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Erforschung der kognitiven und neuronalen

3 Mehrsprachigkeit

3.3 Erforschung der kognitiven und neuronalen

Bei der Erforschung der Mehrsprachigkeit wird auch den kognitiven und neu-ronalen Grundlagen der Mehrsprachigkeit viel Aufmerksamkeit gewidmet.

Es ist von hoher Relevanz, wie mehrere Sprachen im Gehirn gespeichert und

mental repräsentiert werden, wie das mehrsprachige Gehirn aufgebaut ist oder wie Mehrsprachige auf ihre vorhandenen Sprachen zurückgreifen (kön-nen). Die Beantwortung dieser Fragen setzt die Untersuchung der kognitiven und neuronalen Grundlagen der Mehrsprachigkeit voraus. Erscheinungen wie der Sprachwechsel oder die Bedeutungsübertragung von einer Sprache in eine andere legen nahe, dass die vom Individuum beherrschten Sprachen im Gehirn nicht voneinander getrennt repräsentiert, sondern im Gegenteil: mit-einander vernetzt sind (Riehl 2014).

3.3.1 Mentale Repräsentation der Sprachen im Gehirn

Im 19. Jahrhundert haben sich Neurowissenschaftler für die Lokalisierung des Sprachzentrums im Gehirn interessiert, um Erkenntnisse über die mentale Sprachvernetzung zu gewinnen. Aufgrund diesbezüglicher Forschungen wur-de festgestellt, dass sich in wur-der linken Hirnhälfte zwei Sprachzentren befinwur-den:

Einerseits das Broca-Areal, das eher für die Sprachverarbeitung und die Sprachproduktion verantwortlich ist, andererseits das Wernicke-Areal, das auf das Sprachverständnis spezialisiert ist. Über diese zwei Areale hinaus gibt es in der linken Gehirnhälfte weitere am Sprachprozess beteiligte Zentren und Regionen, die miteinander ein Netzwerk bilden, in dem die Sprachen organi-siert sind (Riehl 2014: 34f.; Gósy 2005; Bánréti 2006: 1ff.).

In Bezug auf die Repräsentation der Sprachen im Gehirn belegen Studien erhebliche Unterschiede zwischen Früh- und Spätmehrsprachigen (Riehl 2014: 35). Bei Frühmehrsprachigen, die ihre zweite Sprache vor dem dritten Lebensjahr erworben haben, sind die zwei Sprachen kompakter repräsentiert und überlappen sich im Broca-Areal fast vollständig. Dieses Netzwerk im Broca-Areal ermöglicht eine bessere Integration weiterer Sprachen. Dem-gegenüber funktioniert die Überlappung der Aktivierung bei Spätmehrspra-chigen, die sich ihre zweite Sprache erst nach dem 9. Lebensjahr aneignen, nur teilweise, weil bestimmte Strukturen in Gehirnarealen ab dem sog. „kri-tischen Alter“ nicht mehr zu modifizieren sind. Die Speicher können beim Erwerb der zweiten Sprache nicht das gleiche Areal nutzen. Weitere Unter-schiede wurden hinsichtlich des Aktivierungsmusters und der Prozessierung der Sprachproduktion später erworbener Sprachen ermittelt: Frühmehrspra-chige müssen bei der Produktion ihrer zweiten oder dritten Sprache weniger

Gehirnsubstrat aktivieren und sie aktivieren vor allem den vorderen Teil der Gehirnrinde (den Cortex), wie z.B. den Sitz des Arbeitsgedächtnisses oder das für kognitive Flexibilität verantwortliche Zentrum. Ein weiteres entschei-dendes Kriterium bei der Variation in der Aktivierung der Sprachen ist das Alter: Je später man mit dem L2-Erwerb anfängt, desto größer ist die erwähn-te Variation (Riehl 2014: 35ff.; Franceschini 2002; Götze 1999: 10ff.).

Diese Erkenntnisse haben auch im institutionellen Kontext eine Relevanz.

Bei der Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit von Lernenden sind Forschungsergebnisse der Neurolinguistik bzw. der Gehirnforschung zu be-achten. Erstens ist es von Bedeutung, mit welchen bestehenden Sprach-kenntnissen Lernende in den Fremdsprachenunterricht kommen und auf welche vorhandenen Ressourcen sie beim Sprachenlernen zurückgreifen kön-nen. Zweitens ist das Alter bestimmend, in dem sie mit dem Lernen einzelner Sprachen anfangen.

3.3.2 Das mehrsprachige mentale Lexikon

In der Mehrsprachigkeitsforschung spielt also im Zusammenhang mit der mentalen Repräsentation die Speicherung der Sprachen von mehrsprachigen Individuen eine wichtige Rolle, bei der dem mehrsprachigen mentalen Lexi-kon eine große Bedeutung zukommt. Das Wissen im mentalen LexiLexi-kon wird organisiert gespeichert, was deklaratives Wissen (Repräsentation) und pro-zedurales Wissen (kognitive Prozesse) umfasst. Wortformen, Sprach- und Weltwissen sind im mentalen Lexikon gemeinsam, also vernetzt, dennoch autonom repräsentiert. Das mentale Lexikon ist auf diese Weise eine Schnitt-stelle von sprachlichen und konzeptuellen Strukturen. Aus der Perspektive der Speicherung mehrerer Sprachen ist es wichtig, dass die sprachlichen Informationen im mentalen Lexikon in Form komplexer Zusammenhänge gespeichert werden. Diese kognitive Interdependenz ermöglicht eine mög-lichst schnelle Aktivierung und Herstellung der Verbindungen zwischen den gespeicherten Informationen (Börner/Vogel 1994a: 1ff.; Gósy 2005; Aitchison 1987). Die vorigen Überlegungen in Bezug auf das mentale Lexikon sind über-wiegend L1-bezogen, sie bilden aber eine wichtige Grundlage bei der Model-lierung des mehrsprachigen mentalen Lexikons. Manfred Raupach, der sich

mit dem mentalen Lexikon von Mehrsprachigen aus kognitiv-linguistischer Perspektive beschäftigt, betrachtet es als einen „Teil des Langzeitgedächtnis-ses, in dem die Wörter einer Sprache mental repräsentiert sind“ (Raupach 1994: 21). Wie Raupach, so verweist auch Riehl (2014) auf die terminologische Problematik: Die Fachdiskussion beschränkt sich oft auf den Terminus „bi-linguales“ bzw. „zweisprachiges“ mentales Lexikon, wobei entweder Zwei- und Mehrsprachigkeit gleichgesetzt werden oder Mehrsprachigkeit ausge-klammert wird. Ich betrachte Zweisprachigkeit als eine Form der Mehrspra-chigkeit und verwende hierfür – in Anlehnung an Raupach – konsequent den Begriff mehrsprachiges mentales Lexikon. Bezüglich des mehrsprachigen men-talen Lexikons sind die an sprachliche Einheiten anknüpfenden Bedeutungen und sprachunabhängigen Konzepte „als Grundeinheiten des menschlichen Wissens und Denkens“ von großem Belang (Raupach 1994: 26). Im mentalen Lexikon existieren also sprachunabhängige konzeptuelle Strukturen, sie sind nicht an Repräsentationen einzelsprachlicher Formen gebunden. Einzelne Sprachen unterscheiden sich in ihrem Lexikon zum einen durch die unter-schiedliche Realisierung einzelner Konzepte, zum anderen dadurch, dass es nicht immer dieselben Konzepte bzw. Konzeptverknüpfungen sind, die lexi-kalisiert werden. Es ist also zwischen dem sprachspezifischen, lexikalischen System einer Sprache und den sprecherindividuellen, subjektiven Repräsenta-tionen der kognitiven Konzepte zu trennen (Raupach 1994: 26; Navracsics 2007). Diese Trennung hat auch in meiner empirischen Forschung bei der Untersuchung der individuellen Textverarbeitung von Sprachlernenden und der transferierbaren kognitiven Kompetenzen eine hohe Relevanz.

In Untersuchungen, die zum mentalen Lexikon und dessen Modellierung vorliegen, wurde häufig die Frage diskutiert, ob die Informationen sprach-übergreifend oder nach Sprachen getrennt gespeichert sind. Diese Dicho-tomie wurde aber aufgehoben und stattdessen wird neuerdings von einem multidimensionalen Kontinuum gesprochen. Das mehrsprachige mentale Le-xikon ist in diesem Sinne ein dynamisches System, das durch Sprachver-wendung beeinflusst werden kann. Das wird durch Modelle der Mehrspra-chigkeitstheorie, wie z.B. durch die Dynamic Systems Theory von de Bot/

Lowie/Verspoor (2007) untermauert. Die Theorie geht davon aus, dass sich die Repräsentationsformen während der sprachlichen Entwicklung je nach Individuum unterschiedlich verändern können. Das Sprachsystem eines

Indi-viduums befindet sich in einem dynamischen Prozess der Restrukturierung (Riehl 2014: 44; Raupach 1994: 29ff.).

In diesem Kontext ist in der Forschung eine zentrale Frage, ob die ver-schiedenen Sprachen eines mehrsprachigen Individuums in einem oder mehreren Speichern repräsentiert sind. Den Überlegungen liegt die Subset-Hypothese von Paradis (2004) zugrunde, die besagt, „dass die Sprachen in unterschiedlicher Weise mit ein und demselben konzeptuellen Erfahrungs-speicher verbunden sind“ (Riehl 2014: 40). Das bedeutet, dass die Konzepte sprachunabhängig sind, aber sprachspezifische Merkmale enthalten. Die ein-zelnen Sprachen sind also in einem Speichersystem repräsentiert, in dem die zur gleichen Sprache gehörenden Elemente durch die gemeinsame Verwen-dung miteinander verbunden sind und ein Netzwerk von Verknüpfungen, ein sog. Subsystem bilden. Hinsichtlich der Mehrsprachigkeit ist noch anzu-merken, dass es Verknüpfungen nicht nur zwischen den Elementen einer Sprache, sondern auch zwischen Elementen der verschiedenen Sprachen gibt (Riehl 2014: 40; Raupach 1994: 30f.).

3.3.3 Ertrag der Mehrsprachigkeitsforschung

Forschungsergebnisse der Mehrsprachigkeitsforschung lassen einerseits die Komplexität der Mehrsprachigkeit, andererseits ihren Ertrag bzw. ihren Ge-winn sowohl für den Einzelnen, als auch für die Gesellschaft erkennen.

Mehrsprachigkeit lässt sich als ein gesellschaftliches Kapital betrachten, indem sie Zugang zu verschiedenen Kulturen und Sichtweisen ermöglicht (Roche 2013: 180ff.). Darüber hinaus trägt sie zur Entwicklung interkultureller Kompetenz bzw. zu einem differenzierten Blick auf die Kulturen bei und erleichtert Wirtschaftsbeziehungen in der Welt. In Bezug auf die Erfassung des Wertes, den Mehrsprachigkeit für die einzelnen Individuen darstellt, wer-den in der Forschung dreierlei Aspekte berücksichtigt. Neben dem psycholo-gischen und dem sozialen findet der kognitive Aspekt eine besondere Be-achtung. Der psychologische Aspekt bezieht sich auf die identitätsbildende Funktion der Sprache für die Sprecher. Beim sozialen Gesichtspunkt handelt es sich um das Verstehen und Akzeptieren kommunikativer Routinen und Verhaltensweisen von Mitgliedern eigener und anderer Sprachgemeinschaf-ten. Seit der kognitiven Wende in den 1970er Jahren rückte der kognitive

Aspekt in den Mittelpunkt des Interesses und die kognitiven Vorteile der Mehrsprachigkeit werden in Bezug auf mehrsprachig aufwachsende Kinder intensiv erforscht (Riehl 2014: 17f.). Aufgrund neurologischer Studien kann festgestellt werden, dass Mehrsprachige Monolingualen gegenüber zu einer besseren Mentalisierung (Theory of Mind) fähig sind, d.h., sie nehmen Be-wusstseinsvorgänge in anderen Personen an und können diese in der eigenen Person erkennen. Darüber hinaus ist belegt worden, dass Mehrsprachige über eine hochgradige kommunikative Kompetenz und die Fähigkeit des Einsatzes von Strategien beim Sprechen verfügen. Zusätzlich zeigen mehrsprachige Kinder im Bereich der Aufmerksamkeitskontrolle bessere Ergebnisse als Ein-sprachige. Die gut ausgeprägte Aufmerksamkeitskontrolle betrifft sowohl die Sprachaufmerksamkeit (language awareness) wie auch das metasprachliche Bewusstsein, die sich bei Mehrsprachigen besser entwickeln können. Weitere Vorteile von Mehrsprachigkeit sind erstens ein differenziertes Sprachbe-wusstsein bei mehrsprachigen Individuen, wodurch das Erlernen weiterer Sprachen erleichtert werden kann, zweitens ihr kreativitätsförderndes Po-tential. Diese Vorteile können natürlich individuell unterschiedlich sein;

außerdem spielt das Verhältnis der Sprachkompetenz und der kognitiven Fähigkeiten ebenfalls eine entscheidende Rolle (Riehl 2014: 55ff.; Nicoladis 2008; Bialystok 2001). Bei der Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit – besonders im rezeptiven Bereich – ist der bewusste Umgang mit den ge-nannten Vorteilen im Fremdsprachenunterricht eine wichtige Voraussetzung – diese Vorteile müssen als Potentiale betrachtet werden.