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Gottfried von Straßburg und OvidPeter K ern (B onn)

In document Auf Schmuggelpfaden (Pldal 26-42)

G ottfried von Straßburg und O vid - das sind zw ei N am en, m it denen untrennbar das T hem a L iebe verbunden ist: G ottfried, d er V erfasser des um 1210 geschriebenen L iebesrom ans Tristan u n d Iso ld e', und der röm ische D ichter O vid, beliebtester S chulautor des 12. und 13. Jahrhunderts," berühm t w egen seiner M etam orphosen^ und H eroldes\ D ichtungen, in denen die dunkle, existenzbedrohende, tragische Seite der L iebe beto n t ist, m indestens ebenso bekannt aber w egen seiner A m o r e s \ der dem leichten S in n en g en u ß zugew andten L ieb esg ed ich te, und w egen sein er beiden L ehrschriften, der A rs am atoria6 m it R atschlägen, w ie m an L iebe erw erben und erhal­

ten könne, und den R em edia am oris (den H eilm itteln gegen die L iebe)1 m it R ezepten, w ie m an ein e als lästig und quälend em pfundene L eidenschaft kurieren, losw erden könne: T raktate, die O vids R u f als p ra ece p to r am oris, als L ehrer der L iebe, b egrün­

deten.8 O hne O vid w ar ein D iskurs über L iebe im M ittelalter kaum denkbar. Es dürfte

' Zit. nach: Go t t fr ie dv o n St r a s s b u r g: Tristan. Hg. von Karl Marold. 3. Abdr. v. Werner Schröder. Berlin, 1969 [Abk.: Trist.].

2 Z u r O v id -R e z e p tio n im M itte lalter: Ba r t sc h, Ka r l: Albrecht von Halberstadt und Ovid im Mittelalter.

S tu ttg art, 1861, E in l., S. XI-CXXVII; Ra n d, Ed w a r d Ke n n a r d: Ovid and his Inßuence. L o n d o n , 1925;

Wil k in so n, La n c e l o t Pat r ic k: Ovid Recalled. C am b rid g e , 1955; Mu n a r i, Fr a n c o: Ovid im Mittelalter.

Z ü ric h , 1960; St a c k m a n n, Ka r l: Ovid im Mittelalter. - In: Arcadia 1 (1966), S. 231-254; St r o h, Wil f r ie d: Ovid im Urteil der Nachwelt. E in e T e stim o n ie n sa m m lu n g . D a rm stad t, 1969.

5 Zit. nach: Pu bl iu s Ov id iu s Na s o: Metamorphosen. Epos in 15 Büchern. Hg. und übers, v. Hermann Breitenbach. 2. Aufl. Zürich, 1964 [Abk.: Met.].

4 Zit. nach: Pu b l iu s Ov id iu s Na s o: Liebesbriefe. Heroldes epistulae. Lateinisch-deutsch. Hg. und übers, v.

Bruno W. Häuptli. München; Zürich, 1995.

! Zit. nach: Pu b l iu s Ov id iu s Na s o: Liebesgedichte. Amores. Lateinisch und deutsch von Walter Marg und Richard Harder. 3., leicht verb. Aufl. München, 1968.

6 Zit. nach: Pu b l iu s Ov id iu s Na s o: Liebeskunst. Ars amatoria. Nach der Übers. W. Hertzbergs bearb. v. Franz Burger. München, 1969.

7 Zit. nach: Ov id: Heilmittel gegen die Liebe. Die Pflege des weiblichen Gesichtes. Lateinisch und deutsch von Friedrich Walter Lenz. Berlin, 1969.

* Im Prolog (Vers 17) seiner Ars amatoria nennt sich Ovid selbst praeceptor Amoris. - Im Liebeskonzil von Remiremont eines unbekannten Verfassers aus der Mitte des 12. Jahrhunderts (hg. von W. Meyer, in:

Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Phil.-hist. Kl. 1914, S. 1-19) wird eine Versammlung von Nonnen geschildert, wobei die precepta Ovidii, doctoris egregii gleichsam als Evangelium (quasi evangelium) verlesen werden.

36 Peter Kern

nicht uninteressant sein zu beobachten, w ie sich G ottfried von Straßburg, der D ichter des vielleicht großartigsten m ittelalterlichen L iebesrom ans, m it der zu seiner Zeit anerkannten A utorität in der L iebe auseinandergesetzt hat.

W as diese F rage betrifft, w ird m an zunächst einm al konstatieren, daß es im Tristan w enn auch nicht sicher bew eisbar." E indeutiger faßbar sind die A nleihen bei O vid für einzelne E tappen, Szenen und M otive der R om anhandlung:12

Isolde w ird uns als betörend schön vorgestellt, in den K ünsten begabt, zum al im

" Die Übereinstimmungen betreffen (neben der Betonung der Einheit der Liebenden und dem Zusammenhang von Liebe und Tod) auf der Handlungsebene Tod und Begräbnis der Liebenden (also den von Gottfried nicht mehr erzählten Schluß der Geschichte); vgl. Ga n z 1971 (wie Anm. 9 ), S. 4 0 5 mit Anm. 30.

12 Mit letzter Sicherheit kann man freilich nicht sagen, ob für diese Anleihen Gottfried verantwortlich ist oder schon seine altfranzösische Vorlage, der Tratan-Roman des Thomas von Bretagne, der leider nur fragmentarisch überliefert ist, fast ausschließlich in den Partien, die Gottfried nicht mehr gestaltet hat, so daß der Anteil der bei­

den Dichter an der Ovid-Rezeption nicht genau zu bestimmen ist.

Gottfried von Straßburg und Ovid 37 Monstra maris Sirenes erant, quae voce canora

Quamlibet admissas detinuere rates.

(-47-5 111311 f.)

Tristans Preis der schönen Isolde {Trist. 8257-8304), die als niuw e sunne sogar die sunne von M yzene, H elena, übertreffe, nim m t offensichtlich au f P aris’ B rief an H ele­

na aus den H eroides B ezug (X V I 133-146).

W enn Frau M inne (die personifizierte L iebe) sich heim lich und zunächst unbem erkt in die H erzen T ristans und Isoldes einschleicht, sie überw ältigt und in ihnen ihr siegreiches B anner aufpflanzt (Trist. 11711-719), dann läßt das an den insidiosus A m o r denken (R em edia 148, vgl. auch A m ores I, 2, 5-8), vor allem aber natürlich an den O vidianischen Topos des L iebeskrieges.13

N ach dem M innetrank ist Tristan m it den Stricken der L iebe gefesselt (Trist. 11756- 792) wie die G efangenen in A m ors Trium phzug (A m ores I, 2).

Die R ede vom lim d er M inne und von Isoldes gelim eten sinne[n], m it denen sie an Tristan gebunden ist (Trist. 11793-818), erinnert an die vergeblichen B efreiungs­

versuche des gefangenen Vogels au f der L eim rute als Vergleich für die erfolglosen B em ühungen R iw alins, sich aus der B indung an B lancheflur zu lösen, ein Vergleich, der seinerseits dem B ildarsenal O vids entlehnt ist (Ars I 391; M et. X I 73-78).

D er K am p f zw ischen L iebe und m ädchenhafter Scham im H erzen Isoldes, aus dem natürlich die L iebe als Siegerin hervorgeht (Trist. 11824-844), läßt an A m ores III, 10, 28f. denken, an den W iderstreit zw ischen a m or und p u d o r und an das lapidare victus am ore p u d o r (besiegt von der L iebe ist die Scham ).

W ie sich nach O vid (freilich nicht nur bei ihm ) die G efühle L iebender durch raschen W echsel der G esichtsfarbe verraten, durch plötzliches erubescere und candescere (Met.

V I 46-49),14 so ist es auch bei Tristan und Isolde, die abw echselnd rot und bleich w er­

den, was M inne diu verw x rin n e bew irkt (Trist. 11912-929).

W enn die L iebenden durch geschickte Fangfragen zu erfahren suchen, ob sie auf G egenliebe hoffen dürfen, und sich dabei w ie wildencere verhalten, w ie W ilderer, die ihre N etze stellen und Fallen auslegen (Trist. 11934-939), dann erinnert das an die Jagdm etaphorik der A rs a m a to ria .'5

A uch der G edanke, daß für L iebende die L iebesvereinigung w irksam er ist als jed es H eilm ittel d er Ä rzte (A rs II 489-491), ist in G ottfrieds R om an aufgegriffen, w enn es dort heißt, die Ä rztin M inne habe die L iebeskranken (Tristan und Isolde) zusam ­ m engeführt, ihn ihr und sie ihm w echselseitig als A rznei zu geben (Trist. 12161-174).

D och nicht nu r bei d er Präsentation der M innehandlung verrät sich O vidianischer Einfluß, sondern auch in den längeren R äsonnem ents des Erzählers, die sich zu E xkursen ausw eiten können, zu lehrhaften D igressionen, die in die E rzählhandlung eingeschoben sind. Zu denken ist an die K lage über die K äuflichkeit der L iebe (Trist.

12304-306; vgl. A rs II 277f. und A m ores I, 10), an die R eflexionen über die E ifer­

13 Amores 1, 2; I, 9, lf.; Met. I 452-474; V 363-384; IX 543 u.ö. Vgl. Kö h l e r, Er ik a: Liebeskrieg. Zur Bildersprache der höfischen Dichtung des Mittelalters. Stuttgart; Berlin, 1935; We sse l(wie Anm. 9), S. 250- 268 (Kriegs- und Kampfmetaphern), bes. S. 263f.

14 Vgl. auch Met. IV 266-270.

15 Ars I 45-50, 89f., 253f., 269-273 u.ö. - Zu Jagd-Metaphern: We sse l(wie Anm. 9), S. 378-398.

38 Peter Kern

sucht als förderliches Ingredienz der L iebe {Trist. 13038-77; vgl. A rs II 439-460 und III 597-600)16 od er an den w ortreichen A n g riff gegen die huote, gegen die gleicher­

m aßen entw ürdigenden und sinnlosen V ersuche der M änner, ihre Frauen zu bew achen und sich so ihrer Treue versichern zu w ollen {Trist. 17862-18118; vgl. A m ores III, 4).

Ja, selbst fü r das in der Forschung eifrig diskutierte G ottesgerichtsurteil und den befrem dlichen E rzählerkom m entar dazu 17 w ird m an an O vid erinnern dürfen: Isolde leugnet vor G ericht ihre eheliche U ntreue, indem sie ihren E id m it L ist so form uliert, daß der W ortlaut im m erhin w ahr ist {Trist. 15710-724). U nd das E rstaunliche geschieht: Sie besteht die Probe im G ottesgericht; sie verm ag das glühend-heiße Eisen zu tragen, ohne sich ihre H and zu verbrennen {Trist. 15735f.), w as der E rzähler als B estätigung dafür ansieht, daß d e r vil tugenthafte K rist / w intschaffen alse ein erm el ist {Trist. 15739f.), daß sich G ott so verhalte w ie ein w eiter Ä rm el, d er sich dem W ind anpasse, im m er so, w ie m an ihn haben wolle, zu allem bereit, auch zum B etrug {Trist. 15741-748) - eine recht blasphem isch klingende A ussage, die aber als eher augenzw inkem de A nspielung a u f ein O vidianisches D iktum nicht so ganz ernst ge­

nom m en w erden w ill, heißt es doch schon bei O vid, die G ötter (zum al Jupiter) seien so galant, daß sie einem schönen w eiblichen G eschöpf nichts versagen könnten und selbst einen M eineid aus reizendem M und verziehen:

Aut sine re nomen deus est frustraque timetur Et stulta populos credulitate movet, Aut, siquis deus est, teneras amat ille puellas

Et nimium solas omnia posse iubet. [...]

Formosas superi metuunt offendere laesi Atque ultro, quae se non timuere, timent. [...]

Si deus ipseforem, numen sinefraude liceret Femina mendaci falleret ore meum;

Ipse ego iurarem verum iurasse puellas Et non de tetricis dicerer esse deus.

(Amores III 3, 23-26; 31f.; 43-46)'*

16 V g l. Ha h n, In g r id: Raum und Landschaft in Gottfrieds ‘Tristan’. E in B eitra g z u r W erk d eu tu n g . M ü n ch e n , 1963, S. 127f.; Ve r f.: 'Aller werdekeit ein füegerinne’ (L. 46,32) und ‘herzeliebe’ bei Walther von der Vogelweide. - In: Lin d e m a n n, Do r o t h e e; Vo l k m a n n, Be r n d t; We g e r a, Kl a u s-Pe te r (H g .): ‘bickelwort’ und

‘wildiu m x r e ’. F e s tsc h rift fü r E b e rh a rd N e llm a n n . G ö p p in g e n , 1995, S. 260-271, h ie r S. 269-271.

17 Ausführlich dazu in jüngster Zeit (mit Diskussion älterer Forschungsliteratur) Sc h n e l l, Rü d ig e r: Suche nach Wahrheit. Gottfrieds „Tristan und Isold“ als erkenntniskritischer Roman. Tübingen, 1992, S. 57-114.

18 Übersetzung (Marg; Harder): „Entweder, scheint es, ist Gott nur ein Wort, eine leere Befürchtung, / Und durch Leichtgläubigkeit lenkt er das törichte Volk - / Oder es gibt einen Gott, dann liebt er die zärtlichen Mädchen / Und läßt immer nur sie, was sie nur mögen, begehn. / [...] einer Schönen Vergehn zu ahnden scheuen die Götter, / Und, die niemals sie selbst fürchtete, fürchten doch sie. / [...] Und wär ich selber ein Gott, mit Großmut gönnt ichs den Frauen, / Meiner erhabenen Macht trüglich zu spotten im Schwur, / Schwüre noch selbst einen Eid, daß wahr die Schwüre der Mädchen; / Sauertöpfisch und eng wollt ich nicht heißen als Gott.“ - Vgl. auch Amores I 8, 85f. und (hier für den liebenden Mann geltend) Ars I 623-636. - Wesentlich harmloser ist die (vielleicht auch von Ovid angeregte) Bemerkung im Iwein (5351-5361) Hartmanns von Aue, Gott könne dem süezen munde ihn anflehender Damen betelichiu dinc nicht versagen. Demgegenüber bleiben das Gottesurteil und der Erzähler­

kommentar im Tristan schwierige Probleme für die Interpretation, auch wenn der intertextuelle Bezug zu Ovi- dianischen Dikta berücksichtigt wird.

Gottfried von Straßburg und Ovid 39 A uch ohne w eitere B elege dürfte erkennbar sein, daß G ottfried ‘sein en ’ O vid eifrig studiert und ihn ausgiebig benutzt h a t.19

A ber das ist n u r die eine Seite! N eben der A ffirm ation m uß näm lich auch die D istan­

zierung konstatiert w erden, die kritische A useinandersetzung m it O vid im Tristan.

Ein B lick au f den R om an-P rolog m acht das deutlich: N achdem G ottfried in einem strophischen P rologteil (1-44) das V erhältnis von K unst und K unstkritik erörtert und sich dabei sehr geschickt die A ufm erksam keit und das W ohlw ollen seines Publikum s gesichert hat,20 spricht er im nachfolgenden paargereim ten Prologteil (45ff.) vom T hem a und von der Intention seines R om ans. Insgesam t reicht dieser Prologteil bis Vers 242. E tw a in d er M itte (125-130) wird das R om anthem a angegeben: G ottfried kündigt eine E rzählung an von edelen senedaeren (von edlen sehnsuchtsvoll L ieben­

den), von T ristan und Isolde näm lich, die in ihrem L eben reine sene (die w ahre Sehn­

sucht L iebender) bezeu g t haben. Vor und nach dieser T hem enangabe stehen A us­

sagen über die Intention des W erks; es soll erfreuen und belehren, bessern und dam it die doppelte A ufgabe erfüllen, die schon H oraz in seiner A rs p o etica (333f.) der D ichtung zugew iesen hatte, das delectare und das prodesse. Vom prodesse (vom N utzen, näm lich dem B elehren und B essern) ist nach Vers 130, nach der A nkündi­

gung des T hem as, die R ede, von der delectatio vor der T hem enansage; und nur die E rörterungen über die erw artbare erfreuende W irkung des R om ans interessieren uns im Z usam m enhang m it G ottfrieds A bgrenzung seiner Position gegenüber der Ovids:

E r habe die M ühe des D ichtens au f sich genom m en (sagt G ottfried in den Versen 45ff.) d e r w erlt z.e liebe und edelen herzen zein er hage, um die W elt (die M enschen) zu erfreuen und um edlen H erzen Vergnügen zu bereiten.

D ie werlt, fü r die e r schreibe und in der auch er beheim atet sei (so fährt er fort), sei nicht die W elt d er Vielen, seien nicht die M enschen, die nur die Freude und L eich t­

lebigkeit suchen, sondern diejenigen, die bereit und fähig seien, zugleich Freude und Leid, L eben und Tod anzunehm en, die paradoxale E inheit der G egensätze zu ertra­

gen. D as seien die edelen herzen und (w as die L iebe betrifft) die edelen senedsere, die auch in der L iebe F reude und Leid, L eben und Tod bejahen könnten - so w ie es die P rotagonisten des R om ans (Tristan und Isolde) beispielhaft vorgelebt hätten (48-130).

R om anpersonen, A utor und ideales P ublikum sollen als edle H erzen, als edle sehn­

suchtsvoll L iebende in ein er G esinnungsgem einschaft zusam m engeschlossen sein.

D en so qualifizierten M enschen (dieser werlt), sagt G ottfried, habe er seine unmiieze- keit (das W erk seiner M ühe, seine D ichtung also) ze kurzew tle (zum vergnüglichen Z eitvertreib) vorgelegt, um ihre s w x r e (ihren Kum m er, ihr L eid) zu lindern und ihre not (ihren peinvollen G em ütszustand) erträglicher zu m achen (71-76).

19 D ie L iste d e r O v id -R e m in is z e n z e n im Tristan lie ß e sich n a tü rlic h v e rlä n g e rn . H in w e ise n w ill ic h n u r n o c h a u f McDo n a l d s in te re s sa n te n V ersu ch , d ie M a rk e -G e s ta lt w e itg e h en d als K o n k re tis ie ru n g d es E h e m a n n -T y p u s in O v id s Amores zu v e rsteh e n : McDo n a l d, Wil l ia m C .: King Mark: Gottfried’s version o f the Ovidian husband- figure? - In: Forum fo r Modern Language Studies 14 (1 9 7 8 ), S. 2 5 5 -2 6 9 .

10 V gl. Eif l e r, Gü n t e r: Publikumsbeeinflussung im strophischen Prolog zum 'Tristan' Gottfrieds von Straßburg.

- In: Be l l m a n n, Gü n t e r; Eifl e r, Gü n t e r; Kl eib e r, Wo l fg a n g (H g .): Festschrift fü r Karl Bischoffzum 70.

Geburtstag. K ö ln ; W ie n , 1975, S. 3 5 7 -3 8 9 ; fe rn e r Ha u g, Wa l te r: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter.

Von d e n A n fä n g e n b is z u m E n d e d e s 13. Ja h rh u n d e rts. 2., ü b e ra rb . u. erw . A u fl. D a n n s ta d t, 1992, S. 2 0 1 -2 0 9 .

40 Peter Kern

D enn nach einhelliger M einung aller steigere bei dem , der ohnehin schon m it sene- dem schaden (m it S ehnsuchtsqual) übervoll beladen sei, die m uoze (das m üßige N ichtstun) nur noch den peinvollen Zustand, w ährend unm uoze (B eschäftigung) auf sein G em üt eine w ohltuende W irkung ausübe:

ir aller volge diu ist dar an:

swä so der müezige man

mit senedem schaden si überladen, da mere muoze seneden schaden, bi senedem leide müezekeit, dä wahset iemer senede leit.

durch daz ist guot, swer herzeklage und senede not ze herzen trage, daz er mit allem ruoche dem libe unmuoze suoche:

dä mite so müezeget der muot und ist dem muote ein michel guot

(81-92)

W as G ottfried hier als allgem ein gültige L ebensw eisheit ausgibt, als M einung, d er ir aller volge sicher sei, ist - bei L ichte betrachtet - die W iedergabe des O vidianischen R atschlages, dem durch M üßiggang bew irkten und fortw ährend gesteigerten iucun- dum m alum der L iebe durch Tätigsein zu entfliehen, w eil dadurch die M acht des L iebesgottes ende:

Ergo ubi visus eris nostrae medicabilis arti, Fac monitis fugias otia prima meis.

Haec, ut ames, faciunt; haec, utfecere, tuentur;

Haec sunt iucundi causa cibusque mali.

Otia si tollas, periere Cupidinis arctis Contemptaeque iacent et sine luce faces.

Quam platanus vino gaudet, quam populus unda Et quam limosa canna palustris humo, Tarn Venus otia amat: qui finem quaeris amoris

-Cedit amor rebus - res age: tutus eris. [...]

Adfluit incautis insidiosus Amor.

Desidiam puer ille sequi solet, odit agentes:

Da vacuae menti, quo teneatur, opus.

(Remedia 135-150)*'

21 Übersetzung (Lenz): „So höre denn: Wenn ich finde, daß du meiner heilenden Kunst zugänglich bist, so ist mein dringender Rat, daß du zuerst das Nichtstun meidest. Es hat die Wirkung, daß du dich auf Liebeleien ein­

läßt, und hat es einmal diese Wirkung gehabt, so behält es sie bei; es ist Anlaß und Nährboden des süßen Unheils.

Kannst du das Nichtstun meistern, so ist es um Cupidos Bogen geschehen, verachtet liegt die Fackel auf dem Boden und ausgelöscht. Wie die Platane an den Reben ihre Freude hat, wie die Pappel am Wasser und wie das Schilfrohr am sumpfigen Boden, so liebt Venus das Nichtstun. Wisse, der du auf das Ende deiner Liebe bedacht bist: Liebe weicht der Tätigkeit. Sei tätig, und du wirst sicher sein. [...] Hinterlistig strömt Amor in das arglose, unbewehrte Herz. Dem müßig Herumsitzenden pflegt dieser Knabe nachzustellen, die Tätigen verabscheut er:

Fülle deinen leeren Geist mit einem Werk, das ihn festhält.“

Gottfried von Straßburg und Ovid 41 D iese O vidianische E rkenntnis über den kausalen Z usam m enhang von M üßiggang und L iebe und die aus dieser E rkenntnis resultierende A ufforderung zur A ktivität hat G ottfried sinngem äß referiert. D ann aber fährt er m it einem doch fort. E r (G ottfried) rate nicht zu irgendeiner T ätigkeit. D ie einzig angem essene B eschäftigung fü r solche M enschen, die e r sich als H örer w ünscht, für se n e d x re (für sehnsuchtsvoll Liebende also), sei ein sen elich ez masre (eine E rzählung voller L iebessehnsucht, eine E rzäh­

lung, die eben das G efühl sehnsuchtsvoll L iebender them atisiert):

und gerate ich niemer doch dar an, daz iemer liebe gernder man dekeine solhe unmuoze im neme, diu reiner liebe missezeme.

ein senelichez mxre daz tribe ein senedxre mit herzen und mit munde und senfte so die stunde.

(Trist. 93-100)

G ottfried w eiß aber, daß sein R atschlag a u f W iderstand stoßen m uß, steht er doch im G egensatz zu ein er von den m eisten geteilten L ebenserfahrung, nach der für ein liebeskrankes G em üt, das sich au f E rzählungen voller L iebesschm erz einlasse, der K um m er n ich t nachlasse, sondern im G egenteil noch größer werde:

nu ist aber einer jehe ze vil, der ich vil nach gevolgen wil:

der senede muot, so der ie me mit seneden mseren umbe ge, so siner swsere ie mere si.

(Trist. 101-105)

D er G ew äh rsm a n n fü r d ie se w eit verb reitete M einung ist w iederum O vid. D e r hat näm lich in seinen R em ed ia am oris allen, die u nter ih rer L iebe leiden (w eil sie Pein bereitet), den d rin g en d en R at gegeben, sich n u r ja nicht m it D ichtung zu b esc h ä fti­

gen, die L ieb e zum T h e m a habe, kurz fo rm u liert in dem D iktum : teneros ne tange po e ta s (R em edia 757), rühre die zarten D ichter (die L iebesdichter) nicht an, d.h. lies k eine L ieb esd ich tu n g !

vil nach (fast) w ürde auch er dieser M einung zustim m en (sagt Gottfried), gäbe es nicht eine Erfahrung, die dagegen spreche (Trist. 106ff.), die Erfahrung nämlich, daß derjeni­

ge, der innige (wahre) Freude em pfunden habe, sie nicht aufgeben werde, wenn sich die­

ser Freude das Leid beigesellt, daß der wahrhaft Liebende die senegluot (das Feuer der Sehnsucht) nicht fliehe, w isse er doch, daß die Sehnsucht die Liebe noch m ehr steigere, und deshalb sei für ihn die Pein der brennenden Sehnsucht geradezu erstrebenswert.

Denn dieses Leid sei so voller Freude, dieses Übel sei so wohltuend für das Herz, daß darauf kein edel herze verzichten wolle, sit ez hie von geherzet wirt, da es ja gerade dadurch zu einem solchen Herzen, zu einem edlen Herzen, wird (Trist. 106-118)22, das - wie w ir schon wissen - eben durch die Bereitschaft, in der Liebe zugleich Freude und Leid zu ertragen, definiert ist.

G egen die Sentenz O vids beruft sich d er A utor G ottfried au f seine eigene E rfahrung (Trist. 119f.), die m it der aller edelen se n e d x re (die er sich als H örer w ünscht) über­

einstim m t (Trist. 121 f.):

42 Peter Kern L iebessehnsucht, ihres nie endenden schm erzlich-süßen V erlangens nach einander (Trist. 123-130).

W ie m an sieht, schaltet sich G ottfried in die von O vid initiierte D iskussion über L ie­

be, M üßiggang und angem essene B eschäftigung für L iebende ein; er greift M einun­

gen O vids auf, will sie aber nur teilw eise gelten lassen. In einem entscheidenden Punkt w iderspricht er dem p ra ecep to r am oris, w eil e r eine ganz andere A uffassung von w ahrer L iebe und von w ahrhaft Liebenden hat. O vid hatte in seinen L ehrschriften (zum al in seiner A rs am atorid) die L iebe zur B efriedigung der L ust propagiert; und entw ickelt G ottfried also sehr selbstbew ußt sein ganz andersartiges L iebeskonzept.24 In der Tat läßt er seine Protagonisten nach der von ihm em pfohlenen M axim e han­

22 Trist. 1 06-1 1 8 : der selben jehe der stiiende ich bi, /w a n ein dinc daz mir widerstät: / swer innecltche liebe hat, /d o c h ez im we von herzen tuo, / daz herze stät doch ie dar zuo. / der innecltche minnenmuot, / so der in siner senegluot / ie me re und mere brinnet, / so er ie serer minnet. / diz leit ist liebes alse vol, / daz Übel daz tuot so

22 Trist. 1 06-1 1 8 : der selben jehe der stiiende ich bi, /w a n ein dinc daz mir widerstät: / swer innecltche liebe hat, /d o c h ez im we von herzen tuo, / daz herze stät doch ie dar zuo. / der innecltche minnenmuot, / so der in siner senegluot / ie me re und mere brinnet, / so er ie serer minnet. / diz leit ist liebes alse vol, / daz Übel daz tuot so

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