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Besonderheiten fremdsprachigen Lesens

3 Mehrsprachigkeit

4.3 Lesen im Kontext der Fremdsprache

4.3.2 Besonderheiten fremdsprachigen Lesens

Forschungen zum fremdsprachigen Lesen blicken auf eine relativ junge Ge-schichte zurück. In den 1970er und 1980er Jahren nahm das Forschungs-interesse in Bezug auf das Lesen in der Fremdsprache zu (Ehlers 1998: 110;

Weis 2000: 19). Im Bereich Deutsch als Fremdsprache soll exemplarisch auf die Arbeiten von Karcher (1988), Lutjeharms (1988, 2010a, 2010b), Westhoff (1987) und Ehlers (1998, 2010b) hingewiesen werden, die sich in den inter-nationalen Forschungskontext einordnen. Relevante Forschungen zum fremd-sprachigen Lesen im internationalen Kontext sind u.a. die von Clarke (1979, 1980), Carrell (1984, 1991), Oller (1972) und Clarke/Silberstein (1977).

Die fremdsprachliche Leseforschung war anfangs pädagogisch motiviert.

Die Lesepädagogik und die Leseforschung wurden vom psycholinguistischen Modell von Goodman (1967, 1971) und Smith (1971) bzw. von der von Good-man vertretenen Universalitätshypothese in hohem Maße geprägt. Diese Hypothese geht davon aus, dass Lesen in der Mutter- und Fremdsprache ein identischer Prozess ist, und fasst Lesen als eine sprachunabhängige, univer-selle Fähigkeit auf. Im Sinne dieser Hypothese müssten die von Lesenden verwendeten Lesestrategien in beiden Sprachen auch identisch sein. Empiri-sche Untersuchungen der 1970er und 1980er Jahre zum Lesen in der Zweit- und Fremdsprache haben diese Annahme in den Mittelpunkt ihrer Forschun-gen gestellt und untersuchten die Frage, ob das Lesen in der Fremdsprache in erster Linie auf Lesefähigkeiten in der Muttersprache beruht oder eher von der Sprachkompetenz in der Fremdsprache abhängt. Ausgehend von einer sprachunabhängigen und universellen Lesefähigkeit untersuchte also die fremdsprachliche Leseforschung erstens den Einfluss der in der Erstsprache erworbenen Lesefähigkeit und zweitens die Bedingungen des Transfers von zuerst erworbenen Lesefertigkeiten auf die Zweit- und Fremdsprache. Im Hinblick auf die Forschungsergebnisse wurde der Versuch unternommen, Schlussfolgerungen in Bezug auf den Zusammenhang zwischen der

mutter-sprachigen und fremdmutter-sprachigen Lesefähigkeit und der Fremdsprachenkom-petenz zu ziehen (Ehlers 1998: 110ff., Weis 2000).

Im Kontext der Untersuchungen zum fremdsprachigen Lesen ist einerseits die sprachliche Schwellenhypothese, andererseits die sprachliche Interdepen-denzhypothese zu erwähnen, die auf die fremdsprachliche Leseforschung einen bedeutenden Einfluss ausübten.

Laut der Schwellenhypothese ist Fremdsprachenkompetenz die entschei-dende Determinante fremdsprachigen Lesens. Durch die Untersuchungen von Clarke (1980) lässt sich das psycholinguistische Lesemodell von Good-man auch für das Lesen in der Fremdsprache bestätigen. Es wurde nachge-wiesen, dass der Transfer von Fertigkeiten möglich ist, da gute Leser in beiden Sprachen bessere Performanzen zeigten, aber die erworbene Sprachkompe-tenz hatte einen großen Einfluss auf das Lesen in der Fremdsprache. Gemäß der Schwellenhypothese gibt es „ein Schwellenniveau der Sprachkompetenz, das erreicht sein muß, damit ein guter Muttersprachenleser auch ein effektives Leseverhalten in der Fremdsprache zeigt“ (Ehlers 1998: 112). Die in der Erst-sprache erworbenen Lesefähigkeiten können also in der FremdErst-sprache erst nach der Beherrschung eines Mindestmaßes an fremdsprachlicher Kompe-tenz zur Anwendung kommen. Dies hat auch wichtige Konsequenzen in Bezug auf den Strategietransfer. Der Strategietransfer von der Mutter- auf die Fremdsprache setzt nämlich auch eine gewisse Sprachkompetenz voraus.

Wenn dieses Kompetenzniveau nicht erreicht wird, fällt der gute Leser auf ein Leseverhalten zurück, das unter dem Niveau seiner muttersprachigen Lese-fähigkeit liegt.

Insgesamt kann festgestellt werden, dass Lesen in der Fremdsprache so-wohl von der muttersprachigen Lesekompetenz, als auch von der Fremdspra-chenkompetenz beeinflusst wird. Die Wichtigkeit der beiden Variablen vari-iert aber in Abhängigkeit von der Lernumgebung, der Textschwierigkeit und dem Profizienzniveau (Ehlers 1998: 181).

Diametral zur Schwellenhypothese besagt die Interdependenzhypothese, dass das Lesen in der Fremdsprache vor allem auf Lesefähigkeiten in der Muttersprache beruht (Bernhardt 1991; Hudson 1982; Lee/Musumeci 1988).

In diesem Sinne lassen sich Lesefähigkeiten von der Mutter- auf die Fremd-sprache transferieren, wodurch fehlende Sprachkenntnisse ausgeglichen wer-den können. Demnach können gute muttersprachliche Leser auch in der

Fremdsprache gute Leser sein, da sie ihre Lesestrategien auf die Fremdsprache übertragen können. Muttersprachliche Lesefähigkeiten, Lesestrategien und metakognitive Fähigkeiten stellen in dieser Hinsicht die Obergrenze der Transfermöglichkeiten auf die Fremdsprache dar.

Die Beobachtungen von Hudson (1982) führen zu der Erkenntnis, dass beim Lesen in der Fremdsprache außer der Sprachkomponente das Hinter-grundwissen eine ebenso große Rolle spielt. Es wurde darauf hingewiesen, dass Leseprobleme mit Defiziten im Wissen und Wissensgebrauch zusam-menhängen. Es wurde bestätigt, dass mit steigender Lese- und Sprachpro-fizienz in der Fremdsprache zwar andere Lesestrategien der Wissensanwen-dung gebraucht werden, das fremdsprachige Lesen aber von der in der Erstsprache erworbenen Lesefähigkeit abhängt (Ehlers 1998: 115f.; Biebricher 2008: 33).

Die Annahme, dass schlechtes Leseverhalten in der Fremdsprache mit schlechten Lesefähigkeiten in der Muttersprache und mit fehlendem Transfer im Zusammenhang stehen, ist auf Forschungsergebnisse der Bilingualismus-forschung zurückzuführen. Die von Cummins (1979, 1991) entwickelte Inter-dependenzhypothese dient als Grundlage zur Erklärung unterschiedlicher Effekte beim Lesenlernen in der bilingualen Erziehung, „die mit sozialen und sprachlichen Faktoren sowie der Erziehungsumgebung zusammenhängen“

(Ehlers 1998: 117). Aus den Untersuchungen von Cummins ging hervor, dass es beim Lesen eine kognitive Profizienz, d.h. ein mit Wörtern verbundenes konzeptuelles Wissen gibt. Diese kognitive Profizienz liegt der Lesefähigkeit in allen Sprachen zugrunde und ermöglicht neben anderen Einflussfaktoren den Transfer der Lesefähigkeit. Die konzeptuelle Grundlage, die im Falle von Kindern aus höheren sozialen Schichten bereits im Elternhaus entwickelt wird, ermöglicht das Lesenlernen und die Erweiterung bzw. Ausdifferen-zierung der Konzepte. Außerdem wird in der sprachlichen Umgebung der Erwerb sprachlichen Wissens gefördert, das in schulischen Leseerwerbs-situationen mitgebracht werden kann und das beim Lesenlernen in der Fremdsprache als Voraussetzung fungiert. Demgegenüber stehen in der sprachlich–kognitiven Entwicklung benachteiligten Kindern aus sozial unter-privilegierten Schichten beim Lesenlernen in der Fremdsprache solche Kon-zepte nicht zur Verfügung. Die von Cummins angenommenen Voraussetzun-gen für den Transfer können sich bei diesen Kindern nicht entwickeln. Eine

konzeptuelle Basis ist also unentbehrlich für den Leseerwerb. Bei Transfer-leistungen sind einerseits die in der Muttersprache erworbene Lesefähigkeit und Schriftlichkeit, andererseits der Leseerwerb mit vertrauten kulturellen Konzepten der Ausgangssprache und -kultur von hoher Relevanz (Ehlers 1998: 117f.; Verhoeven 1990; Cummins 1991).

Die fremdsprachliche Leseforschung geht also in der Regel von einer sprachunabhängigen, universellen Lesefähigkeit aus. Im Unterschied zu die-ser Universalitätshypothese wird auch eine andere Richtung vertreten, die davon ausgeht, dass „beim fremdsprachigen Lesen fremdsprachenspezifische Prozesse zur Anwendung kommen“ (Ehlers 1998: 181). Das fremdsprachige Leseverhalten wird auf diese Weise durch das Verhältnis von Ausgangs- und Zielsprache und ihren linguistischen Merkmalen bestimmt. Der fremdspra-chige Leser braucht daher sprachspezifische Lesestrategien, weil in beiden Sprachen unterschiedliche Verarbeitungsstrategien angewendet werden.