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Auf Schmuggelpfaden

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Wissenschaft, der Ö sterreichischen G esellschaft für Germ anistik, des Com ité Internatio­

nal de Paléographie latiné und w irkt in der Redaktion der Zeitschriften M agyar K önyv­

szem le und Irodalom történeti K özlem ények, ferner im R edaktionsrat der Z eitschrift G erm anistik m it. P rofessor V izkelety ist Präsident des K om itees Ö sterreich-U ngarn der Ö sterreichischen und der U ngarischen A kadem ie der W issenschaften, er w ar G ründer und erster P räsident der G esellschaft ungarischer G erm anisten.

Jeder, d er ihn kennt, w eiß, was für ein ausgezeichneter L ehrer A ndrás V izkelety ist und w ie er sein unerschöpfliches W issen m it bezaubernder A usstrahlung und großer B escheidenheit w eitergeben kann. So verm ag er m it seinen V orlesungen über die deutsche L iteratur des M ittelalters und der Frühen N euzeit, die er seit 1976, dem Jahr seines ersten L ehrauftrags als U niversitätsdozent am G erm anistischen Lehrstuhl der E ötvös-L oränd-U niversität, in deutscher und ungarischer Sprache an verschiedenen H ochschulen hält, die Studenten im m er w ieder zu faszinieren. N ach der G ründung der K atholischen P éter-P ázm ány-U niversitát konnte er das dortige G erm anistische Institut aufbauen, das e r von 1993 bis 1995 leitete und an dem er auch heute unter­

richtet. D er 1990 zum U niversitätsprofessor ernannte A ndrás V izkelety bekom m t seit m ehr als dreißig Jahren regelm äßig E inladungen zu G astvorträgen an U niversitäten und in F orschungsinstituten in ganz Europa, so las er u.a. in B erlin, B onn, Eichstätt, G ießen, G öttingen, H am burg, H eidelberg, M arburg, M ünchen, Stuttgart, G raz, Salzburg, W ien und R om .

D ie w issenschaftlichen und w issenschaftsorganisatorischen V erdienste von A ndrás V izkelety brauchen nicht eigens gew ürdigt zu w erden; an dieser Stelle sei lediglich au f das V erzeichnis seiner S chriften und das internationale E cho seiner Publikationen verw iesen. Was w ir über ihn noch gerne kundgeben m öchten, m öge er selbst in einem Interview sagen, das zum ersten M al im Jahre 1993 in der katholischen Z eitschrift Vigilia au f ungarisch veröffentlicht w urde und nun in unserem B and in deutscher Ü bersetzung zu lesen ist.

Z um Titel der vorliegenden S tudiensam m lung haben w ir den Vers „sw er sínen vriunt behaltet, daz ist lobelTch“ ( ‘W enn m an seinem Freund die Treue hält, das ist lobens­

w ert’) aus dem K ürenberger-C orpus der B udapester M innesangfragm ente gew ählt, durch deren E ntdeckung die S tandardausgabe D es M innesangs Frühling eine bedeu­

tende E rw eiterung erfahren hat; unserem Jubilar ist dadurch die vielleicht größte internationale B erühm theit zuteil gew orden. Im Sinne dieser B eständigkeit haben w ir

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K ollegen, S chüler und sogar L ehrer von A ndrás Vizkelety angesprochen, ihn m it einem fü r diesen B and verfaßten B eitrag zu grüßen. D as breite S pektrum der behan­

delten T hem en ist m it den m annigfaltigen Forschungsgebieten der E ingeladenen zu erklären. D ie M ehrzahl d er Studien untersucht naturgem äß m ediävistische od er früh­

neuzeitliche Problem e. V iele K ollegen und ehem alige Studenten jed o ch , die von P rofessor V izkelety w ichtige Im pulse für die eigene w issenschaftliche T ätigkeit bekom m en haben, schreiben über Fragen ihres eigenen Faches. D ie R eihenfolge der B eiträge v erbindet chronologische A nordnung m it disziplinärer und them atischer G ruppierung.

D en H erausgebern des B andes, die durch ihre eigenen Fachrichtungen die dom inan­

ten F orschungsbereiche des Jubilars, also H ungarologie, G erm anistik und interdiszi­

plinäre M ediävistik, zusam m enführen w ollten, bedeutete die A rbeit am vorliegenden B uch viel Freude, erm utigende E rfahrung und eine klare B estätigung d er E xistenz w issenschaftlicher w ie m enschlicher B eständigkeit. Ihnen ging vo r dem A bschluß der R edaktion das wohl berühm teste L ied über den schön erzogenen Falken des K ürenbergers durch den K opf, der seiner H errin entflieht. In der S chlußsentenz des L iedes heißt es: „got sende sí zesam ene, die gelieb w ellen gerne sin!“ ( ‘G ott führe sie zusam m en, die ein an d er gerne lieben w o llen !’).

N ehm en Sie, lieber H err Professor, unsere Festgabe in diesem Sinne als ein treues und freundliches Z eichen der L iebe und H ochachtung einer kleinen, dankbaren w issen­

schaftlichen G em einschaft.

Für die F örderung des B andes danken w ir folgenden Institutionen: B ookSchütz Studio, B otschaft d er B undesrepublik D eutschland in B udapest, G erm anistisches Institut d er P hilosophischen Fakultät der K atholischen P éter-P ázm ány-U niversität, G erm anistisches In stitu t d er P hilosophischen Fakultät der E ötvös-L oránd-U ni- versität, Ö sterreichisches O st- und Südosteuropa-Institut - A ußenstelle B udapest, Ö sterreich isc h es K u ltu rfo ru m B udapest, S ek retariat des S tellv ertreten d en S taats­

sekretärs fü r H ochschul- und W issenschaftsw esen im U ngarischen M inisterium für B ildung, Stiftung A ktion Ö sterreich-U ngarn, Stiftung K lebelsberg K unó, Széchényi- N ationalbibliothek B udapest, U ngarische G oethe-G esellschaft.

Piliscsaba und B udapest, am 26. A ugust 2001

D ie H erausgeber 13

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Auf Schmuggelpfaden

András Vizkelety im Gespräch mit Marcell Mártonffy

H err Professor, ich erinnere m ich an Ihre Stunden an d er Universität, die im m er G elegenheit boten zu ein er besonderen Form d er Stille und Innigkeit. Wir getrauten uns kaum, Ihre P erson näher zu erkunden, doch in d er Stille w urden die m ittelalter­

liche R itterepik oder aus unserem Jahrhundert D er Erwählte von Thom as M ann zu einer A ngelegenheit, die uns p ersönlich berührte. Und viele andere Dinge, die Uber das bloße F achw issen hinausgehen und eher zu r Sapientia, zu r W eisheit gehören. Ihre S ch ü ler tragen diese Stille in ihren E rinnerungen m it sich.

Als ich m it dem L ehren begann, habe ich m ich im m er davor gefürchtet, keine guten S em inare halten zu können, weil ich die S chüler vielleicht nicht genug zum Sprechen anregen kann. W as ich den Studenten zu einem bestim m ten T hem a näher bringen w ollte, das h atte ich in m ir im m er bereit. Ich w ar unsicher, w as diejenigen überhaupt auffassen können, die beinahe ohne je d e V orbereitung m it so frem den, m erkw ürdigen T hem en kon fro n tiert w ürden w ie dem , w as ich über die A rtussage, den M innesang und die ritterliche L ebensform zu sagen hatte. Was würden heutige U niversitätsstu­

denten, die nicht die spirituelle Ü bung der Theologiestudenten haben, über diese eigen­

artige L ebensform denken, über diese G ratw anderung zw ischen Fiktionalität und R ealität? W ürden sie überhaupt ein G espür dafür bekom m en?

Warum aber glauben Sie, daß der „ M innesang “ oder die ritterliche Epik dennoch auch f ü r den w en ig er bew anderten U niversitätsstudenten interessant sein können?

W as m ich an der m ittelalterlichen L aienkultur besonders ergriffen hat, das ist ihre hochgradige O ffenheit, ihre A ufnahm ebereitschaft für Q uellengebiete, die fü r die m enschliche K u ltu r so besonders w ichtig w aren w ie etw a die christliche G edan­

kenw elt, die k lassische A ntike und die A rt, w ie sie diese E lem ente um gestaltet. D ie ritterliche K ultur des neuen christlichen E uropa ist das erste L aienw eltbild, das den­

noch voll ist von christlichen E rinnerungen und antiken M osaiksteinen. W ie d er ger­

m anische Karl der G roße aus R avenna die antik-heidnischen Säulen zu seiner christ­

lichen K irche nach A achen hat bringen lassen. D as hat m ich w issenschaftlich interes­

siert, und das interessiert m ich auch heute noch an der m ittelalterlichen W elt. U nd w as aus d er ganzen alten L iteratur spricht: w ie kann aus den w eltlichen E lem enten, den w eltlichen W erten - w ie dem Frauenkult und der ritterlichen, käm pferischen

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L ebensform - unter dem E influß der christlichen A skese eine bestim m te laienhafte T ugendpraxis erw achsen, ein Program m der S elbsterziehung und K onsolidierung in der G esellschaft?

Es gab keine so scharfen G renzen zw ischen R ealität, Fiktionalität und der bew ußten B eeinflussung. D as w urde dam als als eine E inheit betrachtet. Vor ein paar Jahren gab es einen großen K ongreß der M onum ento G erm aniae H istórica m it dem T hem a F ä l­

schungen im M ittela lter, au f dem übrigens U m berto E co einen der E röffnungs­

vorträge gehalten hat, und m an kam zu dem interessanten E rgebnis, daß die V eränderung von Tatsachen früher nicht unbedingt als Fälschung galt. D ie R ealität, die F ik tio n alität und die B eeinflussung w aren nicht so rational voneinander getrennt w ie in un serer Welt.

Also eine Verbindung von Geschichtsschreibung, Rhetorik und schöner Literatur?

R ichtig. U nd eine m oralische E instellung. W enn sie davon überzeugt waren, daß es so sein m üsse, dann haben sie ganz ruhig die Tatsachen verändert im G lauben, dam it die H eilsgeschichte voranzubringen. D as w ar natürlich etw as anderes als das Prinzip

„D er Z w eck heiligt die M ittel“, das aus rationalen Ü berlegungen entstand, um die D inge zu m anipulieren.

Wir sitzen in einem kleinen Z im m er der U ngarischen A kadem ie d e r W issenschaften, der F orschungsstelle d e r K odexfragm ente. H err Professor, sagen Sie uns einige Worte zu Ihren gegenw ärtigen Studien.

D iese Forschungsstelle hat L ászló M ezey begründet, weil er gesehen hat, daß das K odexm aterial in U ngarn einer gew altigen Z erstörung ausgesetzt war. Im Z eitalter des B arock hat m an m it Vorliebe B ücher in alte K odizes gebunden, die ihre A ktualität verloren hatten, sie w urden also w ie R ohstoffe verw endet. W ir können einen kleinen Teil des K odexm aterials rekonstruieren, indem w ir unsere historischen B ibliotheken system atisch durchforschen, aus den B ucheinbänden die K odexfragm ente heraus­

lösen und diese dann a u f G ehalt und H erkunft untersuchen. B isher haben w ir einen B and über die Fragm ente der U niversitätsbibliothek und des Z entralen Sem inars her­

ausgebracht (die beiden haben zur Z eit der alten U niversität von N agyszom bat und von B uda noch zusam m engehört). Jetzt w ird das M aterial der B ibliotheken von E sztergom veröffentlicht - das der B ibliotheca und d er städtischen B ibliothek. W ir arbeiten an den F ragm enten der Sem inarbibliothek von Győr, P ater G áspár C sóka hat etw a zw anzig B ände aus dem M aterial des B enediktinerklosters in G yőr ausgew ählt, die in K odexbögen eingebunden w aren. D ieses M aterial liegt schon herausgelöst hier bei uns, und je tz t beginnen w ir m it Sopron, m it dem M aterial des dortigen A rchivs und des B erzsenyi-G ym nasium s.

Wie h a t sich Ih r bisheriges w issenschaftliches A rbeiten entw ickelt?

Ich w urde noch von H elga H ajdu und K ároly M ollay dazu geführt, m ich m it den deutschen K odizes in U ngarn zu beschäftigen, das E rgebnis dieser A rbeit erschien dann in zwei B änden, bei dem ungarischen A kadem ieverlag und bei dem H arrasso-

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witz Verlag in W iesbaden. D ie zw eite große H erausgabearbeit hat auch so begonnen.

Ich fand in d er S zéchényi-N ationalbibliothek ein verloren geglaubtes D ram a von W olfhart S pangenberg, eines D ram atikers und M eistersängers der späthum anisti­

schen B arockzeit, ich w urde dam it beauftragt, seine gesam ten W erke herauszugeben.

Z usam m en m it A n d o r Tam ai habe ich das gem acht, er betreute die lateinischen W er­

ke. D ie B ände sind im Verlag W alter de G ruyter in Berlin und N ew York erschienen.

M ich interessieren die B eziehungen zw ischen den verschiedenen m uttersprachlichen Literaturen und der lateinischen L iteratur im M ittelalter. D eshalb begann ich, mich auch intensiver m it dem L ö w en er K odex und der A ltungarischen M arienklage zu beschäftigen. D urch besondere Z ufälle ist es m ir gelungen, m eist im A usland — in W ien, Venedig und H eiligenkreuz - K odizes zu identifizieren, in denen Predigten enthalten sind, die m it dem L öw ener K odex identisch sind, und es scheint so zu sein, daß die ganze K odexgruppe entstanden ist, als nach den T atarenstürm en die D om inikaner zum zw eiten M al in U ngarn ihre O rdenshäuser gegründet haben. Sie hatten sich hier bereits vo r den Tatarenstürm en niedergelassen, doch ihre B auten w ur­

den von den T ataren völlig zerstört. In den Jahrzehnten nach der Tatarenzeit kam es dann erneut zu ein er großen Blüte.

D ann folgte die B u d a p ester Liederhandschrift. M itte der achtziger Jahre kam en bei einem A n tiq u ariatsein k au f drei Pergam entblätter zum Vorschein, au f denen M inne- sang-F ragm ente nach dem gleichen R edaktionsprinzip angeordnet w aren w ie in den bekannten M innesang-H andschriften der großen Sam m lungen. D as w aren Teile der W erke von drei A utoren. D as B esondere an der Sache ist - deshalb sprach m an in D eutschland von der Entdeckung des Jahrhunderts - , daß die W erke des K ürenberg, des frühesten M innesängers, bisher nur aus den großen H eidelberger Liederhandschriften bekannt waren. In den übrigen H andschriftsam m lungen w ar er aus unerfindlichen G ründen ausgelassen w orden. D eshalb tendierten die Editoren in einer F ülle von Fragen zu K orrekturen, eben w eil es nur einen Text gab und m an K opierfehler verm u­

tete. So griffen die H erausgeber auch gern in die A nordnung ein, auch in die A bfol­

ge der S trophen. H ier aber kam en nun die Seiten zum V orschein, genau m it den glei­

chen „F eh lem “ , eine gegenseitige A bschrift aber w ar ausgeschlossen. A ndererseits gab es auch bei m anchen Strophen, auch bei dem berühm ten F alken-L ied stark abw ei­

chende T extvarianten, die die Interpretation einzelner L ieder beeinflussen. A us litera­

turgeschichtlicher S icht w ar außerdem interessant, daß alle drei früher bekannten H andschriftsam m lungen im südw estlichen Zipfel des deutschen Sprachgebietes ent­

standen w aren, im D reieck K onstanz-Z ürich-Straßburg. D och hier lag nun plötzlich eine H andschrift vor, die sicherlich auf bairisch-österreichischem Sprachgebiet ent­

standen war, au f der L inie W ien-Passau-R egensburg, und die w ar nach den gleichen R edaktionsgesichtspunkten verfaßt w ie die anderen, vielleicht w ar es sogar die älteste. B ish er hatte m an geglaubt, daß diese Sam m lung nur ein er dortigen b ibliophi­

len G ruppe zuzuschreiben w äre, daß sie gleichsam deren E rfindung sei, und dann kom m en einige B lätter zum Vorschein, in genau der standeshierarchischen A nord­

nung, m it den gleichen W appen und in der an S tandesordnungen gebundenen R ang­

folge, m it d er A bsicht, das Porträt des A utors w ie auch das gesam te Œ uvre zu bew ah ­ ren. Es hat also auch hier im D onautal einen M äzen gegeben, für den diese H and­

schrift verfaßt w urde, auch hier gab es literarische Sam m eltätigkeit.

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H err Professor, wie treffen sich in Ihrer A rb eit die Lehre zu r m ittelalterlichen L iteraturgeschichte und die B estim m ung d e r K odexfragm ente ? A u f d er einen Seite geht es um die Interpretation klassischer Texte, a u f d e r anderen Seite steh t die T ätigkeit eines Stubengelehrten, die E ntzifferung von H andschriften.

Als ich 1970 zum ersten M al an der ELTE den A uftrag erhielt, die deutsche m ittelal­

terliche L iteratu r in Vorlesungen regelm äßig vorzustellen, gab es m eine beiden B ü­

cher schon, in denen ich die in U ngarn befindlichen deutschen K odizes und K odex­

fragm ente auf gearbeitet habe. D och weil diese Texte nicht den K anon der ‘klassischen’

L iteratur repräsentierten, w ar es für m ich ein gew altiger intellektueller G enuß, daß ich die gesam te L iteratur m ethodisch überschauen konnte, um zu versuchen, S chw er­

punkte zu b estim m en und T raditionsbindungen w ie auch In novationen zu erkennen.

Die Stunden an d er U niversität waren auch deshalb so spannend, w eil w ir Ihre theo­

logischen Interessen und K enntnisse zu spüren bekam en. D as h ä n g t ganz eng m it einer P hase ihres L ebens zusam m en, als Sie O rdensschüler bei d en P iaristen waren.

Welche R olle sp ielt bei Ihrer Lehre dieser Lebensabschnitt?

E ine außerordentlich starke Rolle. Schon dam als, als ich zur ELTE kam , sah ich, was es für ein gew altiger Vorteil ist, daß m an au f der theologischen H ochschule nichts anderes zu tun hatte, als zu lernen und sich m it geistigen W erten zu befassen. Ich lernte einerseits die M eistergriffe, andererseits etw as, was ich als w issenschaftliche A skese bezeichnen m öchte, daß näm lich das Lernen anfordert, sich innerlich ganz d arau f einzustellen. Es m uß seine Spuren in den M enschen hinterlassen. U nd natür­

lich gab es eine R eihe von D isziplinen, die w ir dort gelernt haben - K irchengeschich­

te, B ibelkunde, M oral, D ogm atik, Liturgie usw. —, die bei ein er w issenschaftlichen A rbeit in d er M ediävistik sehr w ichtig sind.

Wie kam en Sie bis zum N oviziat bei den P iaristen ?

Ich bin in Tata, w o m eine m ütterlichen G roßeltern w ohnten, geboren, doch die F am i­

lie lebte dam als schon in Györ, m ein Vater w ar hier Tafelrichter. In G yör begann m eine G ym nasialzeit, bei den B enediktinern. Vor dem K lassenlehrer haben w ir uns gefürchtet, er w ar im E rsten W eltkrieg M ilitärpfarrer gew esen, in seinem Z im m er hing ein B ild aus dieser Zeit. E r konnte auch freundlich sein, doch ich w ar ein eher ängstliches, zurückgezogenes Kind. Bei den B enediktinern w ar dam als m ein erster D eutschlehrer, O loffson Placid, ein großes Erlebnis für m ich. Ich kann m ich noch im m er erinnern: E in w enig zögerlich kam er zu uns herein und zeichnete zu B eginn der Stunde eine w underbare M ickym aus an die Tafel, um eine B eziehung zu uns herzustellen. E ine derartig schöne M ickym aus habe ich seitdem nicht m ehr gesehen.

Ihn selbst auch nicht. E r verbrachte viele Jahre in sow jetischer H aft. 1944 kam en die D eutschen, E nde A pril ging das Schuljahr zu Ende, w ir zogen nach Tata und blieben dort hängen. So ging ich hier bei den Piaristen in Tata auch in die vierte K lasse, vom neuen S chuljahr an bis zum A bitur 1949.

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D ie ersten Jahre nach dem K rieg schm iedeten die Piaristenschüler sehr stark m it ihren Lehrern zusam m en. D am als begann w ieder die Pfadfinderbew egung, w ir gingen tat­

sächlich bei den L ehrern aus und ein, als w ären w ir dort zu H ause. W ir trafen da auf einfache m enschliche U m gangsform en. In diese Z eit fällt auch m ein großes Erlebnis m it einem L iteraturlehrer. M ein erstes bew ußtes literarische E rlebnis ist es gew esen, als der L ehrer B átori das ganze B uch Szigeti veszedelem [lat.: ‘O bsidio S zig etian a’]

in seiner S tunde laut vorlas.

In dieser Z eit haben w ir tatsächlich aus dem N ichts heraus unser Jungenleben organi­

siert, w ir bauten Schiffe, m ieteten einen K inoraum , H err B átori hatte von der am eri­

kanischen B otschaft B onso- und M ickym ausfilm e besorgt. W ir führten M atineever­

an staltu n g en durch, von den E innahm en kauften w ir in Pest vom G anz-K lub ein K anadier-B oot fü r zehn L eute und brachten ihn in O rdnung. W ir arbeiteten in der Schreinerei, zusam m en m it unseren L ehrern, kochten die Bretter, um sie passend zu biegen, hobelten, schliffen und lackierten.

D er H abitus d er P iaristenlehrer hatte au f vielfache W eise starken E influß au f mein Leben. D ie große W irkung ging nicht nur von den schulischen D ingen aus, sondern auch von den E rlebnissen als P fadfinder bei der E rschließung der Natur. Ich hatte das G efühl, diese A rt d er E rziehung von Jugendlichen innerhalb eines O rdens gern m itzu­

m achen. Von großem E influß au f m ich w ar der S om m er 1948, als w ir schon w ußten, daß das L eh rjah r 1948/49 das erste staatliche L ehrjahr sein w ürde. D ie Piaristen sam ­ m elten in V eszprém aus allen Piaristengym nasien des Landes acht bis zehn Jungen aus den höheren K lassen. D afür w urden solche S chüler ausgew ählt, die m an später in eine G ruppenarbeit zur Selbsterziehung einbeziehen konnte und die dann auch andere Zusam m enhalten w ürden. D er K ern dieser einm onatigen A usbildung in V eszprém - E xerzitien, L ehrgang, W eiterbildung - w aren drei Piaristen: G yörgy B ulányi, M iklós Juhász und Jenő T örök. M iklós Juhász w ar w ohl der spirituellste unter ihnen, der sich am m eisten in sich selbst zurückzog. Später w urde er dann auch im K alasantinum , im Studienhaus der Piaristen, zum p a te r spirituális. E r w urde m it B ulányi zusam m en verhaftet, und als e r 1956 nicht in den W esten ging w ie Jenő T örök, sondern zu H ause blieb, da haben sie ihn erneut festgenom m en. N ach einigen Jahren kam er durch eine A m nestie frei. B is zu seinem Tod stand ich m it ihm in B eziehung. D ieser M onat in V eszprém h atte fü r m ich ein e ganz a u ß ero rd en tlich e B ed eu tu n g , da un sere A ufm erksam keit a u f das von allen äußerlichen Z eichen gereinigte W esen des Lebens und des G laubens gerichtet w urde. D am it begann w ohl in m ir eine D istanzierung von solchen D ingen w ie d er Pfadfinderbew egung. Ich w ar ein sehr leidenschaftlicher W asserpfadfinder gew esen. Als nach der W ende die P fadfindergruppen neu ent­

standen sind, haben m ich die alten P fadfinder aufgesucht, doch da w ar für m ich schon unvorstellbar, daß ich m ich m it einer G ruppe identifizieren könnte, die auch nach außen ein einheitliches B ild abgeben will und U niform en trägt.

D ann sin d Sie also in d en Orden eingetreten. Sie haben sich als P iarist um die A u f­

nahm e an d er U niversität bew orben?

Ja, das w ar eine m erkw ürdige Sache. E nde 1951 kam es w ohl zum ersten M al zu der Ü berlegung, daß ich w egen m eines Sprachfehlers aus dem O rden ausscheide. S ándor

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Sík, der L eiter der ungarischen O rdensprovinz, sagte zu mir, ich solle m ich jetzt im Som m er bem ühen, au f eine U niversität zu kom m en, dam it sie m ich nicht zum A rbeitsdienst einziehen. A uch dam als konnte m an sich an m ehreren Stellen b ew er­

ben, ich legte in einem S om m er fü n f A ufnahm eprüfungen ab. A m liebsten w äre ich in den N aturw issenschaften für die F ächer B iologie und C hem ie aufgenom m en w or­

den, das lag an m einem guten C hem ielehrer Jó zsef K ender, doch ich bew arb m ich auch für das Fach R ussisch an der H ochschule in Szeged, und das G anze endete m it einer B ew erbung an der L andw irtschaftlichen H ochschule im B ereich T ierzucht. Ich w urde nirgendw o aufgenom m en, denn dam als hatte ich schon zw ei „S chandflecke“ : einerseits gehörte ich zum „klassenfrem den E lem ent“, andererseits gab es die kle­

rikale V ergangenheit. A llerdings kam der N ovize, den sie in den O rden aufnehm en w ollten, dann doch nicht, so erlaubte H err Sík, daß ich bleibe

Wie aber sind Sie dann m it dem deutschen M ittelalter in Berührung gekom m en ? Ich kam schließlich aus dem vierzehnköpfigen K reis der O rdensschüler heraus. Ich begann als G erm anist, doch das w ar nicht das G ebiet, m it dem ich m ich beschäftigen w ollte. Ich hatte am D eutschen L ehrstuhl einen hervorragenden Lehrer, L ászló Bodi.

E r geriet am A nfang des Jahres 1957 nach A ustralien, dort gründete er an einer U n i­

v ersität einen bedeutenden germ anistischen L ehrstuhl. W ir und ganze G enerationen hatten von B odi gelernt, wie m an sich einem Text zu nähern hat. Einm al hielt er m ich auf dem F lu r au f und fragte m ich, w as ich m achen wolle. „M öchtest du nicht in die M edizin w echseln oder sonstw ohin? W ir geben dir ein Papier, sie w erden dich neh ­ m en.“ „N ein. Ich m öchte hier bei den G eistesw issenschaften bleiben“, habe ich geant­

wortet. D am als hat m ich die V ölkerkunde sehr gereizt. „N ein, au f gar keinen Fall, in der N azizeit ist die ganze V ölkerkunde zu einer m ystischen braunen Sache gew orden, die H ände w eg davon! B eschäftige dich lieber m it dem M ittelalter, du hast bereits eine M enge von D ingen gelernt, die dir dort sehr nützlich sein w erden!“

D iesen R at habe ich angenom m en, so habe ich m ich dann der m ittelalterlichen L iteratur zugew endet. D och das w ar schon die zw eite Ä nderung m einer L aufbahn, denn eigentlich w ollte ich ja N aturw issenschaftler w erden, und ich glaube im m er noch, daß ich m eine erste m ikrophilologische Schulung bekom m en habe, als ich als kleiner Schüler eine Sam m lung von Käfern angelegt habe. D a ist genau vorgeschrie­

ben, zu w elcher F am ilie ein E xem plar zuzuordnen ist, zu w elcher K lasse, w elcher Art. D iese Z uordnung ähnelt d er B estim m ung von K odexfragm enten, die T hem atik einer bestim m ten Z eit zuzuschreiben, jew eils nach den zitierten A utoren.

Vielleicht können w ir zurückkom m en a u f das p rägende Erlebnis, a u f die E xerzitien bei den P iaristen in Veszprém, als Sie in der achten K lasse des G ym nasium s waren.

Sie sprachen vom „ Wesen, das von allen äußeren Zeichen gereinigt ist". Was h a t das sp ä ter f ü r Sie bedeutet?

Ja, auch das ist nicht uninteressant. In den letzten Jahrzehnten habe ich es so definiert, daß ich m ir seelisch, aber auch ein w enig beruflich S chm uggelpfade gesucht habe.

Sicher spielte dabei die Ü berzeugung eine w ichtige Rolle, daß all die W erte, an die ich und m eine L ehrer glaubten, genau dem entgegen standen, w as in diesen Jahrzehn­

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ten als F ortschritt begriffen w urde. B ew ußt w ollte ich - aus der N ot eine Tugend m achend - bezeugen, daß ein M ensch nicht auf dem W ege des E rfolgreichseins seine eigenen W erte vertritt und rettet. W ohin und bis zu w elchem Z eitpunkt? D ieses sich H indurchretten kannte zeitlich und historisch kein Ende.

1970/71 bekam ich m einen ersten L ehrauftrag an der ELTE - niem als hat m ich je ­ m and gefragt, w as ich da lehre, w arum ich lehre, w as ich sage, w ie ich es sage. M ög­

licherw eise w ar das auch deshalb so, w eil ich m ich m it einer „uninteressanten“ , alten Periode d er deutschen L iteratur befaßt habe.

U nd w enn schon einm al von der P fadfinderschaft die R ede war, von der U niform , dem H ungaria-Z eichen, dem M ariengras an den H üten, D inge, gegen die ich eine A version entw ickelt habe, so sei aber auch die R ede davon, was m ir persönlich w ert­

voll erscheint. W as m ir von der P fadfinderzeit geblieben ist, das ist eine Form , mich der N atur zu nähern. A uch das hat etw as m it dem M ittelalter zu tun, w enn d er M ensch sich nach d er aventiure au f den W eg m acht und nicht w eiß, was ihn erw artet, dann kom m t der adventus, er w ird m it etw as konfrontiert. D eshalb habe ich die Fahrten auf dem W asser lieb gew onnen, die im m er G leiches und doch auch im m er etw as A nderes bieten. A m W asser w erden die physischen E lem entarw erte des m enschlichen L ebens in E rinnerung gerufen: trockene K leidung, w arm es Essen, ein Stück Z elt über dem Kopf. F ü r m ich sind das die Dinge, die ich der Pfadfinderzeit verdanke.

D ie S chm uggelpfade haben auch die M öglichkeit gewährt, die Veränderungen und geschichtlichen Wenden aus einer eh er stabilen Position heraus zu durchleben — so auch die neueste G eschichte. Ist das w irklich so gew esen? Wie behauptet sich dieses M aß, w elches sich in Ihnen entw ickelt hat, in unseren Tagen?

Vor ein p aar Jahren glaubte ich noch, daß es richtig ist, diesen m einen S chm uggelpfad w eiter zu gehen. In den letzten Jahren aber fühle ich m ich bestärkt darin, diesen Pfad je tz t irgendw ie zu verlassen, w as ich bisher versteckt in m einem B eutel oder R u ck ­

sack trug, b eiseite zu legen und etw as anderes zu beginnen, dies dann zu zeigen und auch anderen M enschen anzubieten. Das bedeutete zuletzt, daß ich das A ngebot und die H erausforderung angenom m en habe, an d er K atholischen U niversität zu versu­

chen, einen deutschen L ehrstuhl zu organisieren. Im vergangenen Septem ber w urde hier dam it begonnen, die F ächer U ngarisch, G eschichte, Latein, G riechisch und Slow akisch zu unterrichten, im S eptem ber 1993 w erden der germ anistische und der anglistische L ehrstuhl ihre A rbeit aufnehm en.

ln w elchem A u sm a ß kann eine U niversität katholisch sein?

Ja ..., auch m ir hat das Problem e gem acht und m acht es in gew isser W eise im m er noch Problem e, denn auch ich bin der Ü berzeugung, die uns S ándor Sík gelehrt hat, daß es keine katholische L iteratur gibt. Jede Literatur, die w irklich gut ist, ist eigentlich zugleich katholische Literatur. U nd so stehe ich auch zu der K atholischen U niversität, also alles, w as verantw ortungsvoll einen w issenschaftlichen Standpunkt vertritt - und hier verstehe ich V erantw ortung nicht nur im w issenschaftlichen, son­

dern auch im m oralischen Sinn - , das ist katholische U niversität bzw. katholische

Auf Schmuggelpfaden 21

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W issenschaft. Es gibt dazu eine Bulle des H eiligen Vaters, dazu eine K onstitution der K atholischen U niversität. B eide bieten tatsächlich einen sehr w eiten R ahm en, also einen auch konfessionell völlig offenen R ahm en: W eder von den L ehrenden, noch von den S tudenten w ird erw artet, daß sie durch und durch katholisch sind, n u r dürfen sie nicht etw as vertreten und propagieren, was gegen die K irche gerichtet ist. D arin liegt m eines E rachtens die G elegenheit zu versuchen, eine neue, gute, allen W erten gegenüber offene U niversität zu gründen.

Ihre Lektüre b eschränkt sich bestim m t nicht allein a u f die A ltertü m er?

L eider lebe ich in den letzten zw anzig Jahren fast nu r m ehr in d er alten Literatur. D as ist die F olge der K onzentration in unserem Fach. D as nim m t dem M enschen die Freude am interesselosen Lesen. F rüher habe ich im m er gern au f dem G ebiet der neueren deutschen L iteratur auch zu G egengiften gegriffen. Ich habe eine A nthologie der G ruppe '4 7 zusam m engestellt - die erste in ungarischer Sprache. Ich beschäftige m ich gern m it der deutschen L iteratur nach dem Z w eiten W eltkrieg, w ie diese begonnen hat, w ie sie au f die eigenen Füße kam , au f T raditionen zurückgegriffen bzw. N euland betreten hat. D as hat m ich dam als sehr interessiert, doch zu B eginn der siebziger Jahre m ußte ich dam it aufhören. M ir blieb zu w enig Z eit und E nergie dazu.

N atürlich lese ich von Z eit zu Z eit B ücher der neueren ungarischen Literatur. Z uletzt habe ich das B uch D onau abw ärts von P éter Esterházy m it großer L ust gelesen, vielleicht gerade w egen der D onau. A uch ich habe diesen W eg über die D onau g em acht und bin davon überzeugt, daß für P éter dieser W eg kein rein fiktiver war.

M anche D etails sind derartig glaubw ürdig, die er nur dann schreiben konnte, wenn auch er au f diesem D onauabschnitt w ar und beispielsw eise genau die Steine gesehen hat, die der Fluß in B ew egung setzt und m it sich schleppt. An der Q uelle sind sie noch viel größer, und w o der Fluß dann langsam er fließt, w erden sie im m er kleiner und kleiner, bis sie zu Sand zerm ahlen sind. A uch davon schreibt er. D as ist eine A rt von R ealism us bis ins D etail. W ie fiktiv auch im m er die A rtussage sein m ag, so etw as läßt sich nicht erfinden: Als Erec und Enite zusam m en reiten und sich die R äuber nähern, da nim m t zunächst Enite die G efahr wahr, weil sie nicht in P anzer und R üstung reitet und das viele M etall nicht in ihren O hren scheppert - sie also hört sie. M an m uß die G röße der Steine gesehen haben, die ein Fluß m it sich schleppt. D as kann m an nicht am Schreibtisch erfinden.

D er D etailrealism us, die B eachtung von W inzigkeiten, so etw as spielt, so glaube ich, bei d e r H erausbildung eines nüchternen U rteils im m er eine w ichtige Rolle. A uch dabei, wie w ir über unsere m enschliche U m gebung denken. E s hilft vielleicht dabei, g ed u ld ig er zu sein ...

Ich glaube im m er m ehr, daß es ein G radm esser der m enschlichen K ultur ist, die U nterschiede nicht nu r gezw ungen zu ertragen, m it zusam m engebissenen Z ähnen, sondern diese als natürlich und selbstverständlich zu begreifen. U nd das m üssen auch w ir und die K irche in den kleinen Situationen des A lltags leben. D as ist fürchterlich schw er, w eil es so viele G ruppeninteressen gibt. H ier ist dann w ieder die Toleranz in Gefahr. M an spricht viel von D em okratie - die G efahr der D em okratie besteht genau

22 Auf Schmuggelpfaden

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darin, von d er D em o k rad e nicht G ebrauch m achen zu können. W ie es auch heute zu sein scheint, daß w ir vielfach nicht von ihr G ebrauch m achen können. D as kann ich in m ir nur so aufarbeiten, indem ich das tue, was ich die letzten vierzig Jahre auch getan habe. A uch dam als hat m an gew ußt, sich nicht im großen Strom zu befinden, und dennoch gem acht, w as m an für gut und notw endig hielt.

Was halten Sie f ü r das w irklich E rfreuliche in Ihrem Leben?

G anz verschiedene D inge. Ich mag die M usik, die Instrum entalm usik des B arock, und die bildenden K ünste. D azu gibt es die Freuden innerhalb des F achgebietes, w enn ich das G efühl habe, etw as w irklich gut form uliert zu haben. Was ich schrieb, als ich dam it angefangen habe, a u f der U niversität zu lehren, das gelangt - w enn auch nicht ganz, so doch in einigen Teilen — heute noch in m eine Vorlesungen. D ie zw eite große Freude, die m it m einem Fach zusam m enhängt, em pfinde ich, w enn ich eigene F orm ulierungen aus dem M und von S tudenten w iederhöre. H äufig sagen sie, w ie gut dies od er je n e s war, daß ich das gesagt habe, ich könne m ich doch daran erinnern?

D abei erinnere ich m ich überhaupt nicht, ich habe keine A hnung, ob ich das je gesagt habe. D och es ist fü r einen anderen an entsprechendem O rt zu einer entsprechenden Z eit bedeutsam und w ichtig gew esen.

Schließlich w ar schon die R ede vom Leben in der Natur. U nter einfachen B edingun­

gen die W elt zu erschließen, w o w ir au f die elem entaren W erte stoßen, da der M ensch sich den B edingungen anzugleichen hat. Ich halte es für eine ganz schlechte Sache, daß heute viele L eute der W elt etw as aufzw ingen w ollen, sie soll sich ihnen fügen.

D eshalb h alte ich die Fahrten a u f dem W asser fü r eine sehr gute L ebensschule. Sie zw ingen den M enschen dazu, sich den V erhältnissen anzupassen, die gegeben sind, die sich nicht verändern lassen, bei Kälte, W ind, Regen ..., das brauche ich w ohl nicht w eiter zu erklären? Zu solchen Fahrten gehören natürlich auch andere, das ist nicht nur die F reude eines E inzelnen. Es ist die Freude von vielen, die sich gem einsam auf den W eg m achen.

Auf Schmuggelpfaden 23

A u s dem U ngarischen von W ilhelm D roste

Erstveröffentlichung in:

Vigilia 1993/8, S. 617-623.

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(16)

B

e it r ä g e

I .

Antike und Mittelalter

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(18)

Horazens Hymnus auf Bacchus (2,19) Tamás A dam ik

(B udapest)

1. L aut W alter W ili gehören das S taatslied und der G ötterhym nus bei H oraz zusam ­ m en, so w ie bei den R öm ern Staat und G ott überhaupt. „Es kann darnach nicht m ehr verw undern, daß in d er L iedersam m lung sich elf H ym nen an G ötter finden und zw ölf

‘S taatsg ed ich te’; daß überdies der hym nische A nruf noch in acht w eiteren G edichten Form w urde und dam it insgesam t ein starkes D rittel der G edichte von festlich-staat- lich-göttlichem C harakter getragen ist“, schreibt er und betont: „es sind neue Götter, denen g ehuldigt w ird“ .1 A pollon, D iana, M erkur, B acchus, Venus. W enn es so ist, m üssen die H ym nen, die au f diese G ötter von H oraz gedichtet w urden, eine beson­

dere B edeutung haben.

In m einem B eitrag m öchte ich den H ym nus au f B acchus behandeln, der sich im zw ei­

ten B uch der O den befindet. D as zw eite B uch hat eine besondere Eigenart: es ist das kürzeste, doch finden w ir in ihm keine kurzen und keine langen O den die kürzeste hat 20 Z eilen, d.h. 5 S trophen, die längste 40 Zeilen, also 10 Strophen. So ist in H insicht au f den U m fang das zw eite B uch durch Z urückhaltung charakterisiert.2 U nser H y m ­ nus gehört m it 2, 17 (O de an M aecenas) zu den m ittellangen O den des B uches: er hat 8 Strophen. M einer M einung nach ist es kein Zufall, daß dieser H ym nus eben in einem B uch zu finden ist, für w elches das E benm aß und die Z urückhaltung ch arak te­

ristisch sind.

O bw ohl die M einungen der F orscher über den A ufbau des G edichtes auseinanderge­

hen, suggeriert auch die Struktur des H ym nus E benm aß und H arm onie. Im großen und ganzen stim m en die Forscher darin überein, daß die zw eistrophige Eingangsszene der erste Teil ist:

Bacchum in remotis carmina rupibus vidi docentem, credite posteri,

Nymphasque discentis et auris capripedum Satyrorum acutas.

1 Wil i, Wa l t e r: Horaz und die augusteische Kultur. Basel: Schwabe & Co., 1948, S. 193.

2 V g l. Qu in n, Ke n n e t h: Horace, The Odes. Bristol: Classical Press, 1997, S. 196.

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euchoe, recenti mens trepidat metu, plenoque Bacchi pectore turbidum

laetatur, euhoe, parce Liber, parce gravi metuende thyrso! (1 -8)3

Dies ist die E inführung, in der H oraz erzählt, daß er B acchus gesehen habe, als er N ym phen und Satyrn L ied er lehrte. D aß sogar die tollen Satyrn die O hren lernbegie­

rig spitzen, bew eist die M acht des B acchus. H oraz glaubt sich in den bacchischen T hiasos aufgenom m en und stößt dessen Schrei aus. E r fühlt ehrfürchtigen Schauer und freudige E rregung und fürchtet, daß ihn der E nthusiasm us völlig der B esinnung beraube, darum bittet er B acchus ihn zu verschonen.4 N ach K. Q uinn ist die 1. Strophe die E inführung, die 2. aber ist eine V erbindung zum H ym nus.5

H. P. S yndikus m eint, die Strophen 3-8 bilden den zw eiten Teil des H ym nus, darum zeigt der A ufbau des G edichtes ein auffälliges U ngleichgew icht. D och hebe der D ich­

ter dieses U ngleichgew icht dadurch auf, „daß in der 3. und 4. S trophe ein Ü bergang geschaffen ist“, indem die Sprechsituation eine andere sei: H oraz sagt bloß, er dürfe von dionysischen T hem en singen. D as erm öglicht eine Steigerung in der 5. Strophe

„m it seinen w iederholten feierlichen D u-A nreden“6 - behauptet Syndicus.

V ielleicht sind R. G. M . N isbet und M. H ubbard7 sow ie A. K iessling und R. H einze8 richtig der A nsicht, daß die 3. und 4. Strophe den zw eiten Teil bilden:

fas pervicacis est mihi Thyiadas vinique fontem lactis et uberes

cantare rivos atque truncis lapsa cavis iterare mella, fas et beatae coniugis additum

stellis honorem tectaque Penthei disiecta non leni ruina,

Thracis et exitium Lycurgi.

D er D ichter, von B acchus gew eiht, hat das R echt, B acchus, seine B eg leiter und seine G aben, W ein, M ilch und H onig zu besingen. E r d a rf von der vergöttlichten G attin des B acchus, A riadne, und von B acch u s’ Feinden und L eugnern, P entheus und L ycurgus, singen.

D ieses R echt m acht den D ich ter so begeistert, daß er von je tz t an die Taten des B acchus hym nisch hochpreist, w obei er sich spontan an die G ottheit selbst w endet.

28 Tamás Adamik

-=3 - ^ 0

1 Den lateinischen Text zitiere ich nach der Ausgabe: Bo r z s ä k, St e p h a n u s: Horatius, Opera. Leipzig:

Teubner, 1984.

4 Vgl. Nu m b e r o e r, Ka r l: Horaz, Lyrische Gedichte. Münster: Aschendorff, 1972, S. 197-198.

s Qu in n: Horace, S. 236.

6 Sy n d ik u s, Han s Pe t e r: Die Lyrik des Horaz. Eine Interpretation der Oden. Bd. 1: Erstes und zweites Buch.

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1972, S. 477.

7 Nisb et, R . G . M .; Hu b b a r d, Ma r g a r e t: A Commentary on Horace: Odes. Book II. Oxford: Clarendon, 1978.

1 Kie s s l in g, Ad o l f; He in z e, Ric h a r d: Q. Horatius Flaccus, Oden und Epoden. Dublin; Zürich: Weidmann, 1966, S. 239.

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D er inspirierte S chw ung reißt den D ichter in eine Steigerung, deren H öhepunkt auf die 6. Strophe fällt. So m achen die 5. und 6. Strophe den dritten Teil des H ym nus aus.

A. Kiessling und R. Heinze,9 R. G. M. N isbet und M. H ubbard10 halten die Zeilen 17-32 deshalb fü r den dritten Teil.

tu flectis amnes, tu mare barbarum, tu separatis uvidus in iugis

nodo coerces viperino Bistonidum sine fraude crinis.

tu, cum parentis regna per arduum cohors Gigantum scanderet impia,

Rhoetum retorsisti leonis unguibus horribilique mala,

Das in zwei Versen dreim al w iederholte tu kennzeichnet deutlich den Beginn eines neuen Teiles: die A retalogie des B acchus, der au f seinem Z ug nach Indien den L a u f der Ström e H ydaspes und O rontes aufgehalten hat. G iftige Vipern dienen zu H aarbändern der M änaden und zeigen so ihre G öttlichkeit. D ie G iganten türm ten den O ssa und den Pelion au f den O lym p, um den H im m el zu stürm en, B acchus aber nahm an der G igan- tom achie teil und besiegte R hoteus, einen der gew altigsten G iganten.

O bw ohl die direkte A nrede fortläuft, geht die A retalogie in eine R eflexion über M acht und Fähigkeiten des B acchus über: er ist nicht nur der G ott des W eines, son­

dern auch ein grau sam er K äm pfer, er ist „in Frieden und K rieg gleich groß“ . W ie friedlich er ist, illustriert die letzte Strophe. A u f G rund dieser Ä nderungen im Ton des G edichtes können w ir die 7. und 8. Strophe als vierten" und letzten Teil betrachten:

quamquam choreis aptior et iocis ludoque dictus non sat idoneus

pugnae ferebaris, sed idem pacis eras mediusque belli, te vidit insons Cerberus aureo cornu decorum, leniter atterens

caudam et recedentis trilingui ore pedes tetigitque crura.

B acchus stieg in den H ades hinab, und dort besänftigte er schon durch seine E rscheinung den C erberus. Als B acchus den H ades w ieder verließ, w urde C erberus sogar noch friedlicher. So konnte B acchus ungehindert aus dem H ades zurückkehren.

Horazcns Hymnus auf Bacchus 29

9 Kie s s l in g; He in z e: Q. Horatius, S. 23 9 . 10 Nisb e t, Hu b b a r d: A Commentary, S. 314.

" Nürnberger teilt den Hymnus auch in vier Teile: Huraz, S. 200: „Die Ode umfaßt 2 Teile von je 4 Str.; die ers­

ten 4 Str. stellen sozusagen die ‘Einführung’ zur hymnischen 2. Gedichthälfte dar. Die ‘Einführung’ ist in sich wieder 2 mal 2 Str. abgeteilt [...]. Der eigentliche Hymnus auf Bacchus (v. 17-32) ist gleichfalls in 2 Strophen- dyaden gegliedert“. Quinns Einteilung ist anders, Horace. S. 236: „Stanza 1, introductory; Stanza 2, bridge to hymn; Stanzas 3-6, hymn; Stanza 7, lucid interval; Stanza 8, hymn concluded“. Auch nach Viktor Pöschl hat der Hymnus vier Teile: Die Dionysosode des Horaz (c. 2, 19). - ln: Hermes 101 (1973), S. 208-230, hier S. 223:

„Wir haben also einen klaren Aufbau: dreimal zwei Strophen, die miteinander kontrastieren“, d.h. Strophe 1 und 2, 3 und 4, 5 und 6; und der vierte Teil ist: Strophe 7 und 8.

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30 Tamás Adamik

2. Was die Interpretation dieses H ym nus betrifft, betonen die früheren K om m entato­

ren (U ssan i12, K iessling, H einze) die E rnsthaftkeit der Inspiration und E kstase, die B acchus dem D ichter eingeflößt habe. So sei das G edicht kein allgem eines Lied, son­

dern ein persönliches B ekenntnis des D ichters. K iessling und H einze vergleichen unseren H ym nus m it dem bakchischen L iede 3, 25: „dort ein Versuch, den M om ent der E kstase, gleichsam die G eburtsw ehen eines G edichts, zu veranschaulichen; hier die freudig und feierlich erregte S tim m ung dessen, der sich seiner göttlichen G abe bew ußt gew orden ist: D er verschiedene B au des Liedes entspricht d er V erschie­

denheit der Stim m ung: hier strenge B indung der Perioden an den S trophenschluß, dort freieste B ew egung; dort ein ungegliedert fortström ender Sang, hier abgew ogene Sym m etrie.“ 13 Sie verw eisen au f die griechischen Parallelen und au f die Taten, die der G ott au f E rden, im H im m el und in der U nterw elt vollbracht hat.

D ie neueren K om m entatoren nuancieren diese Interpretation w eiter. E. F raen k el14 und K. N ürnberger richten die A ufm erksam keit auf das U ngew öhnliche, das B acchus lehrt: „B acchus spielt h ier die fü r ihn ungew öhnliche R olle des G ottes der P oesie und des C horführers d er M u sen .“15 N isbet und H ubbart heben hervor und illustrieren m it B eispielen, daß H oraz nicht w enige griechische und lateinische M odelle fü r einen H ym nus au f B acchus hatte. D ann stellen sie die Frage, ob die O de eine tiefere A bsicht hat. Es ist klar, antw orten sie, daß B acchus die Q uelle der Inspiration für die D ichter des augusteischen Z eitalters war, w eil er schon in dem klassischen G riechenland von den D ichtern als d er Patron der D ithyram be, der T ragödie und d er K om ödie betrachtet w urde. In der hellenistischen E poche beschäftigten sich die Technitae des D ionysos nicht nur m it dem D ram a, sondern m it allen Form en der M usik und der D ichtung.

K allim achos assoziierte D ionysos m it A pollo und den M usen und bezeichnete ihn als Q uelle der Inspiration. All dies erkläre, w arum H oraz als T hem a seiner O de B acchus w ähle, es aber nicht so ernst nehm e, wie einige F orscher denken. H orazens V ision ist nur literarisch, keine w ahrhafte Epiphanie. E r erw ähnt die Inspiration nur in der zw eiten Strophe, in 3, 25 scheint die Inspiration vielleicht zu feierlich zu sein. N isbet und H ubbard schließen ihre Interpretation der O de w ie folgt ab: „The craftsm an w ho m oulded the O de to B acchus w as an A pollonian not a D ionysiac, a G ray not a S chiller; his controlled ecstasy im plied no com m itm ent but w as contrived w ith cal- culating deliberation; unlike the fasting B acchae, w hen he shouted ‘E u c h o e’ he was w ell fed (Juv. 7, 62) and in his right m ind.“16 A uch E. L efevre zitiert diesen Satz und fügt folgendes hinzu: „Z w ar m öchte m an nicht den Interpreten zustim m en, die die O de zu pathetisch auffassen, aber ein bloßer stilistischer S cherz ist sie w ohl auch nicht. B acchus tritt am A nfang als L ehrer au f - auch als der des D ichters H oraz (vidi

12 Us s a n i, Vin c e n z o: Orazio, Odi ed Epodi. (Neudr.) Torino: Loescher, 1963, Bd. 2, S. 58.

” Kie s s l in g; He in z e: Q. Horatius, S. 2 3 9 -2 4 0 .

14 Fr a e n k e l, Ed u a r d: Horace. Oxford: Clarendon, 1963 (1 9 5 7 ), S. 199.

15 Nu m b e r g e r: Horaz, S. 197.

16 Nisb e t; Hu b b a r d: A Commentary, S. 318.

11 Le f é v r e, Ec k a r d: Horaz. Dichter im augusteischen Rom. München: Beck, 1993, S. 2 18.

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Horazens Hymnus auf Bacchus 31 docentem )\ dieser ist also sein Schüler. D er Schluß zeigt den L ehrer als Ü berw inder des H ades, d er seine M u tter dem Tod entreißt und ihm selbst entkom m t. G enau das ist der Punkt, in dem sich der Schüler den L ehrer zum Vorbild nim m t.“17

Lefevre schreibt zuvor auch w ie folgt: Im allgem einen w aren A pollo und B acchus die

„G ottheiten d er D ichter. H oraz lag die apollonische K larheit, nicht die dionysische B egeisterung. So sind seine beiden B acchus-O den am bivalenten C harakters. [...] Die zw eite B acchus-O de, 2, 19, hat leicht ironische Z üge.“18 D ieser am bivalente C harak­

ter d er O de w ird auch von V. P ö sch l'9 und H. P Syndicus betont. V. Pöschl schreibt:

„D ie beiden ersten Strophen stellen einen gew altigen K onstrast dar. D em friedlich­

idyllischen B ild des G ottes, der seinen N ym phen und Satyrn L ieder vorsingt, steht die zw eite S trophe gegenüber, die die E rschütterung schildert, die die E piphanie des G ottes im D ichter hervorruft. D am it ist ein G rundm otiv der O de angedeutet: das dop­

pelte G esicht des G ottes, d er der G ott des G esanges, des Spieles, der F reude und zugleich der furchtbar zerstörende G ott ist, dessen T hyrsusstab der D ichter fürchtet.“

Syndikus b em erkt dazu: „D ie S chlußstrophe aber, in der D ionysos die M onstren der U nterw elt so zu besänftigen weiß, w ie es sonst nur O rpheus und der Z auber des G esanges konnten, lehrt klar, w ohin H oraz auch bei dieser, gew iß in einer doppelten B eleuchtung gesehenen G ottheit die H auptbetonung legen w ollte.“20 N ach D. W est sind die erste und die letzte Strophe grotesk, ironisch und respektlos, aber die zw eite Strophe ist ernst zu nehm en.21

In den letzten Jahrzehnten w urde auch eine allegorische Interpretation vorgeschlagen.

V iktor P öschl hat in ein er A nm erkung angedeutet, daß D ionysos der G ott des A ntonius gew esen sei und daß m an verm uten dürfe, er sollte hier als griechischer G ott für die röm ische W elt w iedergew onnen w erden.22 L aut S. K oster m uß die Ü bernahm e des D ionysos in ihrer politischen T ragw eite besonders hervorgehoben w erden. E r schreibt w ie folgt: „W ie stark die P ropaganda eingew irkt hat, w ird besonders durch die O de 2, 19 deutlich. In ihr ist der M ythos nur noch Chiffre fü r die R ealität. Dies zeigt sich daran, daß H oratius in einem neuen M ythologem schon die G leichsetzung von A ugustus und B acchus voraussetzt.“23 H oraz erlebt, w ie A ugustus L ieder ein­

studiert bzw. den D ichtern ihr T hem a vorschreibt. N ach dieser Interpretation ist A riadne Livia, C erberus ist C leopatra, die trilinguis war, weil sie die drei Sprachen Ä gyptens sprach, und so weiter.

3. M einer M einung nach kann m an diesen B acchus-H ym nus nur im L ichte der horazischen L iteraturkritik richtig interpretieren, da sein H auptthem a eindeutig die

" Le f e v r e: Horaz, S. 217.

19 Pö s c h l: Die Dionysosode, S. 22 2 . 20 Sy n d ik u s: Die Lyrik, S. 479.

21 We st, Da v id: Horace, Odes II. Vatis Amici. Oxford: Clarendon, 1998, S. 140.

22 Pö s c h l: Die Dionysosode, S . 2 1 0 , A n m . 6.

23 Ko st e r, Se v e r in: Quo me Bacche rapis? (Hör. carm. 3, 25 und 2, 19). - In: Ko s t e r, S. (Hg.): Horaz-Studien.

Erlangen, 1994, S. 51-70, hier S. 62.

24 Pö s c h l: Die Dionysosode, S. 229.

(23)

32 Tamás Adamik

poetische Inspiration ist. O der w ie V iktor Pöschl bem erkt: „D as D ionysische w ird als E ssenz der D ichtung des H oraz und der D ichtung überhaupt verstanden.“24 H oraz übt scharfe K ritik an m ehreren röm ischen D ichtem . So ist sein w ichtigster E inw and gegen L ucilius, daß er au f die Form nicht die nötige Sorgfalt verw ende. D ie U rsache dieser N achlässigkeit bestehe darin, daß e r zu schnell und zu viel schreibe: W egen seiner geschw ätzigen N atur habe er die schw ere A rbeit der V erbesserung nicht auf sich genom m en:

garrulus atque piger scribendi ferre laborem,

scribendi recte: nam ut multum nil moror (Sat. 1, 4, 12-13)

D er garrulus ist näm lich m aßlos verm öge seiner N atur, und er verletzt unbew ußt das aptum, decorum , das G ebührende, das G eziem ende, d.h. die w ichtigste Tugend des Stiles. D a ein K unstw erk aus G edanken und W orten (res et verba) besteht, können w ir von R ichtigkeit (rectum ) sprechen, w enn diese zw ei m iteinander in H arm onie sind.

Dabei betrifft der A usdruck labor scribendi recte nicht nur die Form , sondern auch den Inhalt: m an m uß beide korrigieren und schleifen. D araus folgt, daß H oraz nicht nur form elle, sondern auch inhaltliche Einw ände gegen Lucilius hat. H oraz unterstreicht die W ichtigkeit d er K orrektur auch dam it, daß er die G edankenfigur correctio anw endet:

garrulus atque p ig e r scribendi fe rre laborem, scribendi recte (1, 4, 12-13).25

Im B r ie f an A u g u stu s w eist e r dieselben F ehler in der röm ischen T ragödie nach: sed turpem p u ta t inscite m etuitque lituram (E pist. 2, 1, 167): der röm ische D ichter fürchte sich vor dem K orrigieren, vor der M ühe des Feilens, weil die gew issenhafte D u rch ­ arbeitung viel m ühsam er sei als der E n tw u rf im großen. A uch P lautus küm m ert sich nicht darum , d a er sein A genm erk lediglich d arau f richtet, seine K asse zu füllen:

g estit enim num m um in loculos dem ittere (Epist. 2, 1, 175). H oraz führt denselben G edanken in der A rs po etica aus:

nec virtuteforet clarisve potentius arrnis quam lingua Latium, si non offenderet unum

quemque poetarum limae labor et mora (2, 3, 288-290)

A. K iessling und R. H einze bem erken richtig zu offenderet: „der Stein des A nstoßes, über den sie gestolpert sind, alle ohne A usnahm e, ist die Scheu vor der zeitraubenden M ühe des Aus fei len s.“26

A us den oben zitierten Stellen sollte m an nicht den Schluß ziehen, daß für H oraz nur die lan g sam e D u rch arb eitu n g , die M ühe des A u sfeilen s, nicht die poetische Inspiration w ichtig gew esen sei. D ie F unktion der B acchus-O den besteht eben darin, daß sie bew eisen: auch die Inspiration ist für den D ichter w ichtig. In seinem B acchus- H ym nus 2, 19 w ill H oraz zeigen, w ie der D ichter von der Inspiration G ebrauch m a­

chen soll. A ufgrund dieses G edankens m öchte ich nur zu drei Stellen des H ym nus B em erkungen m achen.

25 Vgl. Ad a m ik, Ta m á s: Probleme der Urbanität in den Satiren 1, 4 und 1, 10 von Horaz. - In: Acta Classica Univ. Scient. Debrecen 29 (1993), S. 3-10, hier S. 4f.

“ Kie s s l in g, Ad o l f; He in z e, Ric h a r d: Q. Horatius Flaccus, Briefe. 7. Aufl. Berlin: Weidmannsche Verlags­

buchhandlung, 1961, S. 340.

(24)

Horazens Hymnus auf Bacchus 33 a) B acchum ... vidi docentem ... N ym phasque discentis - schreibt H oraz in der ersten Strophe. N ürnberger hat recht, w enn e r sagt: „B acchus spielt hier die fü r ihn ungew öhnliche R olle“ , weil B acchus im allgem einen nicht zu lehren, sondern hinzureißen pflegte. D aß er gut und richtig lehrt, zeigt die Tatsache, daß die N ym phen und die S atyrn von ihm lernen und auch H oraz von ihm lernt. H oraz ist hier nicht iro­

nisch und nicht respektlos, w eil das L ehren für ihn als Dichter, als vates w esentlich ist. Im B r ie f an A u g u stu s schreibt er über die Funktion des D ichters w ie folgt:

Os tenerum pueri balbumque poeta figurat, torquet ab obscaenis iam nunc sermonibus aurem, mox etiam pectus praeceptis formal amicis, asperitatis et invidiae corrector et irae;

recte facta refert, orientia tempora notis instruit exemplis, inopem solatur et aegrum.

Castis cum pueris ignara puella mariti

disceret unde preces, vatem ni Musa dedisset? (126-133)

So sei nach H oraz das L ehren die R olle der Poesie. N ach der T heorie der R hetorik lehrt man in einfachem Stil: sed quot officia oratoris, tot su n t genera dicendi: subtile in probando, m odicum in delectando, vehem ens in ß e c te n d o (Cic. Or. 21,69); tenues acuti, om nia ... dilucidiora ... fa c ie n te s (Cic. Or. 20). H oraz sagt dasselbe über sich selbst: m i h i ... sp iritu m G raiae tenuem C am enae Parca non m endax d ed it (C arm . 2,

16, 37-39).

b) D. W est schreibt über den H ym nus: „M ost often such hym ns end w ith a p ray er [...], but here no p ray er is necessary.“21 Ich denke, daß es auch in diesem H ym nus eine Bitte gibt, aber nicht in der letzten, sondern in der zw eiten Strophe: parce Liber, parce gravi m etuende thyrso (7-8) - „schone Liber, schone du durch den schw eren T hyrsus F urchtbarer.“28 D ionysos kann auch furchtbar sein, w enn er jem anden der vollen B esinnung berau b t und ihn in W ahnsinn versetzt. H oraz bittet, ihn zu verschonen, weil er die S elbstkontrolle auch unter der W irkung der Inspiration bew ahren w ill. Um dasselbe b ittet er in der O de 1 ,1 8 :

Saeva tene cum Berecyntio cornu tympana, quae subsequitur caecus amor sui et tollens vacuum plus nimio gloria verticem arcanique fides prodiga, perlucidior vitro (13-16)

D er R ausch zeugt törichte E igensucht, der D ünkel erhebt das H aupt über das M aß, und der D ich ter w ird geschw ätzig, garrulus, w ie L ucilius, und so kann er w eder form ell noch inhaltlich ein gutes G edicht schreiben, darum will H oraz verecundum B acchum ehren (c. 1, 27, 3). D er B etrunkene schw atzt aus, was im Schrein seines H erzens verborgen bleiben sollte, darum ist die bacchische Inspiration dulce pericu- lum (3, 25, 18), und darum E st et fid e li tuta silentio m erces (3, 2, 25-26).

27 We st: Horace, S. 140.

" Ü b e rse tz t v o n PöSCHL: Dionysosode, S. 211.

M Ok sa l a, Te iv a s: Religion und Mythologie bei Horaz. - In: Commentationes Humanarum Litterarum 51 (1 9 7 3 ), S. 47 .

(25)

D ie W ahrheit dieses U rteils können w ir m it O vids M einung unterstützen, der über G allus schreibt:

N ecfuit opprobio celebrasse Lycorida Gallo

sed linguam nimio non tenuisse mero. (Trist. 2,445-446)

A ufgrund dieser B ehauptung können w ir annehm en, daß auch H oraz m it seinen zitierten W orten au f G allus Tod verw eisen w ollte.

c) T. O ksala schreibt folgendes: „Z um W esen des G ottes gehört die diam orphia, die H oraz m it dem dithyram bisch kühnen A usdruck idem pa cis eras m ediusque belli her­

v o rh e b t“ ,)29 und er v erw e ist au f E u rip id es B a kch en 861: S e iv ó ra -to t;, á v 0 p Ó 7 to t(n 8 ’ f|mtínaTO<;. N isbet und H ubbard übersetzen den H orazischen Satz w ie folgt: „but you w ere not only a m ediator o f peace but m idm ost in the fig h t“30, d.h. sie denken, daß H oraz h ier m edius in zw ei B edeutungen gebraucht. A uf G rund der euripideischen A ussage d a rf ich vielleicht feststellen, daß V. Pöschl den H orazischen Satz besser v er­

steht, w eil er ihn so übersetzt: „ ‘D u w arst derselbe m itten im Frieden und m itten im K rieg e’, derselbe, das heißt, gleich aptus, gleich m ächtig, gleich ü berlegen.“ 31 Trotz alledem halte ich es für m öglich, daß der friedliche B acchus H oraz näher stand als der m ilitante, w eil er schon durch seine E rscheinung C erberus, das Sym bol des Todes, unschädlich, den sorgfältigen D ichter aber unsterblich m achen kann.

34 Tamás Adamik

-0 - ^ 0=- 50 Nisb er t; Hu b b a r d: A Commentary, S. 329.

J1 Pö s c h l: Die Dionysosode, S. 2 21.

(26)

Gottfried von Straßburg und Ovid Peter K ern

(B onn)

G ottfried von Straßburg und O vid - das sind zw ei N am en, m it denen untrennbar das T hem a L iebe verbunden ist: G ottfried, d er V erfasser des um 1210 geschriebenen L iebesrom ans Tristan u n d Iso ld e', und der röm ische D ichter O vid, beliebtester S chulautor des 12. und 13. Jahrhunderts," berühm t w egen seiner M etam orphosen^ und H eroldes\ D ichtungen, in denen die dunkle, existenzbedrohende, tragische Seite der L iebe beto n t ist, m indestens ebenso bekannt aber w egen seiner A m o r e s \ der dem leichten S in n en g en u ß zugew andten L ieb esg ed ich te, und w egen sein er beiden L ehrschriften, der A rs am atoria6 m it R atschlägen, w ie m an L iebe erw erben und erhal­

ten könne, und den R em edia am oris (den H eilm itteln gegen die L iebe)1 m it R ezepten, w ie m an ein e als lästig und quälend em pfundene L eidenschaft kurieren, losw erden könne: T raktate, die O vids R u f als p ra ece p to r am oris, als L ehrer der L iebe, b egrün­

deten.8 O hne O vid w ar ein D iskurs über L iebe im M ittelalter kaum denkbar. Es dürfte

' Zit. nach: Go t t fr ie dv o n St r a s s b u r g: Tristan. Hg. von Karl Marold. 3. Abdr. v. Werner Schröder. Berlin, 1969 [Abk.: Trist.].

2 Z u r O v id -R e z e p tio n im M itte lalter: Ba r t sc h, Ka r l: Albrecht von Halberstadt und Ovid im Mittelalter.

S tu ttg art, 1861, E in l., S. XI-CXXVII; Ra n d, Ed w a r d Ke n n a r d: Ovid and his Inßuence. L o n d o n , 1925;

Wil k in so n, La n c e l o t Pat r ic k: Ovid Recalled. C am b rid g e , 1955; Mu n a r i, Fr a n c o: Ovid im Mittelalter.

Z ü ric h , 1960; St a c k m a n n, Ka r l: Ovid im Mittelalter. - In: Arcadia 1 (1966), S. 231-254; St r o h, Wil f r ie d: Ovid im Urteil der Nachwelt. E in e T e stim o n ie n sa m m lu n g . D a rm stad t, 1969.

5 Zit. nach: Pu bl iu s Ov id iu s Na s o: Metamorphosen. Epos in 15 Büchern. Hg. und übers, v. Hermann Breitenbach. 2. Aufl. Zürich, 1964 [Abk.: Met.].

4 Zit. nach: Pu b l iu s Ov id iu s Na s o: Liebesbriefe. Heroldes epistulae. Lateinisch-deutsch. Hg. und übers, v.

Bruno W. Häuptli. München; Zürich, 1995.

! Zit. nach: Pu b l iu s Ov id iu s Na s o: Liebesgedichte. Amores. Lateinisch und deutsch von Walter Marg und Richard Harder. 3., leicht verb. Aufl. München, 1968.

6 Zit. nach: Pu b l iu s Ov id iu s Na s o: Liebeskunst. Ars amatoria. Nach der Übers. W. Hertzbergs bearb. v. Franz Burger. München, 1969.

7 Zit. nach: Ov id: Heilmittel gegen die Liebe. Die Pflege des weiblichen Gesichtes. Lateinisch und deutsch von Friedrich Walter Lenz. Berlin, 1969.

* Im Prolog (Vers 17) seiner Ars amatoria nennt sich Ovid selbst praeceptor Amoris. - Im Liebeskonzil von Remiremont eines unbekannten Verfassers aus der Mitte des 12. Jahrhunderts (hg. von W. Meyer, in:

Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Phil.-hist. Kl. 1914, S. 1-19) wird eine Versammlung von Nonnen geschildert, wobei die precepta Ovidii, doctoris egregii gleichsam als Evangelium (quasi evangelium) verlesen werden.

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