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Mechthilds von Magdeburg Fließendes Licht der G ottheit als Modell gottgefälliger Lebensführung

In document Auf Schmuggelpfaden (Pldal 124-134)

in der Budapester Teilüberlieferung

Wann niemanl hat ein gantz himelreichin seinem hertzen./

wann allain der da chert hat von allem tröst Vnd von allen genadenn diser weit'

D er geistliche S am m elband Cod. germ . 38 der B udapester S zechenyi-N ationalbiblio- thek enthält deutsche m ystische Texte, unter ihnen eine T eilüberlieferung des F lie­

ß e n d e n L ichts d e r G ottheit der M echthild von M agdeburg.2 D ie M echthild-E xzerpte, Seuses Büchlein d er ew igen W eisheit bzw. A uszüge aus seinem H orologium sapien- tiae und d er E uch a ristietra kta t des M arquard von L indau w urden bald nach ihrer E ntstehung, in der 1. H älfte des 15. Jahrhunderts, vereinigt. D ie deutlichen Spuren der B enutzung, V erschm utzungen und R isse im B uch bezeugen ein reges Interesse am som it entstandenen m ystischen G edankengut.

D ie M echthild-K om pilation ist für die Ü berlieferung von besonderer B edeutung, da sie einen E rfolg der M ystikerin im bairisch-österreichischen R aum des angehenden 15. Jahrhunderts bestätigt. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil ein Interesse an M echt­

hilds W erk nach ihrem Tod - ganz im G egenteil zu den jü n g eren H elftaer M itschw es- tem M echthild von H ack eb o m und G ertrud die G roße - bisher lediglich im elitären Kreis der B asler G ottesfreunde3 bezeugt ist. D ie B udapester A bschrift ist verm utlich Teil einer zusam m enhängenden östlichen m ystischen Tradition.4

1 ‘A b e r n ie m a n d h a t ein g a n z e s H im m e lre ic h in se in e m H e rz en als d e r a lle in , d e r sic h je d e s T ro ste s u n d a lle r G n a d e n d ie s e r W elt e n tä u ß e r t h a t.’ - D en O rig in a lte x t zitie re ic h n a ch Han s Ne u m a n n (H g .): Me c h t h il dvon Ma g d e b u r g: Das fließende Licht der Gottheit. N a ch d e r E in sie d le r H s. in k ritisc h e m V erg leich m it d e r g e sa m te n Ü b e rlie fe ru n g . B d. 1: Text. B e so rg t v o n Gise la Vo l l m a n n-Pr o fe. M ü n ch e n : A rte m is, 1990 (= M ü n c h e n e r T e x ­ te un d U n te rs u c h u n g e n z u r d e u tsc h e n L ite ra tu r d e s M itte lalters, 100). B d. 2: Untersuchungen. E rg ä n z t u n d z u m D ru c k e in g e ric h te t v o n Gise la Vo l l m a n n-Pr o f e. M ü n ch e n : A rte m is, 1993 (= M ü n c h e n e r T e x te u n d U n te rs u ­ c h u n g e n z u r d e u ts c h e n L i te r a tu r d e s M itte la lte r s , 101). Z u m B u d a p e s te r F ra g m e n t sie h e : B d . 2, S. 278-290 (Z. 1-499), h ie r Z . 437f. D ie Ü b e rse tz u n g z itiere ic h n a c h Me c h t h il dv o n Ma g d e b u r g: Das fließende Licht der Gottheit. Z w e ite , n e u b e a rb e ite te Ü b e rse tz u n g m it E in fü h ru n g u n d K o m m e n ta r v o n Ma r g o t Sc h m id t. S tu ttg art;

B ad C annstatt: F ro m m a n n -H o lz b o o g , 1995 (= M y stik in G esch ich te und G eg en w art, A bt. 1: C h ristlich e M y stik , 11), h ie r S. 241, Z . 33-35. Im fo lg e n d e n a b g e k ü rz t als FL.

2 Eine ausführliche Beschreibung dazu bietet: Vizkelety, AndrAs; Korn rupm f, Gise l a: Budapester Fragmente des

‘Fließenden Lichts der Gottheit’. - In: Zeitschrift fü r deutsches Altertum und deutsche Literatur 97 (1968), S. 278-306.

3 Die einzige vollständige Überlieferung, eine oberrheinische Umschrift, entstand 1343-1345 im Kreis der Gottes­

freunde um Heinrich von Nördlingen in Basel (heute Cod. 277 der Einsiedler Stiftsbibliothek), von ihr stammen fast alle deutschen Exzerpte - entweder westlich-oberrheinisch oder schwäbisch-ostfränkisch-nordbairisch - ab.

4 V gl. Ne u m a n n: Mechthild von Magdeburg (wie Anm. 1), B d. 2, S. 271 f.; ferner Viz k e le ty; Ko r n r u p m f: Budapester Fragmente (wie Anm. 2), S. 283ff.

134 Márta Nagy

Ein u nbekannter R edaktor form te den M echthildschen Text durch A usw ahl geeigne­

ter Partien und durch N eugestaltung der K apitelfolge um und m odifizierte dam it beacht­

lich dessen A ussage. E ine w eitere, unabsichtliche V eränderung erfuhr der A uszug beim E inbinden d er losen Blätter.5 So entstand schon bald nach der A bschrift (fertig­

kopiert w urde er am 13. M ärz 1416) die heutige Form , die einem interessierten, ver­

m utlich w eiblichen P ublikum bairisch-österreichischer Provenienz lange Z eit ex zel­

lenten L ese sto ff lieferte. In dieser Studie m öchte ich der F rage nachgehen, w elche S piritualität die so aufgearbeiteten Ideen zu verm itteln im stande waren.

das p u ech [...]/ Jn dem m an g o t m inicklich erchent

D ie F orschung6 stim m t darin überein, daß diese etw a ein Z ehntel des G esam ttextes um fassende A usw ahl keine schlüssige R edaktion erfuhr. N ach G isela K o m ru m p f m ag d er R edaktor m it seinem Verfahren „them atisch verw andte S tücke [...] zu einem neuen G an zen “ verknüpft haben, um einen zusam m enhängenden H andlungsablauf herzustellen und bestim m te m ystisch-erbauliche Z üge hervorzuheben. H ans N eu ­ m ann, H erausgeber der kritischen A usgabe, glaubt in der R edaktion noch w eniger A bsicht zu erkennen: D iese sollte durch beliebige A ufnahm e von K apiteln über den W eg der Seele durch L iebe und D em ut zu G ott bzw. die A nstrengungen des Teufels zu deren V erhinderung dem B edürfnis eines speziellen P ublikum s dienen. D as schein­

bar w illkürliche A usw ahlprinzip dürfte aber die starke W irkung von M echthilds O ffenbarungen im ostoberdeutschen R aum ausgelöst haben.

D ieses „neue G anze“ w ar allerdings nicht die erste U m arbeitung des F ließenden Lichts. Sechs von sieben B üchern w urden noch vor 1270 aus d er elbostfälischen O riginalsprache ins L ateinische übertragen.7 B ereits diese sogenannten R evelationes*

haben die ursprüngliche R eihenfolge m it dem üblichen Z iel der theologischen R einigung und dem offenkundigen Versuch einer inhaltlichen S ystem atisierung gründlich durcheinandergebracht. D er leicht gem ilderte G esam ttext w urde ebenfalls in sechs jew e ils um einen them atischen K ern geordnete B ücher aufgeteilt. So ent­

standen etw a ein B uch der G ottheit (liber /), ein B uch der Engel (lib er II), d er M inne (liber IV) und d er B eginen (lib er V), ein Priesterspiegel (lib er III) bzw. ein B uch von der H ölle, vom F egefeuer und vom Tode (lib er VI). A uch spätere A bschriften in der V olkssprache, so etw a die ‘H andschrift W ’ m it der um fangreichsten T eilüberliefe­

rung,9 w andelten die K apitelfolge stark um.

5 Drei Blätter von den ursprünglich dreiundzwanzig (Bl. 226'-245') sind dabei verlorengegangen.

6 Vgl. Anm. 1 u. 2.

7 Dies war die früheste lateinische Übersetzung eines volksprachlichen mystischen Textes überhaupt. Mechthild verfaßte das Werk etwa 1250-1282, die ältesten erhaltenen Textzeugen stammen aus der zweiten Hälfte des 14.

Jahrhunderts.

8 Revelationes Gertrudianae ac Mechtildianae. Opus ad codicum fidem nunc primum integre editum Solesmen- sium O.S.B. monachorum cura et opera [Louis Pa q u e l in], 2 Bde. Poitiers; Paris, 1875/1877. Bd. 2: Sow ris Mechtildis [...] Lux divinitatis. S. 435-643. Im folgenden abgekürzt als Revel. - Diese Ausgabe, die allerdings fast nirgends zu beziehen ist, basiert auf einer Pergamenthandschrift aus dem ersten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts (jetzt: Basler Universitätsbibliothek, Cod. B. IX 11) und einer späteren Papierhandschrift aus dem ausgehenden

15. Jahrhundert (ebd., Cod. A. VIII 6).

9 W ürzburg, Franziskanerkloster, Hs. 1110; zur Reihenfolge der Kapitel und Kapitelexzerpte s. Ne u m a n n:

„Jch mues fliegen mit Tawbenfederen 135 Es ist auffallend, daß d er R edaktor der B udapester Fragm ente fast ausschließlich an R evel IV, V und V I Interesse zeigte, besonders an liber IV, dessen A usführungen m ehr als die H älfte d er K om pilation ausm achen.10 D ie K apitel und K apitelexzerpte aus die­

sem „M inne-B uch“ (Z. 1-323) werden nur ein einziges M al - durch ein Z itat aus Revel II - unterbrochen.11 A uch die darauffolgenden Stellen (Z. 324-425), die m eist dem „Be­

ginenbuch“ liber V entstam m en,12 legen nahe, daß der R edaktor die Revelationes, oder m indestens eine ihrer R ückübersetzungen ins D eutsche,13 kannte. D er nächste Abschnitt (Z. 426-471) enthält zw ei Zitate, die in der lateinischen Ü bersetzung fast unm ittelbar nacheinander (R evel V I 14, 2 und 11), in der vollständigen deutschen Fassung jedoch in w eit entfernten K apiteln (F L V I 20 und III 22) stehen und hier durch einen kleinen E inschub (R evel V 20; FL I I I 7) zusam m engefügt w erden. Ein K urzzitat aus R evel IV 27 (F L IV 12), d er A nfang von R evel V 12 (F L V I 32) und ein Kapitel aus dem nicht latinisierten B uch 7 (F L V II 25) schließen die A usw ahl ab.

D er them atischen N eugruppierung ist zu entnehm en, daß der R edaktor überw iegend von theologisch gebildeten G utachtern gutgeheißene und als zusam m engehörig em p­

fundene Stellen zu den A ngelegenheiten ‘G o tteslieb e’ (Revel IV ), ‘exem plarische L e­

b en sfü h ru n g ’ (R evel V) und ‘G üte und G nade G o ttes’ (R evel VI) aussuchte. U nter­

b ro ch en w u rd en sie d urch p assen d e In h alte th em atisch v erw a n d te r K apitel.

Z ugehörige L eiden, Schm erzen, V ersuchungen, G ottesfrem dheit und sonstige nega­

tive E rscheinungen w urden ebenso behandelt w ie flüchtige A ugenblicke des G lücks und E rinnerungen an das unaussprechliche und daher unbeschreibbare B eisam m en­

sein. D er A bschluß bringt eine w egw eisende D arbietung d er - für M echthild recht untypischen - E tappen ein er gottgefälligen L ebensführung und V erheißung des w ert­

vollen Lohnes.

die sel. die d u richflozzen ist m it der diem ütigen gotes lieb

Bei M echthild geht es stets um die m innende Seele und ihre L iebes- und L eideserfah­

rungen m it G ott, die in eindrucksvollen G esprächen und B erichten ausgedrückt w er­

den. D ie einleitenden Z eilen der B udapester E xzerpte (R evel IV 17, FL V 4 )14 behan­

deln das u nbeständige S chicksal dieser personifizierten Seele, w obei ein E inschub (R evel IV 19, F L V I 23) und ein Z usatz über die teuflische L asterhaftigkeit des M en­

schen die V orlage etw as m odifizieren. D a der K apiteleingang und dam it ein durch­

dachter A uftakt feh lt,15 w irken die E ingangssätze ziem lich radikal:

Mechthild von Magdeburg (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 309f.

10 298 der insgesamt 493 Zeilen entstammen liber IV. Die Stellen wurden den Kapiteln Revel IV 17, IV 19, IV 2, IV 11, IV 6, IV 3, II 15, IV 10, IV 27 (hier nur etwa die Hälfte) in dieser Reihenfolge entnommen.

11 Durch einen passenden Dialog zwischen Gott und Seele (Z. 254-270, FL III 1, Revel II 15). Hier entstand aber bald nach der Abschrift eine große Lücke im Text.

12 Revel V 5; V 6; V 10; II 4; V 21.

13 Erhalten ist die sog. Wolhusener Handschrift, eine alemannische Rückübersetzung aus dem Jahre 1517 in Im­

mensee (Kt. Schwyz), in der Bibliothek des Missionshauses. Siehe dazu: Ne u m a n n: Mechthild von Magdeburg (wie Anm. 1), Bd. 1, S. XIX.

14 In Klammern gebe ich die jeweilige Kapitelnummer in den Revelationes bzw. in Bd. 1 der Neumannschen Ausgabe des Fließenden Lichts der Gottheit an.

15 Bl. I der alten Foliierung ist verlorengegangen.

136 Márta Nagy

Von der höchsten stat hernider get Vnd sinkt vntz in die nacht/ waiz got also wirt an der Sel.

vnd auch an dem leib volpracht Die minnreich Sei sinkt hernider in dem czug der grund­

losen diemütichait vnd weichet als var (Z. 1-4)'6

H ier wird das für M echthild so charakteristische Herabsinken der Seele nach der Gottes­

einigung beschrieben, w obei diese in der U m arm ung der H eiligen D reifaltigkeit

„vollkom m en o h nm ächtig“ w urde.17 N ach M echthilds A uffassung m uß sich die Seele der göttlichen G nade im m er w ieder und im m er radikaler entziehen, denn nur das E rleben des A llem iedrigsten und A llertiefsten erm öglicht die N achfolge Christi und die R ückkehr zum H öchsten. M it diesem A uftakt w erden andere D im ensionen eröff­

net, als w enn es heißen würde:

O wunderlichü gottes minne, du hast helig grosse k r a f t , du erlühtest die sele und lerest die sine und gibest allen tugenden volle maht. Wol mir armen dorperinne, das ich dich, vrovwe, ie g e s a c h ! Eya minne, du bist wunneklich und zu allen werken l o b e s a n , das bevinde ich in der sele min, dir sint alle tugende u n d e r t a n . 18

D ie m aßgebende U nterw eisung über die B eziehung ‘S eele-L eib -D em u t’ geht aber auch hier auf: D ie G ottesliebe kann die Seele unm öglich derm aßen durchdringen, daß ihr der m ühsam e und leidvolle W eg zu einer gottgefälligen Lebensw eise, der durch das E rlebnis d er argen D ifferenz von O ben und U nten unter B eistand d er Tugenden L ie­

be, D em ut, K euschheit und durch Leiden führt, erspart bliebe. S um m arisch heißt es:

Als si also auf gestigen ist jn das höchst das ir geschechen mag die weil si gespannen ist in dem leichnam vnd hernider gesunkchen ist in das tyeffist das sie gefinden mag So ist dann volgewachsen an tugenden vnd an heilichait So müs si dann geczieret werden mit painen So get si auf die trewisten Vnd siecht alle ding mit grozzer weizhait an. So enmag jr chain ding engen, sy gewinnenn Ymmer got sein lob daran. (Z. 32-37)19

D ie Schm erzen w erden hier im G egensatz zu den anderen T extvarianten (FL: „in der langen b eitek eit“ , Revel: „in expectacione longanim i“ , d.h. ‘m it langem Verharren, B egehren’) nicht g enauer bestim m t, w odurch die A ussage - absichtlich oder nicht - w iederum radikaler w irkt. H ierm it gibt schon der A uftakt das Program m an, das an späterer Stelle (Z. 322f.) m it w ann so ich ye tieffer sinkche So ich ye siizzer trinkch zusam m engefaßt w ird: ‘je tiefer ich sinke, desto süßer trinke ic h ’ heißt, daß w ir das Elend der dauernden G ottesfrem dheit (gots frew dung, heyligew frem d u n g gottes)

16 ‘Von ihrem höchsten Ort, und untergeht bis in die Nacht. Weiß Gott, so wird es an der Seele und auch an ihrem Leib vollbracht. Die liebeserfüllte Seele sinkt nieder in der Bewegung der unergründlichen Demut und entweicht immer weiter.' - Sc h m id t: FL, S. 167, Z. 14-17.

17 Die Stelle ist im Budapester Fragment nicht vorhanden.

18 Zit. nach Ne u m a n n: Mechthild von Magdeburg (wie Anm. 1), Bd. 1, V, 4, 3-7. ‘O wunderbare Gottesminne, du hast heilige, große Kraft, du erleuchtest die Seele und lehrest die Sinne und gibst allen Tugenden volle Macht.

Wohl mir, armer Törin, daß ich dich, Herrin, je erblickte. Eya, Liebe, du bist wonnevoll und in allem Wirken ruhmvoll. Meine Seele empfindet dies wohl. Dir sind alle Tugenden untertan.’ - Sc h m id t: FL, S. 166, Z. 19-23.

19 'Wenn sich die Seele zum Höchsten erhoben hat, soweit es ihr widerfahren kann, während sie noch an ihren Leib gebunden ist, und in die tiefste Tiefe herabgesunken ist, die sie da finden kann, dann ist sie an Tugend und Heiligkeit voll erwachsen. Sie muß dann mit den Schmerzen [...] geschmückt werden./ Dann wird sie ganz in Treue stehen/ und schaut in großer Weisheit alles an,/ dann kann ihr vor allen Dingen nichts entgehen,/ sie gewinnt nur immer Gottes Lob daran.’ - Sc h m id t. FL, S. 168, Z. 19-27.

„Jch mues fliegen mit Tawbenfederen 137 suchen, M ißachtung, V erw eisung und alle A rt A usstoßungen erdulden m üssen, dam it uns die tiefe V erw orfenheit (verbarheit) und der freiw illige Verzicht au f G nade in G ottes N ähe v erhelfen.“

W eitere Stellen aus dem „M inne-B uch“ schildern Stationen dieser autonom en G ottes­

liebe in E lend und Leid. In subtilen W echselreden21 spricht die Seele Frau M inne oder die G ottheit an, die m al als H eilige D reifaltigkeit, m al als H eiliger G eist, schöner Jüngling oder ‘d er Jungfrau S o h n ’ erscheint. Als B oten oder sonstige V erm ittler m i­

schen sich S inne, V erlangen, zwei E ngel und Frau Pein in die „B udapester G esprä­

che“ ein. D ie Seele ist dabei liebevoll, schön, hungrig, gew altig, zärtlich, rein, gierig, dürr, grundlos, arm und verlassen. W enn sie am E nde der überw ältigenden E rlebnisse alle K örperlichkeit verloren hat und entblößt ist, in einem nahezu zeit- und raum losen Z ustand m innichleich m ü e d w ird, dann befindet sie sich unm ittelbar vor d er G ottes­

einigung. D iese der m enschlichen E m pfindung paradoxe K onstellation, ein zugleich von den Sinnen befreiter, frigider, kalter und von allen verheim lichenden G ew ändern entledigter, erregender, glühender Z ustand ist die letzte verm ittelbare Station des be­

schw erlichen W eges, d er zum blühenden, süßen und unerm eßlichen H errn führt.

D as m üs ich w ider ein

D er W eg d er G ottesliebe ist letztlich der W eg der G ottesfrem dheit, denn das einzige m enschliche H andeln, das seinem eigentlichen Ziel, dem gnadenhaften Z ustand des seligen V erkostens (saligew gebruchunge), etwas näher rücken kann, ist die Suche nach der m öglichst größten E ntfernung. D aher ist es keine frem de P erspektive, w enn die G ottsuche durch A ussagen wie so ich ye höcher steig So ich ye chlarer schein (Z. 254) dargelegt wird, und kein W iderspruch, wenn im gebetartigen Schlußkapitel {FL V II 25) die gepeinigte und gereinigte Seele nach oben strebt:

Jch snöder an meinem wesen/ getar ich so graus ich/ die hoch die chlarhait/ die wunn/ die weizhait/ die edelhait/ die wunderleich driualtichait/ dar aus geflozzen./ Das was/ vnd ist vnd ymmer weren schol./ Das müs ich wider ein (Z. 484-487)22

Die W iederkehr zu der in der E ntrückung gew onnenen Erfahrung, w elche die m ensch­

liche Sprache w eder erfassen noch verm itteln kann,23 w ird hier m it E rm unterungen geebnet. N ich t einm al die F rage nach dem konkreten A blauf ist ganz um gangen: D er w iederholte H inw eis au f S elbstentäußerung (Jch m ues swewen. an alle din g vb er

20 Vgl. Ru h, Ku rt: Geschichte der abendländischen Mystik. Bd. 2: Frauenmystik und Franziskanische Mystik der Frühzeit. München: Beck, 1993, S. 270ff.

21 Zu dieser besonderen Form von Gespräch siehe: Ha u g, Wa l te r: Das Gespräch mit dem unvergleichlichen Partner. Der mystische Dialog bei Mechthild von Magdeburg als Paradigma für eine personale Gesprächs­

struktur. - In: St ie r l e, Ka r l h e in z; Wa r n in g, Ra in er(Hg.): Das Gespräch. München: Fink, 1984 (= Poetik und Hermeneutik, 11), S. 251-279.

22 ‘ich Erbärmliche in meinem Sein,/ wenn ich es darf [...],/ grüße ich die Höhe, die Klarheit,/ die Wonne, die Weisheit, die Edelkeit,/ die wundervolle [...] Dreifaltigkeit,/ aus der alles unversehrt ausgeflossen ist,/ was war und ist und immer sein wird./ Dahin muß ich einst wieder eingehen.’ - Sc h m id t: S. 294, Z. 18-25.

23 Zur Diskussion über die „mystische Sprache“ vgl. Qu in t, Jo s e p h: Mystik und Sprache. - In: Ru h, Ku r t(Hg.):

Altdeutsche und altniederländische Mystik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1964 (= Wege der Forschung, 23), S. 113ff.; Ha a s, Al o isM.: Sermo mysticus. Studien zur Theologie und Sprache der deutschen Mystik. Freiburg/Schweiz, 1979 (= Dokimion, 4), S. 81 f.; Ha u g, Wa l t e r: Zur Grundlegung einer Theorie des

138 Márta Nagy

selb, Z. 490f., d.h. ‘ich m uß über m ich hinausfliegen in allen D in g e n ’) gibt den B e­

dürftigen sogar eine leicht begreifliche und nachvollziehbare A nw eisung. Es kann kaum ein Z ufall sein, daß gerade diese Stelle m it ihren praktischen L ebensanw eisungen

Ich mües wider chriechen. Wann ich schuldig pin Jch mues gen auf pessrung mit gueten werchen. Jch mues lauffen mit getrewemm vleizz Jch mues fliegen mit Tawbenfederen/ das Sind tugend vnd güt vnd heylig gedankch (Z. 487-490)24

und ihrem pathetischen A usgang

wie ich dann enphangen werd/ das gesach nie menschen aug/ Das gehört nie menschen Ören Es mocht auch nicht menschen mund gesprechen (Z. 491-493)25

zum Schlußkapitel der K om pilation w urde. D ie poetische R eihe der sich in G e­

schw indigkeit und H öhe (beide sind w ichtige A spekte bei M echthild) im m er m ehr intensivierenden B ew egungen (kriechen-gehen-laufen-fliegen) und die starke B eto ­ nung d er U nm öglichkeit der V erm ittlung persönlicher E rfahrungen durch das S chei­

tern der w ichtigsten Sinnesorgane (A ugen-O hren-M und) stellt den W eg überaus p er­

sönlich und den „seligen Tausch“ (sä lig e r Wechsel, Z. 41 u.ö.) überaus attraktiv dar.

Jch bin in d ir und du p is t in m ir

Ich verzichte hier au f eingehende inhaltliche A nalyse w eiterer Stellen. A ufschluß­

reicher erscheint m ir die U ntersuchung beabsichtigter od er w illkürlicher Ä nderungen beziehungsw eise der neuen K apitelübergänge, w elche die E igenart der B udapester F ragm ente ausm achen.

D ie d er A bsicht des R edaktors entsprechende Textgestalt w ar kurzlebig, denn ganze Passagen w urden - w ie oben gezeigt - schon durch das E inbinden getilgt. N och m ehr als die am B eginn fehlenden 7 Z eilen (aus R evei IV 17, FL V 4) veränderte eine Lücke vom U m fang zw eier vollgeschriebener B lätter (aus R evei II 15, F L III 1 und R evei IV 10, F L III 5) die anfängliche Intention. Es entfiel eine lange, w enn gew iß auch ursprünglich unvollständig zitierte26 B eschreibung des im gnadenvollen Z ustand geschauten H im m elreichs. D ie him m lische Schilderung endet in den B udapester F ragm enten inm itten eines D ialogs. A uch w enn dieser M angel m anchen from m en Frauen w om öglich g ar nicht aufgefallen w ar - ihnen m ögen bisw eilen auch sonstige A ussagen der vielfach w echselnden D ialogpartner entgangen und an m anchen Stellen selbst der korrekt angeführte Text unverständlich vorgekom m en sein - , w ar dies gew iß nicht das Ziel des K om pilators.

mystischen Sprechens. - In: Ru h, Ku rt (Hg.): Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposion Kloster Engelberg 1984. Stuttgart: Metzler, 1986 (= Germanistische Symposien-Berichtsbände, 7), S. 494-508; Ru h: Geschichte (wie Anm. 17), S. 280ff.

24 ‘Ich muß zurückkriechen, wenn ich schuldig w erde/ ich muß auf Besserung gehen mit guten Werken,/ ich muß laufen im getreuen F le iß /ich muß fliegen mit Taubenschwingen,/ das sind Tugenden, gute Werke und heili­

ge Gedanken.’ - Sc h m id t: FL, S . 294, Z. 26-31.

25 ‘Wie ich dann empfangen werde,/ das sah nie Menschenauge,/ das hörte nie Menschenohr,/ das konnte nie Menschenmund aussprechen.’ - Sc h m id tFL, S. 295, Z. 3-6.

26 Auf die ursprüngliche Vollständigkeit weisen sowohl die unterschiedlichen Textlängen als auch die inhaltli­

chen Zusammenhänge hin.

„Jch mucs fliegen mit Tawbenfederen 139 Eine bew ußte redaktionelle K ürzung ist im unm ittelbar folgenden K apitel (R evel IV 27, FL IV 12) festzustellen. H ier w urden lange G espräche der Seele m it diversen Ver­

tretern von H im m el und E rde gestrichen, bew ahrt blieben aber ihre D ialoge m it G ott und Frau Pein. Was hier entfällt, ist ein ähnliches Streitgespräch, das im etw as früher kom plett zitierten F L 1 44 schon erw ähnt w urde. M öglicherw eise w ollte der R edaktor kein zw eites S tück dieser A rt bringen. D aß er jed o ch das ganze K apitel kannte, b e ­ w eist eine hier übersprungene und später eingeschobene A llegorie.21

Es gibt auch sonst kleinere A uslassungen, die ebenfalls entw eder der A bsicht des B earbeiters o d er der T extgestalt seiner Q uelle(n) zu verdanken sind. So fehlt etw a der H inw eis a u f die höfische Z ucht aus F L III 5 - w as übrigens auch den a u f theologi­

sche K orrektheit ausgerichteten R evelationes abging-, die A nrede „lieber G ottes­

sche K orrektheit ausgerichteten R evelationes abging-, die A nrede „lieber G ottes­

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