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Didaktische Ansätze zur Förderung sprachlicher

3 Mehrsprachigkeit

3.4 Mehrsprachigkeit in der Fremdsprachendidaktik

3.4.2 Didaktische Ansätze zur Förderung sprachlicher

Mehrsprachigkeit ist also Forschungsgegenstand verschiedener Disziplinen, in denen mehrsprachig aufwachsende Individuen und das Sprachenlernen im FSU unter institutionellen Rahmenbedingungen erforscht werden. Die Er-kenntnisse der Mehrsprachigkeitsforschung führen in der Fremdsprachen-didaktik zu der Forderung, mit der Berücksichtigung der Forschungsergeb-nisse der Zwei- und Mehrsprachigkeitsforschung „eine eigenständige Didak-tik und Methodik der Mehrsprachigkeit zu erarbeiten“, um echte Mehrspra-chigkeitsprofile ausbilden zu können (Bausch 2007: 443). Bei der Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit kann der institutionelle FSU auf Ressour-cen der Fremdsprachendidaktik zurückgreifen.

Die curricularen Grundlagen sind für den Fremdsprachenunterricht zwar grundlegend, reichen aber in Bezug auf die Umsetzung bildungspolitischer Zielsetzungen an und für sich nicht aus. Der Fremdsprachenunterricht braucht „auf didaktischer Ebene Grundsätze, die das Zusammenspiel von Ur-sache und Wirkung explizit machen“ (Feld-Knapp 2014a: 20). In der Fremd-sprachendidaktik wurden in den letzten Jahren didaktische Ansätze und Kon-zepte zur Erweiterung der sprachlichen Handlungsfähigkeit vorgestellt, die versuchen, „die vorhandenen Mehrsprachigkeiten und die angestrebten Mehrsprachigkeiten miteinander zu verbinden“ (Hufeisen 2011: 268). Diese Ansätze stellen die Förderung der Mehrsprachigkeit in den Mittelpunkt, in-dem sie die Sprachen im Lehr- und Lernprozess nicht isoliert, sondern im Gegenteil: integriert betrachten.

Der erste Ansatz, der in den 1970er und 1980er Jahren in England seinen Anfang genommen hat, ist das Programm der language awareness, in dessen Mittelpunkt die Bewusstheit bzw. die bewusste Beschäftigung mit der Fremd-sprache steht (Reich/Krumm 2013: 79; Wolff 2002b: 31ff.). Das Ziel des Pro-gramms war es, „dem Desinteresse, eine Fremdsprache zu lernen, entgegen-wirken zu können“ (Feld-Knapp 2014a: 21). Ihm wird eine Überbrückungs-

bzw. Verbindungsfunktion zwischen L1, L2 und L3 zugeschrieben, indem es die muttersprachliche Didaktik der jeweiligen Nationalsprachen sowie die Didaktik der Fremdsprachen berührt. Das Programm der language awareness legt auf die Bewusstmachung und die Sprachbewusstheit als allgemeines Er-ziehungsziel im FSU großen Wert. Lernende werden zum kritischen Umgang mit der Welt bzw. zur Förderung der Fähigkeit, über die Sprache nachzu-denken und den Sprachgebrauch zu reflektieren, angeregt (Feld-Knapp 2014a:

21f.; Reich/Krumm 2013: 79; Wolff 2002b: 31ff.; Neuland /Peschel 2013: 126ff.).

Bewusstmachung und Sprachbewusstheit sind auch im Ansatz der Interkom-prehension gleichermaßen zentrale Begriffe.

Für die vorliegende Arbeit hat der didaktische Ansatz der Interkompre-hension eine hohe Relevanz. Aus diesem Grund wird dieses Konzept mit seinen wichtigsten Charakteristika eingehend behandelt. Der Begriff der In-terkomprehension kommt in der Fachliteratur in mehreren Bedeutungen vor. Doyé (2005: 7) betrachtet Interkomprehension als eine Kommunikations-form, während Meißner (2012) sie als eine rezeptive Kompetenz definiert. In der vorliegenden Arbeit verwende ich Interkomprehension in Anlehnung an Krumm (2010a: 73) in der Bedeutung einer Verstehensfähigkeit in verwand-ten europäischen Sprachen innerhalb von Sprachfamilien. In diesem Ver-ständnis stellt Interkomprehension den Erwerb von Teilkompetenzen im re-zeptiven Bereich in Sprachen einer Sprachfamilie in den Fokus, wobei Ge-meinsamkeiten zwischen genetisch verwandten Sprachen als Lernerleichte-rungen genutzt und bewusst gemacht werden. Interkomprehension will dazu beitragen, dass man in mehreren Sprachen einer Sprachfamilie agieren kann.

Sie setzt sich zum Ziel, eine Lese- und Verstehenskompetenz in verschiede-nen, miteinander verwandten Sprachen zu erreichen und dadurch die rezep-tive Mehrsprachigkeit zu fördern. Durch die strukturelle und inhaltliche Ver-netzung der Sprachen kann Interkomprehension einerseits die Basis für die Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit schaffen, andererseits als Stra-tegie zur Förderung von Sprachlernkompetenz und zur Lernerautonomie bei-tragen (Klein 2002; Meißner 2004; Hufeisen/Marx 2007 und 2014; Meißner/

Schröder-Sura 2009; Ollivier /Strasser 2013; Feld-Knapp 2014a; Perge 2014a, 2015a und 2015c).

Der Ansatz der Interkomprehension liegt bewährten, in der Praxis erprob-ten europäischen Projekerprob-ten zugrunde. In Bezug auf die Förderung der

indi-viduellen Mehrsprachigkeit unter institutionellen Rahmenbedingungen wur-den im europäischen Kontext mehrere Projekte erarbeitet bzw. in der Praxis erprobt. Die ersten Projekte widmen sich den sprachlichen Handlungen im rezeptiven Bereich. Die Geschichte dieser Projekte geht in die 1990er Jahre zurück. In diesen Jahren sind Projekte entstanden, wie die Hagener Interkultu-rellen Lesekurse, das IGLO-Projekt und das Projekt Lernen für Europa, das die Vermittlung der rezeptiven Mehrsprachigkeit für die wissenschaftliche Kom-munikation mit mittel- und osteuropäischen Ländern zum Ziel setzte (Tafel et al. 2009: 7). Zu den Projekten im rezeptiven Bereich zählen auch die EuroCom-Projekte, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.

Die ersten EuroCom-Projekte zielten auf die Interkomprehension zwi-schen den Sprachen der romanizwi-schen Sprachfamilie ab (Klein/Stegmann 2000). Später erwies es sich als notwendig, „das Konzept didaktisch zu im-plementieren, es auf die anderen beiden großen Sprachengruppen Europas, die slawische und die germanische Gruppe, auszudehnen“ (Klein 2002: 30).

Das für die romanischen Sprachen entwickelte EuroComRom von Klein und Stegmann (2000) diente als Vorbild für Zybatow (2005), der die Methode im Rahmen des Projektes EuroComSlav auch auf die slawischen Sprachen über-tragen hat, sowie für Hufeisen und Marx (2007, 2014), die das Konzept im EuroComGerm für die germanischen Sprachen ausgearbeitet haben.

Das übergeordnete Ziel des EuroCom-Konzeptes ist es, Europäern Mehr-sprachigkeit ohne erhöhte Lernanstrengung bzw. ohne perfektionistische Kompetenzanforderungen zu ermöglichen, wobei den partiellen sprachlichen Kompetenzen große Bedeutung beigemessen wird (Hufeisen/Marx 2007: 4 und 2014: 7). In den EuroCom-Projekten wird auf die Teilkompetenzen gro-ßer Wert gelegt sowie deren wichtige Rolle hervorgehoben. Diese Projekte fo-kussieren das Lesen als eine relevante rezeptive Kompetenz und setzen sich zum Ziel, Lernenden dazu zu verhelfen, Texte in verwandten Sprachen er-schließen bzw. lesen lernen zu können. Das Konzept zielt also auf den Er-werb interlingualer Lesekompetenz in allen Sprachen einer Sprachfamilie ab (Boócz-Barna 2013a: 112f.). Die Projekte versuchen den Sprachlernenden die rezeptive Mehrsprachigkeit zu ermöglichen, indem diese sich Strategien zum Lesen bzw. Verstehen von Texten aus verwandten Sprachen und darüber hin-aus Techniken des optimierten Texterschließens aneignen können (Lutje-harms 2002; Hufeisen/Marx 2007 und 2014; Feld-Knapp 2014d).

Die während des Leseprozesses eingesetzten Vorkenntnisse von Lernen-den aus der Muttersprache, aus bereits gelernten Fremdsprachen bzw. mit Hilfe von Brückensprachen und den zwischen den genetisch verwandten Sprachen bestehenden Ähnlichkeiten können als Ressourcen genutzt werden und dadurch das Verstehen erleichtern (Krumm 2003a, 2010b: 208; Boócz-Barna 2007; Feld-Knapp 2014b; Hufeisen/Marx 2007, 2014). In diesen Projek-ten kommt den sog. Brückensprachen, in denen Lernende bereits über ge-wisse Kenntnisse verfügen und diese für Transferprozesse gezielt einsetzen (Tafel et. al. 2009: 11), auf deren Basis Sprachlernende also eine andere Sprache innerhalb einer Sprachfamilie erschließen lernen, eine besondere Bedeutung zu (Boócz-Barna 2013a: 112f.)

Wie schon angedeutet, bauen die EuroCom-Projekte auf die zwischen den Sprachen bestehenden sprachverwandtschaftlichen Beziehungen in den ro-manischen, germanischen und slawischen Sprachfamilien auf und können dadurch in den Dienst der Förderung der rezeptiven Mehrsprachigkeit ge-stellt werden (Klein 2002; Hufeisen/Marx 2007 und 2014).

Sprachverwandtschaften sollen also eine Schlüsselfunktion haben und dienen als Ordnungsprinzip, d.h. sie werden als neues Mittel zur Förderung der Mehrsprachigkeit eingesetzt. Zumal die germanischen Sprachen zu den meist gelernten Fremdsprachen in Ungarn gehören und unter den EuroCom-Projekten dem EuroComGerm-Projekt eine entsprechend große Bedeutung beigemessen wird, wird Letzteres im Folgenden auch detaillierter vorgestellt.

EuroComGerm ist dem übergeordneten Ziel des EuroCom-Konzeptes ver-pflichtet und zielt auf die Förderung der Verstehensfähigkeit, d.h. der Inter-komprehension in germanischen Sprachen ab. Zur Förderung wurde eine ge-meinsame Methode, das Verfahren der „Sieben Siebe“ entwickelt, „das es er-laubt, Sprachverwandtschaften zu erkennen und für das Lernen bzw. Verstehen verschiedener Sprachen zu nutzen“ (Krumm 2010a: 73). Das EuroComGerm-Projekt soll den Sprechern germanischer Sprachen ermöglichen, an Texte in weiteren germanischen Sprachen, in denen sie mit Hilfe der Brückensprachen Deutsch und Englisch viel Bekanntes entdecken können, heranzugehen, diese zu erschließen und zu verstehen (Hufeisen/Marx 2007: 4ff. und 2014: 8f.). Das Projekt stellt auch das Lesen als rezeptive Fertigkeit und die Aneignung von rezeptiven Kompetenzen beim Lesen in den Mittelpunkt und betrachtet die

zwischen den Sprachen bestehenden Ähnlichkeiten als Ressource bzw. als Grundlage beim Verstehen (Hufeisen/Marx 2007: 3ff. und 2014: 5ff.).

Um den Sinn von Texten erfassen zu können und sie zu verstehen, werden beim Lesen verschiedene Strategien eingesetzt. Besonders wichtig sind Text-erschließungsstrategien, wenn man einen Text in einer unbekannten Sprache liest (Ehlers 1998; Bimmel 2002; Feld-Knapp 2005; Lutjeharms 2010a). Beim ersten Lesen in einer unbekannten Sprache können Zahlen, Orts- oder Per-sonennamen, Bilder und Diagramme normalerweise mühelos oder mit mini-malem Aufwand rezipiert werden. Weitere Informationen und der Gesamt-sinn des Textes werden durch eine Art Kehrarbeit, durch das sogenannte

„Sieben“

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erkennbar und zugänglich (Hufeisen/Marx 2007 und 2014). Die Siebe ermöglichen, an einen Text heranzugehen und dessen Inhalt zu er-schließen: „Jedes einzelne Sieb verhilft dem Lernenden einen Schritt weiter Richtung Textverständnis“ (Hufeisen/Marx 2007: 6 und 2014: 9). Die sieben Siebe, die zum optimierten Texterschließen verwendet werden, bezeichnen die einzelnen Ebenen des Sprachsystems, welches von der phonetisch–phono-logischen bis hin zur textuellen Ebene umfasst wird, und stellen die sieben Transferbereiche beim Erschließen dar. Der Text soll also auf sieben Ebenen erfasst werden können. Gemeinsamkeiten, die eine gute Basis für Transfer-möglichkeiten bieten, können zwischen den germanischen Sprachen tatsäch-lich auf jeder Ebene erfasst werden (Hufeisen/Marx 2007: 7ff. und 2014: 9ff.;

Boócz-Barna 2013a: 112f.).

Der Einsatz des Instrumentes der sieben Siebe erweist sich bei der För-derung der rezeptiven Mehrsprachigkeit von Sprachlernenden, die Deutsch als Muttersprache haben, mittlerweile als erfolgreich (Hufeisen/Marx 2007 und 2014). Für deutsche Muttersprachler dürfte es keine besonderen Schwierig-keiten bereiten, andere germanische Sprachen zu erschließen bzw. zu verstehen.

Nun stellt sich die Frage, ob sich dieses Instrumentarium auch in einem an-deren Kontext als erfolgreich erweist, in concreto: wenn die Ausgangssprache eine nichtgermanische Sprache ist, sondern etwa das (zur finnougrischen Sprachfamilie gehörende) Ungarische – Sprachlernende mit Ungarisch als Muttersprache haben nämlich bereits beim Lesenlernen in germanischen

1 Zur ausführlichen Darstellung der einzelnen Siebe in ihrer Bedeutung für die Förde-rung der individuellen Mehrsprachigkeit siehe Perge 2014a.

chen mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die überwiegend aus den Abweichungen der sprachlichen Strukturen der zu unterschiedlichen Sprach-familien gehörenden Sprachen resultieren.

Bei dem Ansatz der Interkomprehension steht also der Gedanke im Mit-telpunkt, die Gemeinsamkeiten genetisch verwandter Sprachen auf verschie-denen Ebenen des Sprachsystems gezielt als Lernerleichterung zu nutzen. Ein ähnliches Prinzip liegt auch der Tertiärsprachendidaktik zugrunde, in der beim Lernen einer L3 oder Ln auf vorher erworbene Sprachen zurückge-griffen wird (Reich/Krumm 2013: 82f.). Tertiärsprachendidaktik geht auf das Projekt DaFnE (=Deutsch als zweite Fremdsprache nach Englisch als erste Fremdsprache) des Grazer Europäischen Fremdsprachenzentrums zurück.

Dieses Konzept ist im Bereich Deutsch als Fremdsprache entstanden, nach-dem Deutsch immer häufiger erst als dritte oder weitere Fremdsprache nach Englisch gelernt wird, und setzte sich zum Ziel, Lernmaterialien für Lernende zusammenzustellen, die mit dem Deutschen nach dem Englischen anfangen (Hufeisen 2011: 268). Wie beim Forschungsgegenstand der Tertiärsprachen-forschung erläutert wurde (vgl. Abschnitt 3.3.2.2), wird darin von der Frage ausgegangen, wie die schon erworbenen Kompetenzen, Fremdsprachenlern-strategien und Sprachkenntnisse lernökonomisch genutzt werden können.

Während es bei der Interkomprehension um miteinander genetisch verwand-te Sprachen geht, fokussiert die Tertiärsprachendidaktik die Bezugnahme auf andere gelernte Sprachen, die nicht immer miteinander verwandt sind (Feld-Knapp 2014a: 22; Hufeisen/Lindemann 1998; Neuner 2003: 13ff.).

Den vierten didaktischen Ansatz stellt die Mehrsprachigkeitsdidaktik dar (ausführlich behandelt in Abschnitt 3.4). In Bezug auf die Mehrsprachig-keitsdidaktik ist es noch einmal hervorzuheben, dass sie sich im deutsch-sprachigen Raum etablierte, wobei es ihr nicht um die Reihenfolge gelernter Sprachen wie in der Tertiärsprachendidaktik geht, sondern um die im Klas-senraum vorhandene Mehrsprachigkeit, also um die Untersuchung von L1 und der Bildungssprache (Krumm 2010b: 208; Reich/Krumm 2013; Feld-Knapp 2014a: 22f.).

Der fünfte didaktische Ansatz zur Erweiterung der sprachlichen Hand-lungsfähigkeit in mehreren Sprachen ist das Integrierte Sachfach- und Spra-chenlernen (anders bilingualer Sachfachunterricht, englisch auch als CLIL / Content and Language Integrated Learning), das den Unterricht der Sprache

und des Sachfaches in den Mittelpunkt stellt. Die Fremdsprache ist dabei nicht nur Medium, sondern auch der Inhalt des Unterrichts (Feld-Knapp 2014a: 23).

Dadurch, dass Sachfächer in einer fremden Sprache unterrichtet werden, wer-den das sachliche bzw. fachliche und sprachliche Lernen miteinander verbun-den, also die sprachliche und die fachliche Kompetenz integrativ miteinander verknüpft (Wolff 1997b: 170).

All die vorher erläuterten didaktischen Ansätze haben bei der Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit eine hohe Relevanz: Sie können zur be-wussten Auseinandersetzung mit Sprachen, zur Bewusstmachung von Ähn-lichkeiten und Unterschieden bzw. zur Überwindung des monolingualen Konzeptes im Fremdsprachenunterricht beitragen.

3.5 Forschungsmethodologie in der