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László HORVÁTH und Ilona FELD-KNAPP C.M.

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Academic year: 2022

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LEHRER-DENKEN – LEHRER-WISSEN

CATHEDRA MAGISTRORUM ∙ 2018

(5)

Begründet von der Lehrerakademie

CATHEDRA MAGISTRORUM

des Eötvös-József-Collegiums

Herausgeber der Reihe

László HORVÁTH und Ilona FELD-KNAPP C.M.

Sonderreihe B: Monographien Band 1

Gabriella Perge

REZEPTIVE MEHRSPRACHIGKEIT

EINE STUDIE ZUR UNTERSUCHUNG DER ENTWICKLUNG DER INDIVIDUELLEN MEHRSPRACHIGKEIT IM INSTITUTIONELLEN

FREMDSPRACHENUNTERRICHT IN UNGARN

Schriftleitung und Layout: Balázs SÁRA

Wissenschaftlicher Beirat

Katalin BOÓCZ-BARNA ∙ Sabine DENGSCHERZ ∙İnciDIRIM ∙ MarionDÖLL

Dóra FAIX ∙ Gabriele GRAEFEN ∙ László HORVÁTH ∙ Krisztina KÁROLY

Ilona FELD-KNAPP ∙ Hans-Jürgen KRUMM ∙ Erwin P.TSCHIRNER

Eötvös-József-Collegium

Budapest · 2018

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Rezeptive Mehrsprachigkeit

Eine Studie zur Untersuchung der Entwicklung der individuellen Mehrsprachigkeit im institutionellen

Fremdsprachenunterricht in Ungarn

von

Gabriella Perge

Eötvös-József-Collegium

Budapest · 2018

(7)

Österreichische Kulturforum Budapest unterstützt.

A kiadvány

Az Oktatási Hivatal által nyilvántartott szakkollégiumok támogatása című pályázat (NTP-SZKOLL-18-0012) keretében valósult meg.

© Eötvös-József-Collegium und die Verfasserin, 2018 Alle Rechte vorbehalten

Verantwortlicher Herausgeber:

Dr. László Horváth

Direktor des ELTE Eötvös-József-Collegiums Anschrift:

ELTE Eötvös-József-Collegium H– Budapest, Ménesi út –

ISBN 978-615-5897-15-3

HU ISSN 2063-837X

Druck:

CC Printing Szolgáltató Kft.

1118 Budapest, Rétköz u. 55/A, EG. 4 Gesetzlicher Vertreter: Ilona Szendy

(8)

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

. . . 11

2 Lernen und Fremdsprachenlernen

. . . 16

2.1 Lernen als Forschungsgegenstand . . . 16

2.2 Lernen im Kontext der Sprachentwicklung . . . 19

2.2.1 Lernen–Erwerben-Dichotomie . . . 20

2.2.2 Hypothesen zum Spracherwerb . . . 21

2.3 Zur Problematik der Bezeichnung der Sprachen in der Sprachentwicklung . . . 24

3 Mehrsprachigkeit

. . . 27

3.1 Definition, Abgrenzung . . . 27

3.2 Mehrsprachigkeitsforschung und -didaktik . . . 32

3.2.1 Mehrsprachigkeit als Forschungsgegenstand . . . 32

3.2.2 Etablierung der Spracherwerbsforschung . . . 34

3.3 Erforschung der kognitiven und neuronalen Grundlagen der Mehrsprachigkeit . . . 40

3.3.1 Mentale Repräsentation der Sprachen im Gehirn . . . . 41

3.3.2 Das mehrsprachige mentale Lexikon . . . 42

3.3.3 Ertrag der Mehrsprachigkeitsforschung . . . 44

3.4 Mehrsprachigkeit in der Fremdsprachendidaktik . . . . 45

3.4.1 Mehrsprachigkeit in der Lehrerforschung . . . 50

3.4.2 Didaktische Ansätze zur Förderung sprachlicher Handlungsfähigkeit in mehreren Sprachen . . . 52

3.5 Forschungsmethodologie in der Mehrsprachigkeitsforschung . . . 58

(9)

4.1 Lesen: Definition, Abgrenzung . . . 61

4.2 Lesen im Kontext der Erstsprache . . . 65

4.3 Lesen im Kontext der Fremdsprache . . . 73

4.3.1 Verstehensprozess beim Lesen in der Fremdsprache . . . 74

4.3.2 Besonderheiten fremdsprachigen Lesens . . . 75

4.3.3 Lesen als Lernprozess . . . 78

4.4 Lesekompetenz . . . 80

4.4.1 Die Beschreibung der Lesekompetenz . . . 81

4.4.2 Lesestrategien . . . 88

4.5 Lesen als Forschungsgegenstand . . . 93

4.5.1 Lesen in der psycholinguistischen und pädagogischen Forschung . . . 95

4.5.2 Lesen in der neurologischen Forschung . . . 97

4.5.3 Lesen in der kognitionspsychologischen Forschung . . . 98

4.5.4 Weitere Ausprägungen der Leseforschung . . . 103

5 Der Text

. . . 107

5.1 Der Text als Forschungsgegenstand . . . 107

5.2 Textbeschreibung . . . 111

5.3 Textverarbeitung . . . 115

5.4 Textanalyse . . . 118

6 Besonderheiten der rezeptiven individuellen Mehrsprachigkeit bei Lernenden mit L1 Ungarisch

. . . 122

6.1 Ziele, Fragen und Hypothesen der Forschung . . . 122

6.2 Forschungsgegenstand und Datenerhebung – Kriterien der Textauswahl . . . 124

6.3 Forschungsmethoden . . . 126

(10)

6.3.2 Text in der Textverarbeitung . . . 128

6.3.3 Der verstandene Text . . . 130

6.3.4 Reflexion über den Verstehensprozess in mehreren Sprachen . . . 130

6.4 Probandensicht . . . 132

6.5 Datenanalyse . . . 133

6.5.1 Themenbereich ‚Bildungssysteme‘ . . . 134

6.5.1.1 Texte . . . 134

6.5.1.2 Der Textverarbeitungsprozess . . . 146

6.5.1.3 Das Textverständnis . . . 153

6.5.1.4 Die Handlungsfähigkeit in mehreren Sprachen . . . 154

6.5.2 Themenbereich ‚Schulfächer‘ . . . 155

6.5.2.1 Texte . . . 155

6.5.2.2 Der Textverarbeitungsprozess . . . 167

6.5.2.3 Das Textverständnis . . . 177

6.5.2.4 Die Handlungsfähigkeit in mehreren Sprachen . . . 178

6.6 Forschungsergebnisse in ihrer Bedeutung für die individuelle Mehrsprachigkeit . . . 180

6.6.1 Textuelle Funktion der sprachlichen Mittel für die Bezugnahme auf die Themawörter . . . 181

6.6.2 Textuelle Funktion der sprachlichen Mittel für die Konnexion . . . 186

6.6.3 Realisierung der Sprachhandlungen aus der Rezipientenperspektive . . . 192

6.6.4 Der Beitrag der Sprachhandlungen zum Textverstehen . . . 198

7 Zur Erforschung der individuellen Mehrsprachigkeit von Sprachlernenden mit L1 Ungarisch. Fazit

. . . 207

8 Ausblick

. . . 211

(11)

Anhang

. . . 249 1 Leitfaden zum reflektierten Interview . . . 249 2 Fragebogen zur Reflexion des eigenen

Verstehensprozesses . . . 252

Danksagung

Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete und ergänzte Fassung mei- ner Dissertation, die von Frau Dr. Ilona Feld-Knapp betreut und 2017 an der Eötvös-Loránd-Universität Budapest verteidigt wurde.

An dieser Stelle möchte ich mich bei Frau Dr. Ilona Feld-Knapp für ihre ununterbrochene fachliche und menschliche Unterstützung bei der Ent- stehung dieser Arbeit, für ihre wertvollen Anregungen und für unsere initiierenden Gespräche herzlichst bedanken.

Ohne diese Gespräche, Frau Feld-Knapps Gedanken, Inspirationen und ständige Ermutigung hätte diese Arbeit in dieser Form nicht zustande kommen können.

Allen, die zur Entstehung dieses Buches einen Beitrag geleistet haben, gilt mein aufrichtiger Dank.

Budapest, im Dezember 2018

Gabriella Perge

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1 Einleitung

Die Erforschung der Besonderheiten der individuellen Mehrsprachigkeit lässt viele Herangehensweisen zu. Die vorliegende Arbeit stellt die Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit in den Fokus und fügt sich dadurch in die Fachdiskussion über die Relevanz individueller Mehrsprachigkeit auf euro- päischer Ebene ein. Die Arbeit beschränkt sich auf den rezeptiven schrift- lichen Bereich.

Die vorliegende Abhandlung wurde durch die Analyse der gegenwärtigen bildungs- und sprachenpolitischen Situation angeregt, wozu festzustellen ist, dass der Förderung der Mehrsprachigkeit der Lernenden heute in Ungarn auf der bildungspolitischen Ebene große Bedeutung zugeschrieben wird. Für die erfolgreiche Umsetzung dieser Ziele sind empirische Arbeiten notwendig, die das komplexe Phänomen der Mehrsprachigkeit spezifisch im ungarischen Kontext untersuchen und neue Ergebnisse erbringen. Die vorliegende Unter- suchung fokussiert die Erforschung der individuellen Mehrsprachigkeit im rezeptiven Bereich.

Rezeptive Mehrsprachigkeit beinhaltet eine spezifische Sprachhandlungs- fähigkeit, die für den Bildungserfolg und für das erfolgreiche Agieren in der Wissensgesellschaft eine unabdingbare Voraussetzung bedeutet. Die Förde- rung der sprachlichen Handlungsfähigkeit ist eine vorrangige Zielsetzung im Fremdsprachenunterricht (FSU), in dem seit der pragmatischen Wende Spra- che als soziales Handeln betrachtet wird. Die individuelle Sprachhandlungs- fähigkeit wird in dieser Arbeit im Kontext der Mehrsprachigkeit behandelt.

Mit den Fragestellungen der Entwicklung und der Förderung der indi- viduellen Mehrsprachigkeit befassen sich zahlreiche Wissenschaften in unter- schiedlichen Annäherungen. Die vorliegende Arbeit knüpft an diese vorhan- denen Forschungen an und untersucht die Besonderheiten bzw. die spezifi- schen Merkmale der sprachlichen Handlungsfähigkeit von Sprachlernenden mit L1 Ungarisch in mehreren Sprachen im rezeptiven Bereich.

(13)

Um die Besonderheiten der sprachlichen Handlungsfähigkeit in mehre- ren Sprachen erforschen zu können, sind vor allem Erkenntnisse und For- schungsergebnisse der Lernpsychologie, der Spracherwerbsforschung, der Mehrsprachigkeitsforschung, der Leseforschung und der Textlinguistik von hoher Relevanz. Dementsprechend gliedert sich die Arbeit in vier theoreti- sche Kapitel, in denen die empirische Forschung theoretisch begründet und eingebettet wird.

Da die sprachliche Handlungsfähigkeit von Lernenden im Kontext des institutionellen Fremdsprachenunterrichts untersucht wird, stehen im Mittel- punkt des ersten theoretischen Kapitels das Lernen und das Fremdsprachen- lernen, wobei zunächst Lernen als Forschungsgegenstand unterschiedlicher Disziplinen unter die Lupe genommen wird. Lernen wird außerdem im Kon- text der Sprachentwicklung behandelt, außerdem soll im Zusammenhang mit der Sprachentwicklung auch die Problematik der Bezeichnungen der Spra- chen je nach Erwerbsreihenfolge und -bedingungen analysiert werden.

Das zweite theoretische Kapitel widmet sich dem Thema der Mehrspra- chigkeit, dem zentralen Gegenstand der Arbeit. Nach einem Überblick über die Definitionsmöglichkeiten von Mehrsprachigkeit werden die Forschungs- kontexte, in denen Mehrsprachigkeit untersucht wird, kurz umrissen. Für die Arbeit sind Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung von hoher Relevanz, daher widmet sich ein Teil des Kapitels der Etablierung der Spracherwerbs- forschung, anschließend wird die Erforschung der kognitiven und neurona- len Grundlagen der Mehrsprachigkeit in den Mittelpunkt gestellt.

Mehrsprachigkeit wird zudem im Kontext der Fremdsprachendidaktik behandelt, wobei die im Bereich der Lehrerforschung gewonnenen For- schungsergebnisse zur Mehrsprachigkeit sowie internationale didaktische Ansätze zur Erweiterung der sprachlichen Handlungsfähigkeit in ihrer Be- deutung für die Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit im ungari- schen institutionellen Fremdsprachenunterricht dargestellt werden. Das Ka- pitel endet mit einer Auseinandersetzung mit forschungsmethodologischen Fragestellungen in der Mehrsprachigkeitsforschung.

Das nächste Kapitel fokussiert das Thema Lesen bzw. die Erkenntnisse der Leseforschung. Nach der Definierung und Abgrenzung von Lesen als Deko- dierung und Sprachhandlung steht die Auseinandersetzung mit dem Lesen im Kontext der Erst- bzw. in der Fremdsprache und mit deren spezifischen

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Zügen im Mittelpunkt. Einen weiteren Schwerpunkt des Kapitels stellen zum einen Beschreibung und unterschiedliche Modellierungen der Lesekompe- tenz, zum anderen die Behandlung der Lesestrategien dar. Darüber hinaus werden Erkenntnisse der Disziplinen überblickt, in denen Lesen als For- schungsgegenstand wissenschaftlich erforscht wird.

Da den Forschungsgegenstand der empirischen Forschung der Text dar- stellt, wird im letzten theoretischen Kapitel der Text als Forschungsgegen- stand unterschiedlicher Diszpilinen behandelt. Außerdem werden Textbe- schreibungsmodelle und für die vorliegende Arbeit relevante Textanalyse- verfahren bzw. wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über den Prozess und die Modellierung der Textverarbeitung in den Mittelpunkt gestellt.

Nach der theoretischen Grundlegung werden im als Kernstück der Arbeit zu betrachtenden sechsten Kapitel die von mir durchgeführte fremdsprachen- didaktisch angelegte empirische Forschung zu den Besonderheiten der rezep- tiven individuellen Mehrsprachigkeit von Lernenden mit L1 Ungarisch und deren Ergebnisse in ihrer Bedeutung für die individuelle Mehrsprachigkeit vorgestellt.

Die Forschung setzte sich zum Ziel, die spezifischen Merkmale der sprachlichen Handlungsfähigkeit von Sprachlernenden mit der L1 Ungarisch im rezeptiven Bereich in mehreren Sprachen zu untersuchen. Im Rahmen der Forschung wurde der Frage nachgegangen, über welche Besonderheiten die sprachliche Handlungsfähigkeit von Lernenden in den drei untersuchten Sprachen (L1 Ungarisch, L2 und L3 Deutsch bzw. Englisch) verfügt und wie sich die rezeptive Mehrsprachigkeit der Rezipienten äußert.

Dabei wird davon ausgegangen, dass Textverstehen eine einzelsprachspe- zifische sprachliche und eine sprachenunabhängige kognitive Arbeit voraus- setzt. Es wird angenommen, dass Textverstehen eine sprachenunabhängige, zwischen den Sprachen transferierbare kognitive Fähigkeit ist und dass Unter- schiede zwischen den Sprachen in der sprachlichen Realisierung der Inhalte bestehen. Die sprachenspezifischen Besonderheiten der sprachlichen Arbeit ergeben sich aus den etymologischen, sprachtypologischen und sprachstruk- turellen Unterschieden zwischen den Sprachen, die zu unterschiedlichen Sprachfamilien gehören. Außerdem wird angenommen, dass Lernende mit L1 Ungarisch bei der Ausführung ihrer sprachlichen Handlungen (in diesem Fall beim Lesen von Texten in germanischen Sprachen) wegen der sprachenspe-

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zifischen Besonderheiten und der zwischen den Sprachen bestehenden Un- terschiede eine andere kognitive Leistung erbringen müssen.

Den Forschungsgegenstand der empirischen Untersuchung stellen Texte dar, auf die sich die Datenerhebung bezieht. Die in die Forschung einbezo- genen Texte wurden nach den Kriterien des Sprachniveaus, des Themen- bereichs, der Textlänge und der Textsorte ausgewählt. Die Texte wurden aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht, die sich als eine Einheit betrach- ten lassen.

Erstens wird der jeweilige Text als statisches Objekt behandelt und einer textlinguistischen Analyse unterzogen. Exemplarische Textbeispiele der Text- sorte Bericht wurden in den drei Sprachen Ungarisch, Deutsch und Englisch mit textlinguistischen Mitteln aus der Forscherperspektive analysiert, um die Texte transparent zu machen und die textuelle Funktion der textgrammati- schen Mittel, die als Indikatoren für Textverarbeitungsprozesse fungieren, auf der Ebene der Textkohäsion zu ermitteln.

Zweitens wird der jeweilige Text im Prozess der Verarbeitung untersucht, wobei die mentalen, nicht sichtbaren kognitiven Prozesse der Textverarbei- tung der Probanden in mehreren Sprachen im Rahmen eines reflektierten Interviews erfasst bzw. beschrieben wurden. Der Text wurde bei der Verarbei- tung aus der Perspektive der Rezipienten untersucht, die zu ihrer Sprach- handlung gezielt befragt wurden. Das Ziel der Befragung war zu ermitteln, ob die Rezipienten auch die aus der Forscherperspektive bestimmten sprach- lichen Mittel im Leseprozess wahrnehmen und von diesen gelenkt werden.

Drittens steht der verstandene Text im Mittelpunkt, wobei der individuelle Prozess des Textverstehens objektiv überprüft wurde. Das Textverstehen wur- de mittels verstehenssichernder und verstehenskontrollierender Fragen un- terstützt, um das Verstehen zu optimieren. Außerdem wurde der Verstehens- prozess von den Probanden aus ihrer subjektiven Sicht durch einen Frage- bogen reflektiert. Dabei haben sich die Probanden zu den Schwierigkeiten bei der Ausführung ihrer sprachlichen Handlungen in den drei Sprachen, zum Umgang mit dem Transfer zwischen den Sprachen und zu ihrem strategi- schen Leseverhalten geäußert.

Die durch die Forschung gewonnenen Ergebnisse werden sowohl quali- tativ, als auch quantitativ ausgewertet. Die Ergebnisse der Textanalyse, der Be- fragung zur Sprachhandlung und der Textverständniskontrolle werden quali-

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tativ gedeutet. Die aus den Fragebögen zur Reflexion des eigenen Verstehens- prozesses gewonnenen Ergebnisse wurden einer computergestützten quanti- tativen Datenanalyse mit dem SPSS-Programm unterzogen.

Nach der Darstellung der Datenanalyse, die aus Platzgründen lediglich die exemplarische Vorstellung von zwei kompletten Analysen umfasst, werden die Forschungsergebnisse in ihrer Bedeutung für die individuelle Mehrspra- chigkeit vorgestellt. Bei der Vorstellung steht der Handlungscharakter bzw. die Handlungsqualität der Sprache im Mittelpunkt. Aufgrund der Forschungs- ergebnisse lassen sich die Qualität und die Besonderheiten der sprachlichen Handlungsfähigkeit der Probanden feststellen. Bei der Erfassung der Beson- derheiten der sprachlichen Handlungsfähigkeit wird zum einen die textuelle Funktion der sprachlichen Mittel für die Bezugnahme auf die Themawörter als Sprachhandlung und zum anderen die textuelle Funktion der sprachlichen Mittel für die Konnexion aus der Forscherperspektive berücksichtigt. Dar- über hinaus werden die Realisierung der Sprachhandlung aus der Rezipi- entenperspektive und der Beitrag der Sprachhandlungen zum Textverstehen vorgestellt.

Die Arbeit endet mit einem Fazit und einem Ausblick, in dem die For- schungsergebnisse in ihrer Bedeutung für die Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit im institutionellen Fremdsprachenunterricht im ungari- schen Kontext umrissen werden.

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2 Lernen und Fremdsprachenlernen

2.1 Lernen als Forschungsgegenstand

Lernen ist ein Begriff, der in vielen Kontexten verwendet und in verschiede- nen Wissenschaften von unterschiedlichen Aspekten her erforscht wird. Der Lernbegriff wird einerseits in einer alltäglichen, andererseits in einer wissen- schaftlichen Bedeutung verwendet.

Im alltäglichen Gebrauch wird unter Lernen eine Art Informationsauf- nahme, Informationserwerb und die Anpassung des neu Gelernten an das Vorhandene verstanden. Die Wissenschaften haben sich von diesen „naiven“

Vorstellungen vom Lernen abgewandt und haben ihre eigenen Fragestellun- gen in Bezug auf die Untersuchung des Lernens entwickelt (Nahalka 2003:

104). Laut einer weit verbreiteten wissenschaftlichen Definition ist Lernen

„ein Prozess der Veränderung von Wissen, Einstellungen, Werten, Fertigkei- ten oder Verhalten aufgrund von Erfahrung“ (Tschirner 2010: 190) und bil- det im Sinne dieser Deutung den Forschungsgegenstand verschiedener Dis- ziplinen.

An erster Stelle ist die Kognitionswissenschaft zu erwähnen, die sich mit dem menschlichen Erkennen und dem Lernen beschäftigt. Die Kognitions- wissenschaft gilt seit den 1980er Jahren als eine integrative Wissenschaft, die verschiedene Wissenschaften mit dem Forschungsinteresse, den menschli- chen Geist und die menschliche Kognition zu untersuchen, verbindet. Den Gegenstand der Kognitionswissenschaft bildet daher „die Analyse der kogni- tiven Systeme des Menschen und anderer Lebewesen sowie ähnlicher maschi- neller Systeme“ (Wolff 2002a: 19). Die Kognitionswissenschaft versucht durch die Untersuchung der Kognition zu verstehen, wie Wahrnehmung, Lernen, Denken und Urteilen im menschlichen Geist funktionieren. Bei der Beschrei- bung kognitiver Systeme werden die Dimensionen der Tektonik (Aufbau des Systems), der Dynamik (Funktionsweise des Systems) und der Genetik (Ent- stehung und Veränderbarkeit des Systems) unterschieden. In Bezug auf die

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Erforschung des Lernens hat die Genetik eine wichtige Rolle, in deren Rah- men untersucht wird, wie sich das kognitive System Wissen aneignet, d.h. wie das Lernen erfolgt. Lernen steht also im Mittelpunkt genetischer Fragestel- lungen in der Kognitionswissenschaft (Wolff 2002a: 21ff.).

Die kognitive Psychologie ist eine kognitionswissenschaftliche Teildiszip- lin und beschäftigt sich damit, „wie Menschen Information verarbeiten und in ihrem Gedächtnis verankern“ (ebd., S. 35). Im Rahmen von Theorien der kognitiven Psychologie werden komplexe Lernprozesse untersucht, wobei Lernen als ein Prozess der Informationsverarbeitung betrachtet wird. In der kognitiven Psychologie wird der Frage nachgegangen, wie der Mensch lernt und wie der Lernprozess modelliert werden kann (ebd., S. 65ff.).

Über die Kognitionswissenschaft hinaus beschäftigt sich u.a. die Gehirn- forschung als ein Teilgebiet der Neurowissenschaften mit dem Lernen. Dieser Wissenschaftszweig stellt die Fragen in den Mittelpunkt, wie das menschliche Gehirn aufgebaut ist und wie es funktioniert. Im Kontext des Fremdspra- chenlernens untersucht die Gehirnforschung, welche mentalen Prozesse der Sprachverarbeitung zugrunde liegen, inwiefern sich Prozesse des Erst-, Zweit- und Fremdspracherwerbs unterscheiden und welchen Einfluss diese Prozesse auf das Fremdsprachenlernen haben (Barkowski/Zippel 2010: 98f.).

Der Lernprozess ist auch Gegenstand der Erziehungswissenschaft, die Bildungs- und Erziehungsprozesse erforscht. Das Forschungsinteresse der Erziehungswissenschaft erstreckt sich auf die Ziele, den Verlauf und die Ergebnisse des Lernprozesses. Sie untersucht außerdem die institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen die Erziehung und das Lernen stattfinden bzw. die am Lehr- und Lernprozess beteiligten Lehrpersonen und Lernenden.

Seit einer langen Zeit setzt sich die Erziehungswissenschaft die Erziehung der Jugendlichen zur Handlungsfähigkeit und zur Selbstbestimmung zum Ziel.

Diese Wissenschaft beschäftigt sich also mit dem Lernprozess, mit Fragen der Erziehung und der Bildung, mit Methoden des Lernens und mit dem Zusam- menhang der Schule und der Gesellschaft (Meyer 2007: 43ff.).

Lernen ist einer der didaktisch–methodischen Gegenstände des Faches Deutsch als Fremdsprache. Mit der Erforschung von Lernen und Lehren fremder Sprachen unter institutionellen Rahmenbedingungen befasst sich die Fremdsprachendidaktik, die auf die Erforschung, Erklärung und Optimie- rung von Lehr- und Lernprozessen abzielt. Fremdsprachendidaktik

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fungiert als eine Theorie vom Lehren und Lernen fremder Sprachen in ihren unterschiedlichen Dimensionen und Faktoren, als eine Bildungstheorie, die die gesellschaftlichen, kulturellen und sprachlichen Rahmenbedingungen und Zielsetzungen des Fremdsprachenlernens analysiert und entwirft. (Feld- Knapp 2014c: 37)

Die Fragestellungen der Fremdsprachendidaktik, die sich u.a. für die Förde- rung der Mehrsprachigkeit im institutionellen Fremdsprachenunterricht en- gagiert (Feld-Knapp 2012 und 2014c), sind für die vorliegende Arbeit von ho- her Relevanz.

Im Kontext des Fremdsprachenlernens ist die Lernpsychologie eine Wis- senschaft, deren Erkenntnisse über die Vorgänge des Lernens von großer Be- deutung sind. Lernpsychologie fungiert als Psychologie der Lehr- und Lern- methoden, indem sie Lernprozesse analysiert und Erkenntnisse über den Erwerb und die Veränderungen von psychischen Vorgängen und Repräsenta- tionen liefert (Schönpflug 2007: 49f.). Die lernpsychologischen Forschungs- ergebnisse geben Anstöße für die Lerntheorien, die die Beschreibung, Erklä- rung und Prognose von Lernen anstreben (Königs 2010c: 195).

Die wichtigsten Lerntheorien mit unterschiedlichen Konzepten und Mo- dellen vom Lernen bzw. vom Lernprozess sind die behavioristische (Mitchian 2010; Edmondson/House 2011), die kognitive (House 1998; Zimmermann 1998; Börner 1998; Krumm 1998), die konstruktivistische (Wolff 1996, 1997a, 2000 und 2002a; Müller 1996) und die konnektionistische Lerntheorie (Schmidt 2010; Schönpflug 2007).

Dem Sprachen- und Fremdsprachenlernen im institutionalisierten Fremd- sprachenunterricht liegen heutzutage die konstruktivistischen und konnek- tionistischen Gedanken zugrunde. Dabei gilt Konstruktion einerseits als Grundprinzip der Sprachverarbeitung und des Sprachenlernens, andererseits als fremdsprachendidaktisches Konzept. Der Unterricht moderner Fremd- sprachen lässt sich im Rahmen eines konstruktivistischen Paradigmas gestal- ten, das davon ausgeht, dass Sprachenlernen und Sprachgebrauch Konstruk- tionsprozesse darstellen (Wolff 2000: 91ff. und 2002a: 339ff.). Dementspre- chend bedeutet Sprachenlernen den Erwerb von individuellen, komplexen mentalen Prozessen, von kooperativen Prozessen des gemeinsamen Bedeu- tungskonstruierens und den von sprachlichen Mitteln in konkreten, authenti- schen Situationen (Wolff 2002a: 341f.). Aus den Überlegungen der konstrukti-

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vistischen Lerntheorie leitet sich vor allem das Konzept der Lernerautonomie ab, das für die Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit von hoher Relevanz ist. Mehrsprachigkeit setzt nämlich ein autonomes und strategisches Verhalten beim Lernen voraus. Im autonomen Lernprozess kommen der Eigenverantwortung, der Selbstorganisation, dem bewussten bzw. reflektier- ten Umgang mit Strategien und dem Strategietransfer eine große Bedeutung zu (Feld-Knapp 2010a: 21 und 2011a; Rampillon 2006; Vollmer 1998; Wolff 1994: 426f. und 2007). Strategien werden in einem lernerorientierten bzw.

autonomiefördernden Fremdsprachenunterricht als Kernkomponente ange- sehen. Lernenden soll ein breites Spektrum an Strategien zur Verfügung ge- stellt werden, um die für sie geeignetesten, ihren sprachlichen Handlungs- zielen und ihren individuellen Lernstilen entsprechenden selbstständig aus- wählen zu können. Bei der Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit sind die auf der kognitiven und metakognitiven Ebene eingesetzten Sprach- lern-, und Sprachgebrauchsstrategien gleichermaßen von hoher Relevanz (Feld-Knapp 2005 und 2010a; Tönshoff 2007; Bimmel 2012; Schramm 2014).

Die Rolle der Strategien und des Strategietransfers wird im Kontext des Lesens in Abschnitt 4.4.2 ausführlich behandelt.

Für die vorliegende Arbeit sind über die Erkenntnisse der konstrukti- vistischen Lerntheorie hinaus die Erkenntnisse des konnektionistischen An- satzes besonders relevant. Der Auffassung vom Lernen mehrerer Sprachen liegt nämlich das Konzept der Verknüpfung neuronaler Verbindungen zu- grunde, nach dem sprachliche Handlungsfähigkeit sich als Ergebnis der Ver- netzung eines neuronalen Netzwerks betrachten lässt, wobei das Wissen über diese neuronalen Architekturen in kognitive Modelle eingebunden wird (Schmidt 2010: 813ff.) und die Wissenselemente nicht voneinander isoliert behandelt werden. Die neuronalen Verbindungen ermöglichen außerdem den Transfer, also die Übertragung des Gelernten auf neue Situationen (Keß- ler 2010: 164; Schönpflug 2007: 51f.).

2.2 Lernen im Kontext der Sprachentwicklung

Nach dem Überblick über die Wissenschaften, die in ihren Forschungen das Lernen und den Lernprozess erforschen, wird das Lernen in diesem Kapitel im Kontext der Sprachentwicklung untersucht. Die Sprachentwicklung von

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Individuen kann sich auf zwei Wegen vollziehen. In der Psycholinguistik und in der Spracherwerbsforschung wird in Bezug auf den Kontext der Sprach- entwicklung ein Unterschied zwischen dem Spracherwerb und dem Spra- chenlernen gemacht (Hufeisen/Riemer 2010: 738). In den 1950er und 1960er Jahren verstärkte sich das Forschungsinteresse einerseits an der Erforschung des Erwerbs von (Fremd-)Sprachen außerhalb des Unterrichts, andererseits geriet die Beschäftigung mit dem Lernen von Fremdsprachen unter institutio- nellen Bedingungen in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Forschungen. Die Untersuchung dieser Fragen wurde durch den kontrastiv-linguistischen bzw.

den fehleranalytischen Ansatz und durch die starken Migrationsbewegungen in Europa angeregt. Die Forschung erstreckte sich also erstens auf die Unter- suchung der Prinzipien des Sprachenlernens, zweitens auf die des Sprach- erwerbs. Infolge der begrifflichen Polarisierung dieser zwei Forschungsrich- tungen entstand die Dichotomie des Lernens und des Erwerbens (Königs 2007: 435).

2.2.1 Lernen–Erwerben-Dichotomie

Unter Spracherwerb (acquisition) wird verstanden, dass die Sprache auf na- türlichem Wege, intuitiv und implizit erworben wird. Die Sprache entwickelt sich unbewusst und ungesteuert durch soziale Kontakte. Demgegenüber ist das Sprachenlernen (learning) ein explizites Lernen, ein bewusster Prozess, der gesteuert wird. Im Falle des Lernens entwickelt sich die Sprache unter ins- titutionellen Bedingungen, in den meisten Fällen im Fremdsprachenunter- richt (Edmondson/House 2011: 11; Ahrenholz 2010a: 191; Apeltauer 1997).

Diese Unterscheidung geht auf die Untersuchung von Krashen zurück, in der er unter acquisition den „Sprach- und vor allem Regelbewusstsein ausschal- tenden Aneignungsvorgang versteht“ (Königs 2007: 436). Im Gegensatz dazu betrachtet Krashen learning als einen Prozess, der durch von außen gesteuerte Maßnahmen bzw. durch einen Monitoreinsatz gekennzeichnet wird, und plä- diert statt einer Trennung für eine Synthese der beiden Bereiche. In diesem Sinne soll im Unterricht eine möglichst natürliche Lernumgebung ermöglicht werden. Königs (2007) setzte sich für eine solche Aufhebung der Dichotomie ein, weil Fremdsprachenlerner außerhalb des Unterrichts oft dem ungesteu- erten Erwerb ausgesetzt sind und die früher gelernten Fremdsprachen auf die

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Aneignung der zurzeit zu lernenden Sprache einen wesentlichen lernpsycho- logischen Einfluss ausüben (Boócz-Barna 2007: 32).

Die Lernen–Erwerben-Dichotomie führte in den 1980er Jahren zu einer Debatte zwischen den Vertretern der Zweitspracherwerbsforschung und der Sprachlehr- und -lernforschung. Die zentrale Frage dieser Debatte war, inwie- fern der Fremdsprachenerwerb durch den gesteuerten Unterricht zu beein- flussen ist oder umgekehrt: ohne Steuerung den natürlichen Erwerbsprozes- sen folgt. Auf sprachdidaktischer Ebene wurde einerseits eine Orientierung an natürlicher Kommunikation im Unterricht vorgeschlagen, andererseits wurden gute Möglichkeiten gesehen, „Sprachaneignungsprozesse durch an- gemessene Lehrverfahren zu beschleunigen“ (Ahrenholz 2010a: 191). Heutzu- tage hat diese Debatte im Zusammenhang mit den Migrationsprozessen und der Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund wieder an Be- deutung gewonnen.

Mir ist bewusst, dass Fremdsprachenlernende in der globalisierten Welt auch außerhalb des Unterrichts dem ungesteuerten Erwerb ausgesetzt sind und im ungesteuerten Erwerbsprozess ebenso fremdgesteuerte Phasen wahr- zunehmen sind (Boócz-Barna 2007: 31f.). Für die vorliegende Arbeit ist aber die Lernen–Erwerben-Dichotomie von Bedeutung, weil im Mittelpunkt das Lernen unter institutionellen Rahmenbedingungen steht. Meinen Überlegun- gen liegt Fremdsprachenlernen als gesteuerter bewusster Prozess, der sich unter institutionellen Bedingungen vollzieht und curricular untermauert ist, zugrunde.

2.2.2 Hypothesen zum Spracherwerb

Die begriffliche Differenzierung des Erwerbs und des Lernens deutet auf die Existenz von Theorien und Ansätze hin, die den Aneignungsvorgang der Sprachen umfassend abzubilden versuchen. In der Fremdsprachen- und Zweitspracherwerbsforschung, die die Entwicklungsprozesse von Sprachen beschreiben, wurden Ansätze entwickelt, die sich zum Ziel setzen, den An- eignungsvorgang unter je unterschiedlichem Fokus zu modellieren (Königs 2010a: 322). Lerngegenstand, Lernvorgang und Interaktion stellen die drei Fokuspunkte des Aneignungsvorgangs dar, die bei der Förderung der indivi-

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duellen Mehrsprachigkeit entscheidend sind. Im Folgenden werden diese drei Schwerpunkte in Anlehnung an Königs (2010a: 322ff.) in ihrer Bedeutung für die Untersuchung der Sprachentwicklung kurz umrissen.

Unter Lerngegenstand wird die jeweilige Fremdsprache, die gelernt wird, verstanden, die für den Aneignungsprozess in erster Linie verantwortlich ist.

In Bezug auf die Fremdsprache als Lerngegenstand geht die Kontrastivhypo- these davon aus, dass die Mutter- und die Fremdsprache ihre Wirkung auf den Sprachaneignungsprozess entfalten und die erstsprachlichen Strukturen die Mechanismen des Zweitspracherwerbs systematisch prägen (Königs 2010b:

756). Es wird dabei angenommen, dass die Ähnlichkeiten zwischen der Erst- und der Fremdsprache den Lernprozess erleichtern, die bestehenden Unter- schiede aber zu Lernschwierigkeiten und dadurch zu Fehlern führen (Hen- rici/Riemer 2007: 40; Brdar-Szabó 2010a: 521).

Beim Lernen mehrerer Sprachen ist es äußerst wichtig, sowohl die Ge- meinsamkeiten, als auch die Unterschiede zwischen den Sprachen bewusst zu machen. Heutzutage wird oft die Auffassung vertreten, dass die Erstsprache aus dem Fremdsprachenunterricht auszuklammern ist. Damit die Erstspra- che nicht ignoriert wird und das Prinzip der Kontrastivität zur Geltung kommt, muss Kontrastivität differenziert betrachtet und darf nicht mit der Kontrastivhypothese gleichgesetzt werden: Kontrastivität als Strategie ermög- licht nämlich die optimale Steuerung des Unterrichtsprozesses und die Be- wusstmachung sprachlicher Strukturen im Fremdsprachenunterricht (Brdar- Szabó 2010a: 524f.).

Der Kontrastivhypothese entgegengesetzt betont die Identitätshypothese den identischen Verlauf des Erst- und Zweitsprachenerwerbs, wobei angebo- rene mentale Prozesse aktiviert werden sollen (Henrici/Riemer 2007: 40; Kö- nigs 2010b: 756f.), denen beim Lernen mehrerer Sprachen eine große Bedeu- tung zukommt: Sie ermöglichen u.a. den Transfer von sprachenunabhängigen sprachlichen Elementen und Kompetenzen.

Der Lernvorgang, der den zweiten Fokuspunkt des Aneignungsvorgangs darstellt, wird durch einen Komplex mehrerer Ansätze modelliert. Dabei hat auch die Identitätshypothese eine Wirkung, die außer der zu lernenden Spra- che auch den Lernvorgang unter die Lupe nimmt. Die Identitätshypothese greift dabei auf die begriffliche Differenzierung zwischen Lernen und Er- werben in Bezug auf unterschiedliche Verarbeitungsmodi bei der Aneignung

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zurück (Königs 2010a: 323). Die von Selinker vertretene Interlanguage-Hypo- these kann auch zur Beschreibung und Modellierung des Lernvorganges beitragen, indem der Aneignungsvorgang „als die Ausprägung eines den ler- nerspezifischen Bedingungen und Verarbeitungsprozeduren folgenden be- sonderen Systems“ bezeichnet wird (Königs 2010a: 323). Der Ausgangspunkt dabei ist eine vom Lernenden entwickelte spezifische Sprache, eine sog. „In- terlanguage“, die sowohl Merkmale der Erst- und der Zielsprache, als auch eigenständige Merkmale aufweist und auch Fehler enthalten kann (Aguado 2010: 142).

Eine den Aneignungsvorgang beschreibende weitere Hypothese ist die von Krashen entwickelte Monitorhypothese, in deren Mittelpunkt der Monitor als mentale Instanz steht, die den Spracherwerbs- und -produktionsvorgang überwacht. Reflexion über das eigene Produktionsverhalten in der Fremd- sprache kann sich unter Berücksichtigung situativer Bedingungen auf das Lernen als Aneignungsvorgang positiv auswirken (Königs 2010a: 323). Über die Monitorhypothese hinaus geht die auch die Inputhypothese auf Krashen zurück. Im Gegensatz zur Monitorhypothese liegt Letzterer jedoch die Idee zugrunde, dass der bedeutungsvolle, kommunikative sprachliche Input, der für die Lernenden eine Herausforderung bedeutet, von entscheidender Be- deutung für die Fremdsprachenaneignung ist (Königs 2010b: 759). Trotz der wichtigen Rolle des Inputs beim Spracherwerb reicht er im Sinne der Output- hypothese allein nicht aus. Der Spracherwerb gelingt erst dann, „wenn die zu erwerbende Sprache in der Interaktion benutzt wird“ und von Lernenden bewusst reflektiert wird (Hufeisen/Riemer 2010: 743). Der Output verfügt über mehrfache Funktionen und bezieht sich einerseits auf das Aushandeln von Bedeutung und auf die Sicherstellung der Kommunikation, andererseits fungiert er als Ergebnis des Aneignungsvorgangs, das Gegenstand der Ana- lyse und Reflexion von Lernenden ist. Daraus lässt sich darauf folgern, dass lernerseitige Reflexion, Aufmerksamkeitsfokussierung und strategisch moti- vierte kognitive Prozesse für die Beschreibung des Aneignungsvorgangs we- sentliche Elemente sind (Königs 2010b: 759f.).

Hinsichtlich des Lernvorgangs ist noch die Teachability-Hypothese (Lehr- und Lernbarkeitshypothese) von Pienemann zu nennen, die besagt, dass Spracherwerb nur in dem Falle stattfinden kann, „wenn die unterrichtlichen Maßnahmen auf den Entwicklungsstand der Interlanguage abgestimmt sind“

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(Henrici/Riemer 2007: 40). Im Lehr- und Lernprozess ist der sprachliche Entwicklungsstand von Lernenden immer mit zu berücksichtigen. An den Entwicklungssequenzen lässt sich ablesen, „in welchem Stadium des Aneig- nungsprozesses sich ein Individuum befindet“ (Königs 2010a: 323f.).

Den dritten Fokus, nach dem der Aneignungsvorgang von Sprachen zu beschreiben ist, bildet die Interaktion. Die Interaktionshypothese geht davon aus, dass die Interaktion für das Sprachenlernen eine Voraussetzung darstellt und die erfolgreiche Sprachaneignung metasprachliche Reflexionsfähigkeit und entsprechende Reaktionen des sprachlichen Gegenübers voraussetzt (Königs 2010b: 760). Durch die Interaktion kann der Input vom Lernenden internalisiert bzw. verarbeitet werden (Hufeisen/Riemer 2010: 743). Die Ak- kulturationshypothese schließlich beschreibt den Aneignungsprozess nach der psychischen und sozialen Distanz, d.h. unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Lernzuwachs von der negativen und positiven Ausprägung dieser genannten Parameter abhängig ist (Henrici/Riemer 2007: 40).

Bei der Erforschung der Sprachentwicklung in mehreren Sprachen spielen Erkenntnisse und Modelle der Fremdsprachen- und der Zweitspracherwerbs- forschung eine wichtige Rolle. Ihre Ergebnisse geben dahingehend einen Ein- blick, unter welchen Bedingungen sich eine L2 entwickeln kann und in wel- cher Relation diese mit der jeweiligen L1 steht. Bei der Förderung der indivi- duellen Mehrsprachigkeit sind diese Fragen von hoher Relevanz, denn die theoretischen Ansätze zur Beschreibung und Erklärung von Spracherwerb ermöglichen differenzierte Einsichten in die menschliche Sprachverarbeitung und in die fremdsprachlichen Aneignungsvorgänge (Königs 2010a: 325).

2.3 Zur Problematik der Bezeichnung der Sprachen in der Sprachentwicklung

Im Kontext der Sprachentwicklung sind weiterhin Begriffe der Mutter-, Erst-, Zweit- und Fremdsprache als Bezeichnungen für unterschiedlich basierte Sprachkompetenzen in ihrer Bedeutung für die Untersuchung der Sprach- entwicklung zu klären. Der Umgang mit Mehrsprachigkeit unter institutio- nellen Rahmendbedingungen im ungarischen Kontext bedarf einer differen- zierten Sicht auf die begriffliche Vielfalt bezüglich der Sprachentwicklung.

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Unter Erstsprache wird die Sprache verstanden, die von Kindern zuerst in natürlicher Umgebung als ihre erste Sprache, d.h. als ihre Muttersprache erworben wird. Der Begriff der Muttersprache erlebte in letzter Zeit einen Perspektivenwechsel und wird in ihrer ursprünglichen Auffassung, dass sie die erste und einzige, am besten beherrschte Sprache sei, oft kritisiert, weil diese eine sich gegen die Mehrsprachigkeit richtende Einstellung impliziert (Höhle 2010: 69; Oomen-Welke 2007: 145). Mit Muttersprache wird eine emo- tionale Dimension verbunden, außerdem spielt sie eine identitätsstiftende Rolle, denn Sprache, Kultur und Identität lassen sich voneinander kaum tren- nen. Nationalsprachen begannen am Ende des 18. Jahrhunderts, als die Natio- nalstaaten infolge der Französischen Revolution an Bedeutung gewonnen hatten, eine Aufwertung zu erfahren. Sie spielten auch für den Einzelnen eine immer wichtigere Rolle bzw. zeigten die Zugehörigkeit zu einer Nation. Durch die neue europäische Einheit und das Verschwinden der politischen Grenzen geriet aber am Ende des 20. Jahrhunderts die Förderung der sprachlichen und kulturellen Vielfalt und dadurch der Mehrsprachigkeit in den Vordergrund.

Seitdem wird der Begriff der Muttersprache immer seltener verwendet, weil nicht immer die Sprache der Mutter (bzw. der Eltern) die Erstsprache von In- dividuen ist (Feld-Knapp 2014a: 15f., 2014b).

Im Kontext der Mehrsprachigkeit erweist sich aber der Terminus Erst- sprache oder auch (wie in der englischen Literatur) die L1 (First Language, Language one) als adäquater, er begreift nämlich individuelle Mehrsprachig- keit als „offenes“ Konstrukt und verweist auf das mögliche Erlernen weiterer Sprachen. Bei der Erstsprache steht die zeitliche Dimension im Vordergrund, die „ein besonderes Verhältnis von Sprachentwicklung, kognitiver Entwick- lung, Emotion und Selbstbild impliziert“ (Ahrenholz 2014: 4). In meiner Ar- beit werde ich im Weiteren die Begriffe Erstsprache und die Bezeichnung „Ln“

für die chronologische Darstellung der Sprachenbiographie verwenden (Huf- eisen 2004: 77).

Im Zusammenhang mit der Zwei- und Mehrsprachigkeit bzw. mit der Migration werden auch die Begriffe der Zweit- und der Fremdsprache ver- wendet. Im Gegensatz zur Fremdsprache, die unter institutionellen Rahmen- bedingungen nach der Erstsprache gesteuert gelernt wird, bezeichnet Zweit- sprache (oder die L2) im weiteren Sinne alle nach der Erstsprache angeeig- neten Sprachen. Ich verwende den Begriff in seinem engeren Sinne, d.h. als

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Bezeichnung für eine im Kontext der Migration auf natürlichem Wege, un- gesteuert angeeignete und verwendete Sprache, die zur Alltagsbewältigung in einem Aufnahmeland von grundlegender Bedeutung ist, und grenze ihn da- mit vom Begriff der Fremdsprache ab (Siebert-Ott 2010: 366).

Die Sprachkonstellationen und die Beziehung zwischen den Sprachen ha- ben im Sprachunterricht eine sehr wichtige Rolle. Für Lernende mit Mig- rationshintergrund wäre es wichtig, ihre Erstsprachen im Lernprozess zu berücksichtigen und ihnen gegebenenfalls entweder eine zweisprachige Alphabetisierung anzubieten oder zumindest ihre Herkunftssprachen in den Unterricht mit einzubeziehen, damit dem bisher vorherrschenden mono- lingualen Habitus der Schule (Gogolin 1994) entgegengewirkt werden kann.

Jede Medaille hat aber zwei Seiten: Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine gefestigte Erstsprache eine Voraussetzung bzw. eine sichere Basis für den erfolgreichen Erwerb weiterer Sprachen ist (Höhle 2010: 69, Ahrenholz 2014: 3ff.). Das gilt auch im Falle von Lernenden mit der L1 Ungarisch, die im Fremdsprachenunterricht weitere Fremdsprachen lernen. Die erfolgreiche Bildungskarriere in der L2, L3, Ln setzt eine gut ausgebildete Erstsprache voraus, worauf im Lernprozess in den späteren Sprachen zurückgegriffen werden kann.

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3 Mehrsprachigkeit

Mehrsprachigkeit stellt einen zentralen Gegenstand der vorliegenden Arbeit dar. Der Fokus der empirischen Forschung wird nämlich auf die Untersu- chung der Besonderheiten der sprachlichen Handlungsfähigkeit von Lernen- den in mehreren Sprachen gelegt (vgl. Kapitel 6). Dies verlangt die eingehende Auseinandersetzung mit der Mehrsprachigkeit und deren theoretische Ein- bettung, die im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen.

3.1 Definition, Abgrenzung

Mehrsprachigkeit geriet in den letzten Jahren in den Mittelpunkt von For- schungen in verschiedenen Wissenschaften und wurde von diesen unter- schiedlich definiert. Im Folgenden werden die spracherwerbstheoretisch, lin- guistisch und fremdsprachendidaktisch angelegten Annäherungen in Bezug auf den Mehrsprachigkeitsbegriff in ihrer Bedeutung für die Spracherwerbs- förderung im institutionellen Kontext behandelt. Daran anschließend wird die dieser Arbeit zugrunde liegende Arbeitsdefinition erarbeitet.

Der Mehrsprachigkeitsbegriff wird vor allem in der Psycho- und Sozio- linguistik, in der Spracherwerbsforschung und in der Fremdsprachendidaktik aufgegriffen und in diesen Disziplinen unterschiedlich akzentuiert (Boócz- Barna 2007: 11). Für linguistisch angelegte Untersuchungen ist es charakte- ristisch, dass sie die Zweisprachigkeit, d.h. den Spracherwerb von bilingua- len Personen erforschen. Die Erkenntnisse der Zweitspracherwerbsforschung haben auch auf die Mehrsprachigkeitsforschung einen Einfluss ausgeübt (Boócz-Barna 2007: 19), was sich auch an linguistisch orientierten Defi- nitionen der Mehrsprachigkeit erkennen lässt. In einigen Fällen wird Zwei- sprachigkeit (Bilingualismus) mit Mehrsprachigkeit gleichgesetzt, in anderen kann aus den Bedingungen des Zweitspracherwerbs auf die der Mehrspra- chigkeit gefolgert werden.

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In der Zweitspracherwerbsforschung sind die Beherrschung und der kom- munikative Gebrauch der von zweisprachigen Individuen beherrschten Spra- chen Voraussetzungen, wobei der Grad der Beherrschung und der An- wendung in bestimmten Theorien unterschiedlich bewertet werden (ebd., S.

19f.). In Bezug auf die Mehrsprachigkeit lässt sich auch die Auffassung vom unterschiedlichen Grad der Beherrschung erkennen. Eine lange Zeit herrsch- te nämlich die Ansicht vor, dass Menschen nur dann als mehrsprachige Indi- viduen gelten, wenn sie ihre Sprachen auf Muttersprachenniveau beherr- schen. Diese Vorstellung hat sich aber geändert: Mehrsprachigkeit wird heute auch funktional definiert „in Abhängigkeit vom Lern-, Arbeits- oder Er- werbsumfeld, von den kommunikativen Absichten und Zielen, der gewähl- ten Sprachenfolge und anderen Aspekten“ (Roche 2011: 27). Über funktio- nale Mehrsprachigkeit wird gesprochen, wenn man die jeweilige Sprache in Abhängigkeit von Kommunikationszweck und -situation verwenden kann, um die eigenen kommunikativen Bedürfnisse befriedigen zu können (Feld- Knapp 2014b, 2015a). In diesem Sinne wird darauf verzichtet, jede Sprache komplett und absolut korrekt zu sprechen. Es reicht aus, in den zur Verfügung stehenden Sprachen nur Teilkompetenzen zu erwerben und in bestimmten Teilbereichen bzw. bei einzelnen Fertigkeiten handlungsfähig sein zu kön- nen. Krumm (2003a: 45) führt im Kontext der Mehrsprachigkeit den Begriff der „sprachenteiligen Gesellschaft“ ein und meint damit, dass man auch dann von Mehrsprachigkeit sprechen kann, wenn man in seiner Mutter- sprache spricht und die anderen fähig sind, ihn zu verstehen. Diesbezüglich soll auch im didaktischen Kontext auf die „aufgeklärte Mehrsprachigkeit“

(Roche 2011: 28) hingewiesen werden, die die Vermittlung ein- oder mehr- sprachiger Strukturen im Unterricht bezeichnet und dadurch den Wechsel zwischen den Sprachen ermöglicht. Meiner sich auf den rezeptiven Bereich konzentrierenden Forschung liegt ebenfalls der Ansatz der funktionalen Mehrsprachigkeit zugrunde.

Die funktionale Annäherung lässt sich sowohl in der internationalen, als auch in der ungarischen linguistischen Forschung ermitteln, die bereits seit den 1980er Jahren dafür plädieren, dass Sprecher in den von ihnen beherrsch- ten Sprachen nicht über das gleiche Wissen verfügen müssen, weil sie die Sprachen zu verschiedenen kommunikativen Zwecken gebrauchen (Oksaar 1980; Grosjean 1992; Bartha 1999; Apeltauer 2001; Boócz-Barna 2007).

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Eine Neudeutung der Mehrsprachigkeit lässt sich auch in der Fremd- sprachendidaktik beobachten, die darunter eine „möglichst weitreichende Kompetenz in der bzw. den Fremdsprachen versteht, die es den Lernenden erlaubt, in dem für sie relevanten situationellen Rahmen fremdsprachlich er- folgreich zu handeln“ (Königs 2001: 263). Dieser Definition kann einerseits die Bedeutung der von Sprachverwendern wahrzunehmenden Rollen, ande- rerseits die Relevanz der von Sprachverwendern rollenadäquat auszuführen- den Handlungen entnommen werden (Boócz-Barna 2014: 35). Dieser Defi- nition und den vorher dargestellten Deutungen der Mehrsprachigkeit ist ge- meinsam, dass sie nicht mehr für erforderlich halten, die Fremdsprachen auf Muttersprachenniveau zu beherrschen. An der fremdsprachendidaktisch an- gelegten Definition ist neu, dass dort eine mehrsprachige Kompetenz erzielt wird, wodurch man fähig wird, situations- und rollenadäquat zu handeln.

Eine weitere fremdsprachendidaktisch angelegte Definition, die dieser Arbeit zugrunde liegt, stammt von Barbara Haider. Laut dieser Definition bezeichnet Mehrsprachigkeit den Umstand, dass einer Person (individuell) oder einem System (gesellschaftlich, lebensweltlich, institutionell) für die sprachlichen Handlungen mehrere Sprachen zur Verfügung stehen. Das be- deutet, dass Sprachverwender gleichzeitig in mehreren Sprachen handlungs- fähig sind und diese Sprachen für kommunikative Zwecke aktivieren und einsetzen können (Haider 2010: 207; Feld-Knapp 2014a: 15; Hufeisen 2004:

77). Der Mehrsprachigkeitsbegriff kann in einem weiteren und in einem engeren Sinne aufgefasst werden. Wenn er weit gefasst wird, ist jeder Mensch mehrsprachig, indem er selbst in der Muttersprache über mehrere Varietäten verfügt und diese auf verschiedene Weisen und in unterschiedlichen Kon- texten des Sprachgebrauchs verwendet. Demgegenüber unterscheidet die en- gere Auffassung die Erstsprache, die von Kleinkindern als Muttersprache in natürlicher Umgebung erworben wird, von den weiteren Sprachen, wobei die Sprachentwicklung unter institutionellen Rahmenbedingungen im Fremd- sprachenunterricht stattfindet (Feld-Knapp 2014a und 2014b). In dieser Ar- beit werden die engere Auffassung der Mehrsprachigkeit und der genannte Unterschied bei der Sprachentwicklung aufgegriffen und verwendet.

Die im Vorigen dargestellten definitorischen Annäherungen an die Mehr- sprachigkeit signalisieren eindeutig, dass Mehrsprachigkeit ein komplexes, breit gefächertes Phänomen ist, das zu differenzieren und eindeutig abzu- grenzen ist. Die Differenzierung bzw. die Abgrenzung verlangen die Be-

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handlung der Typologien und Klassifizierungen des Begriffs, die u.a. die Art des Erwerbs, die gesellschaftlichen Bedingungen, die Formen der Kompe- tenz und die Sprachkonstellation bzw. den Status der beteiligten Sprachen (Riehl 2014) umfassen. Die Berücksichtigung dieser Aspekte ermöglicht es, ein breites Spektrum des Mehrsprachigkeitsbegriffs zu erfassen.

In Bezug auf die Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit im insti- tutionellen Kontext ist es von großem Belang, wann und wie die Lernenden die ihnen zur Verfügung stehenden Sprachen erworben haben und auf wel- cher Stufe des Erwerbs sie sich befinden. Wenn wir über die Förderung im ungarischen institutionellen FSU sprechen, ist es eine häufige Konstellation, dass die Lernenden sich die Sprachen sukzessiv, d.h. hintereinander, zu unter- schiedlichen Zeiträumen angeeignet haben (Müller /Kupisch/Schmitz / Can- tone 2006: 15). Beim sukzessiven Erwerb ist natürlich auch der spontane Weg nicht ausgeschlossen, aber hier dominiert nach dem Erwerb der L1 bereits das gesteuerte Lernen der weiteren Sprachen (L2, L3) (vgl. dazu Abschnitt 2.2.1 zur Dichotomie zwischen Spracherwerb und Sprachenlernen).

Die Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit im institutionellen Kontext bedarf auch der Identifizierung der Form der Mehrsprachigkeit. Es ist von entscheidender Bedeutung, ob bereits zweisprachige Lernende ihre Mehrsprachigkeit in den Unterricht mitbringen, über Wissen in ihrer L2 ver- fügen und eine ihrer Sprache unterrichtet wird oder bereits mehrsprachige Lernende ihre Mehrsprachigkeit durch den FSU in einer L3 ausbauen, aber keine ihrer Sprachen Lerngegenstand ist oder die individuelle Mehrspra- chigkeit erst durch den FSU ausgebaut wird. Die Berücksichtigung der retro- spektiven, retrospektiv–prospektiven und prospektiven Mehrsprachigkeit und daher die Integration fremdsprachlicher Informationen in den vorhan- denen Wissensbestand stellen bei der Förderung einen wesentlichen Aspekt dar und bestimmen die so genannte „Qualität der Mehrsprachigkeit“ (Königs 2001: 263f.).

Über die Art bzw. die Stufe des Erwerbs hinaus spielen auch die gesell- schaftlichen Bedingungen, in denen Mehrsprachigkeit praktiziert wird, eine wichtige Rolle. Mehrsprachigkeit kann sich unter gesellschaftlichen bzw. le- bensweltlichen Umständen und unter institutionellen Rahmenbedingungen im schulischen Fremdsprachenunterricht entwickeln (Döll/Fröhlich/Dirim 2014; Dirim /Wegner 2015; Feld-Knapp 2014a: 15; Gogolin 2004).

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Die im Sinne von Dirim (2015) und Gogolin (2004) aufgefasste lebenswelt- liche Mehrsprachigkeit ist größtenteils durch Migrationsbewegungen und die zunehmende Mobilität der Menschen entstanden und in den Einwanderungs- staaten zu einem gesellschaftlichen Faktum geworden. Lebensweltliche Mehr- sprachigkeit wird für die gesellschaftliche Konstellation verwendet, in der mehrsprachige Menschen leben (Gogolin 2004: 55). Die Sprachen sind in die- sem Kontext in den die Menschen umgebenden Lebenswelten und in der Ge- sellschaft zu finden (Krumm 1999: 26).

Die lebensweltliche Mehrsprachigkeit beeinflusst in großem Maße die schulische Leistung von Lernenden und stellt Lehrpersonen wie auch Ler- nende vor große Herausforderungen. Das ist oft der Fall an Schulen, in denen mehrsprachige Schüler mit Migrationshintergrund bzw. Kinder aus bildungs- fernem sozioökonomischem Hintergrund lernen, die mit Sprachschwierig- keiten zu kämpfen haben. Die Probleme kommen erst zum Vorschein, wenn in der Schule schriftsprachliche Kompetenzen gefordert werden. Daher wer- den als vorrangige Zielsetzung bei der Förderung der Zweitsprache das Her- ausbilden und die Differenzierung der konzeptionellen Schriftlichkeit bzw.

der Bildungssprache gesehen (Feilke 2012: 4ff.; Neuland/Peschel 2013: 241).

Bildungssprache ist für den Bildungserfolg relevant, um „situationsentbun- dene komplexe Sprache verstehen und verwenden zu können“ (ebd.). Ler- nende brauchen dieses sprachliche Register, um „kognitiv anspruchsvolle Lernangebote und Aufgabenstellungen des Unterrichts zu bewältigen“ (Go- golin 2010: 29). Dadurch können sie komplexe Inhalte verstehen und sich bildungsrelevantes Wissen aneignen. Die Bildungssprache spielt außerdem eine besonders wichtige Rolle beim Transfer kognitiver Kompetenzen zwi- schen den Sprachen.

Die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sich Mehrsprachigkeit entwickeln kann, hängen auch mit dem Kontext des Erwerbs zusammen. Im Falle der deutschen Sprache wird zwischen Deutsch als Zweitsprache und Deutsch als Fremdsprache unterschieden (Feld-Knapp 2014a: 16). Deutsch als Zweitsprache wird in der bzw. durch die Alltagskommunikation in dem Land, wo Deutsch Hauptkommunikationsmittel ist, ungesteuert erworben. Diese Sprache ist vor allem in der mündlichen Kommunikation vorhanden und ist für den alltäglichen Umgang notwendig. Deutsch als Fremdsprache wird hin- gegen in Bildungsinstitutionen, unter institutionellen Bedingungen, außer-

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halb der deutschsprachigen Länder gesteuert erworben (Neuland /Peschel 2013: 239; Feld-Knapp 2014c: 15).

In Bezug auf die institutionelle Mehrsprachigkeit gibt es in der Mehr- sprachigkeitsforschung unterschiedliche Annäherungen: Sie wird einerseits als Verwendung mehrerer Arbeitssprachen an Institutionen verwendet (Riehl 2014), andererseits bezüglich des Erwerbskontextes der Sprachen, nämlich des gesteuerten Spracherwerbs im institutionellen Fremdsprachenunterricht (Dirim 2015; Gogolin 2004). In der vorliegenden Arbeit wird das Wort „insti- tutionell“ in diesem letzteren Sinne verwendet und bezeichnet den Kontext des Sprachenlernens.

3.2 Mehrsprachigkeitsforschung und -didaktik

Die Auseinandersetzung mit dem Mehrsprachigkeitsbegriff in Abschnitt 3.1 legt offen, wie komplex und facettenreich das Phänomen der Mehrsprachig- keit ist. Diese Komplexität zeigt sich auch darin, welche Wissenschaften sich aus welchen Perspektiven damit befassen und wie sie die Mehrsprachigkeit erforschen bzw. welche Schwerpunkte sie bei der Erforschung setzen.

3.2.1 Mehrsprachigkeit als Forschungsgegenstand

Die Erforschung der Mehrsprachigkeit setzt die inter- und transdisziplinäre Arbeit der einzelnen Wissenschaften voraus, indem die Erkenntnisse und die Methoden der Neurowissenschaften, der Psycho- und Soziolinguistik, der Politik- und Gesellschaftswissenschaften, der Erziehungswissenschaft, der Sprachpsychologie, der Tertiärsprachenforschung, der Zweitsprachener- werbsforschung, der Fremdsprachendidaktik bzw. der Sprachlehr- und -lern- forschung mit zu berücksichtigen sind (House 2004; Hu 2004). Mehrspra- chigkeit lässt sich als ein eigenständiges Forschungsgebiet betrachten, an das sich die einzelnen Disziplinen unterschiedlich annähern. In der Mehrspra- chigkeitsforschung gibt es Klassifizierungsversuche, um die Facetten des Phänomens der Mehrsprachigkeit differenziert erfassen zu können (Hufeisen 2010a: 376ff.; Legutke 2004: 121ff.; Quetz 2004: 181ff.). Für die Zielsetzungen der vorliegenden Arbeit eignet sich die Aufteilung der Forschungsbereiche

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nach Hufeisen (2010a), da diese Aufteilung zwei für meine Untersuchungen relevante Annäherungen umfasst. In Anlehnung an Hufeisen kann die Mehr- sprachigkeitsforschung in Bezug auf die Mehrsprachigkeit in drei große Gruppen geteilt werden, die im Folgenden kurz umrissen werden. Der Be- handlung der Erkenntnisse und Methoden der Mehrsprachigkeitsforschung liegt die Gruppierung von Hufeisen in ihrer Bedeutung für die Förderung in- dividueller Mehrsprachigkeit zugrunde.

Die erste Gruppe befasst sich mit zwei- bzw. mehrsprachig aufwachsen- den Kindern, Individuen und Gruppen, wobei vor allem die Spracherwerbs- verläufe, die Diskurse und die Domänenspezifik der Sprachen untersucht werden. In dieser Gruppe sind sozio-, psycho- und pragmalinguistische Un- tersuchungen verankert (Jessner 2008; Franceschini 2000; Aronin/Singleton 2008).

Die zweite Gruppe fokussiert dagegen die Untersuchung von Personen während des gesteuerten Lernens von Sprachen im Fremdsprachenunterricht.

Dabei wird in erster Linie einerseits auf die Beschreibung idealtypischer Verläufe, unterrichtlicher Interaktionen und des Codewechsels, andererseits auf die Erarbeitung von Modellen zur Deskription von Lernverläufen einge- gangen. Diese Forschungen sind im Bereich der Angewandten Linguistik und der Fremdsprachendidaktik angesiedelt (Marx 2005; Hufeisen 2003, 2010a und 2010c).

Diese beiden Gruppen der Forschungsrichtung können nicht strikt von- einander getrennt behandelt werden. Es gibt viele Arbeiten, die die Erkennt- nisse der beiden Gruppen zu vereinen versuchen, um ein breites Spektrum abdecken zu können – diese Arbeiten stellen die dritte Gruppe in der Auftei- lung von Hufeisen (2010a: 378f.) dar.

Die Erkenntnisse der linguistisch orientierten Mehrsprachigkeitsfor- schung (siehe in der ersten Gruppe bei Hufeisen) haben in erster Linie für die Definition des Begriffs eine Relevanz. Anzumerken ist allerdings dabei, dass in der Forschung kein Konsens in Bezug auf die Terminologie herrscht.

Uneinheitlichkeit herrscht erstens hinsichtlich der Begriffe Zweisprachigkeit, Bilingualität und Mehrsprachigkeit; zweitens wird die Person, die mehrere Sprachen beherrscht, unterschiedlich bezeichnet. Einige Ansätze (besonders im Bereich der Anglistik) behandeln die Begriffe und Konzepte der Zweispra- chigkeit und der Mehrsprachigkeit synonym; andere vertreten demgegenüber

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die Auffassung, dass Mehrsprachigkeit die Beherrschung von mehr als zwei Sprachen bedeutet (Edmondson 2004: 39). Seit Weinreich (1976) existiert die Annahme, „dass sich echte Mehrsprachigkeit mit dem Erwerb einer dritten modernen Sprache bzw. mit dem Lernen einer zweiten Fremdsprache auszu- formen beginnt“ (Bausch 2007: 439). Mehrsprachigkeit wird also in dieser Annäherung von Zweisprachigkeit sowohl quantitativ als auch und qualitativ abgegrenzt. Eine weitere Gruppe von Forschenden (Jessner 2008; Hufeisen 2010a) geht davon aus, dass Zweisprachigkeit und somit Bilingualität eine Unterform von Mehrsprachigkeit darstellt und Mehrsprachigkeit sie mit ein- schließt. In der vorliegenden Arbeit wird Mehrsprachigkeit als ein umfassen- der Begriff betrachtet, der Zweisprachigkeit bzw. Bilingualität umfasst. Beim Gebrauch des Terminus Mehrsprachigkeit werden die beiden als ihre Unter- formen behandelt.

Eine weitere Schwierigkeit in der Abgrenzung der vorliegenden Begriffe bedeutet auch, dass nicht eindeutig bestimmt ist, „welcher Grad an Beherr- schung von zwei oder mehr Sprachen zugrunde liegen soll, um eine Person

‚bilingual‘ oder ‚mehrsprachig‘ zu nennen“ (Hufeisen 2010a: 376). Für dieses Dilemma bietet die Einführung der Begriffe kommunikative Kompetenz und Sprachhandlungskompetenz eine mögliche Lösung.

Als kompetent in einer Sprache wird jemand betrachtet, wenn er kommu- nikative Situationen bewältigen und Kommunikationsziele erreichen sowie durch den Sprachgebrauch sprachliche Handlungen durchführen und Sprechakte umsetzen kann. Mit diesem Konstrukt können sowohl Kontinua von individuellen Sprachentwicklungen, als auch gesellschaftlich determi- nierte Situationen beschrieben werden (Hufeisen 2010a: 376f.). Diese Er- kenntnisse prägen auch meine Auffassung von und meine Überlegungen zur Mehrsprachigkeit in dieser Arbeit.

3.2.2 Etablierung der Spracherwerbsforschung

Die Erforschung der Mehrsprachigkeit fügt sich in die Spracherwerbs- forschung ein, die sich mit Lern- und Erwerbsprozessen von Sprachen und mit den sich dabei entwickelnden lernersprachlichen Systemen beschäftigt (Boeckmann 2010). Im Folgenden wird die Entwicklung der Spracherwerbs- forschung in ihren wichtigsten Zügen bis heute dargestellt.

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Die Spracherwerbsforschung ist in Bezug auf die Aneignung der L1 und der L2 weiter zu differenzieren. Die Erstspracherwerbsforschung setzt sich mit Fragen der Aneignung der L1 auseinander, wobei Mehrsprachigkeit auch eine Rolle spielt, indem sich der Erstspracherwerb von bilingualen oder mehrsprachigen Kindern doppelt oder dreifach vollzieht (Hufeisen/Riemer 2010: 738). Im Gegensatz dazu beschäftigt sich die Zweitsprachenerwerbs- forschung mit der Aneignung von Fremd- und Zweitsprachen. Mir ist es bewusst, dass im wissenschaftlichen Diskurs hinsichtlich des Terminus Zweit- sprachenerwerb(-sforschung) Uneinheitlichkeit existiert und der Begriff so- wohl in einem umfassenden Verständnis wie auch im engeren Sinne ver- wendet wird. Außerdem hat sich in der deutschsprachigen Forschung auch für die Erforschung des Sprachlernens in institutionellen Kontexten der Be- griff Fremdsprachenforschung etabliert (Henrici/Riemer 2007: 38; Ahrenholz 2010b: 367; Hufeisen/Riemer 2010: 739; Königs 2010b: 754f.). Da die Grenzen zwischen der Zweitsprachenerwerbs- und der Fremdsprachenforschung flie- ßend sind und ihre Untersuchungsgegenstände sich überlappen, verwende ich in meiner Arbeit den Terminus Zweitsprachenerwerbsforschung in seiner umfassenden Bedeutung für alle Fälle des Spracherwerbs nach der L1.

Obwohl die Ergebnisse der Erstspracherwerbsforschungen in Bezug auf die Erforschung der Mehrsprachigkeit eine entscheidende Rolle spielen, be- schränke ich mich im Folgenden auf das Erkenntnisinteresse, die Gegen- stände und die Ergebnisse der Zweitsprachenerwerbsforschung, die auf die Fremdsprachendidaktik als Disziplin der Erforschung und Optimierung von Lehr- und Lernprozessen einen großen Einfluss ausüben.

Im Interesse wissenschaftlicher Arbeiten stand bzw. steht seit einer langen Zeit, wie Sprachen in der Erst- bzw. der Zweitsprache vermittelt werden kön- nen; die Fragen nach der Erklärung des Spracherwerbs gerieten dabei eher in den Hintergrund. Zunächst wurden Forschungen in Bezug auf den L1-Erwerb und den Spracherwerb im FSU durchgeführt. Der natürliche L2-Erwerb wurde am Anfang der 1970er Jahre als Gegenstand wissenschaftlicher For- schungen entdeckt (Wode 1993: 33f.). Die Zweitsprachenerwerbsforschung hat sich international in den letzten 20–30 Jahren zur selbstständigen Diszip- lin mit eigenen Erkenntnisinteressen und Gegenständen entwickelt (Henrici/

Riemer 2007: 38). Die Forschung zum natürlichen L2-Erwerb entstand im Rahmen voneinander unabhängiger unterschiedlicher Forschungsprojekte in

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Großbritannien (Ravem 1968), in den USA (Hatch 1983) und in Deutschland (Henrici/Riemer 2007; Koeppel 2010). Die Projekte und Studien zur L2-For- schung belegen, dass sich das wissenschaftliche Interesse an die Erforschung der die Individuen umgebenden und von ihnen gesprochenen (Zweit-)Spra- chen wandte und dies die Entstehung der Zweitsprachenerwerbsforschung als einer eigenständigen Disziplin veranlasste. Die L2-Forschung hat sich später mit dem Einbezug vieler Sprachkombinationen auch qualitativ bedeutend wieterentwickelt und über die drei erwähnten Länder hinaus weltweit ausge- breitet (Wode 1993: 35). Bekannte Vertreter der Zweitsprachenerwerbsfor- schung im deutschsprachigen Raum sind u.a. Klein (1984, 2000, 2001), Wode (1993), Henrici (1990, 1995), Felix (1982) und Riemer (2001). Im ungarischen Kontext beschäftigen sich u.a. Navracsics (2007, 2010, 2011, 2015), Bartha (1999, 2009, 2014) und Boócz-Barna (2007, 2014) und Lengyel (Lengyel / Navracsics 2011) mit Fragen und unterschiedlichen Aspekten der Zweitspra- chenerwerbsforschung.

Die Zweitsprachenerwerbsforschung ist interdisziplinär ausgerichtet und steht mit anderen akademischen Fächern und Wissenschaften in einem engen Zusammenhang. Überlappungen zeigen sich insbesondere mit der Sprach- lehrforschung und dem im angloamerikanischen Raum etablierten Wissen- schaftskonzept von Applied Linguistics. Da in der vorliegenden Arbeit Mehr- sprachigkeit und das Lernen verschiedener fremder Sprachen im Mittelpunkt stehen, sind in Bezug auf das Lehren und Lernen fremder Sprachen inter- nationale Wissenschaftskonzepte, wie das Konzept der Applied Linguistics von Bedeutung (Bausch/Christ/Krumm 2007: 10). Dieses Konzept etablierte sich als selbstständiger Wissenschaftsbereich zuerst in Nordamerika, dann in Großbritannien in Bezug auf den Unterricht des Englischen als Fremd- sprache. Im deutschsprachigen Raum wird für diesen Bereich der Terminus Angewandte Linguistik verwendet, deren Gegenstand im hier besprochenen Kontext die Prozesse beim Lehren und Lernen darstellen. Sie ist eine praxis- orientierte und interdisziplinäre Wissenschaft, die entweder die linguis- tischen Forschungsergebnisse nach anwendungsbezogenen Fragestellungen im Fremdsprachenunterricht umsetzt oder von der Analyse der Praxis des Sprachunterrichts ausgehend Vorschläge für die Theorie formuliert (Spillner 2007: 31ff.).

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Im angloamerikanischen Raum erschienen in den 1990er Jahren zahl- reiche Publikationen zum Lernen und Lehren fremder Sprachen unter dem Oberbegriff Second Language Acquisition (SLA), um die spezifischen Züge des Wirklichkeitsbereichs den Applied Linguistics gegenüber besser erfassen zu können. SLA ist in diesem Zusammenhang ein enger Begriff, der die Kon- turen des Forschungsgegenstandes eindeutiger absteckt. Im Deutschen wird dafür der Begriff der Zweitsprachenerwerbsforschung verwendet: Zweitspra- chenerwerbsforschung beschäftigt sich mit den Prozessen und Produkten des Sprachenlernens aus der Erwerbsperspektive (Bausch/Christ/Krumm 2007:

11f.). Nennenswerte Vertreter der Second Language Acquisition im anglo- amerikanischen Raum sind u.a. Krashen (1981), Ellis (1990), Byrnes (1998) und Kramsch (2000).

Der Zweitsprachenerwerbsforschung und anderen Disziplinen ist vor allem ihre zentrale Fragestellung gemeinsam. In den Forschungen wird der Frage nachgegangen, auf welche Weise eine fremde Sprache erworben wird.

Vertreter unterschiedlicher Wissenschaften versuchen mit ihren Methoden und Verfahren diese Frage zu beantworten. Das ist wegen der vielfältigen Perspektiven positiv, bereitet aber auch gerade wegen der unterschiedlichen Positionen auch Schwierigkeiten. Das Erkenntnisinteresse der Zweitspra- chenerwerbsforschung richtet sich auf eine umfassende Theorie des Zweit- sprachenerwerbs, wobei „die Beschreibung der menschlichen Befähigung zur Aneignung von Sprachen und der damit verbundenen Prozesse, Mechanis- men und Erwerbsstufen“ (Henrici/Riemer 2007: 38) in den Fokus gerückt werden. Eine weitere Zielsetzung der Zweitsprachenerwerbsforschung ist es, eine solide Basis für die Vermittlung von Fremdsprachen zu schaffen. Das ist auch aus dem Grunde von hoher Relevanz, da die Zweitsprachenerwerbs- forschung für die Fremdsprachendidaktik eine Grundlagenwissenschaft dar- stellt und für didaktische Vorgehensweisen empirisch begründete Daten lie- fert (Henrici 1995).

Die zentrale Fragestellung nach der Art und Weise des Erwerbs einer Fremd- bzw. Zweitsprache wirft eine Reihe weiterführender Fragen auf, die mit Hilfe pluridisziplinärer und mehrperspektivischer Forschungsansätze be- antwortet werden können. Das zeigt auch die Mehrdimensionalität und die Dynamik des Zweitsprachenerwerbsprozesses. Die Komplexität der Disziplin hat sich auch im Laufe ihrer Geschichte gezeigt – es existiert nämlich eine

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breite Palette unterschiedlicher Ansätze zur Erklärung des Erwerbs und des Lernens von Fremdsprachen. Diese Ansätze fokussieren aber nur einzelne Aspekte des Erwerbsprozesses, der in seiner Komplexität nicht erfasst wird.

Eine zukünftige Aufgabe für die Zweitsprachenerwerbsforschung ist es dem- nach, eine umfassende Spracherwerbstheorie zu entwickeln. Darüber hinaus ist es wünschenswert, die einzelnen Fragestellungen einerseits in Bezug auf die Aspekte des Zweitsprachenerwerbs, andererseits auf die Forschungs- methodologie zu differenzieren (Henrici/Riemer 2007: 38ff.).

Dadurch, dass Deutsch als Fremdsprache in vielen Fällen als zweite oder weitere Fremdsprache (als Tertiärsprache oder Deutsch als L3) oft nach dem Englischen unterrichtet wird, ergeben sich besondere Bedingungen und Spezifika für den Unterricht des Deutschen als Fremdsprache im Kontext der Mehrsprachigkeit (Hufeisen 2001: 648ff.; 2010b: 334; Hufeisen/Marx 2010:

827), dementsprechend differenzierte sich auch der Forschungsgegenstand spracherwerbstheoretisch angelegter Forschungen. Infolgedessen werden seit den 1990er Jahren die qualitativen und quantitativen Unterschiede des Ler- nens einer ersten und einer zweiten Fremdsprache intensiv erforscht. Durch die Berücksichtigung von Drittsprachen hat sich der Forschungshorizont zum Mehrsprachigkeitserwerb wesentlich erweitert. Infolge der Auseinanderset- zung mit diesen Fragestellungen hat sich die Tertiärsprachenforschung etabliert und wurde – auch was ihre Bezeichnung betrifft – von der Mehr- sprachigkeitsforschung abgelöst (Hufeisen/Riemer 2010: 747). Diese Abgren- zung spiegelt eine differenzierte Betrachtung in Bezug auf Fragen des Spra- chenlernens und der Mehrsprachigkeit im FSU wider. Da Tertiärsprachen- forschung relevante Aspekte der individuellen Mehrsprachigkeit fokussiert, werden ihre Erkenntnisse in meiner Arbeit mit berücksichtigt, um die For- schungspalette in deren Komplexität abdecken zu können.

Tertiärsprachenforschung befasst sich also mit der Differenzierung und Präzisierung der Besonderheiten des Lernens und Lehrens von Folgefremd- sprachen und liefert „Erkenntnisse über Einflüsse und Interdependenz der beteiligten Sprachen sowie Präferenzen und Synergien in den Erwerbspro- zessen“ (Roche 2013: 167). Ergebnisse der Tertiärsprachenforschung lassen darauf schließen, dass sprachliche Systeme aufeinander aufgebaut werden und miteinander interagieren. Im Rahmen der Tertiärsprachenforschung werden Untersuchungen zur Interaktion mehrsprachiger Individuen im

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