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Zur Paradiesesdarstellung im Armen Heinrich Hartmanns von Aue (Vers 773-812)

In document Auf Schmuggelpfaden (Pldal 68-78)

Eine Skizze ...

so lazet mich keren zunserm herren Jesü Krist, des gnäde alsö stsete ist, daz si niem er zegät, und ouch zuo m ir arm en hat alsö gröze minne

als zeiner kiiniginne (806-812)' D aß der A rm e H einrich eine Paradiesesdarstellung enthält, w ill nicht jed em , der sich an die legendenähnliche D ichtung erinnert, in den Sinn. A uch die Interpreten haben oft einen B ogen um die T extpassage geschlagen, in der das M ädchen seinem Jenseits­

verlangen dadurch A usdruck verleiht, daß es den Eltern sein L eben im D iesseits als aussichtslos erklärt und das von ihm ersehnte Leben im P aradies an der unheilvollen Z ukunft in d er W elt m ißt (773-812). D er rhetorisch ausgefeilte selbständige E rzähl­

abschnitt steht im Z entrum der D ichtung2 und entspricht allem A nschein nach ihrem E ingang, als d er E rzähler an H einrich, den der A ussatz gerade erst vom G ipfel ird i­

schen G lückes in das größte Leid herabgestürzt hat, die Vergänglichkeit als Prinzip des Irdischen ex em p lifiziert (84-132). D em versöhnlichen E nde der D ichtung scheint die w eltverneinende Passage dagegen zu w idersprechen; denn ehe der A utor sich seinem P ublikum abschließend in d er H offnung zuw endet, G ott m öge sie gem einsam genau­

so belohnen w ie H einrich und das M ädchen, versichert er, nach einem langen glück­

seligen L eben in der W elt hätten beide gleicherm aßen das ew ige Leben im Jenseits erlangt: „nach süezem lanclibe/ do besäzen si gelfche/ daz ew ige rich e“ (1514-16).

A ber das steht a u f einem anderen B latt; denn die G egensätze beider L ebensform en, die erst infolge der U m kehr H einrichs w ährend der A rztszene in Salerno (1221-1256) unüberbrückbar scheinen, w eil dieser nun nicht m ehr bereit ist, das O pfer anzuneh­

m en (1257-1280), w ährend das M ädchen d arau f beharrt, sich für ihn zu opfern (1281- 1332), sind nicht eher aufgehoben, als bis G ott den für beide M enschen unlösbaren K onflikt b eig eleg t hat (1353-1370). Infolgedessen finden der zuvor allein der W elt zugew andte und som it die A ugen vor dem S chöpfer verschließende H einrich3 und das M ädchen, das sich in übersteigerter W eltflucht und Jenseitsverlangen aus contem ptus

1 ‘So laßt mich heimkehren/ zu unserm Herrn Jesus C hristus/ dessen Gnade so stetig ist,/ daß sie nie vergeht,/

und der auch zu mir in meinem Elend/ so große Liebe empfindet/ wie zu einer Königin.’ - Ich zitiere nach fol­

gender Edition: H artm an n v o nAue: Der arme Heinrich. Hg. v. Hermann Paul. 16., neu bearb. Aufl., bes. v.

Kurt Gärtner. Tübingen: Niemeyer, 1996 (= Altdeutsche Textbibliothek, 3); anders als Gärtner setze ich am Ende von Vers 808 Komma. Vgl. die Rezension von F re y ta g , H a rtm u t. - In: Zeitschrift fü r deutsches Altertum und deutsche Literatur 127 (1998), S. 90-101.

2 V g l. V e r w e y e n , T h e o d o r : Der 'Arme Heinrich’ Hartmanns von Aue. Studien und Interpretation. München:

Fink, 1970, S. 46f. und Anm. 67 mit weiterer Literatur.

» Vgl. u.a. 61, 72f„ 75-89, 383-394, 395-399.

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m undi ebenso verm essen hat,4 zu einem gleicherm aßen G ott und der W elt genügen­

den L eben (1430-1436, 1498-1508), und endlich gelangen sie verm öge der stände- übergreifenden E he aus dem Status der U nvollkom m enheit in den der V ollkom m en­

heit; denn nun w erden sie dem im Schöpfungsplan angelegten, kraft des Sündenfalls eingebüßten und im ew igen Leben w ieder eingesetzten Prinzip der Freiheit und G leich­

heit aller M enschen vor G ott gerecht (1446-1450, 1514-1516).

H ier nun d er ganze E rzählabschnitt, in dem das M ädchen den H o f des von ihr ersehn­

ten M annes den E ltern beschreibt, dam it diese sich nicht län g er ihrem W unsch w ider­

setzen, durch den O pfertod für H einrich dorthin zu gelangen (773-812):

Nü setzet mich in den vollen rät, der da niemer zegät.

775 mîn gert ein vrîer bûman, dem ich wol mines lîbes g an.

zewâre, dem suit ir mich geben, so ist geschaffen wol min leben, im gät stn phluoc harte wol, 780 sin hof ist alles rätesvol,

da enstirbet ros noch daz rint, da enmüent diu weinenden kint, da enist ze heiz noch ze kalt, da enwirt von jären nieman alt, 785 der alte wirt junger;

da enist vrost noch hunger, da enist deheiner slahte leit, da ist ganziu vreude âne arbeit, ze dem wil ich mich ziehen 790 und seihen bü vliehen,

den der schür und der hagel sieht und der wäc abe tweht,

mit dem man ringet und ie ranc.

swaz mah daz jä r also lanc 795 dar üf garbeiten mac,

daz verliuset schiere ein halber tac.

den bi2 den wil ich lazen, er sî von mir verwäzen.

ir minnet mich, deist billich.

800 nü sihe ich gerne, daz mich iuwer minne iht unminne.

ob ir iuch rehter sinne an mir verstän kunnet und ob ir mir gunnet 805 guotes und êren,

sô lâzet mich kêren zunserm herren Jêsû Krist, des gnâde alsô stæte ist,

4 Vgl. außer der Paradiesesallegorese den ihr vorausgehenden Erzählabschnitt 681-772.

Zur Paradiesesdarstellung im A rm en Heinrich 7 9 daz si niemer zegät,

810 und ouch zuo mir armen hat also gröze minne

als zeiner küniginne.5

‘Nun versorgt mich mit all dem, was dort niemals zugrundegehen wird.

775 Nach mir verlangt ein freier Bauer, dem ich mich wohl anvertrauen möchte.

Fürwahr, dem sollt ihr mich geben, dann steht es wohl um mein Leben.

Ihm geht sein Pflug sehr gut, 780 an seinem Hof fehlt es an nichts,

dort stirbt weder Pferd noch Rind,

dort bereiten weinende Kinder keinen Verdruß.

Dort ist es weder zu heiß noch zu kalt, dort wird niemand an Jahren alt, 785 [im Gegenteil:] der Alte wird jünger;

dort gibt es weder Frost noch Hunger, dort gibt es keinerlei Leid;

dort gibt es nichts als Freude ohne Mühsal.

Zu dem will ich mich begeben 790 und solch ein Feld fliehen,

das Schauer und Hagel schlagen und das die Flut hinwegschwemmt, mit dem man ringt und immer gerungen hat.

All das, was man das Jahr über 795 darauf erarbeiten kann,

macht ein halber Tag jäh zunichte.

Das Feld will ich verlassen, es sei von mir verflucht.

Ihr liebt mich, das ist recht,

800 nun sehe ich [aber auch] gern, daß sich eure Liebe zu mir nicht ins Gegenteil verkehrt.

Wenn Ihr mich recht verstehen könnt und wenn Ihr mir 805 Gut und Ehre vergönnt,

dann laßt es zu, daß ich

zu unserm Herrn Jesus Christus heimkehre, dessen Gnade so stetig ist,

daß sie nie vergeht,

810 und der auch zu mir in meinem Elend so große Liebe empfindet

wie zu einer Königin.’

5 Anders als Gär t n e r(wie Anm. 1) setze ich am Ende von Vers 773, 775, 790 und 808 sowie im Innern von Vers 800 Komma.

80 Hartmut Frcytag

D ie eben zitierte B eschreibung des vollkom m enen B auernhofes steht ausgangs des ausführlichen D ialogs m it den E ltern, als das M ädchen in seinem gleicherm aßen um fassenden M onolog seine B ereitschaft, sich für H einrich zu opfern, dam it recht­

fertigt, daß d er schöne Schein der W elt den M enschen trüge, da der, w elcher ihm er­

liege, sein S eelenheil einbüße. D ie descriptio paradisi, als w elche sich ihre B eschrei­

bung zu guter letzt unm ißverständlich zu erkennen gibt, w eil ihr B räutigam , ein vrier büm an (775), in d er allegorischen A uslegung zu unserm Herren Jesu K rist (807) w ird, m ißt die M eierstochter kontrastiv an ihrem V erständnis der W elt, w elche nichts anderes auszeichne als allein ihre U nvollkom m enheit, der Verlust am G uten, die pri- vatio boni. So w eiß das M ädchen dem Leben im D iesseits rein g ar nichts abzugew in­

nen, da ihr selbst die A ussicht auf Ehe und Fam ilie, wie die E ltern sie für die Tochter erhoffen (760-763), nichts als M ühe und L eid bedeutet. In diesem Z usam m enhang scheint das M ädchen sich auch über die B estim m ung hinw egsetzen zu w ollen, „unter Schm erzen K inder zu gebären“ (G enesis 3,16: in dolore p a ries filio s), w ie G ott sie E va fü r ihr L eben au f d er Erde auferlegt hatte, als er die ersten M enschen aus dem Paradies vertrieb (764-772).

In dem neuen E rzählabschnitt, m it dem ihre B eschreibung des H ofes einsetzt, fordert die B auerntochter ihre E ltern dazu auf, sie m öchten sie so ausstatten, daß es ihr in Z u ­ kunft an nichts fehle, um ihnen gleich darauf zu versichern, ein vrter büman (775) ver­

lange nach ihr, und ihm w olle sie sich und ihr Leben schenken. W ürden die E ltern sie ihm anvertrauen, so stehe es w ohl um ihr Leben; denn sein H o f sei in je d e r H insicht vollkom m en, weil es ihm an nichts gebreche, w ie die Reihe von N egierungen irdischer M ängel zeigt; das M ädchen fühlt sich eben dahin gezogen und will von dem O rt flie­

hen, w o ihm nichts als M ühe und existentielle N ot bevorstünden.

D ie kontrastierende G egenüberstellung, w ie sie die rhetorische Technik der indirek­

ten B eschreibung des vollkom m enen - m ittels der N egationen des unvollkom m enen - H ofs im pliziert, m ündet in das Fazit des M ädchens, seine Eltern m öchten sie zun- serm herren Jesu K rist (807) heim kehren lassen, dessen G nade ew ig w ähre und der selbst zu ihr als einer arm en (810) so große L iebe em pfinde w ie zu einer Königin (806-812). M it dieser W endung gibt das M ädchen ausgangs der B eschreibung den E igner des B auernhofs, von dem es eingangs noch gesagt hat, er sei ein vrier büm an (775), der nach ihr verlange, wie auch sie sich ihm hingeben w olle, ausdrücklich als Jesus C hristus zu erk e n n e n / A uf die W eise schlägt die Beschreibung des idealen Hofes unm ißverständlich um in eine P aradiesesallegorese.7 D eren G rundvorstellungen hat der A utor der spirituellen E xegese des H ohen Liedes Salom ons im A lten Testam ent entlehnt, und zw ar der Brautmystik,* die ebenso von der S ehnsucht der B raut, zum

6 Vgl. Schönbach, A n to n E.: Über Hartmann von Aue. Drei Bücher Untersuchungen. Graz: Leuschner und Lubensky, 1894, S. 148-151. Schönbach erklärt, die Vorstellung von Christus als himmlischem Ackermann gehe auf das Neue Testament zurück; vgl. u.a. Johannes 15,1-5, und hier besonders 15,1 von Christus: „ego sum vitis vera et Pater meus agricola est“ [‘Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Bauer’]. Vgl. auch D a h lg rü n , C orinna: H ocfac, et vives (Lk 10,28) - „vor allen dingen minne g o t‘‘. Theologische Reflexionen eines Laien im Gregorius und in Der arme Heinrich Hartmanns von Aue. Frankfurt a.M. [u.a.]: Lang, 1991 (= Hamburger Beiträge zur Germanistik, 14), S. 273 (zu Vers 773-776).

7 Eine größere Anzahl von Parallelen aus stilistisch verwandten Jenseitsbeschreibungen belegt Sc h ö n b a c h(wie Anm. 6), S. 149-151.

Zur Paradiesesdarstellung im A rm en Heinrich 81 him m lischen B räutigam zurückzukom m en, handelt w ie von seinem Verlangen nach ihrer H eim kehr.

D ie A bhängigkeit der P aradiesesdarstellung vom H ohen L ied Salom ons und seiner Exegese ist nicht nu r für den B efund der H ohelied-R ezeption in der volkssprachigen höfischen L iteratur oder den des B ildungshorizonts eines Laiendichters um 1200 von B edeutung, sondern sie w irkt sich auch a u f die Interpretation der L iebe im A rm en H einrich aus. So gesehen w eitet sich diese näm lich über die zw ischenm enschliche L iebe hinaus zu r gotes m inne, zum a m o r D ei - w obei gotes bzw. D ei hier zugleich als G en etiv u s su b iectiv u s und obiectivus zu verstehen ist, also zur m ystischen G o ttes­

liebe, der L iebe G ottes zum M enschen w ie der L iebe des M enschen zu G ott, w elche durch die w echselseitige Z uneigung beider bestim m t ist. Z w ischenm enschlicher L ie­

be - und folglich auch der E lternliebe - ist diese L iebe ungleich überlegen; w ie denn

D ie gegenüber dem Jenseits vergleichsw eise nachrangige E instufung irdischer W erte und M aßstäbe w ie hier der m inne gilt auch fü r andere im A rm en H einrich angespro­ auf die Welt zielen und Gott ausklammem; vgl. 1190-1196 gegenüber 1085-1088.

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heit10, w elche kraft ihrer zeit- und w eltbedingten D efizienz angesichts ihrer absoluten G eltung in der E w igkeit als begrenzt anzusehen sind. E ine ähnliche F unktion - näm ­ lich die, den E rscheinungen der W elt gleichsam sub specie aeternitatis au f den G rund zu gehen und sie au f die W eise in ihrer B edingtheit und M angelhaftigkeit zu rela­

tivieren - erfüllen die durchw eg so und nicht anders ausgerichteten kontrastierenden A ussagen sow ie die B ild er und M etaphern der D ichtung, w ie z.B. fü r V ergänglichkeit und E w igkeit (97-111, 708-715, 722-731, 780-796), Leben und Tod (92-96, [852ab], 853f.), G ebrechen bzw. K rankheit und G esundheit (842f., 853f.) sow ie D iesseits und Jenseits (780-796), die nicht selten die D ynam ik von P aradoxa und O xym ora (z.B.

92-96, 108f„ 708-715, 853f.) entfalten.

N achdem ich bislang hervorheben w ollte, daß sich d er E rzählabschnitt m it der B eschreibung des perfekten B auernhofes aus seiner B eziehung zur E xegese des H ohen Liedes erklärt, w oraus sich w iederum ableiten läßt, daß der A utor das Jenseits­

verlangen des M ädchens als m ystische G ottesliebe der anim a desiderans zu verste­

hen gibt, die ihrerseits den D eus desiderans voraussetzt, und nachdem ich ferner b e ­ tont habe, daß das M ädchen im selben Passus die zw ischenm enschliche L iebe in der W elt gegenüber der nie zu E nde gehenden L iebe des him m lischen B räutigam s abw er­

tet, m öchte ich nun der Frage nachgehen, ob das H ohe L ied über die P aradiesesalle- gorese hinaus auch andere Teile der D ichtung vom A rm en H einrich bestim m t. Daß die A ntw ort au f diese F rage positiv ausfällt, liegt nicht zuletzt an O liver H allich, der in einem E xkurs zu seiner D issertation über H artm anns G regorius nachgew iesen hat, daß sich die conversio H einrichs w ährend d er A rztszene in Salerno (1217-1240) in entscheidenden Punkten aus d er N ähe zur allegorischen E xegese des H ohen Liedes und zum al der B ernhards von C lairvaux erklärt." In eben dem Z usam m enhang ver­

m utet H allich auch, „es könnte m ehr als Zufall sein, daß der B egriff gem ahel genau dem der sponsa aus dem H ohen L ied“ entspricht.n

In der Tat läßt eine W ortschatzuntersuchung kaum einen Z w eifel daran, daß gem ahel im Sinne der zeitgenössischen H ohelied-E xegese von sponsa zu verstehen ist;13 so läßt sich denn auch die B edeutung von gem ahel als Ü bersetzungsgleichung von lateinisch sponsa in der Sonderbedeutung, w ie sie die H ohelied-E xegese voraussetzt,

10 Vgl. u.a. 858. - Wenn der Autor kommentiert, daz rehl gebot ime daz (‘das gebot ihm das Recht’, 1450) als Heinrich sich nach der Rückkehr von Salerno dem Mädchen gegenüber als einer vrouwen ode baz (‘wie gegen­

über einer adligen Frau oder noch besser’, 1449) verhält, so meint er damit nicht das geltende Gewohnheitsrecht bzw. das ius humanum, sondern das ius divinum bzw. ius naturale, demgemäß Heinrich jetzt handelt, da er durch seine conversio zu der Erkenntnis gelangt ist, daß Gott alle Menschen gleichermaßen frei und gleich geschaffen hat; vgl. Fre y t a g, Ha r t m u t; Ständisches, Theologisches, Poetologisches. Zu Hartmanns Konzeption des Armen Heinrich. - ln: Euphorion 81 (1987), S. 240-261, hier S. 248-252.

" Ha l l ic h, Ol iv e r: Poetologisches, Theologisches. Studien zum Gregorius Hartmanns von Aue. Frankfurt a.M.

[u.a.]: Lang, 1995 (= Hamburger Beiträge zur Germanistik, 22), S. 211-218.

12 Ebd., S. 217; vgl. Hohes Lied 4,8-12; 5,1.

15 Zur Hohelied-Exegese vgl. besonders Ohly, Friedrich: Hohelied-Studien. Grundzüge einer Geschichte der Hoheliedauslegung des Abendlandes bis um 1200. Wiesbaden: Steiner, 1958 (= Schriften der Wissenschaft­

lichen Gesellschaft an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main; Geisteswissenschaftliche Reihe, 1). - In ihrer Deutung erörtert Eva Tobler nicht die Beziehung von gemahel auf das Hohe Lied und seine Exegese; vgl. T o b le r, Eva: „daz er si sin gemahel h iez“. Zum Armen H einrich Hartmanns von Aue. - In:

Zur Paradiesesdarstellung im A rm en Heinrich 83 begegnet und gew isserm aßen leitm otivische F unktion erh ält.'5

Sehe ich recht, so löst die E rklärung, H artm ann spiele m it dem B egriff gem ahel auf Ingeborg: Wörterbuch zum St. Trudperter Hohen Lied. Ein Beitrag zur Sprache der mittelalterlichen Mystik.

Berlin; New York: de Gruyter, 1972 (= Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der ger­

manischen Völker, N. F., 50 [174]), S. 49f.; vgl. z.B. Ohly, F ried rich (Hg.): Das St. Trudperter Hohelied. Eine Lehre der liebenden Gotteserkenntnis. Hg. v. F. O. unter Mitarb. v. Nicola Kleine. Frankfurt a.M.: Deutscher Klassiker Verlag, 1998 (= Bibliothek des Mittelalters: Texte und Übersetzungen, 2), 42,31-43,6: Kommentar zu Cant 3,9f.: „[...] dä sich got übere geleinet hät zuo siner gemahelen, daz ist diu heilige Christenheit [ecclesia]

unde ze vorderest diu gotes muoter [Maria] unde ein iegelich saeligiu sele [anima], die sich gemüezzeget habent unde geleinet habent unde vil süezecltche gemahelköset habent mit dem wären Salomöne, ir gemahelen“ [‘Die goldene Ruhebank ist die heilige Vernunft (intellectus), über die sich Gott zu seiner Braut geneigt hat, das heißt zur heiligen Kirche und vorrangig zu der Mutter Gottes vor allen anderen seligen Seelen, die die Muße sich genommen und sich ihm zugeneigt und die aufs zärtlichste mit ihrem Bräutigam, dem wahren Salomon (Christus)’ geliebkost haben.’]; 68,2-4: Kommentar zu Cant. 5,2b: „daz er si heizet ‘gemahele’, daz ist diu behaltnisse sines ITchnamen unde sTnes bluotes, dä mite er si gemahelet hät“ [‘Daß er sie Braut nennt, meint das Aufgenommenhaben seines Leibes und seines Blutes, womit er sich ihr verlobt hat’]. Vgl. auch Heinrichs Litanei 5,3 [= 134]: „... gimahile [Maria] des ewigin chunigis“ [‘Braut des ewigen Königs’]. - In: M a u re r, F ried rich (Hg.): Die religiösen Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts. Nach ihren Formen besprochen u. hg.

v. F. M. (3 Bde.) Tübingen: Niemeyer, 1964-1970, Bd. 3 (1970), S. 145.

84 Hartmut Frcytag

v erb in d en .17 D ie A nnahm e, daß sich gem ahel als sponsa im Sinne der H ohelied- E xegese versteht, und die E rkenntnis, daß diese m it der Paradiesesallegorese und der alles entscheidenden Salem oszene zwei exponierten P assagen im A rm en H einrich zugrundeliegt, hat näm lich auch K onsequenzen für das V erständnis der D ichtung in s­

gesam t, und zw ar „vor allem fü r die E inschätzung der M innehandlung zw ischen H einrich und dem M ädchen“ , die m an sich zum einen buchstabengetreu im Sinne einer historischen D eutung vorstellen m ag, die sich aber zum anderen und darüber hinaus auch „durchgehend auf der Folie der H ohelied-E xegese“ - und das heißt: alle­

gorisch verstehen läßt, was zur Folge hätte, daß „es hier [...] w eniger um eine vorder­

gründige M innehandlung als vielm ehr um das Verhältnis des M enschen - in diesem Fall H ein rich s“ - zu G ott g eh t.18

A ufgrund d er zw eigliedrigen Stufung, w ie sie der A utor zunächst durch die D arstellung des M ädchens und später durch ihre E rklärung vornim m t, d er B räutigam , der nach ihr verlange, sei Jesus C hristus, scheint es m öglich, ja vielleicht notw endig, die D ichtung vom A rm en H einrich dem Verhältnis von H ohem L ied und H ohelied- E xegese analog zum einen im Sinne des B uchstabens und zum ändern und darüber hinaus auch im Sinne der (allegorischen) A uslegung durch den A utor zu v erstehen.19 D am it ergäbe sich der S achverhalt einer perm ixta apertis allegória, w elche aus der zeitgenössischen lateinischen Poesie und Poetik vertraut ist und auch für die Interpretation des A rm en H einrich gelten könnte. D ieses poetologische K onzept liegt vor, w enn ein Text im U nterschied zur tota allegória nicht in toto, also insgesam t alle­

gorisch ausgelegt w ird und zu verstehen ist, sondern w enn der A utor den alle­

gorischen Sinn an m indestens einer Stelle expressis verbis am B eispiel eines W ortes ausführt, das er im eigentlichen W ortsinn gebraucht - w ie hier bei dem büm an, der allegorisch C hristus bedeutet. Ü ber die einzelne T extstelle hinaus eröffnet der Typus einer p erm ixta apertis allegória die M öglichkeit, den spirituellen Sinn au f das Ver­

ständnis des gesam ten W erkes zu übertragen.

So verstanden ließe sich w ohl m anches Problem des A rm en H einrich erklären - wie nicht zuletzt das der B edeutung von gem ahel und überhaupt die im m er von neuem

17 Vgl. z.B. Be in, Th o m a s: Germanistische Mediävistik. Eine Einführung. Berlin: Erich Schmidt, 1998 (= Grund­

lagen der Germanistik, 35), S. 22: Bein meint, das Mädchen kümmere sich um Heinrich „mal kindlich-naiv, mal mit erotischen Nebentönen, mal einer Heiligen ähnlich“. Allen Ernstes erklärt Bein später, wenn er wissen­

schaftliche Methoden der Literaturwissenschaft erläutert, im Armen Heinrich herrsche eine „männliche Grund­

perspektive [...], die ihre markanteste Ausformung dort gewinnt, wo Heinrich, der Mann - und gleichzeitig das (männliche?) Publikum - , durch ein Loch in der Wand das nackte und gefesselte Mädchen heimlich beobach­

ten. Hier drängen sich geradezu Fragen nach 'männlich-voyeuristischem Sexismus’ a u f (S. 98; vgl. auch ebd., Anm. 1). Eben die gemeinte Textpassage (1217-1240) ist meines Erachtens mit Ha l u c h(wie Anm. 11), S. 211- 218, durch ihren Bezug auf die Hohelied-Exegese zu verstehen.

" Ebd., S. 216f.

19 D am it g ilt m u ta tis m u ta n d is e in e a lle g o risc h e D im e n sio n , w ie sie F ra n z J o s e f W o rstb ro c k im Kindheitslied des W ild e n A le x a n d e r e rk a n n t hat: sie h e Wo r s t b r o c k, Fr a n z Jo s e f: Das ‘Kindheitslied’ des Wilden Alexander. Z u r P o e tik a lle g o ris c h e n D ic h te n s im d e u tsc h e n S p ä tm ittela lte r. - ln: Hu sc h e n b e tt, Diet r ic h [u.a.] (H g .): Medium

19 D am it g ilt m u ta tis m u ta n d is e in e a lle g o risc h e D im e n sio n , w ie sie F ra n z J o s e f W o rstb ro c k im Kindheitslied des W ild e n A le x a n d e r e rk a n n t hat: sie h e Wo r s t b r o c k, Fr a n z Jo s e f: Das ‘Kindheitslied’ des Wilden Alexander. Z u r P o e tik a lle g o ris c h e n D ic h te n s im d e u tsc h e n S p ä tm ittela lte r. - ln: Hu sc h e n b e tt, Diet r ic h [u.a.] (H g .): Medium

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