Avagy: ami a „boldog békeid"k” után következett 1914–1918. [„Unglückliche Kriegszeiten…” Oder: was nach den „glücklichen Friedenszeiten”

kam 1914–1918.] Budapest 2004. S. 320.

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Grab –, blieb für die Angehörigen oft eine Hoffnung, dass ihr Soldat doch noch am Leben sein könnte.56 Auf die Veränderung der Todes- und Trauerrituale hatten die beiden Weltkriege einen großen Einfluss. Nach den relativ friedlichen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wirkte das massenhafte Sterben schockierend auf die Menschen und die traditionellen Trauer- und Todesrituale versagten. Als Ausdrucksform kollektiver Trauer erschienen die Kriegs- und Kriegerdenkmäler, die individuelle Trauer wurde dagegen verschwiegen.57

Der Krieg bedeutete zwar, wegen des massenweisen Sterbens und Tötens, eine existentielle Grunderfahrung, diese wurde aber von den verschiedenen Schichten unterschiedlich gedeutet und erlebt.58 Um die Kriegserlebnisse, mit denen viel Tod, Zerstörung und Verlust einhergingen, aufarbeiten zu können, gab es ein starkes Bemühen um die Sinndeutung des Krieges und dadurch um Sinndeutung von Tod und Sterben. Vondung ist der Meinung, dass Selbstzeugnisse aus der primären Motivation entstanden sind, „Sinn“ im Krieg zu finden und diesen mitzuteilen.59 Aber – setzt Vondung fort – mit diesen Sinndeutungen wurde das konkrete Sterben abstrahiert und es war schwer, aus solchen Deutungen wirklich Sinn zu gewinnen, denn die Erinnerung an den Tod konkreter Personen war auch spürbar.60 In der Erfahrung von Leiden und Sterben konnte also kein wirklicher Sinn gefunden werden.61 Über dieses Problem diskutieren auch die hier untersuchten Quellen oft.

Eine Gesellschaft deutet und wertschätzt ihre Verstorbenen dahingehend, dass es für sie sinnvoll ist, dass die Verstorbenen in Frieden ruhen und dadurch auch ihr Gewissen beruhigt sein kann. Es ist beeinflussbar und lenkbar, was diese Sinndeutung sein soll und welchem Ziel der Tod der Verstorbenen dienen soll. Emig betont, dass es deshalb unsinnig ist, von einem objektiven Sehen in Kriegsdarstellungen zu sprechen, weil dieses Sehen

56 Vgl. Hüppauf, Der Tod S. 65.

57 Vgl. Feldmann, Klaus: Tod und Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Thanatologie im Überblick. Zweite, überarbeitete Auflage. Wiesbaden 2010. S. 50–51, zitiert nach Cannadine. Wie das massenhafte Sterben im Ersten Weltkrieg auf die Menschen wirkte, damit beschäftigen sich auch Audoin-Rouzeau / Becker, Az újraírt S. 141–142, mit Hinweisen auf verschiedene Autoren.

58 Vgl. Vondung, Klaus: Propaganda oder Sinndeutung. In: ders. (Hg.): Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestalt und symbolischen Deutung der Nationen. Göttingen 1980. S. 25.

59 Vgl. Vondung, Propaganda S. 17. Über die sinnstiftende Deutung beziehungsweise Um- und Neudeutung von Töten und Zerstören im Krieg siehe auch Schindling, Anton: „Ikonen” der Kriegserfahrung. Eine Bilderauswahl zur Einführung. In: Schild, Georg / Schindling, Anton (Hg.): Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit. Neue Horizonte der Forschung. Krieg in der Geschichte Bd. 55. Paderborn u.a.

2009. S. 17–19.

60 Vgl. Vondung, Propaganda S. 23–24.

61 Vgl. Vondung, Propaganda S. 31.

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immer bereits vor einem Sinnhorizont stattfindet, innerhalb dessen es Sinn macht.62 Wie oben schon erwähnt, wurden Sterben und Tod im Krieg ästhetisiert und stilisiert. In der Sinndeutung wurde nicht der Individualismus der Verstorbenen betont, die Kriegstoten wurden nicht als Individuen angesehen, sondern als Teil einer Gemeinschaft von Kameraden und ebenfalls Teil einer Gemeinschaft der Lebenden und Angehörige der Nation dargestellt.63 Hüppauf schreibt, dass der Glaube an das heldenhafte Sterben für das Vaterland bereits am Anfang des Krieges verloren gegangen war. Die Mythisierung und Sinnsuche des Soldatentodes erschienen viel mehr nach Kriegsende und resultierten wiederum aus den kulturellen und sozialen Verhältnissen, die die Verarbeitung des Krieges bestimmten.64