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Textverarbeitung

5 Der Text

5.3 Textverarbeitung

Den Erläuterungen in Abschnitt 4.1 ist zu entnehmen, dass Lesen als Text-verstehen immer eine Wechselwirkung zwischen Textinformationen und Rezipientenwissen impliziert. Es handelt sich dabei um eine Text–Leser-Inter-aktion. Diese Interaktion zeichnet sich durch eine kognitive Konstruktivität aus, die vor allem in der Integration mit dem Vorwissen des Rezipienten besteht. Das Verstehen eines Textes wird nämlich vom aus Weltwissen und Sprachwissen bestehenden Vorwissen der Lesenden gesteuert, das dabei hilft, die im Text enthaltenen Informationen und das eigene Wissen zu verknüpfen.

Der Text gilt als ein Angebot für Sinnzuweisungen, das vom Lesenden als Sinnproduzenten wahrgenommen wird. Der Leseprozess ist auf diese Weise ein Zusammenspiel zwischen text- bzw. datengeleiteter und erwartungs- bzw.

wissensgeleiteter Verarbeitung. Interaktive Modelle des Lesens untergliedern den Leseprozess in Verarbeitungsebenen, die von den primären perzeptuellen Analyseprozessen bis zum höherstufigen Verstehen reichen. In diesem Sinne geht es beim Textverstehen um das Verstehen von Texten und zusammen-hängenden Diskursen, wobei das Ziel die Sinnbildung bzw. die Sinnentnahme ist, wozu die Dekodierung nur ein Mittel darstellt. Lesen ist also ein kom-plexer, kognitiv–konstruktiver Prozess der Informationsverarbeitung, in des-sen Zuge eine Interaktion auf allen Verarbeitungsebenen zwischen daten- und wissensgeleiteten Konzepten angenommen wird, wo der Leser durch den Ein-satz seines Vorwissens und seiner Leseerwartungen Textdaten auf unter-schiedlichen Ebenen analysiert. Lesende sollen im Leseprozess Satzproposi-tionen abstrahieren, Sätze untereinander verknüpfen, Bedeutungen unter-einander bzw. aufunter-einander bezogen satzübergreifend herstellen und sinnvoll in ein kohärentes Ganzes integrieren. Dabei wird eine mentale Repräsentation aufgebaut – kurzum: der Text wird verarbeitet (Rumelhart 1994; Börner /Vogel 1996; Christmann/Groeben 1999: 145ff.; Ehlers 1998: 11ff., 2010a und 2010b;

Feld-Knapp 2005: 30ff., 2014d und 2018a; Garbe/Holle/Jesch 2009; Christ-mann 2010; Lutjeharms 2010a: 12ff. und 2010b: 976; Neuland/Peschel 2013:

159). Im Folgenden werden nun die hierarchischen Teilprozesse, in die sich der Leseprozess untergliedern lässt, von unten nach oben (von der Wort- über

die Satz- bis zur Textebene) in ihrer Bedeutung für die Textverarbeitung vor-gestellt.

Die grapho-phonologische Ebene, die die Augenbewegungen, die visuelle Mustererkennung und die phonologische Rekodierung umfasst, stellt die un-terste Ebene des Leseprozesses dar. Darauffolgend vollzieht sich die Identifi-kation von Buchstaben und Wörtern bzw. das Erkennen ihrer Bedeutung, was als ein primär visueller Verarbeitungsvorgang aufgefasst wird. Von den Buch-staben kann man die Wörter auf zwei Wegen erreichen: Zum einen „werden graphemisch–visuelle Informationen mit Hilfe von Regeln in Lautbilder transformiert, für die dann ein Eintrag im Lexikon gesucht wird“, zum ande-ren werden Wörter „direkt über den visuellen/orthographischen Zugang zum Lexikon erkannt“ (Ehlers 1998: 26). Bei der Worterkennung wird auf eine Wortform im mentalen Lexikon lexikalisch zugegriffen.

Zum Verstehen der Satzbedeutung reichen die Wortidentifikation und das Erkennen der Wortbedeutung allein nicht aus. Wortfolgen müssen nämlich aufeinander bezogen und in ein strukturiertes Gesamtgefüge gebracht wer-den, wozu eine Analyse der semantischen und der syntaktischen Relationen der Satzelemente notwendig ist. Bei der semantischen Verarbeitung werden Satzelemente zu semantischen Bedeutungseinheiten integriert. Die semanti-sche Verarbeitung der Satzbedeutung erfolgt in Form von propositionalen Einheiten. Für eine eindeutige Bedeutungszuordnung ist im Verstehenspro-zess die semantische Analyse an und für sich nicht genug, sie muss durch eine syntaktische Analyse ergänzt werden. Bezüglich der Analyse auf der Satz-ebene kann hinsichtlich des Zusammenspiels von Semantik und Syntax fest-gestellt werden, dass im Leseprozess vorrangig mit syntaktischer Unter-stützung semantische Sinnstrukturen aufgebaut werden. Wenn die Satzbe-deutung vom Rezipienten erfasst wird, geht die syntaktische Information rela-tiv schnell verloren (Ehlers 1998; Christmann/Groeben 1999: 152ff.).

Die Konstruktion einer kohärenten Textrepräsentation setzt die Herstel-lung von Kohärenz auf lokaler Ebene voraus. Dabei können Lesende von Hin-weisen, die sie dem Text entnehmen können, Gebrauch machen. Eine Form solcher Hinweise stellt die Koreferenz dar, „bei der in aufeinanderfolgenden Sätzen auf den gleichen Referenten Bezug genommen wird“ (Christmann 2010: 166). Koreferenz kann einerseits an der Sprachoberfläche u.a. durch Wiederaufnahme, Pronominalisierung, Anaphora bzw. Kataphora,

anderer-seits durch Kontiguitätsrelationen realisiert werden. Koreferenz ermöglicht Lesenden die Integration bestimmter Sätze zu einer semantischen Einheit (Christmann/Groeben 1999: 157f.; Gansel/Jürgens 2002; Feld-Knapp 2005 und 2014d; Christmann 2010: 166f.; Tátrai 2011; Károly 2011 und 2012; Tolcsvai Nagy 2013; Brinker /Cölfen/Pappert 2014). Die Thema–Rhema-Strategie als globale Strategie des Koreferierens, Konnektiva bzw. konzeptuell–inhaltliche Relationen können auf lokaler Ebene zur Konstruktion einer kohärenten Textbedeutung beitragen. Zusammenhänge müssen aber nicht nur auf der lo-kalen Ebene, sondern auch auf der globalen Ebene erfasst werden, um den ge-samten Textzusammenhang erfassen zu können. Propositionssequenzen und Textabschnitt müssen zu Makropropositionen verdichtet werden. Makro-strukturen können unter Beteiligung des Vor- und Weltwissens, der Leseziele bzw. Leseinteressen der Rezipienten und durch an der Textoberfläche wahr-genommene Hinweise und Signale gebildet werden (Christmann/Groeben 1999: 157ff.; Feld-Knapp 2005 und 2018b; Christmann 2010: 166ff.).

Falls solche Verknüpfungen und Strukturierungshinweise im Text fehlen, entstehen Kohärenzlücken und Lesende sind dazu gezwungen, verborgene Zusammenhänge durch eigene Schlussfolgerungsprozesse, Umstrukturierun-gen und Elaborationen herzustellen. Textverstehen verlangt in diesem Fall le-serseitig auf der Basis von Hintergrundwissen selektive, elaborative und infe-rentielle Aktivitäten, die einen Kern des Verstehens darstellen: „Inferenzen sind Schlussfolgerungen, mit denen die Leser über den unmittelbar vorlie-genden Text hinausgehen“ (Christmann 2010: 168).

Beim Lesen wird mehr verstanden als das im Text wortwörtlich Gesagte.

Lesende müssen über ein erforderliches Wissen verfügen und Informationen hinzugeben, um dem explizit Mitgeteilten einen Sinn zu geben. Beziehungen zwischen Textinformationen werden hergestellt, Gründe von Handlungen ab-geleitet, aktuelle Wort- oder Konzeptbedeutungen situationsabhängig erar-beitet. Inferenzen sind also die Informationen, die im Text ausgelassen und vom Lesenden zwecks Verständnis beigesteuert werden. Sie haben somit eine Schlüsselrolle beim Leseverstehen: erfüllen unterschiedliche Funktionen, tre-ten zu unterschiedlichen Zeitpunktre-ten im Leseprozess auf und beziehen sich auf unterschiedliche Einheiten (Ehlers 1998: 51). Sie lassen sich „als eine para-digmatische Manifestation für die konstruktivistische Auffassung des Lese-prozesses als Text–Leser-Interaktion“ betrachten (Christmann/Groeben 1999:

160). Sichtbare bzw. vorgegebene sprachliche Informationen und Kognitions-strukturen der Rezipienten greifen im Verstehensprozess ineinander und re-sultieren dann in der Konstruktion der Textbedeutung. Die Grundlage für In-ferenzen bilden einerseits die Sprache und der jeweilige Text, andererseits das Weltwissen von Lesenden (Christmann/Groeben 1999: 160; Ehlers 2010b: 111).

Der höherstufige Prozess des Verstehens setzt den Einsatz einer breiten Pa-lette von Inferenzen auf der globalen Ebene und ausreichende Vorkenntnisse der Rezipienten voraus. Die inferentielle Aktivität der Rezipienten hängt auch von den situativen und kommunikativen Bedingungen ab. Relevante Einfluss-größen sind zudem die Aufgabenstellung, die Schreibintentionen, die Text-strategien bzw. das Leseinteresse und die Lesemotivation (Ehlers 1992: 6ff., 1998: 51ff. und 2010a: 196; Graesser et al. 1995; Christmann/Groeben 1999:

160ff.; Christmann 2010: 168f.; Neuland /Peschel 2013: 162f.).

Textverstehen setzt Textkohärenz voraus und für die Herstellung kohären-ter Zusammenhänge muss der Leser nicht nur über die Fähigkeit des Inferie-rens, sondern auch über die der Selektivität und des Abstrahierens verfügen.

Lesende müssen im Leseprozess wegen der zeitlichen Beschränkung und der begrenzten Kapazität des Gedächtnisses eine Auswahl treffen, weil sie nicht alle Informationen aufnehmen und behalten können. Der Prozess der Selek-tivität wird vom Textthema, von den subjektiven Leseinteressen und von der an den Text herangetragenen Perspektive beeinflusst (Ehlers 2010b: 110).

Beim Lesen müssen Lesende übergeordnete Konzepte und Einheiten bil-den können, da sie das im Text wortwörtlich Gesagte nicht behalten können.

Abstraktionsfähigkeit ist notwendig, um den Text problemlos weiterlesen und eine kognitive Struktur für sich aufbauen zu können. Dadurch können wäh-rend des Lesens neue Informationen aufgenommen und integriert werden (ebd., S. 110).