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Helden in der Lyrik - Minnesänger in der HeldendichtungH elm ut T ervooren (D uisburg)

In document Auf Schmuggelpfaden (Pldal 54-68)

D ie P ersonalunion von E pikern und Lyrikern ist um 1200 durchaus üblich. D ie großen E p ik er H einrich von Veldeke, H artm ann von Aue, W olfram von E schenbach, selbst G ottfried von Straßburg, haben L ieder verfaßt, oder vorsichtiger ausgedrückt:

Ihnen glaubte die Ü berlieferung, L ied er zuschreiben zu m üssen. B ligger von Steinach rühm en literarische Z eitgenossen als V erfasser eines E pos (?) ‘um behanc’. M an könn­

te deshalb annehm en, daß dieser T atbestand die F orschung zu U n tersuchungen lite­

rarischer Interaktionen üb er G attungsgrenzen hinw eg angeregt hätte. D iese gibt es auch vereinzelt, aber in der R egel arbeiten Lyrik- und E penforschung doch neb en ­ einander. D ies gilt in einem besonderen M aße für literarische Interaktionsform en zw ischen L yrik und H eldendichtung. O bw ohl es ein altes T hem a ist, findet m an auch hier nur vereinzelt A rb eiten .1 So m utm aßte die F orschung schon seit Friedrich von der H agen, daß W alther von der Vögel w eide der V erfasser des N ibelungenliedes sei.

D iese T h ese ist zw ar nie bew iesen w orden, hat aber bis in die jü n g ste Z eit ihre Faszination nicht verloren.2 Im folgenden m öchte ich die Problem e der Interaktion von Lyrik und H eldendichtung jedoch nicht so allgem ein betrachten, sondern einen A sp e k t h e ra u sn e h m e n und frag en : W ie re k u rrie ren A u to ren von L yrik au f H eldendichtung und w ie rezipieren die A utoren von H eldendichtung die literarische Figur des M innesängers?

' K le in e re D e ta ilu n te r su c h u n g e n e tw a b ei We n z e l, Ho r s t: Fernliebe und Hohe Minne. Z u r rä u m lic h e n und s o z ia le n D is ta n z in d e r M in n e th e m a tik . - In: Kr o h n, Rü d ig er (H g .): Liebe als Literatur. A u fs ä tz e z u r e ro tis c h e n D ic h tu n g in D e u tsc h la n d . M ü n c h e n , 1983, S. 187-208 (W . u n te rsu ch t d e n T y p u s ‘F e m lie b e ’ u n d z ie h t e p isc h e und ly risc h e T e x te h e ra n ); As c r o ft, Je f f r e y: Als ein wilder valke erzogen. M in n e s a n g u n d h ö fis c h e S o z ia lis a ­ tio n . - In: Zeitschrift fü r Literaturwissenschaft und Linguistik 19 (1989), H. 74, S. 58-74; Re ic h e r t, He r m a n n: Autor und Erzähler im Nibelungenlied. S ein e M ü n d lic h k e it, S c h riftlic h k e it, B ild u n g , T rin k g e w o h n h e ite n und s o n stig e C h a ra k te ristik a . - In: Helden und Heldensage. O tto G sc h w a n tle r z u m 60. G e b u rtstag . H g . v. H e rm a n n R e ic h e rt u n d G ü n te r Z im m e rm a n n . W ien , 1990 (= P h ilo lo g ic a G e rm a n ic a, 11), S. 287-327, h ie r S. 303ff.

Sc h u l z e, Ur s u l a: Das 'Nibelungenlied' und Walther von der Vogelweide. D is k u rsa k tu a lis ie ru n g un d k o n z e p ­ tio n e lle Q u a litä te n d e s E p o s . - In: Kl e in, Do r o th e a [u.a.] (H g .): Vom Mittelalter zur Neuzeit. F e s tsc h rift fü r H o rs t B ru n n er. W ie sb a d e n , 2000, S. 161-180. D e r A u fs a tz e rsc h ie n , a ls d ie v o rlie g e n d e A b h a n d lu n g s c h o n a u f d en W eg z u r D ru c k le g u n g w ar, u n d k o n n te d e sw e g e n n ic h t e n tsp re c h e n d g e w ü rd ig t w erd en .

2 F a l k , W a l t e r : Wer war Volker? - In: D e r s .: Die Entstehung der potentialgeschichtlichen Ordnung. Kleine Schrif­

ten 1956-1984. Frankfurt a.M., 1985, Bd. 1 (= Beiträge zur neuen Epenforschung, 5.6), S. 177-201. Diese These wird man kaum anders beurteilen können als Thesen, die den Kürenberger oder Ofterdingen zum Verfasser des Nibelun­

genliedes machten; vgl. dazu auch S c h u lz e : Das 'Nibelungenlied' und Walther von der Vogelweide, S.162f.

64 Helmut Tervooren

Ich beginne m it m einen R echerchen im M innesang. D as R ollen-Ich des M innesangs kann als S änger und L iebender im aginiert w erden, als ritter, R eisender, K reuzfahrer, als L eidensm ann und A ußenseiter, nicht aber als heit oder degen. D eshalb findet m an diese W ö rter in der Lyrik n u r selten. F ü r m ännliche P rotagonisten, w ie sie die D ichter der H eldenepik zeichnen, b ietet der M innesang offensichtlich keine P rojektions­

flächen. E ine Form ulierung w ie die des von G liers ist darum auch singulär:

Waz hülfen alle die gezelt,

die noh ie der Minne swert ersluog?

ez was so maniger erwelter heit, daz ich muot ü f Minne nie getruog}

W enn auch der M innesang das W ort h eit bzw. degen nur ganz vereinzelt benutzt,4 so w eckt allerdings ein S änger die V orstellung von ‘H e ld ’ im m er w ieder gern: N eidhart, dessen B auern als K arikaturen von H elden durch seine L ied er laufen und auch H el­

dennam en tragen. N eben diesen „H elden“ begegnen im M innesang und S angspruch jedoch noch w eitere. Ich spreche von literarischen E xem pelgestalten, die recht eigent­

lich die B rücke zw ischen Lyrik und epischer D ichtung, vorsichtiger: epischen S tof­

fen, schlagen. Ihre N am en erzählen G eschichten, die einen verm ittelten V erständ­

nisprozeß auslösen, denn: D er H örer m uß sie kennen, will er das A nliegen des A utors entschlüsseln. In dieser au f den N am en reduzierten Form w erden H elden und G eschichten von H elden dann für eine G attung rezipierbar, die - w ie die Lyrik - im eigentlichen Sinne keinen S to ff kennt.

D ie L yriker verhalten sich m it B lick au f diese Stil- und auch A rgum entationsfigur unterschiedlich. In der L iebeslyrik w ird sie im A nfang durchaus geschätzt. In D es M innesangs F rühling agieren F löris und P lanschiflur (G utenburg, Leich I, b, 23), A lexa n d er (G utenburg, L eich V, 41), L âvîne und Turnus (G utenburg, L eich V b, 25 u.

28), Tristran und îsa ld e (H orheim 1,1; V eldeke IV, 1), Salom on (Veldeke X X V I), E n ê a s, Tidô (H ausen 1,1), P aris (M orungen X V III, 5), A scholoie (M orungen X V III, 5, 1), ) und schließlich Vénus (M orungen X X II, 3; W olfram V III, 5,10). A ber schon W alther hat neben der A nspielung au f H iltegunde (50,V ,10)5 nur noch H elêne und D ijäne (91,IV,6). In den S chw eizer M innesängern benutzt einzig noch der von G liers E xem pelfiguren (Tristan, P yram us, Ypolitus und G alant).6

' V o n G l i e r s S M S 8,2,47-50. D ie fü r d ie L y rik b e n u tz ten A u sg a b e n sin d d ie ü b lic h e n : W a l t h e r is t n a ch d e r A u sg a b e v o n C h r i s t o p h C o r m e a u (B e rlin , 1996) zitie rt, Des Minnesangs Frühling (M F ) n a ch d e r v o n H u g o M o s e r u. H e l m u t T e r v o o r e n (S tu ttg a rt, 1988), d ie Schweitzer Minnesänger (S M S ) n a ch M a x S c h i e n d o r f e r (T ü b in g e n , 1990), d ie L ie d d ic h tu n g d es 13. Jah rh u n d e rts (K L D ) n a ch C a r l v o n K r a u s (2. A u fl., T ü b in g en ,

1978), R e i n m a r v o n Z w e t e r n a c h G u s t a v R o e t h e (L eip zig , 1887; N ach d r. 1966).

4 Soweit ich die Belege überschaue, geschieht das gattungsgebunden im Tagelied, s. Wisse n l o KLD 68,11;

Win l i, SMS 17,8,1,11.

s „Das ist [...] eine interessante Tatsache und für die Geschichtsschreibung der deutschen Heldendichtung bedeutsam“ notierte Pe te r Gö h l e rvor kurzem dazu (P. G .: Textabwandlung in der Minnelyrik Walthers von der Vogelweide. Zwei Beispiele. - In.- Be in, Th o m a s (Hg.): Walther von der Vogelweide. Textkritik und Edition.

Berlin, 1999, S. 123-139, hierS.128.

6 Die Belege stehen (wie der Beleg in Anm. 4) im 2. Leich. Die Frage, warum in Leichs Exempelfiguren gehäuft Vorkommen (s. auch oben die Belege in Gutenburgs Leich), wäre zu untersuchen.

Helden - Minnesänger 65 N eben d er F requenz ist ein B lick au f ihre H erkunft noch interessanter. D ie M inne­

sänger entnehm en ihre Figuren der B ibel, heidnisch-antiken A utoren und - durchaus im E inklang m it der literarischen M ode - der höfischen Epik. D ie H eldendichtung ist dagegen w eitgehend ausgeblendet. Selbst in den N am ensschw ärm en des Tannhäusers in seinem IV. und V. L eich findet sich nur ein N am e aus der H eldendichtung:

E rm enrich (L eich V, 89).7 E ine A usnahm e bildet - w ie oben schon angedeutet - N eidhart, dessen B auern zu einem beträchtlichen Teil N am en aus der H eldendichtung tragen. G illespie hat schon 1979 die B elege zusam m engestellt und zeigen können, daß die N am en bei N eidhart nicht affirm ativ, sondern im R ahm en der A bsatzbew e­

gung von höfischem Sang eingesetzt w erden.8 Ihre V erw endung in parodistischer F unktion bezeugt darum zw ar K enntnis der H eldendichtung bei N eidhart (und seinem Publikum ), betont aber zugleich auch eine D istanz zw ischen ihr und der Liebes- dichtung. D ie H eldendichtung scheint lediglich eine bescheidene A ttraktion für L iebesdichter zu haben. Ihre in N am en verdichteten G eschichten können - so sieht es aus - nur noch in unernsten K ontexten, w ie sie N eidhart gestaltete, eingesetzt w erden.

D ie S onderstellung N eidharts bestätigt im übrigen auch die sonst zu diesen Fragen unergiebige Ü berlieferung, lediglich die R iedegger N eidhart-H andschrift hat einen größeren Ü berlieferungsverbund von Lyrik und H eldenepik,9 aber die lyrischen Texte sind eben N eidhart-L ieder. „O ffenbar w aren die A uftraggeber gar nicht generell an M innesang od er S pruchdichtung interessiert, sondern speziell an N eidhart.“'0 Als Sonderfall zu w erten ist w ohl die E ckenstrophe m it E rw ähnung der H eldennam en E rekke und D ietrich in der H andschrift der C arm ina burana. Sie paßt allerdings in den von N eidhart vorgegebenen R ahm en der Parodie."

B licken w ir nun a u f den Sangspruch, so scheint die H eldendichtung dort noch eine gew isse A ktualität zu besitzen. Z w ar gibt es auch hier keine nennensw erten Ü b er­

lieferungsgem einschaften - die S onnenburg-Strophen im codex sangallensis 857 etw a sind zusam m en m it epischer D ichtung überliefert aber der N am engebrauch

7 S ie b e r t, J o h a n n e s : Der Dichter Tannhäuser: Leben - Gedichte - Sage. Tübingen, 1934.

* Gil l e spie, Ge o r g e T.: Helden und Bauern. B ez ie h u n g e n z u r H e ld e n d ic h tu n g bei N e id h a rt, W e m h e r d em G a rte n a e re u n d W itte n w ile r. - ln : Sc h ü tz e ic h e l, Ru d o l f (H g .): Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters. B o n n , 1979, S. 4 8 5 -5 0 0 . Z u m N a m e n g e b ra u c h au ch : Wit t st r u c k, Wil f r ie d: Der dichterische Namengebrauch in der deutschen Lyrik des Spätmittelalters. M ü n ch e n , 1987 (= M ü n ste rsc h e M itte lalter- S c h rifte n , 6 1 ), S. 241 ff. A u f w e ite re V e rb in d u n g slin ie n , d ie ü b e r d ie V e rw en d u n g v o n H e ld en n a m e n h in a u sg e ­ hen, h a t In g rid B e n n e w itz h in g e w ie se n : S ie sieh t v o r a lle m in d e r D ie tric h -E p ik G e m e in sa m k e ite n m it N e id h art (T ec h n ik d e r N a m e n s re ih u n g e n , S c h la c h tsz e n e n u .a.). S ieh e: Be n n ew it z, In g r id: Original und Rezeption.

F u n k tio n s- u n d ü b e rlie fe ru n g s g e sc h ic h tlic h e S tu d ien z u r N e id h a rt-S a m m lu n g R. G ö p p in g e n , 1987 (= G ö p p i n g e r A rb e ite n z u r G e rm a n istik , 4 3 7 ), S. 3 0 1 , A n m . 1.

v Dies ist ein zufälliger Befund, denn die Strophen stehen auf der ursprünglich freien letzten Seite und sind von anderer Hand als die, die Parzival, das Nibelungenlied und die Klage, Strickers Karl und den Willehalm geschrieben haben. Ich spreche hier von der Überlieferung des 13. und 14. Jahrhunderts. In den Hss. des späten 14. und des 15. Jahrhunderts ist die Überlieferungsgemeinschaft ausgeprägter.

Ho l zn a g e l, Fr a n z-Jo s e f: Wege in die Schriftlichkeit. Untersuchungen und Materialien zur Überlieferung mittel­

hochdeutscher Lyrik. Bern, 1995 (= Bibliotheca Germanica, 3 2 ), S. 2 8 5 -2 9 3 , hier S. 29 3 .

" Vgl. Ha u s t e in, Je n s: Dietrich, Ecke und der Würfelspieler. Zu ‘Carmina burana' Nr. 2 0 3 und 2 0 3 ‘ - In:

Din k e l a c k e r, Wo l fg a n g [u.a.] (H g .): Ja muz ich sunder riuwe sin. Festschrift für Kar! Stackmann zum 15.

Februar 1990. Göttingen, 1990, S. 9 7 -1 0 6 .

66 Helmut Tervoorcn

setzt deutliche A kzente. Einm al ist die F requenz der N am en deutlich höher, und sie w ächst noch im L aufe der Zeit. Z um anderen benutzen die S angspruchdichter in ihren V ergleichen, in ihren B ew eis- und B eglaubigungsverfahren neben höfischer D ich­

tung, neben Bibel und antiken A utoren verm ehrt N am en aus d er H eldendichtung, in der R egel in affirm ativer Form . D as beginnt schon m it Herger, d er F ruot (I, 2,1) und R iiedeger (I, 4) anführt, W alther setzt die R eihe fort: „ich sm ecke Sibechen in dem rate“ (W alther 55, V II, 13).

R einm ar von Z w eter nim m t diese E xem pelfigur ebenso au f (122, 3; 203, 8) w ie M ei­

ster S igeher Fruote (Str. 8).12 E rm enrich und E ckehart bem üht der W ilde A lexander (K LD I, 11,24), um seine soziale L age deutlich zu m achen. D ie B eispiele ließen sich m ühelos m ehren (zum al w enn m an den M eistersang hinzu n äh m e).13 Ihre perform a- tive Q ualität ist abgestuft vom E xem pel bis zur A nspielung, w ie etw a die au f den N ibelungenhort beim M arner (XI, 2).

F ür S angspruchdichter - so d arf m an schließen - ist die H eldendichtung noch aktuell.

D ie G ründe sind hier nicht zu diskutieren. Sie könnten jed o ch darin liegen, daß

„S pruchdichter als T raditionsträger der spätm ittelalterlichen H eld en ep ik “ zu betrach­

ten oder zum indest ihre R ezipienten in die N ähe des P ublikum s der H eldendichtung zu rücken sind.'4 D a rau f deutet auch die bekannte Strophe M arners (XV, 14), die im R ahm en der S angspruchdichtung am dichtesten N am en aus der H eldendichtung aus­

breitet. Sie ist oft als R epertoire-S trophe eines S angspruchdichters interpretiert w or­

den, d.h. als B ew eis dafür, daß der S angspruchdichter H eldenepik vorträgt - und das kann auch bei angebrachter Skepsis nicht ausgeschlossen w erden.

Es dürfte aus dem , w as bisher dargelegt w urde, hinlänglich deutlich gew orden sein, daß die F ragestellung die B etrachtung lohnt. D ie Lyriker kannten die zeitgenössische Epik (zum indest ihre Stoffe) - alles andere w äre auch verw underlich gew esen - und nutzten sie in ein er ihr angem essenen W eise. D ie H elden haben im S angspruch einen festen O rt, in dem exklusiven und hochartifiziellen höfischen Sang können sie dage­

gen g ar nicht oder nur parodistisch verzerrt eindringen.15

D eutlichere und dichtere Signale sind zu hören, w enn m an in der H eldendichtung nach Spuren des M innesanges sucht. D ie ersten aventiuren des N ibelungenliedes las­

sen sich durchaus als B eginn eines m ittelalterlichen M innerom anes lesen: D ie H a n d ­ lungsm uster, in denen Siegfried agiert, sind Inszenierungen von M inn esan g m o tiv en ,'6

12 B r o d t , H e in r ic h P e t e r : Meister Sigeher. Breslau, 1913 (= Germanistische Abhandlungen, 42).

” Eine Zusammenstellung bei St a c k m a n n, Ka r l; Der Spruchdichter Heinrich von Mügeln. Vorstudien zur Erkenntnis seiner Individualität. Heidelberg, 1958 (= Probleme der Dichtung, 3), S. 61, Anm. 144.

14 Vgl. zu diesem Komplex Cu r sc h m a n n, Mic h a e l: „Sing ich den liuten miniu l i e t ...": Spruchdichter als Traditionsträger der spätmittelalterlichen Heldendichtung. - In: Kontroversen, alte und neue. Akten des VII.

Internationalen Germanisten-Kongresses, Göttingen 1985. Bd. 8, Tübingen, 1986, S. 184-193; ferner: Ha u s t e in, Je n s: Marner-Studien. München; Zürich, 1995 (= Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, 109), S. 222 ff.

15 In diesem Zusammenhang läßt sich noch ein interessantes Nebenergebnis formulieren: Mit der Wahl eines bes­

timmten Helden bestimmt der Autor, in welche Tradition er seinen Text stellen will. Anders formuliert: Über die Wahl der Exempelfigur erwächst der Gattungsanalyse ein kleines, aber neues Differenzierungsmerkmal zwi­

schen Lied und (Sang-)Spruch.

Helden - Minnesänger 67 im Titel schon anklingt, nur ein T eilaspekt behandelt und nach Personen ausgeschaut w erd en , die in d e r H e ld e n e p ik als „ M in n e sä n g e r“ ag ieren . D ab ei fällt im

durch daz er videlen konde, was er der spilman genant. (1477)22

“ Hans Fromm beschreibt diesen Vorgang und spricht davon, daß der Nibelungen-Dichter „das Ritual des und Tristan „höfischen Spielmann“ zu nennen, bleibt zu fragen. Der Kontext ist m.E. nicht vergleichbar.

68 Helmut Tervooren

E r ist also - so w ürden es m oderne U ntersuchungen sagen - der adelige D ilettant, ein m ächtiger L ehnsm ann m it künstlerischen N eigungen.23 D ie K lage unterstreicht das noch und v erw eist explizit au f den M innedienst:

er was von vrien liden komen und het sich daz an genomen

daz er diente schoenen vrouwen (694-698)24

D er d ien st w ird dann am H ofe R üdigers in einer F estsituation expliziert, gäm eltche spriiche (1612, 3) trägt Volker dort vor und besingt Rüdigers G attin G otelind (1705ff.).

„D ie einzige durchgeführte Szene höfischen M innedienstes. D er ritterliche Sänger bringt d er h öher stehenden verheirateten D am e seine L ieder d ar“ — verm erkt de B oor dazu .2S Volker bekom m t darüber hinaus den A uftrag der M innedam e, d afü r zu sorgen - das läßt sich am besten m it W orten M orungens sagen - : „so daz ir lop in dem riche um be g ê t“ (I; 1, 3). V olker übernim m t hier repräsentative, nicht aber die em otionalen und ethischen F unktionen. D am it steht im Einklang, daß er fü r diese D ienste fürstlich belohnt wird. E r bekom m t z w e lf bouge (w ährend die anderen burgundischen Recken W affen als G eschenk bekom m en). D em E thos des M innesangs entspricht das allerd­

ings nicht, denn dort m uß der dien st âne lôn belîben, so sehr auch das im M innelied im aginierte R ollen-Ich sich nach lôn sehnt. D ie F igur Völker verkörpert also nur eine Seite der M innesänger-R olle. D iese D islokation des R ollen-Ichs entspricht aber nicht der R ollenerw artung, denn die P ersonalunion von L iebender und Sänger ist das eigentliche C harakteristikum und F aszinosum des höfischen M inneliedes, sein eth is­

cher und zugleich utopischer K ern. D iese V erbindung ist es auch, die das höfische M innelied angreifbar m acht. M orungens ,M a n ig e r d er sprichet: ‘nu sehent, wie der sin g et! / w aere im e iht leit, er taete anders danne s ô .'“ (X III, 2, 1-2) zeigt, daß g e­

rade die M ehrdim ensionalität der M innesängerrolle E infallstor fü r die K ritik am M innesang ist.26 D as bew eisen auch die vielen M innesangparodien, die aus der D islokation der R olle ihr kritisches Potential beziehen. M it anderen W orten: D er N ibelungendichter rezipiert in seiner F igur Volker die R epräsentationsform des M innesangs, nicht aber seine E thik, die an die D oppelfunktionalität der R olle gebun­

den ist. W enn m an will, kann m an dies auch als H inw eis und K ritik am Illusionären des M innesangs verstehen. D ie E thik w ird zum indest im A nsatz in einer anderen F igur sichtbar: in Siegfried, „si benim et m ir m ange wilde tät" klagt der L iebende bei D ietm ar von A ist (X II, 1, 7). Siegfried, in X anten höfisch erzogen, der hörte sagen m aere wie ein scoeniu m e it/w a e r e in B urgunden ze w ünsche w ol getan (44, 2-3), lebt diese K lage. Im eskalierenden Streit am B urgundenhof in der 3. A ventiure gedähte ouch S îvrit an die hêrlîchen m eit (123, 4) und bändigt dadurch seinen überm uot. vol- leclîch ein j ä r (138, 2) w artet er, bis er K riem hild sehen darf, die e r in herzen truoc

24 L a c h m a n n , K a r l (Hg.): D er Nibelungen Noth und die Klage. 5. Aufl. Berlin, 1878, S. 326.

25 D e B o o r : Nibelungenlied, z u r S telle.

“ Zur Mehrdimensionalität der Minnesängerrolle und der durch sie ausgelösten Parodien vgl. Te r v o o r e n, He l m u t: Das Spiel mit der höfischen Liebe. Minneparodien im 13.-15. Jahrhundert. - In: Zeitschrift fü r deutsche Philologie 104 (1985), Sonderheft, S. 135-157, wieder abgedruckt in: De r s. : Schoeniu wort mit süezeme doene.

Philologische Schriften. Hg. v. Susanne Fritsch u. Johannes Spicker. Berlin, 2000 (= Philologische Studien und Quellen, 159), S. 73-95.

Helden - Minnesänger 69 (134, 1). m ere danne ein j ä r brauchte des K ürenbergers Falke, bis er gezähm t war.

M an sollte auch einm al die D ienste, die Siegfried dem B urgunderkönig leistete, vor allem solche, bei denen über die Inszenierung des K örpers Zeichen gesetzt werden wie den S tratorendienst und die B otendienste, als epische E ntfaltung m innesän­

gerischen versuochens lesen:

bezzer wirt ez umbe daz, luter, schoener unde klär

So b eschreibt d er B u rg g raf von R ietenburg (V, 6) diesen Prozeß. H agen kalkuliert vor der R ückkehr von Island nach W orm s zu R echt ein, daß der K önigssohn Siegfried zu B otendiensten nicht bereit sei (532). G em o t und G iselher können sich ihn, als er in W orm s ankom m t, als B oten nicht vorstellen und glauben desw egen, ihr B ruder sei durch Priinhilde sterke (544) zu Tode gekom m en. Siegfried lehnt diesen D ienst zunächst auch ab (534). E rst als G ünther ihn dann durch K riem hilde, daz schoene m agedin (535,2) bittet, stim m t er zu, und zw ar m it einer M innesangfloskel:

swaz ir durch st gebietet, daz ist allez getan (536,4)”

D er N ibelungendichter entschärft also den K onflikt, der sich aus der Personalunion von Sänger- und L iebendenrolle ergibt, indem er sie auf zw ei P ersonen verteilt, auf eine Figur, w elche die geburtsständischen V oraussetzungen für die W erbung um eine K önigstochter besitzt (Volker besitzt sie nicht, w ie er Str. 1675 ausdrücklich an­

m erkt), und a u f einen „H ofdichter“, der das Z erem oniell ausführt. D er K udrun-D ich- ter w agt in d er VI. A ventiure, w elche treffend m it „Wie suoze H orant sa n c“ über­

schrieben ist, ein größeres E xperim ent. W erner H offm ann hat in dieser Aventiure

„B efrem dliches“28 bem erkt. L iest m an die vielen Interpretationen, m öchte m an ihm zustim m en. L iest m an dagegen den Text, löst sich m anches Problem . D as dem on­

striert eindrucksvoll die Interpretation der Aventiure durch Friedhelm D ebus, die aber so abgelegen erschienen ist, daß sie der jüngeren Forschung entgangen zu sein scheint.29 D ie Problem e der Interpretation hängen vor allem m it der F igur des „M innesängers“

H orant zusam m en, der allgem ein als eine F igur gesehen w ird, durch w elche die W erbungsvorgänge am H o f H agens „höfisiert“ w erden. H orant ist ze Tenem arke herre (206, l ) 30 und d er V ornehm ste unter H etels L euten.31 E r ist also w ie V olker dil- letierender K ünstler und M itglied der feudalen K aste. A ber der Kudrun-D'\ch\.er hat die F igur kom plexer angelegt. Was bei V olker nur angedeutet ist (und w as bei ihm nicht handlungsbestim m end w ird), etw a seine höfische E instellung zu Frauen oder

11 Eine darunterliegende Minnesang-Reminiszenz wäre etwa: swaz st gebiutet, daz daz allez si getän (Meinloh III, 9).

“ Vgl. Ho f f m a n n, We r n e r: Kudrun. Ein Beitrag zur Deutung der nachnibelungischen Heldendichtung.

Stuttgart, 1967 (= Germanistische Abhandlungen, 17), S. 6 7 , Anm. 13.

* D e b u s, F r i e d h e l m : Wie suoze Horant sanc. - In: Zijn akker is de taal. F e s tsc h rift fü r K la as H e ero m a. D en H aag , 1970 (= G ro n in g e n F a k u lte ite n re e k s, I I ) , S. 7 3 -1 1 4 . D e b u s d o k u m e n tie rt d ie F o rsc h u n g stra d itio n un d fü h rt d u rc h e in e p rä z ise k le in s c h r ittig e In te rp retatio n d en L e s e r zu e in e m d iffe re n z ie rte n V erstän d n is d es T extes.

30 D ie Kudrun ist z itie rt n a ch d e r A u sg a b e v o n B artsc h : Kudrun. H g. v. K a r l B a r t s c h . 5. A u fl., ü b e ra rb . u. neu ein g e l. v. K a r l S t a c k m a n n . W ie sb a d e n , 1965 (= D e u tsc h e K la ss ik e r d es M itte la lte rs); g e le g e n tlic h ist d e r K o m m e n ta r d e r Kudrun-Ausga.be v o n E . M a r t i n (H a lle , 1 902) h e ra n g ez o g e n .

70 Helmut Tervooren

seine Q ualitäten als W erber bzw. B ote,32 w ird zur M itte der H orant-Figur. H orant ist M innesänger. D aß die H örer (und R ezipienten) ihn so im aginieren sollen, signalisiert der Kudrun-DicYAer allein schon dadurch, daß er ihn H etels W erbung um H ilde in W orten vortragen läßt, die einer Strophe M einlohs von Sevelingen (1,2) entnom m en zu sein scheinen. W eitere Indizien: H orant liebt die Frauen, und sie lieben ihn (234, 2-3; 247; 354, 3-4). E r ist d er a ller bas singeste m an33 - wie es im D ukus H orant heißt - und zudem der bestangezogene am H ofe (333). A lles das m acht ihn zum idealen W erber für H etel, aber auch zu einem W erber, der andere gefährdet und selbst gefährdet ist. D enn die W erbung ist keinesfalls im K ern „problem los“ und „höfisch

seine Q ualitäten als W erber bzw. B ote,32 w ird zur M itte der H orant-Figur. H orant ist M innesänger. D aß die H örer (und R ezipienten) ihn so im aginieren sollen, signalisiert der Kudrun-DicYAer allein schon dadurch, daß er ihn H etels W erbung um H ilde in W orten vortragen läßt, die einer Strophe M einlohs von Sevelingen (1,2) entnom m en zu sein scheinen. W eitere Indizien: H orant liebt die Frauen, und sie lieben ihn (234, 2-3; 247; 354, 3-4). E r ist d er a ller bas singeste m an33 - wie es im D ukus H orant heißt - und zudem der bestangezogene am H ofe (333). A lles das m acht ihn zum idealen W erber für H etel, aber auch zu einem W erber, der andere gefährdet und selbst gefährdet ist. D enn die W erbung ist keinesfalls im K ern „problem los“ und „höfisch

In document Auf Schmuggelpfaden (Pldal 54-68)